Viele Patienten erhalten heutzutage ihre eigenen Zähne bis ins hohe Alter. Aufgrund von Knochenabbau liegen bei den Zähnen vieler älterer Patienten die Wurzeloberflächen frei. Unterschiedliche Faktoren führen dazu, dass diese Flächen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Wurzelkaries aufweisen. Somit ist Wurzelkaries eine relevante Erkrankung gerade bei alten und hochaltrigen Patienten; Vorbeugung und Behandlung von Wurzelkaries nehmen daher in der täglichen Praxis einen immer höheren Stellenwert ein. Die Autoren Prof. Dr. Falk Schwendicke und Dr. Gerd Göstemeyer beschreiben in ihrem Beitrag für die Parodontologie 1/20, wie durch eine Reihe von Präventionsmaßnahmen das Risiko der Entstehung von Wurzelkaries verringert werden kann. Einige dieser Maßnahmen werden aber nicht nur für die Vorbeugung von Wurzelkaries eingesetzt, sondern kommen auch zur Therapie bestehender Wurzelkariesläsionen zum Einsatz. Für Parodontitispatienten sollten neben der kontinuierlichen parodontalen Behandlung auch die Prävention neuer und das Management vorhandener Wurzelkariesläsionen Bestandteil einer systematisch angelegten, lebenslangen zahnerhaltenden Unterstützungstherapie sein.
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Mit der Etablierung wirksamer Kariespräventionskonzepte in Deutschland ging die Karieserfahrung (also die Anzahl der Zähne pro Person mit Kariesläsionen oder deren Folgen wie Restaurationen oder Zahnverlust) bei der Bevölkerung deutlich zurück. In früheren Erhebungen der Deutschen Mundgesundheitsstudien (DMS III und IV, Daten aus 1997 beziehungsweise 2005) betraf dieser Kariesrückgang vor allem Kinder und Jugendliche. Aktuellere Daten (DMS V mit Daten aus 2014) zeigen diesen Kariesrückgang jedoch auch bei Erwachsenen1. Die bei Kindern und Jugendlichen erzielten Erfolge pflanzen sich also bis in höhere Altersgruppen fort, weshalb immer weniger Zähne im Erwachsenenalter durch Karies verloren gehen.
Dieser eigentlich positive Trend bei der Verbreitung von Karies in jüngeren und mittleren Altersgruppen ist jedoch nicht bei Patienten höherer Altersstufen, also bei jüngeren und älteren Senioren, zu beobachten. Entgegen diesem Trend nimmt mit steigendem Alter das Risiko, an Karies zu erkranken, sogar wieder zu. Jedoch steht hier weniger die klassische Kronenkaries im Vordergrund. Vielmehr leiden Patienten höheren Alters unter einer weiteren Form von Karies – der Wurzel- oder Wurzeloberflächenkaries.
Die Wurzelkaries spielte im Vergleich zu anderen Kariesformen bis vor einigen Jahren noch eine eher untergeordnete Rolle, da die Patienten einen Großteil ihrer natürlichen Zähne bereits in jüngeren Jahren aufgrund von Kronenkaries verloren hatten – noch bevor sich eine Wurzelkaries entwickeln konnte. Heutzutage nimmt die Prävention und Therapie von Wurzelkaries einen relevanten Bestandteil der zahnmedizinischen Versorgung ein. Vor dem Hintergrund der auch in Zukunft zu erwartenden steigenden Anzahl erhaltener eigener Zähne bis in höhere Altersstufen, kombiniert mit der durch den demografischen Wandel zu erwartenden wachsenden Anzahl älterer und hochaltriger Patienten, wird die Versorgung von Wurzelkaries in den kommenden Jahren weiter an Relevanz gewinnen.
Der vorliegende Artikel beschreibt zunächst die Entstehung (Pathogenese) und Epidemiologie von Wurzelkaries. Anschließend werden Risikofaktoren für Wurzelkaries vorgestellt, um Risikopatienten erkennen und gezielt behandeln zu können. Im letzten Abschnitt werden unterschiedliche Präventions- und Therapiemaßnahmen beschrieben und bewertet.
