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Interview mit Dr. Tabea Scheel und Dr. Susanne Woitzik über ihre Praxisbefragung, transformationale Führung und die Herausforderung in Zahnarztpraxen

Dr. Tabea Scheel und Dr. Susanne Woitzik, Europa-Universität Flensburg, haben in einer Umfrage erhoben, wie es in Zeiten des Umbruchs in den Zahnarztpraxen um das Arbeitserleben und die Veränderungsbereitschaft bestellt ist. Ihr Fazit nach der ersten Befragung: Wer in einer Praxis als Inhaberin/Inhaber oder Angestellter Führungsaufgaben wahrnimmt, ist gut beraten, die Neugier seines Personals zu erhalten und zu fördern, aktiv und fair zu führen und eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren.

Im Interview geben sie zu ihrer Motivation, zu den Herausforderungen für die Praxen, zum Thema Führung und zum guten Fehlermanagement Auskunft. Noch in diesem Frühjahr startet eine zweite Befragungsrunde, und Praxen sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen und von den Ergebnissen auch zu profitieren.

Es gibt ja viele Befragungen und Studien zur Arbeitswelt, gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung aller Bereiche, des zunehmenden Arbeitsdrucks etc. Allerdings konzentrieren sich diese meist auf die Büro- und Verwaltungswelt, Produktion und Gesundheitswesen kommen eher seltener vor. Sie haben sich jetzt die Arbeitswelt Zahnarztpraxis vorgenommen – warum? Und gibt es da Besonderheiten im Vergleich zu anderen Arbeitswelten?


Dr. Tabea Scheel, Europa Universität Flensburg (Foto: privat)

Dr. Tabea Scheel: Das Thema Arbeits-/Veränderungserleben in der Zahnarztpraxis ist für uns aus vielen Gründen ein spannendes Forschungsfeld: Die heutige Arbeitswelt ist im Umbruch: Veränderungen sind an der Tagesordnung. Insofern ist es von hohem Interesse, welche Faktoren dazu beitragen, dass Veränderungen auch gelingen - sowohl für den Erfolg der Unternehmen als auch für die Menschen. Hier Veränderungsbereitschaft zu fokussieren, als Voraussetzung mit Änderungen umgehen zu können, ist sehr spannend; hier zum Beispiel den eigenen Humor und seine Spielarten als Potential zu betrachten, ist sehr vielversprechend.

Der Fachkräftemangel, der ja auch in Praxen zu spüren ist, erhöht den Einfluss von Führungsverhalten – nun sind Zahnärztinnen und Zahnärzte ja eher fachlich als führungstechnisch qualifiziert, insofern bieten sich hier durchaus noch Gestaltungsspielräume. Vertrauen in die Praxisleitung und eine Vision, wo es hingehen soll, ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig, um Entscheidungen mitzutragen.


Dr. Susanne Woitzik, ZA eG (Foto: ZA)

Dr. Susanne Woitzik: Für mich waren eine Reihe von Gründen ausschlaggebend: Zum einen bewege ich mich beruflich seit 2004 in der Zahnärztewelt und habe dort viele Praxen und deren tägliche Fragestellungen kennenlernen dürfen. Daher weiß ich, dass es dort etliche Problemfelder gibt, die den Alltag in der Praxis immer mal wieder für alle Beteiligten herausfordernd machen. Das Thema Führung/Arbeitsklima spielt dabei häufig eine bedeutende Rolle.

Zum zweiten beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Führung, weil ich davon überzeugt bin, dass durch schlechte Führung viel Motivation bei den Mitarbeitern zerstört wird und dadurch hohe volkswirtschaftliche Verluste entstehen. Umgekehrt bin ich sicher, dass gute Führung zu einem guten Teamklima, dieses wiederum zu einem hohen Wohlfühlfaktor für die Patientinnen und Patienten und damit auch zum wirtschaftlichen Praxiserfolg führt.

Drittens stehen Zahnarztpraxen durch stetige Änderungen der Rahmenbedingungen – zunehmende Anzahl an Auflagen, die zu immer mehr Bürokratie in den Praxen führen, Veränderungen in den Marktgegebenheiten durch das verstärkte Eindringen von finanzgetriebenen Investoren in den Markt, Tendenz zu immer mehr Großpraxen, so dass die kleineren Praxen zunehmend unter Kosten- und Wettbewerbsdruck geraten – immer wieder vor neuen Herausforderungen, die Veränderungen der Organisation erforderlich machen. Wer da nicht mit der Zeit geht, hat ein ernsthaftes Problem.

