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Eßer: „Meilenstein im Kampf gegen die Volkskrankheit Parodontitis“ – G-BA beschließt Neubeschreibung in der GKV

(c) Quintessenz: Strauß B, Püllen F, Eickholz P. Systematische Parodontitistherapie vom 72. bis zum 82. Lebensjahr. Parodontologie 2018;29:37–49

Nach Jahren des Stillstands in der Parodontitistherapie können Patientinnen und Patienten, die an dieser Volkskrankheit leiden, in vertragszahnärztlichen Praxen künftig nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zahnmedizinischer Erkenntnisse behandelt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 17. Dezember 2020 eine neue, eigene Richtlinie für die Behandlung von Parodontalerkrankungen beschlossen, die zum 1. Juli 2021 in der Praxis wirksam werden wird.

Dem jetzigen Beschluss gingen jahrelange fachliche Beratungen und intensive Verhandlungen voraus, die die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) gemeinsam mit der Patientenvertretung im G-BA letztlich erfolgreich geführt hatte. Grundlage der Verhandlungen war ein Antrag auf Aktualisierung der systematischen Parodontitisbehandlung, den die Patientenvertretung bereits im Jahr 2013 gestellt hatte. Nach aktuellen Berechnungen sind allein in Deutschland fast zwölf Millionen Erwachsene von einer schweren parodontalen Erkrankung betroffen. Die PAR-Richtlinien waren seit Jahrzehnten weitgehend unverändert, auch bei der Neubewertung des Bema 2004 gab es hier keine entscheidenden Änderungen.

Zahnärzteschaft legte eigenes Konzept vor

Zahnärzteschaft und Wissenschaft hatten sich intensiv in die Beratungen und in die Methodenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eingebracht und den aktuellen, wissenschaftlich gesicherten internationalen Standard in der Parodontologie vertreten. 2017 war anlässlich des Deutschen Zahnärztetags gemeinsam das „Konzept für die Behandlung von Parodontalerkrankungen bei Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung“ veröffentlicht. Das Konzept basiert auf international anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, berücksichtigt den medizinischen Fortschritt und ist eine wesentliche Grundlage für die jetzt überarbeitete Behandlungsstrecke.

„Nachhaltige Versorgung war nicht mehr möglich“

Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV
Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV
Foto: KZBV/axentis.de
Der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, erklärte nach dem Beschluss: „Diese Entscheidung ist ein versorgungspolitischer Meilenstein auf dem Weg zu einer weiteren Verbesserung der Mundgesundheit, für den sich die Zahnärzteschaft viele Jahre lang gegen große Widerstände der Kassen eingesetzt hat. Mit den bislang im Katalog der Gesetzlichen Krankenversicherung verankerten Leistungen war eine nachhaltige Versorgung der Patienten nicht mehr möglich. Die entsprechende Behandlungs-Richtlinie war völlig veraltet und berücksichtigte längst nicht mehr den Erkenntnisstand der wissenschaftlichen Forschung. Insbesondere das Fehlen einer strukturierten Nachsorge zur nachhaltigen Sicherung des therapeutisch erzielten Behandlungserfolges, stellte ein großes Manko in der Behandlungsstrecke dar.“

„Schon bald deutliche Fortschritte“ im Kampf gegen Volkskrankheit

„Die nach wie vor hohe Parodontitislast in Deutschland zu senken, ist ein wichtiges Ziel unseres zahnmedizinischen Versorgungskonzepts. Zu Recht wird die Parodontitis als große Volkskrankheit bezeichnet, an der immer noch jeder zweite Erwachsene hierzulande leidet. Unbehandelt hat sie nicht nur schwerwiegende Folgen für die Mundgesundheit, sondern steht auch in direktem Zusammenhang mit anderen chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vieles mehr. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf der Basis der heutigen Entscheidung im G-BA schon bald deutliche Fortschritte im Kampf gegen die Parodontitis werden vorweisen können“, sagte Eßer.