Wie entsteht Wurzelkaries?
Die Voraussetzung, dass eine Wurzelkaries überhaupt entstehen kann, ist die Freilegung der Zahnwurzel durch Knochenabbau. Durch diese Prozesse wird die Wurzeloberfläche erst den ökologischen Bedingungen der Mundhöhle zugänglich gemacht. Es kommt dabei zu einer Besiedlung der Wurzeloberfläche mit unterschiedlichen Mikroorganismen, die sich in einem Biofilm organisieren. Der Biofilm enthält sowohl harmlose als auch pathogene Mikroorganismen, die unter physiologischen Umgebungsbedingungen in einem ökologischen Gleichgewicht stehen. Jedoch wird durch eine frequente Aufnahme kohlenhydrathaltiger Lebensmittel ein ökologischer Vorteil für Bakterienspezies erzeugt, die bevorzugt Kohlenhydrate zu Säuren verstoffwechseln und gleichzeitig eine hohe Säuretoleranz aufweisen (zum Beispiel Streptococcus mutans, Laktobazillen): Die zunehmende Ansäuerung des Biofilms, verursacht durch die bakterielle Fermentation von Kohlenhydraten, verschiebt das Keimspektrum im Biofilm hin zu einer Bakterienflora mit vermehrt säurebildenden (azidogenen) und säuretoleranten (azidurischen) Bakterienspezies. Der so gebildete kariogene Biofilm ist bei weiterhin andauernder Kohlenhydratzufuhr in der Lage, den pH-Wert im Biofilm so stark abzusenken, dass es zu einer Demineralisation der Zahnhartsubstanz kommt. Das klinische Symptom dieser Demineralisation ist die Kariesläsion2.
Dieser Prozess läuft im Prinzip bei allen Kariesformen ab, wobei jedoch Dentin aufgrund einer anderen Mineralstruktur und -menge deutlich anfälliger gegenüber Mineralverlust durch Säureangriffe ist. Der kritische pH-Wert für eine Demineralisation liegt hier bei etwa 6,2–6,7 (zum Vergleich: bei Schmelz etwa 5,5–5,7). Für die Entstehung von Kariesläsionen auf der Wurzeloberfläche ist jedoch neben der Demineralisation auch ein zweiter Pathomechanismus relevant: der enzymatische Abbau von im Dentin vorhandenen Proteinen (Proteolyse). Im Gegensatz zum Schmelz besteht Dentin zu einem hohen Anteil (etwa 30 %) aus organischem Material. Den Hauptanteil bilden hierbei Proteine in Form von Kollagenfasern. Nach einer initialen Demineralisation der Wurzeloberfläche werden diese für kollagenolytische Enzyme, die von den Bakterien stammen können oder aus dem demineralisierten Dentin freigesetzt werden, zugänglich. An das freigelegte Kollagen können aber auch Bakterien adhärieren, wodurch die bakterielle Besiedlung der Wurzeloberfläche gefördert wird2.
Auch beim Ablauf der bakteriellen Besiedlung auf der Zahnoberfläche gibt es Unterschiede zwischen koronaler Schmelzkaries und Wurzelkaries. Initial erfolgt zwar sowohl auf Schmelz als auch auf Dentin eine Besiedlung durch sogenannte „Erstbesiedler“ wie Streptokokken und Aktinomyzeten. Im Verlauf werden jedoch im Wurzelbereich vermehrt weitere Arten wie Laktobazillen, Bifidobakterien, Atopobium und Hefen, wie zum Beispiel Candida albicans, angetroffen. Diese Arten werden bei koronaler Karies erst in tieferen Läsionen aufgefunden.
Koronale Karies und Wurzelkaries unterscheiden sich zudem morphologisch. So sind Wurzelkariesläsionen eher flach oder schüsselförmig und nicht im klassischen Sinn kavitiert (Abb. 1a bis c). Aufgrund der in der Regel guten Zugänglichkeit von Wurzelkariesläsionen zu remineralisierendem Speichel und Sulkusfluid zeigen Wurzelkariesläsionen zudem andere Muster von De- und Remineralisation als koronale Karies. Diese morphologischen Eigenschaften machen es möglich, dass Wurzelkaries auch in fortgeschrittenen Stadien gut gereinigt und remineralisiert werden kann – unter der Voraussetzung, dass die betroffenen Flächen zugänglich sind.
