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Aktion Zahnfreundlich: So wird die Wirkung von süßen oder sauren Lebensmitteln auf die Zähne getestet

(c) Aktion Zahnfreundlich

Seit acht Jahren testet Jaquelina Siewert anhand eines weltweit anerkannten Test-Protokolls die Wirkung von süßen oder sauren Lebensmitteln auf die Zähne. „Ich finde die Möglichkeit, Lebensmittel auf diese Weise zu prüfen, nach wie vor spannend. Und dass diese Tests ausschließlich an den Zahnkliniken der Universitäten Zürich und Witten/Herdecke durchgeführt werden, ist faszinierend.“

Während die pH-Telemetrie-Station in Zürich bereits weit über 30 Jahre arbeitet, wurde die Teststation an der Universität Witten/Herdecke erst im Jahre 2012 akkreditiert: nach rund dreijährigen Vorbereitungen mit akribischen Abstimmungen, unzähligen Pretests und auf Initiative von Prof. Dr. Stefan Zimmer, dem Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Witten/Herdecke.

Als „zuckerfrei“ deklarierte Produkt dürfen auch nicht zu viel Säure enthalten

Jaquelina Siewert
Jaquelina Siewert
(c) Privat
Frau Siewert, Sie führen spannende Tests durch. Welche sind das und mit welchem Ziel?

Jaquelina Siewert: Die Kariogenitätsmessungen führen wir mit drei bis fünf Tage alter Plaque durch, die Erosivitätsmessungen in der sauberen Mundhöhle. Ziel ist es, Produkte auf zahnfreundliche Eigenschaften zu untersuchen. Diese sind gegeben, wenn ein als „zuckerfrei“ deklariertes Produkt weder versteckten Zucker noch zu viel Säure enthält.

Mit der intraoralen Plaque-pH-Telemetrie wird die Säurebildung durch Zuckerabbau in den Zahnbelägen gemessen. Sinkt der pH-Wert während und innerhalb von 30 Minuten nach dem Verzehr nicht unter den kritischen Wert von 5,7, ist sichergestellt, dass dieses Produkt den Zähnen nicht schadet. Mit Hilfe des Erosionstests wird ausgeschlossen, dass in dem Produkt enthaltene Frucht- oder sonstige Säuren zahnschädigende Konzentrationen erreichen.

Welche Produkte werden getestet?

Siewert: Wir testen zum Beispiel Kaugummis, Bonbons, Lutscher, Nahrungsergänzungsmittel oder auch wirkstofffreie Arzneimittel.

Messungen finden ausschließlich im Mundraum statt

Werden die Tests in vivo oder in vitro durchgeführt?

Siewert: Die Messungen finden ausschließlich im Mundraum unserer Probandinnen und Probanden statt. Dazu tragen sie drei bis fünf Tage eine Testprothese, in die eine abgedeckte Miniatur-Steckdose und eine spezielle pH-Glasmesselektrode „eingearbeitet“ wurden. Diese werden für die Messungen per Kabel an unsere Geräte angeschlossen. Die erwähnte Abdeckung schützt vor Feuchtigkeit und wird vor der Messung von mir aufgeschraubt. Unter Anwendung eines minutiös festgelegten zweieinhalbstündigen Versuchsprotokolls wird das Produkt geprüft. Dabei werden gleichzeitig die Speichelfließrate und die Pufferkapazität des Speichels festgestellt.

Sie haben gerade „Geräte“ gesagt. Womit ist die Teststation ausgerüstet?

Siewert: Zu unserer Computer-gestützten Ausrüstung gehören ein Direktschreiber, der die gemessenen Werte aufzeichnet, die sogenannten Kurven schreibt, sowie ein Trennschaltverstärker, der die Millivolt-Werte in pH-Werte umrechnet.

Probanden mit Lückensituation oder Freiendsituation der Quadranten 3 und 4

Müssen Ihre Testpersonen besondere Voraussetzungen erfüllen?

Siewert: Ja, das müssen sie. Es fängt bei der Mundsituation an. Es wird eine Lückensituation oder Freiendsituation der Quadranten 3 und 4, also im Unterkiefer, vorausgesetzt. Diese Lücken müssen ausreichend Platz bieten, damit in der Mess-Prothese die Miniatur-Steckdose für die Verkabelung und die miniaturisierte pH-Glasmesselektrode eingebaut werden können.

Außerdem bevorzugen wir Probandinnen und Probanden, die sich vorstellen können, diese Messungen über Jahre mitzumachen. Ein guter Speichelfluss gehört auch zu den Voraussetzungen, damit die Elektrode gute Messergebnisse liefern kann.

Was erwarten Sie von Ihren Probandinnen und Probanden – was dürfen sie und was nicht?

Siewert: Ein großer Entscheidungspunkt für die Probandinnen und Probanden ist, dass sie drei bis fünf Tage lang keine Mundhygiene betreiben dürfen. Essen und Trinken können sie während der Tragezeit so gut wie alles. Auf Nüsse und ähnlich harte Lebensmittel und sehr heiße Getränke sollten sie allerdings verzichten, da die pH-Glasmesselektrode sehr empfindlich ist und leicht brechen kann.