Prof. Eickholz: „Auf dem Stand der Zeit“

Prof. Dr. Peter Eickholz
Prof. Dr. Peter Eickholz
Foto: privat
Prof. Dr. Peter Eickholz, Direktor der Poliklinik für Parodontologie am Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum), Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt (Main), war einer der wissenschaftlichen Experten und Berater, die die Standespolitik in den Verfahren im G-BA, vor allem in den Diskussionen mit dem IQWiG und in der Erarbeitung des PAR-Konzepts intensiv unterstützt hat, freut sich die jetzt erreichte neue Richtlinie. Gegenüber Quintesssence News erklärt er: „Die bisher gültige Richtlinie für die Behandlung von Parodontopathien (2003) hatte viele logische Brüche. So ermöglichte sie zwar zuerst die geschlossene Behandlung aller pathologisch vertieften Taschen und in einem zweiten Schritt die Zugangslappenoperation (offenes Vorgehen), aber die Untersuchung, die die Verbesserung durch das geschlossene Vorgehen hätte feststellen können, war nicht vorgesehen. Vor gut zehn Jahren war ein erster Versuch der Anpassung der Richtlinien an moderne Therapiestandards an den Kosten gescheitert. 2014 wurde, angestoßen durch einen Antrag der Patientenvertreter, ein neuer Anlauf genommen. Nach vielen Hürden und langem Ringen wurde durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nun eine neue Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen beschlossen. Sie berücksichtigt die aktuelle Klassifikation der Parodontalerkrankungen von 2018 und passt zu den aktuellen Leitlinien der Europäischen Föderation und Deutschen Gesellschaft für Parodontologie. Sie ist also auf dem Stand der Zeit! Der KZBV, die in diesem Prozess beharrlich die Vertragszahnärzte vertreten hat, ist damit ein entscheidender Schritt hin zu einer besseren parodontalen Versorgung der Bundesbürger auch im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung gelungen. Ein guter Tag für die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland!“

Parodontitistherapie erfolgreich und nachhaltig umsetzen

Prof. Dr. Bettina Dannewitz, Präsidentin der DG Paro
Prof. Dr. Bettina Dannewitz, Präsidentin der DG Paro
Foto: DG Paro
Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro), Prof. Dr. Bettina Dannewitz (Weilburg), sieht in der jetzt erreichen Richtlinie einen großen Erfolg. „Die bestehenden Rahmenbedingungen für die parodontale Versorgung von Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung sind ungenügend und veraltet. Das neue Versorgungskonzept erlaubt endlich, in der Praxis Parodontitistherapie erfolgreich und nachhaltig umzusetzen. Die Ausarbeitung dazu basiert auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft, wie sie jetzt auch in den Therapieleitlinien der EFP zusammenfassen abgebildet und zurzeit in Deutschland übernommen werden. Das ist ein großer Erfolg nach vielen Jahren intensiver Arbeit und Auseinandersetzung und eine große Chance, da Praxis und Wissenschaft nicht mehr differieren.“

Keine Abwertung der Gesamttherapie im Bewertungsausschuss

Jetzt komme es aber noch auf die Verhandlungen im Bewertungsausschuss an, so Dannewitz: „Ob die neue Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen tatsächlich ein großer Wurf werden wird, entscheidet sich aber eben auch in den noch ausstehenden Verhandlungen des Bewertungsausschusses. Wir haben bei der GKV-Reform und der folgenden Umrelationierung des Bema im Jahr 2004 deutlich gesehen, was passiert, wenn zwar neue Leistungen in die PAR-Behandlungsstrecke kommen, das aber insgesamt zu einer Abwertung der Gesamttherapie führt.“

Systematische Behandlung erstmals in eigener Richtlinie

Mit dem Beschluss wird die systematische Behandlung von Parodontitis auch erstmals in einer eigenen Richtlinie geregelt. Die Inhalte setzen auf der aktuellen wissenschaftlichen Klassifikation der Fachgesellschaften auf. Die Erkrankung wird jetzt mit einem umfassenden, am individuellen Bedarf ausgerichteten Maßnahmenprogramm bekämpft. Die systematische PA-Therapie bleibt dabei weiterhin Antragsleistung.