Wie häufig ist Wurzelkaries?
Wurzelkaries wurde in den DMS, die 1997 (III), 2005 (IV) und 2014 (V) eine national repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung befundet haben, untersucht3. Die DMS untersuchten die Wurzelkarieserfahrung bei 35-44- und 65-74-Jährigen, die DMS V erstmals auch bei älteren Senioren (75- bis 100-Jährige). Dabei wurden sowohl unversorgte als auch restaurierte Wurzelkariesläsionen erfasst. Die Summe beider Parameter wird als Wurzelkarieserfahrung bezeichnet. Tabelle 1 fasst die Daten zur Wurzelkarieserfahrung bei den 35-44- und 65-74-Jährigen in Deutschland 1997-2014 zusammen. Hierbei wird deutlich, dass in beiden Altersgruppen für die Zahl der gefüllten Wurzeloberflächen kein klarer Trend zu erkennen ist.
Im Gegensatz dazu stieg die Zahl der unbehandelten kariösen Wurzeloberflächen seit 1997 in beiden Altersgruppen konstant an: bei den Erwachsenen von 0,37 auf 0,94 kariöse Wurzeloberflächen pro Kopf (von 4,7 auf 9,3 Millionen auf Bevölkerungsniveau) und bei den Senioren von 0,27 auf 1,43 Flächen pro Kopf. Dies bedeutet eine Vervierfachung von ca. 3 auf ca. 12 Millionen kariöse Wurzeloberflächen auf Bevölkerungsniveau. Wird dazu noch die hohe Zahl der unbehandelten Wurzelkaries bei den hochaltrigen, vor allem pflegebedürftigen Senioren in der letzten DMS V miteinbezogen, ergibt sich durchaus das Bild eines wachsenden Wurzelkariesproblems: Eine zunehmende Zahl unbehandelter Läsionen konzentriert sich vor allem auf ältere und alte Individuen1; der sich ergebende Therapiebedarf ist substanziell. Wurzelkaries stellt demnach eine zentrale Zahnerkrankung in höherem und hohem Alter dar.
Welche Risikofaktoren sind mit der Entstehung von Wurzelkaries assoziiert?
Wie bereits erläutert, steigt das Risiko für Wurzelkaries in höherem Alter stark an. Somit liegt nahe, dass Risikofaktoren, die mit altersbedingten Veränderungen einhergehen, die Entstehung von Wurzelkaries begünstigen können. In der Literatur wird über eine Reihe von Risikoindikatoren für Wurzelkaries berichtet. In einer systematischen Übersichtsarbeit, die auf Daten von 18 klinischen Studien basiert, in denen die Entstehung von Wurzelkaries bei etwas mehr als 5.000 älteren Patienten im Mittel über 68 Monate untersucht worden war, konnten einige Risikofaktoren identifiziert werden4,5 (Abb. 2).
Der am häufigsten identifizierte Risikofaktor für die Entstehung von Wurzelkaries war die bisherige Wurzelkarieserfahrung. Karieserfahrung ist generell ein guter Risikoindikator, summiert er doch alle anderen Faktoren (Verhalten, Genetik, Anatomie, Physiologie, siehe unten) in einer Art „Vergangenheitsansicht“ auf. Unter der Annahme, dass diese Faktoren entweder unveränderlich sind oder nur selten geändert werden, wird davon ausgegangen, dass sich auch in Zukunft dieser Vergangenheitspfad fortsetzt. Weitere relevante Risikofaktoren waren die Anzahl freiliegender Wurzeloberflächen, eine unzureichende Mundhygiene oder eine bestehende Parodontitis4.
