Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO an einem internationalen Fachkongress mitwirkt. Schon gar nicht bei einer zahnärztlichen Fortbildungsveranstaltung – zumal die Mundgesundheit aus medizinischer Sicht über lange Zeit nicht als gleichberechtigt anerkannt war im Kanon der großen medizinischen Fächer.
Wenn nun die Europerio, die alle drei Jahre stattfindende, weltweit größte Fachveranstaltung der Parodontologie, Gastgeberin dieses einmaligen Anlasses sein durfte, ist das Ehre und Anerkennung zugleich. In der Tat gibt es keine Zweifel an der fachlichen Kompetenz der mit mehr 10.000 Fachbesuchern größten dentalen Fachveranstaltung in Europa und weltweit führende parodontologischen Ereignis. Auch dass sich die Parodontologie seit längerem mit fachübergreifenden Themen beschäftigt und regelmäßig neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Parodontopathien und Allgemeinerkrankungen vorstellt, hat einen großen Anteil an dieser Anerkennung und somit dürfe diese Kooperation wahrlich kein Zufall sein.
Seit 2021 adressiert die WHO die Mundgesundheit
Im Mittelpunkt dieses hochkarätigen Symposiums stand die Diskussion um die Mundgesundheit. Im Jahr 2021 hat die WHO die Mundgesundheit in die NCD-Agenda, den Kreis der nicht übertragbaren Krankheiten, eingebunden und damit den gleichen Stellenwert wie der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs und Atemwegserkrankungen zuerkannt. Es war ein großer Schritt voran, die Mundgesundheit nicht mehr als isoliertes Randproblem zu betrachten, sondern als wesentlicher Bestandteil der Allgemeingesundheit und des Wohlbefindens.
In die Gesundheitsversorgung einbeziehen
Und dieser Schritt hat erhebliche Auswirkungen, denn damit wird die Mundgesundheit nicht länger aus dem öffentlichen Gesundheitswesen ausgeklammert und ist ab sofort in die Planung, Finanzierung und Bereitstellung der Gesundheitsversorgung einbezogen. Dieses Vorhaben auch in der Realität umzusetzen war eines der zentralen Anliegen dieses Symposiums. Jeder, der so seine Erfahrungen mit dem öffentlichen Gesundheitswesen hat, weiß, wovon hier die Rede ist.
Somit bestand ein direkter Bezug des aktuellen Symposiums auf die allererste WHO-Tagung zur globalen Mundgesundheit im Jahr 2024, bei der erstmals die WHO-Ziele für Mundgesundheit bis 2030 festgelegt wurden. Dementsprechend aussagekräftig ist die Erklärung von Bangkok: „Keine Gesundheit ohne Mundgesundheit“. Damit besteht eine weltweite Verpflichtung, die Mundgesundheit in die Primärversorgung und die allgemeine Gesundheitsversorgung einzubinden.
Verschiedene Ansätze für eine einheitliche Strategie
Aktuell gibt es verschiedene Ansätze für eine einheitliche Strategie zur Verbesserung der Mundgesundheit. Eines der Positionspapiere mit dem Titel „for a better oral health“ wurde vor gut einem Jahr vorgestellt, um an die politischen Entscheidungsträger zu appellieren, dass die Mundgesundheit und der dafür nötige Aufwand in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen wird und mehr dafür getan wird.
Am Wiener WHO-Europerio-Symposium beteiligte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die „Platform for Better Oral Health in Europe“ (PBOHE), der Plattform für bessere Mundgesundheit in Europa, wie auch die Gastgeberin EFP/EuroPerio selbst als aktive Partnerin. Ziel dieser Veranstaltung war, sich eingehend mit den dringenden globalen Entwicklungen der Mundgesundheit von qualifizierter Seite her zu befassen. Dabei wurde erstmals ein breites Fachpublikum einbezogen, aus dem sehr viele praxisnahe Gedanken in die Diskussion eingeflossen sind.
