Es wird kontrovers diskutiert, wie Ergebnisse aus universitären Parodontitistherapien für die zahnärztliche Versorgung zu verallgemeinern sind. Deshalb wurde im Rahmen einer multizentrischen retrospektiven Studie der Zahnverlust von Patienten untersucht, die an den vier deutschen Universitätszentren Kiel, Greifswald, Heidelberg und Frankfurt am Main eine systematische Parodontitistherapie erhielten, um Spezifikationen einzelner Behandlungskonzepte besser zu verstehen. Die Ergebnisse dieser Studien wurden von den Autoren um Prof. Christian Graetz im Rahmen einer dreiteiligen Artikelserie vorgestellt und diskutiert, veröffentlicht in der Parodontologie 2/2022, 3/2022 und 4/2022, Teil 1 auch bereits bei Quintessence News.
Es konnten 896 Patienten an vier Zentren zu Beginn, nach aktiver (APT) und unterstützender Parodontitistherapie (UPT) nachuntersucht werden. Trotz kohortenspezifischer Unterschiede, einschließlich der Länge des mittleren Nachbeobachtungszeitraums von 7–18 Jahren, fand sich für alle Zentren ein niedriger jährlicher Zahnverlust von ≤ 0,15 Zähnen pro Patient während einer konzeptbasiert durchgeführten UPT. Folgerichtig muss die UPT patientenindividualisiert und regelmäßig erfolgen, um langfristig die parodontale Stabilität aufrechtzuerhalten. Im Beitrag von PD Hari Petsos et al. sollen einige therapiespezifische Details der jeweiligen Zentren einschließlich spezifischer regionaler Unterschiede zum besseren Verständnis und ergänzend zur ursprünglichen wissenschaftlichen Publikation praxisnah diskutiert werden.
Originalpublikation: Petsos et al. „Systematische Parodontitistherapie im universitären Umfeld – Praxisrelevant oder nicht? – Teil 2. Behandlungskonzepte.“ (Quintessenz Zahnmedizin 2021;72:884–893)1. Der Beitrag wurde von den Autoren in Ergänzung zu Graetz C et al., J Dent 2020;94:103307 verfasst2.
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Behandlungskonzepte
Für die sich bereits im ersten Teil dieser Artikelserie3 in ihrem Risikoprofil signifikant unterscheidenden Patientenkohorten (Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Diabetes mellitus, Ausgangsdiagnose) wurde während der UPT nur eine sehr begrenzte mittlere Anzahl von Zähnen pro Patient (1,6 ± 2,5) extrahiert, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die Behandlung in allen Zentren einer Systematik mit aufeinander abgestimmten individuellen Maßnahmen folgte. Tabelle 1 kennzeichnet die markanten Eckpfeiler des jeweiligen Konzepts zum damaligen Behandlungszeitpunkt der nachuntersuchten Patienten in den vier Zentren Kiel (KI), Greifswald (GW), Heidelberg (HD) und Frankfurt am Main (F). Es muss betont werden, dass diese ehemals angewandten Konzepte in den einzelnen Zentren fortwährend an aktuelle Erkenntnisse angepasst wurden. Die Tabellen 2 bis 5 kennzeichnen die aktuellen Inhalte und Abfolgen der jeweiligen vier Zentren.
Eine grundlegende Systematik in Form eines PAR-Versorgungskonzepts13 bestand bereits in der derzeitigen GKV-Versorgung in Deutschland, die zuletzt strukturell an die internationale Systematik14angeglichen und als S3-Leitlinie publiziert wurde17. Wie den Tabellen 2 bis 5 zu entnehmen ist, beginnt eine systematische Parodontitistherapie entsprechend den aktuellen Empfehlungen der „European Federation of Periodontology“ (EFP) sowie der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) in allen Zentren immer mit einer Hygienephase (Therapiestufe 1), auf die eine nichtchirurgische Therapie (subgingivale Instrumentierung, geschlossenes Vorgehen; Therapiestufe 2) folgt, die wiederum – falls erforderlich – durch eine chirurgische Therapie (Therapiestufe 3) ergänzt wird14,17. Für letzteren Therapieschritt finden sich im Detail Unterschiede zu Indikation und Umfang der Maßnahmen (Tabellen 2 bis 5), wobei anschließend an die APT in allen vier Zentren eine strukturierte UPT erfolgt18. Der Erfolg dieser Behandlungssystematik wurde durch die vorliegenden Ergebnisse für die Gesamtzahnverlustrate von bis zu 20 Jahren andauernder UPT bestätigt. Zahnverlustraten von zwischen 0,20–4,43 Zähnen pro Patient ähneln denen einer kürzlich durchgeführten Kohortenstudie über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 24 Jahren, bei der die Patienten ebenfalls in einem universitären Umfeld systematisch behandelt wurden19. Sicherlich, die aufgezeigten Zahnverlustraten zwischen den Zentren sind statisch signifikant, aber der gefundene Unterschied von 0,05 Zähnen pro Patient und Jahr scheint für die Behandlungsplanung sowohl aus Sicht des Klinikers als auch des Patienten vernachlässigbar.
Die Abbildungen 1 und 2 zeigen zwei Patientenfälle, die in den Zentren GW und F entsprechend den in Tabelle 1 dargelegten Behandlungskonzepten am jeweiligen Standort therapiert und mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 10 (F) bzw. 22 (GW) Jahren in die Studie eingeschlossen wurden.