Hierbei stehen die Zahl freiliegender Wurzeloberflächen und Parodontitis oftmals in einem Zusammenhang, wie unten detailliert diskutiert wird. Insgesamt ist die Datenlage zu Risikofaktoren für Wurzelkaries jedoch wenig umfangreich: Eine Reihe von Risikofaktoren wurde nur in einer oder wenigen der eingeschlossenen klinischen Studien berichtet. Aufgrund des Mangels an aussagekräftigen klinischen Daten kann auch der relative Einfluss der jeweiligen Risikofaktoren auf die Wurzelkariesentstehung nicht abschließend bewertet werden.
Basierend auf der Studienlage kann für den Praxisalltag abgeleitet werden, dass bei Patienten, die bereits eine oder mehrere Wurzelkariesläsionen aufweisen, die Wahrscheinlichkeit, neue Wurzelkaries zu bekommen, erhöht ist. Bei diesen Patienten sind über die Routinemaßnahmen hinaus Präventionsstrategien, engmaschige Kontrollen und frühe Interventionen bei neuen Wurzelkariesläsionen zu empfehlen. Ebenso sind Parodontitispatienten besonders dem Risiko von Wurzelkaries unterlegen, wie im folgenden Abschnitt ausgeführt wird.
Wurzelkaries und Parodontitis
Wie dargelegt, ist ein parodontaler Attachmentverlust Voraussetzung für die Entstehung einer Wurzelkaries; ohne freiliegende Wurzeloberflächen entsteht keine Wurzelkaries. Dies allein bedingt bereits, dass zahlreiche Parodontitispatienten auch unter einem hohen Wurzelkariesrisiko leiden; die statistische Häufung von Wurzelkaries bei Parodontitispatienten ist mittlerweile gut belegt6. Allerdings teilen beide Erkrankungen auch diverse Risikofaktoren, wie beispielsweise eben eine reduzierte Mundhygiene sowie genetische Prädisposition. Auch hohes Alter, bestimmte Ethnien (zum Beispiel Asiaten), der sozioökonomische Status (inklusive Bildung und Einkommen) sowie die regelmäßige Inanspruchnahme zahnärztlicher Präventionsleistungen sind Faktoren, die gleichsam auf das Parodontitis- und das Wurzelkariesrisiko wirken7,8. Die Adressierung dieser Risiken, so sie denn in zahnärztlicher Hand sind, ist demnach geeignet, beide Erkrankungen zu verhindern oder zu lindern. Zudem scheint eine parodontale Entzündung und die anschließend veränderte Anatomie (Rezession, freiliegende Wurzeloberflächen) auch direkt das orale Mikrobiom zu beeinflussen; auch hier könnte es demnach einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen geben9.
Demnach stellen die Prävention und das Management von Wurzelkariesläsionen eine wichtige Säule in der kontinuierlichen Betreuung von Parodontitispatienten dar. Die systematisch angelegte unterstützende zahnerhaltende Therapie fokussiert sowohl auf die parodontale Situation und bedarfsgerechte Behandlung als auch die kariologisch-restaurative Betreuung. Viele – gerade hochaltrige – Patienten haben oftmals nicht eine, sondern mehrere zahnärztliche Erkrankungen beziehungsweise Risiken. Diese gilt es holistisch anzugehen, um einen Zahnerhalt auch in dieser wachsenden Gruppe langfristig abzusichern. Hierbei kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu, unter anderem, weil konventionelle therapeutische Maßnahmen oft nur eingeschränkt oder gar nicht umgesetzt werden können.
Substanzen zur Prävention von Wurzelkaries
Eine Reihe von Kariespräventionsmaßnahmen ist verfügbar, deren Effektivität teils gut belegt ist (Tab. 2). So haben ja nicht zuletzt diese Maßnahmen zu dem anfangs beschriebenen deutlichen Kariesrückgang bei Kindern und Erwachsenen geführt. Die Wirksamkeit der verschiedenen Substanzen zur Kariesprävention wurde allerdings vor allem in Studien zu Kronenkaries untersucht. Es sind erst wenige aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit von Präventionsstrategien für Wurzelkaries bei älteren Patienten durchgeführt worden; viele Konzepte zur Wurzelkariesprävention sind jenen zur Kronenkariesprävention entlehnt. Ob Präventionsmaßnahmen, die bei Kindern und Erwachsenen erfolgreich sind, auch für Senioren und Wurzelkaries wirksam sein können, kann bisher nur teilweise beantwortet werden.