Pro Test werden vier Probandinnen oder Probanden benötigt

Ist es schwierig, Probandinnen und Probanden zu finden? Wie viele stehen Ihnen zur Verfügung?

Siewert: Das ist definitiv schwer, zumal wir pro Test mindestens vier benötigen. Manchmal „passt“ die Mundsituation, aber die mögliche Probandin beziehungsweise der mögliche Proband kann sich nicht damit anfreunden, während drei bis fünf Tagen auf die Mundhygiene zu verzichten.

Gibt es für alle Probandinnen und Probanden eine bestimmte Testprothese? Oder erhält jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer eine individuell hergestellte?

Siewert: Jede Probandin und jeder Proband bekommt eine eigene, der individuellen Mundsituation entsprechende Messprothese. Die stelle ich übrigens selbst her, ich bin ja gelernte Zahntechnikerin.

(c) Aktion Zahnfreundlich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kariogenitätsmessung: Voraussetzung sind drei bis fünf „mundhygienefreie“ Tage

Wie verläuft ein Test?

Siewert: Ein Produkttest erfordert immer zwei Termine – beim ersten wird die individuelle Testprothese eingesetzt. Der zweite Termin findet drei bis fünf „mundhygienefreie“ Tage später statt und beginnt mit der Kariogenitätsmessung. Dafür wird zu allererst die Ausgangsposition mit einer pH7-Lösung geeicht.

Anschließend muss der Speichel durch ein dreiminütiges Paraffinkauen wieder neutralisiert werden. Dann folgt eine Beobachtungszeit von 19 Minuten. Danach erhält die Probandin oder der Proband das Testprodukt: ein Kaugummi muss zum Beispiel zehn Minuten gekaut, Flüssigkeiten müssen zwei Minuten gespült und Bonbons müssen komplett aufgelutscht werden. Während der folgenden 30 min wird beobachtet, wie sich der pH-Wert verhält.

Weiter geht es mit zwei Minuten Mundspülung mit Wasser sowie drei Minuten Paraffinkauen, um den Speichel wieder zu neutralisieren, und vier Minuten Beobachtung.

Nach der Produktmessung wird geprüft, ob genug bakterielle Plaque vorhanden ist und ob die Messelektrode einwandfrei funktioniert hat: Die Probandin beziehungsweise der Proband spült zwei Minuten mit einer Saccharoselösung. Dann wird die Kurve wieder 30 min beobachtet: Diese sogenannte Zuckerkurve soll weit in den kritischen Bereich unter 5,7 fallen.

Da uns die Zuckerkurve für jede Testperson bekannt ist, können wir an ihrem Verlauf die Funktionsfähigkeit der Messapparatur erkennen. Danach wird wieder neutralisiert, zwei Minuten mit Wasser gespült, drei Minuten Paraffin gekaut und vier Minuten beobachtet.

Die sogenannte Zuckerkurve soll nach Spülung mit der Saccharoselösung weit in den kritischen Bereich unter 5,7 fallen.
Die sogenannte Zuckerkurve soll nach Spülung mit der Saccharoselösung weit in den kritischen Bereich unter 5,7 fallen.
(c) Aktion Zahnfreundlich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Schluss wird wieder mit der pH7- und jetzt zusätzlich mit einer pH4-Lösung geeicht. Dieses Versuchsprotokoll wird für die Kariogenitätsmessung viermal mit vier verschiedenen Probandinnen oder Probanden sowie jeweils mit unterschiedlich alter Plaque durchgeführt.

Die Erosivitätsmessung muss nach dem gleichen Protokoll mindestens zweimal erfolgen. Mit zwei wesentlichen Unterschieden: Sie setzt erstens eine saubere Mundhöhle voraus. Deshalb ist vorher eine professionelle Zahnreinigung angesagt.

Zweitens darf während beziehungsweise nach der Saccharose-Spülung innerhalb der 30 minütigen Beobachtungszeit eine bestimmte Säureproduktion (40 μmol H+ x min) nicht überschritten werden . Damit stellen wir sicher, dass die Säure, die wir während der Erosivitätsmessung gefunden haben, nur direkt aus dem Testprodukt stammt und nicht durch bakteriellen Stoffwechsel entstanden ist.

Erhalten die Probanden eine Vergütung? Oder zahnärztliche Betreuung?

Siewert: Ich finde, das Honorar ist mit 20 Euro pro Stunde ganz gut. Zusätzlich zahlen wir eine Anfahrtspauschale und erstatten die Parkgebühren. Und wir ermöglichen den Probandinnen und Probanden Professionelle Zahnreinigungen.

Wie viele Produkte haben Sie schon getestet? Waren auch welche dabei, die sich als „zahnschädigend“ erwiesen haben?

Siewert: Ui, wie viele Produkte ich bisher getestet habe, kann ich ehrlicherweise gar nicht sagen, ich habe nie mitgezählt. Im Schätzen bin ich auch nicht gut, aber es waren schon einige – und durchaus auch ,,zahnschädigende“, aber überwiegend waren es ,,zahnfreundliche“.

Dieses Interview führte die Aktion Zahnfreundlich e. V.

Quelle: Zahnfreundlich Magazin 1/2023 Prävention und Prophylaxe Patientenkommunikation Team

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