Auch Neuanschaffungen bedeuten Veränderungen in einer Praxis. Wie Praxisinhaber auch ihr Team mit ins Boot holen, um aus der „Angst vor“ die „Lust auf“ Veränderungen zu machen, dazu hat Dr. Susanne Woitzik Tipps im Video von der IDS 2019. (Video: Quintessence News/QTV)

Sie haben im Ergebnis Ihrer Befragung festgehalten, dass sich der transformationale Führungsstil auch für die Zahnarztpraxis als der am besten geeignete Führungsstil gerade in Zeiten der Veränderung und des Umbruchs herausgestellt hat. Was heißt „transformationale Führung“?

Scheel: Transformationale Führung ist darauf ausgerichtet, intrinsische Motivation bei den Mitarbeitern zu wecken. Insofern geht es im Kern darum, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum einen das „Warum?“ zu vermitteln. Warum machen wir, was wir machen? Was ist unser Anspruch? Das Besondere an uns? – In dem Moment, in dem es gelingt, diese Vision leidenschaftlich zu vermitteln, werden diejenigen, die diese Vision teilen, davon angesteckt und wollen Teil des großen Ganzen werden und bleiben. Hier sind also echte Leader gefragt, denen Mitarbeiter freiwillig folgen: Der Mensch steht bei diesem Führungsstil im Vordergrund, nicht Prozesse.

Woitzik: Die zweite Komponente, die transformationale Führung ausmacht, ist die Vorbildfunktion. Die Führungskraft lebt durch ihr Verhalten die Werte und Grenzen, die Vision und ist dadurch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozusagen Leuchtturm und Kompass. Sie gibt den Rahmen für das Agieren des Teams vor. Hinzu kommt als dritter Aspekt die Förderung der Akzeptanz der Gruppenziele im Team. Der Chef/die Chefin trägt also Sorge dafür, dass sich jeder als Mitglied des Teams versteht und bei Bedarf auch einen Blick auf die anderen hat und Kollegen zur Hilfe kommt, wenn dort Not am Mann/der Frau ist. Das ist übrigens etwas, was gerade in der Zahnarztpraxis mit im Verhältnis kleineren Teams besonders wichtig ist. Denn dort kommt es immer mal wieder zu Situationen, in denen auch die Abrechnungskraft mal in der Assistenz oder der Aufbereitung der Instrumente einspringen muss. Wenn der Blick für das große Ganze fehlt, sind Konflikte, die wir häufig im Coaching erleben, vorprogrammiert.

Scheel: Die letzte Komponente transformationaler Führung ist „Intellektuelle Stimulation“, was nichts anderes bedeutet, als dass die Führungskraft Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu anregen kann, Aspekte auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und so immer wieder neue Wachstumsmöglichkeiten zu eröffnen – in sozialer, aber auch fachlicher Hinsicht. Transformationale Führung bildet somit die Basis für eine hohe Identifikation mit der Praxis/dem Betrieb und damit einer hohen intrinsischen Motivation.

Ist das dann ein Allheilmittel für alle Praxisprobleme und Mitarbeiterstress?

Scheel: Ein Allheilmittel sicher nicht. Aber ein gutes Fundament, mit ihnen zurechtzukommen. Mitarbeiterführung ist immer wieder herausfordernd und wird es auch immer bleiben. Sobald sich ein Faktor im Gefüge ändert, sei es, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter ausscheidet, neu hinzukommt, oder auch nur vorübergehend ausfällt, werden die Karten neu gemischt.

Woitzik: Hinzu kommt, dass wir alle Menschen sind und natürlich unsere Befindlichkeiten haben – eine schlechte Tagesform, gesundheitliche Verfassung, Probleme zu Hause mit unseren Lieben angefangen von Krankheiten über menschliche Dinge wie Streit oder, oder, oder – und natürlich auch gruppendynamische Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Es ist und bleibt spannend, wenn wir mit Menschen arbeiten, denn da „menschelt“ es. Transformationale Führung gibt allen Beteiligten die Sicherheit, dass alles über kurz oder lang in den Griff zu bekommen ist. Natürlich gehören dazu auch viel Disziplin und Konsequenz.