Zur Kariesprävention werden antibakterielle Substanzen, zum Beispiel Chlorhexidindigluconat (CHX) und ätherische Öle, und auch mineralisationsfördernde Substanzen wie Fluoride, Casein Phosphopeptid – amorphes Calciumphosphat (CPP-ACP), eingesetzt. Diese können sowohl als Bestandteil der häuslichen Mundhygiene vom Patienten selber (zum Beispiel als Mundspülung) als auch durch den Zahnarzt (in Form von Lacken) appliziert werden, wobei CHX aufgrund seiner Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Geschmacksirritationen und Verfärbungen, nur temporär als Spüllösung eingesetzt werden sollte. Die Applikation von CHX in Form von Lacken durch den Zahnarzt ist jedoch nicht mit diesen Nebenwirkungen behaftet und eine etablierte Möglichkeit zur Kariesprävention.
Die nach wie vor bei weitem am häufigsten eingesetzten Substanzen zur Kariesprävention sind Fluoride (Tabelle 2). Der Hauptwirkmechanismus dieser Substanzen besteht in einer Hemmung der Demineralisation beziehungsweise Förderung der Remineralisation an der Zahnoberfläche. Die Netto-Demineralisationsperioden während eines kariogenen Säureangriffs werden also in Anwesenheit von Fluorid verkürzt. Dieser Effekt wird in Abhängigkeit von der Fluoridkonzentration noch verstärkt. Daher werden für Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko neben der Basisfluoridierung (zweimal täglich Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta) zusätzliche Fluoridierungsmaßnahmen empfohlen10.
Zusätzliches Fluorid kann um Beispiel vom Patienten selbst durch die regelmäßige Spülung mit fluoridhaltigen Mundspülungen zugeführt werden. In Studien reduzierte die tägliche Spülung mit einer Fluoridspüllösung als zusätzliche Maßnahme zum Zähneputzen die Wurzelkariesinzidenz (neue Wurzelkariesläsionen) um 18 Prozent im Vergleich zu einer Placebospülung11. Auch das Putzen mit einer höher dosierten Fluoridzahnpasta (zum Beispiel 5.000 ppm Natriumfluorid) ist mittlerweile gut durch Studien in seiner präventiven Wirkung belegt und hat den Vorteil, eine vorhandene Mundhygienemaßnahme (Putzen) zu nutzen, anstatt eine neue (zum Beispiel Spüllösung) in den Patientenalltag integrieren zu müssen12. Eine andere Möglichkeit, zusätzliches Fluorid zuzuführen, besteht in der Applikation von Lacken mit hohem Fluoridgehalt durch den Zahnarzt. Die vierteljährliche Applikation von Fluoridlack konnte die Entstehung neuer Wurzelkariesläsionen um bis zu 64 Prozent reduzieren13. Eine Substanz, die in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet der Kariologie eine große Aufmerksamkeit erregt hat, ist Silberdiaminfluorid (SDF). Es weist einen Fluoridgehalt von 38 Prozent auf und wird ähnlich wie ein Lack in mehrmonatigen Abständen durch einen Zahnarzt appliziert. Es wird bereits in einigen Ländern erfolgreich zur Kariesprävention bei Hochrisikopatienten, vor allem bei Kindern zur Vorbeugung von Milchzahnkaries, eingesetzt. Auch bei Wurzelkaries führte die Applikation von SDF zu einer um bis zu 6Prozent reduzierten Wurzelkariesinzidenz im Vergleich zu einer Placebosubstanz11. Der kariesprotektive Effekt des SDF ist aber vermutlich nicht allein auf den hohen Fluoridanteil zurückzuführen. Durch den Silberanteil wirkt SDF antibakteriell. Zudem scheint es auch vor einer enzymatischen Proteolyse des Kollagens zu schützen14 – eine Eigenschaft, die gerade für den Einsatz auf Dentinoberflächen nützlich ist. Der Einsatz von SDF führt jedoch zu einer dauerhaften Schwarzfärbung an den behandelten Oberflächen, was in vielen Fällen, zumindest im sichtbaren Bereich, nicht von den Patienten toleriert wird. Zudem ist SDF derzeit in Deutschland nicht für die Kariesprävention zugelassen, sodass eine Behandlung von Wurzeloberflächen mit SDF nur „off label“ möglich ist.