Den aktuellen Schub nutzen
Dabei macht es durchaus Sinn, den aktuellen Schub zu nutzen, um klare und übereinstimmende Ziele zu formulieren, die den politischen Gremien zur Hand gereicht werden können. Auch dass es verschiedene Ansätze gibt, die eingehend diskutiert und wissenschaftlich untersucht werden, ist sicherlich nicht von Nachteil, denn diese intensive Beratung trägt dazu bei, ein tragfähiges und gut durchdachtes Konsenspapier zu erstellen.
Dem Expertenteam um Prof. Iain Chapple aus Birmingham als Leiter der Sitzung standen mit Dr. Dympna Kavanagh, Chief Dental Officer in Irland und Ansprechpartnerin der EU, Dr. Benoit Varenne, Oral Health Programme Officer bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sowie den Professoren George Tsakos und Habib Benzian, beides weltweit anerkannte Fachleute, ein hochkarätiges Expertenteam zur Seite.
Konzept der EFP „Better oral health for all“ im Fokus
Anhand aktueller Zahlen wurde im Rahmen der Veranstaltung auf den gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden einer mangelhaften, und vor allem ungleichen Mundgesundheit hingewiesen. Anhand der vorliegenden Positionspapiere ging es in die Details. Vorgestellt wurde dabei der strategische „Plan 2030“ der European Federation of Periodontology (EFP) mit dem Titel „Better oral health for all“ an. Dieser baut auf dem bisherigen Engagement der EFP auf und verfolgt das Ziel, die parodontale Gesundheit als integralen Bestandteil der globalen Gesundheitsversorgung zu etablieren und steht auf mehreren Säulen.
Im Vordergrund steht die wissenschaftliche Exzellenz. Die EFP strebt an, evidenzbasierte klinische Leitlinien weiterzuentwickeln und internationale Forschungskooperationen zu fördern. Ein besonderes Anliegen der EFP ist die verbesserte parodontale Bildung. Durch innovative und zugängliche Bildungsprogramme sowie erweiterte postgraduale Ausbildungsmöglichkeiten soll die Qualität der parodontalen Ausbildung gesteigert werden. Die Politische Einflussnahme und öffentliche Sensibilisierung gehört ebenfalls zu den zentralen Anliegen. Die EFP plant, durch gezielte Advocacy-Strategien und öffentliche Gesundheitskampagnen das Bewusstsein für die Bedeutung der parodontalen Gesundheit zu erhöhen.
Plattform PBOHE in Europa als mögliches Modell
Eine besondere Rolle bei der Umsetzung der Ziele spielt die Platform for Better Oral Health in Europe (PBOHE). Hierbei handelt es sich um eine europäische Initiative, die sich für die Verbesserung der Mundgesundheit und der zahnmedizinischen Versorgung in Europa einsetzt. Dr. Dympna Kavanagh hatte diese bereits dem Europäischen Parlament vorgestellt und stand als herausragende Persönlichkeit im Bereich der öffentlichen Mundgesundheit in Europa und Irland auch in Wien Rede und Antwort. Sie ist derzeit Präsidentin der Platform for Better Oral Health in Europe (PBOHE), Vorsitzende des Council of European Chief Dental Officers (CECDO) und Chief Dental Officer von Irland. In dieser Eigenschaft setzt sich Dr. Kavanagh dafür ein, die Mundgesundheit in die allgemeine Gesundheitspolitik der EU zu integrieren. Betont wird die Bedeutung der Mundgesundheit im Kontext nichtübertragbarer Krankheiten (NCDs). Besonderes Anliegen ist die Platzierung oraler Erkrankungen im Zentrum der EU-Bemühungen zur Bekämpfung von NCDs. Weiter steht die Aufnahme präventiver oraler Gesundheitsprodukte in die EU-Initiative für kritische Arzneimittel an und schließlich wird die Bereitstellung von EU-Fördermitteln für die Forschung im Bereich der Mundgesundheit gefordert.