Wie kann ein konstruktives Fehlermanagement aussehen?

Scheel: Bei einem konstruktiven Fehlermanagement werden „FEHLER“ als „HELFER“ angesehen. – Es sind tatsächlich die gleichen Buchstaben, aus denen beide Worte gebildet werden. Fehler sind wichtig, da sie uns Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Wir können aus ihnen lernen und sollten idealerweise jeden Fehler nur einmal und es beim nächsten Mal besser machen. Insofern ist es auch wichtig, über Fehler im Team zu sprechen, damit jeder etwas daraus lernen kann.

Woitzik: Wichtig ist dazu die Grundeinstellung, dass Fehler menschlich sind. Jeder, insbesondere Menschen, die viel arbeiten, machen Fehler. Sie sind kein Drama. Es sei denn, wir machen immer wieder die gleichen Fehler. Wenn wir etwas daraus lernen, ergeben sich für uns Entwicklungsmöglichkeiten, die nicht nur uns persönlich, sondern auch unser Unternehmen betreffen.

Sie planen für das Frühjahr eine zweite Befragungsrunde. Wird es dann um andere Fragen gehen?

Scheel: Nein, die Fragen werden im Wesentlichen die gleichen sein. Uns geht es darum, herauszufinden, ob die Praxen, die bei der ersten Befragungsrunde teilgenommen haben, daraus Erkenntnisse gewonnen haben, die sie auch konstruktiv umgesetzt haben und neuen Praxen, Gelegenheit zu geben, ihre Entwicklungspotentiale zu identifizieren. Außerdem haben in Runde 1 viele sehr gut aufgestellte Praxen teilgenommen, wir erhoffen uns, dass wir ein „wahreres“ Abbild des Arbeitserlebens in der Zahnarztpraxis bekommen.

Was müssen Praxen tun, die teilnehmen wollen? Und welchen Benefit haben sie davon?

Scheel: Die Praxen, die teilnehmen wollen, können sich jetzt schon vorab bei einem von uns für die zweite Befragungsrunde vormerken lassen unter tabea.scheel@uni-flensburg.de oder swoitzik@za-eg.de. Auch die Praxen, die uns in Runde 1 ihre E-Mail-Adresse gegeben haben, werden wir direkt anschreiben und um erneute Teilnahme bitten.

Woitzik: Alle Praxen, die teilnehmen, bekommen nach Auswertung der Studie das Gesamtergebnis zugesandt. Sollten mehr als fünf Personen einer Praxis teilnehmen, können wir auf Wunsch auch ein Benchmark vornehmen. Bei weniger Teilnehmern können wir die Anonymität der Teilnehmenden nicht sicherstellen.

Das Benchmark zeigt den Praxen auf, wo sie Entwicklungspotenziale haben und sagt ganz konkret, an welchen Stellschrauben gedreht werden sollte, um sich immer mehr in Richtung gute transformationale Führung und damit zu intrinsisch motivierten Mitarbeitern zu bewegen.

Die Teilnahme an einer solchen Befragung kann ja ein erster Schritt zu Veränderungen sein, für die man dann aber vielleicht Unterstützung braucht. Wo findet man hier Hilfe und worauf sollte man achten?

Scheel: Hilfestellung bieten diverse Coaches, die idealerweise auch den Alltag einer Zahnarztpraxis kennen. Auch sollten sie den Praxen keine vorgefertigten Konzepte überstülpen, sondern immer die individuellen Praxisbedürfnisse berücksichtigen.

Woitzik: Aktuell gibt es auch noch ein Förderprogramm des Bundes, dass diese Coachingthemen umfasst – „unternehmensWert:Mensch“. Leider wird es Ende Oktober 2019 auslaufen. Es ist aktuell noch nicht bekannt, ob es weitergeführt wird oder nicht. Informationen dazu gibt es auf der Website des Programms. Die ZA hat übrigens drei akkreditierte Prozessberater in ihrem Team.

Titelbild: Trueffelpix/Shutterstock.com
Praxisführung Team

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