Mechanische Biofilmkontrolle zur Wurzelkariesprävention
Die Gewährleistung einer suffizienten Biofilmkontrolle durch Anwendung häuslicher Mundhygienemaßnahmen und regelmäßige professionelle Zahnreinigungen im Rahmen der unterstützenden zahnerhaltenden Therapie sind wichtige Bestandteile der Präventionsstrategien zur Vorbeugung und auch Arretierung von Wurzelkaries. Neben der Biofilmkontrolle auf den Wurzeloberflächen beugt die unterstützende zahnerhaltende Therapie bei Parodontitispatienten auch weiterem parodontalem Knochenabbau vor und damit der Entstehung neuer freiliegender Wurzelkariesoberflächen, die wiederum neue Prädilektionsstellen für Wurzelkariesläsionen bilden15.
In der Praxis gestaltet sich eine effektive Biofilmentfernung bei Patienten mit Wurzelkariesrisiko jedoch häufig schwierig. Freiliegende Wurzeloberflächen im Approximalraum oder im Bereich von Furkationen sind mitunter schwer zu reinigen. So besteht häufig ein erhöhter Reinigungsaufwand. Andererseits sind Wurzeloberflächen anfällig gegenüber Abrasionsdefekten, die unter anderem durch eine falsche Putztechnik entstehen können. Hier gilt es das richtige Maß zu finden: Die häusliche Biofilmkontrolle sollte zwar gründlich, aber gleichzeitig auch schonend erfolgen. Da von Wurzelkaries meist ältere Patienten betroffen sind, können altersbedingte manuelle Einschränkungen zusätzlich eine wirksame Biofilmkontrolle erschweren.
Aus rein kariologischer Sicht gibt es keine klare Empfehlung zugunsten oder gegen eine bestimmte Putztechnik. Auch die Wahl der Zahnbürste (elektrisch oder manuell) scheint keinen signifikanten Einfluss auf die Kariesentstehung zu haben. Zwar entfernen elektrische Zahnbürsten tendenziell den Biofilm wirksamer als Handzahnbürsten, jedoch konnte bisher nicht klar nachgewiesen werden, dass sich dies auch in einer Verminderung des Kariesrisikos niederschlägt16. Allerdings können elektrische Zahnbürsten bei Patienten mit manuellen Einschränkungen die Biofilmkontrolle erleichtern und sind in dieser Patientengruppe zu empfehlen17.
Kritische Bereiche, in denen Wurzelkaries entsteht (vor allem Approximalräume), werden häufig ohnehin nicht ausreichend durch die Zahnbürste erreicht. Daher ist gerade bei Patienten mit Wurzelkaries eine gründliche Approximalraumhygiene empfehlenswert. Um die häufig konkaven Wurzelflächen oder auch freiliegende Furkationen erreichen zu können, bieten sich Interdentalraumbürsten an. Während der Nutzen der Interdentalraumhygiene zur Vorbeugung von koronaler Karies nicht unumstritten ist, ist er für die Wurzelkariesprävention belegt18. Gerade da viele Patienten zudem nicht nur „Kariespatienten“, sondern auch „Parodontitispatienten“ sind, ist eine solche Interdentalraumhygiene sinnvoll.
Auch eine regelmäßige professionelle Zahnreinigung, zusammen mit einer Remotivation und Reinstruktion zu selbst durchgeführten Mundhygienemaßnahmen, ist bei Patienten mit Wurzelkariesrisiko empfehlenswert. Da Wurzeloberflächen häufig Einziehungen aufweisen, die mit Handinstrumenten oder Prophylaxebürsten schwer zu reinigen sind, bietet sich hier mitunter der Einsatz von Pulverstrahlgeräten an. Hierfür sollte jedoch ein niedrigabrasives Strahlgut (zum Beispiel auf Glycerinbasis) benutzt werden, da es ansonsten zu einem Substanzabtrag an der im Vergleich zu Schmelz weniger harten Dentinoberfläche kommen kann. Sollten bei Patienten bereits Wurzelkariesläsionen vorliegen, die eine Plaqueretentionsstelle bilden, müssen diese vor der Anwendung von Prophylaxemaßnahmen entweder durch „Öffnen“ der Kavität zugänglich gemacht oder durch das Legen einer Füllung restaurativ behandelt werden (Abb. 3).