WHO-Aktionsplan für Mundgesundheit
Dieser Ansatz steht im Einklang mit dem WHO-Aktionsplan für Mundgesundheit 2023 bis 2030. Der WHO-Aktionsplan für Mundgesundheit 2023 bis 2030 ist ein umfassendes Programm zur Verbesserung der weltweiten Mundgesundheit. Ziel ist es, Mundgesundheit als integralen Bestandteil der allgemeinen Gesundheitsversorgung zu etablieren und soziale Ungleichheiten zu reduzieren. Übergeordnetes Ziel ist es, 80 Prozent der Weltbevölkerung den Zugang zu essenzieller zahnmedizinischer Versorgung zu ermöglichen – und zwar durch die Integration der Mundgesundheit in die universelle Gesundheitsversorgung. Gleichzeitig soll die globale Krankheitslast oraler Erkrankungen um 10 Prozent gesenkt werden. Dies betrifft insbesondere Karies, Parodontitis, Zahnverlust und Krebs. In weiteren sechs strategischen Handlungsfeldern werden einzelne Schritte genauer definiert.
Marschplan für Europa
Mit dem aktuellen Strategiepapier: „Why Oral Health Matters“, also „Warum Mundgesundheit wichtig ist“, hat die Europäische Plattform für Mundgesundheit einen Marschplan für Europa entwickelt, der darauf abzielt, die Bedeutung der Mundgesundheit für die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden hervorzuheben. Ursprünglich war diese Vorlag an die politischen Entscheidungsträger in der Europäischen Union gerichtet und betont die Notwendigkeit eines koordinierten Ansatzes zur Verbesserung der Mundgesundheit in Europa, die die Bedeutung der Mundgesundheit für das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit unterstreichen. Vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen oraler Erkrankungen spielen in der Politik eine erhebliche Rolle: Karies ist die weltweit und in Europa am weitesten verbreitete nichtübertragbare Krankheit. Die Behandlungskosten für mundgesundheitsbezogene Erkrankungen werden allein in der EU auf etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt
Geteilte Risikofaktoren
Übereinstimmend wurden erhebliche Defizite festgestellt, denn fast die Hälfte der Weltbevölkerung leidet an oralen Erkrankungen wie Karies, Parodontitis, Zahnverlust oder Mundkrebs. Dabei gelten die Verbindungen zu Allgemeinerkrankungen längst als gesichert, wenn auch sicherlich noch lange nicht abschließend erforscht. Orale Erkrankungen teilen Risikofaktoren mit anderen nichtübertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Ein hoher Zuckerkonsum, Tabak- und Alkoholkonsum sowie schlechte Mundhygiene spielen hierbei eine erhebliche Rolle. Eine zentrale Forderung dieses Positionspapiers, der Integration der Mundgesundheit in die nationale Gesundheitsversorgung trifft in diesem Kreis ebenfalls auf offene Ohren.
Für den Erfolg mit einer Stimme sprechen
Auch wenn die in dieser Sitzung vorgestellten Forderungen dem Auditorium kaum neu gewesen sein durften, so überzeugte die Präsentation, bestand doch eine große Einigkeit über die Klarheit und eine hohe Übereinstimmung der Positionspapiere der verschiedenen Organisationen, die letztlich mit einer Stimme sprechen. Dass dies ein großer Vorteil auf dem Weg der Umsetzung der Ziele ist, liegt auf der Hand. Auch wenn uns die Erfahrung lehrt, dass Veränderungen auf politischer Ebene einen langen Atem verlangen, und noch so manches Hindernis aus dem Weg geräumt werden muss, so, als Fazit dieser Sitzung, sind wir im gemeinsamen Streben nach einer globalen Mundgesundheit auf dem richtigen Weg.
ZA Tobias Bauer, Singen