Letztendlich stellt sich nicht die Frage, ob man eine Parodontitis behandeln sollte. Dennoch steht außer Frage, dass die individualisierten Behandlungskonzepte jedes Zentrums einen kleinen, aber womöglich signifikanten Einfluss auf die jährlichen Zahnverlustraten während der UPT hatten. Was ist also das beste Behandlungskonzept für unsere Patienten?
Die Autoren sind sich zunächst einmal sicher, dass sich die gezeigten Erfolge – ausgedrückt durch niedrige Zahnverlustraten – beim Befolgen eines systematischen Behandlungskonzeptes reproduzieren lassen. Geringfügige Abweichungen beispielsweise hinsichtlich der Anteile der nichtchirurgischen und chirurgischen Verfahren an der APT, des Reevaluationszeitpunkts oder der Art und Weise der risikoadaptierten UPT-Intervallzuteilung sind möglicherweise weniger relevant für den Behandlungserfolg als die grundlegende Therapiesystematik an sich. Der Entscheidung, Patienten überhaupt systematisch zu therapieren und einer UPT zuzuführen, scheint für den langfristigen Zahnerhalt dabei eine übergeordnete Rolle zuzukommen21.
Durch die Vorstellung der systematischen Behandlungskonzepte der vier Universitätsstandorte wird dem Praktiker somit unter anderem eine Möglichkeit aufgezeigt, eine Behandlungssystematik in der eigenen täglichen Arbeitsroutine zu etablieren, die ihrerseits dazu beitragen kann, geplante Zahnentfernungen aufgrund der verbesserten parodontalen Therapieergebnisse zu minimieren. Auch wenn die hier vorgestellten Behandlungskonzepte entsprechend den kürzlich aktualisierten PAR-Behandlungsrichtlinien13 zukünftig weitere Modifikationen erfahren werden, ist es dennoch weniger das spezifische Konzept als vielmehr die Systematik, die den Erfolg ausmacht. Trotzdem muss auch ein tradiertes Vorgehen, welches vielleicht schon lange in der eigenen Praxis etabliert ist und erfolgreich war, wiederholt überdacht und gegebenenfalls an neue Erkenntnisse adjustiert werden, wie dies für die vorgestellten Konzepte beim Vergleich der Tabellen 1 bis 5 offensichtlich wird.
Nach Einschätzung der Autoren sind die wichtigsten Faktoren für die Variabilität des Zahnerhalts die Nachbeobachtungszeit und zentrumsspezifische Therapieunterschiede (Tabellen 2 bis 5). Der adjuvante Einsatz von Antibiotika kann beispielsweise die hier präsentierten Ergebnisse maßgeblich beeinflusst haben. Weniger als 25 Prozent aller Patienten erhielten während der APT und/oder UPT Antibiotika in KI (15,1 Prozent), GW (23,1 Prozent) und F (16,3 Prozent), wohingegen in HD häufiger Antibiotika eingesetzt wurden. Hierbei muss beachtet werden, dass die behandelten Patienten in HD jünger waren und häufiger eine aggressive Parodontalerkrankung (AgP) aufwiesen – womit entsprechend der Evidenz richtigerweise einer verbesserten Erfolgsaussicht in dieser spezifischen Patientengruppe Rechnung getragen wurde25. Des Weiteren führten einige Zentren auch vermehrt regenerative Therapieverfahren durch (HD, F), während andere hauptsächlich mit nichtregenerativen Verfahren therapierten (KI, GW). Insbesondere die unterschiedliche jährliche Anzahl von Nachsorgeterminen als Ausdruck der Behandlungsbemühungen während der UPT scheinen ein relevanter Faktor zu sein. In einer aktuellen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Patienten, die ihre UPT engmaschiger als empfohlen gestalteten, im Vergleich zu Patienten, die ihre Intervalle längerfristiger anlegten, eine parodontal stabilere Situation zeigten und weniger Zahnverluste während der UPT auftraten26. In der vorliegenden Studie wurde zwar nicht in jedem Zentrum (KI, GW, HD) von Beginn an eine objektiv nachvollziehbare UPT-Intervallzuteilung nach strengen Kriterien vorgenommen, dennoch wurden die Patienten subjektiv gemäß dem Schweregrad ihrer Parodontitis unterschiedlichen Intervallen zugeteilt. Dies kann einerseits eine gewisse Abweichung in den Zahnverlustraten der Zentren untereinander erklären, andererseits aber auch die insgesamt niedrige mittlere Zahnverlustrate argumentativ stützen, da die UPT-Intervalle nicht „pauschalisiert“, sondern patientenindividuell zugeteilt wurden.
Nachdem nun die Ergebnisse dieser Studie vorgestellt2 und die damaligen sowie aktuellen Behandlungskonzepte aller vier Studienzentren im Detail präsentiert (vgl. Tab. 1 bis 5) und diskutiert wurden, soll im dritten und letzten Teil dieser Artikelserie der Übertrag in die tägliche Praxis vorgenommen werden27.
Ein Beitrag von PD Dr. Hari Petsos, Soest, PD Dr. Amelie Bäumer-König, Bielefeld, Prof. Dr. Peter Eickholz, Franfurt am Main, Dr. Lukasz Jablonowski, Greifswald, Prof. Bernadette Pretzl, Heidelberg, Prof. Falk Schwendicke, Berlin, PD Dr. Birte Holtfreter, Greifswald, Prof. Dr. Christian Graetz, Kiel
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