Behandlung von Wurzelkaries
Im Vergleich zu koronalen Kariesläsionen kann die Behandlung von Wurzelkaries in manchen Situationen einige Schwierigkeiten bereiten. So ist aufgrund der ginigvanahen Lage von Wurzelkariesläsionen die Trockenlegung häufig erschwert, sodass nicht immer Füllungen aus Komposit infrage kommen. Nicht selten muss auf Glasionomerzement (GIZ) als Alternative zurückgegriffen werden, da dieses Füllungsmaterial etwas weniger empfindlich auf Feuchtigkeit reagiert (Abb. 4a bis c). Wurzelkariesläsionen weisen zudem nur selten eine Schmelzbeteiligung auf. Stattdessen sind sie vollständig auf das Dentin beschränkt, ein Substrat, das sich im Vergleich zu Schmelz weniger gut zur adhäsiven Verankerung von Füllungsmaterialien eignet. Nicht selten sind Wurzelkariesläsionen im Approximalraum zu
finden und damit schwer für eine restaurative Therapie zugänglich. Daneben treten Wurzelkariesläsionen, wie anfangs erläutert, vor allem in höheren Altersstufen auf. Kommen altersbedingte Einschränkungen und Pflegebedürftigkeit hinzu, sind diese Patienten generell nur eingeschränkt behandelbar. So zielen viele Strategien zur Behandlung von Wurzelkaries nicht auf eine vergleichsweise aufwendige restaurative Versorgung ab, sondern es kommen häufig auch nicht- oder
mikroinvasive Behandlungsstrategien zum Einsatz.
Das Behandlungsziel liegt dabei nicht auf der Rekonstruktion durch Karies zerstörter Wurzeloberflächen, sondern darin, die Karies in ihrer weiteren Ausbreitung zu stoppen (= Arretieren). Hierfür eignen sich oftmals jene Substanzen, die auch zur Prävention von Wurzelkaries eingesetzt werden. So konnte die Verwendung einer hochfluoridhaltigen (5.000 ppm F-) Zahnpasta zu 50 Prozent mehr arretierten Wurzelkariesläsionen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die eine normalfluoridhaltige Zahnpasta (1.450 ppm F-) benutzte, führen11.
Die vierteljährliche Applikation von Lack mit Fluorid oder CHX als aktivem Bestandteil führt ebenfalls zu einer Arretierung von Wurzelkariesläsionen19. Auch die Applikation von SDF eignet sich nicht nur zur Prävention, sondern auch zur Behandlung von Wurzelkariesläsionen. So führte die jährliche Applikation von SDF zu signifikant mehr arretierten Wurzelkariesläsionen als alleinige Mundhygienemaßnahmen oder Placebobehandlungen20.
Kavitierte Wurzelkariesläsionen, die nicht zu reinigen sind, sollten jedoch invasiv behandelt werden. In manchen Fällen ist es hierbei durchaus möglich, durch alleinige Präparationsmaßnahmen zum Beispiel Entfernung von Schmelzüberhängen) die Reinigungsfähigkeit wiederherzustellen und die Läsion (gegebenenfalls unter Verwendung arretierender Substanzen) in ihrer Progression aufzuhalten. Bei einer ausgeprägten Kavitation sollte der Defekt jedoch nach wie vor mit einer Restauration versorgt werden. Grundsätzlich kommen hier kunststoffbasierte Restaurationsmaterialien oder GIZ infrage, wobei unklar ist, welches dieser Materialien bei der Versorgung von Wurzelkaries eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist21. Wie bereits erwähnt, bietet GIZ bei Wurzelkariesläsionen häufig Vorteile, wenn diese schlecht trockenzulegen sind. Zudem sind GIZ-basierte Materialien auch unter schwierigen Feldbedingungen (zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen) anwendbar.
Weitere Maßnahmen bei Senioren mit Einschränkungen
Gerade Senioren, die altersbedingte Einschränkungen aufweisen oder pflegebedürftig sind, haben häufig ein besonders hohes Kariesrisiko. Da diese Patienten zudem meist nicht in vollem Umfang zahnmedizinisch versorgt werden können, ist es hier besonders wichtig, Risikofaktoren für die Kariesentstehung zu identifizieren und, so gut es geht, zu beeinflussen. Risikofaktoren, die bei älteren Patienten häufig vorkommen, sind Veränderungen bei den Ernährungsgewohnheiten, Mundtrockenheit und nachlassende Mundhygienefähigkeit.
Eingeschränkte Kaufähigkeit, nachlassende Geschmackswahrnehmung und reduzierte Mobilität führen dazu, dass ältere Patienten häufig kohlenhydratreiche und damit kariogene Kost bevorzugen22. In Kombination mit einer ebenfalls häufig vorliegenden Mundtrockenheit kann es dazu kommen, dass die Elimination der Speisen beziehungsweise die Neutralisation von bakteriellen Säuren deutlich verzögert ist. Daher ist es bei älteren Patienten, bei denen natürliche Zähne vorhanden sind, wichtig, die Ernährungsgewohnheiten zu evaluieren und bei Bedarf entsprechende Empfehlungen für eine zahngesunde Ernährung zu geben. Liegen Anzeichen für eine Xerostomie vor, sollte die Ursache hierfür evaluiert werden. Nicht selten handelt es sich um Nebenwirkungen von im Alter häufig verabreichten Medikamenten. Nach Rücksprache mit weiteren behandelnden Ärzten sollte geklärt werden, ob die Medikation entsprechend geändert werden kann. Sollte die Ursache nicht behebbar sein, können speichelflussfördernde Maßnahmen, wie Kaugummikauen bis hin zur Verordnung von speichelflussfördernden Medikamenten, ergriffen werden.
Vor allem bei Patienten, die nicht mehr in der Lage sind, selbstständig Mundpflege zu betreiben, sind häufig unzureichende Mundhygienebedingungen vorzufinden. Mundpflegemaßnahmen haben in der Altenpflege eher einen untergeordneten Stellenwert23, und es existieren eine Reihe von Faktoren, welche die Durchführung von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Mundhygiene bei pflegebedürftigen älteren Patienten behindern24. Um hier Verbesserungen zu erreichen, sollten Versorgungskonzepte für die Anwendung in Pflegeheimen entwickelt werden. Diese sollten das Pflegepersonal, die Pflegedienstleitung, Angehörige und zahnmedizinische Fachkräfte einbinden.
Schlussfolgerung
Wurzelkaries ist ein relevantes Problem vor allem für ältere Patienten, da diese immer mehr natürliche Zähne bis ins hohe Alter behalten. Die Prävention und Therapie von Wurzelkaries wird demnach in Zukunft einen immer höheren Stellenwert im Praxisalltag einnehmen. Patienten mit Wurzelkariesrisiko sollten identifiziert und entsprechend ihrem Risikoprofil Präventionskonzepten zugeführt werden. Diese sollten neben der Applikation von präventiv wirksamen Substanzen auch eine suffiziente Biofilmkontrolle beinhalten. Bei der Therapie von Wurzelkaries stehen die Kariesarretierung und die Elimination von Plaqueretentionsstellen im Vordergrund. Hierfür ist es nicht immer notwendig, eine klassische Restauration zu legen. Zudem sind eine lebenslange zahnerhaltende Therapie und – mit ihr – unterstützende parodontale Therapie notwendig, um sowohl Karies als auch Parodontitis erfolgreich zu verhindern oder zu lindern und somit den Zahnerhalt langfristig abzusichern.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Falk Schwendicke und Dr. Gerd Göstemeyer, beide Berlin
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de