„Sprechende Zahnmedizin“ verankert

So erhalten Versicherte künftig im Zusammenhang mit der eigentlichen Behandlung eine patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung. Dazu wird als eigener Therapieschritt ein parodontologisches Aufklärungs- und Therapiegespräch verankert, um das Verständnis über die Auswirkungen der Erkrankung zu schaffen und die Mitwirkung der Versicherten zu stärken. Damit findet die „sprechende Zahnmedizin“ erstmals Eingang in die Versorgung. Beide Maßnahmen dienen dazu, die eigene Mundhygienefähigkeit und Gesundheitskompetenz zu erhöhen.

Anspruch auf strukturierte Nachsorge mit UPT

Einen bedeutenden Stellenwert hat in der neuen Behandlungsstrecke die Unterstützende Parodontitistherapie (UPT). Versicherte können, ausgerichtet am individuellen Bedarf, künftig zwei Jahre nach Abschluss der aktiven Behandlungsphase eine strukturierte Nachsorge in Anspruch nehmen, um den Behandlungserfolg zu sichern. Die Nachsorge kann – so denn die Voraussetzungen aus vertragszahnärztlicher Sicht vorliegen und eine Genehmigung der Krankenkasse erfolgt – darüber hinaus um in der Regel sechs Monate verlängert werden. Die Frequenz der UPT wird bedarfsgerecht an das individuelle Patientenrisiko angepasst. Damit wird eine entscheidende Lücke in der bisherigen parodontologischen Versorgung in Deutschland geschlossen. Insbesondere Risikogruppen profitieren von dem engmaschigen Nachsorgekonzept, so die KZBV.

Erläuterungen des G-BA zum Beschluss
Systematische Diagnostik und Behandlung
Ziel der Behandlung von Parodontopathien ist es, entzündliche Veränderungen zum Abklingen zu bringen, um ein Fortschreiten der Erkrankung und damit einen Zahnverlust zu verhindern.
In der neuen Richtlinie des G-BA sind die einzelnen Schritte einer systematischen Diagnostik und Behandlung von Parodontopathien detailliert beschrieben. Festgelegt ist, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte vor der Therapieplanung Stadium und Grad der Erkrankung erheben und Risikofaktoren wie Diabetes mellitus oder Rauchen abklären müssen. Im anschließenden Aufklärungs- und Therapiegespräch werden auf Basis der Befunde die weiteren möglichen Schritte besprochen. Ebenfalls soll in diesem Gespräch vermittelt werden, wie notwendig es ist, dass Patientinnen und Patienten den Behandlungsprozess aktiv unterstützen. Dabei geht es neben der Vermeidung bestimmter Risikofaktoren, wie dem Tabakkonsum, insbesondere um eine gute allgemeine Mundhygiene. In Abhängigkeit von Stadium und Grad der Erkrankung sieht die Richtlinie verschiedene Ansätze vor: eine antiinfektiöse Therapie, eine Antibiotikatherapie oder chirurgische Eingriffe. Die Fortschritte in der Therapie und die Mitarbeit der Patientin oder des Patienten müssen zwischenzeitlich überprüft werden, um den Behandlungserfolg auch möglichst langfristig zu sichern.
Für Zahnärztinnen und Zahnärzte wichtig: Wie bisher auch in der Behandlungsrichtlinie bleiben die allgemeinen Regelungen zum Parodontitis-Screening mittels Parodontalem Screening Index (PSI) sowie die Definition des Umfangs der vertragszahnärztlichen Versorgung von parodontalen Erkrankungen, die nicht der systematischen Behandlung zuzuordnen sind, gleich. Hierbei geht es insbesondere um Akutformen der Parodontitis.

Quelle: Pressemeldung des G-BA vom 17. Dezember 2020

Nach Zustimmung des Ministeriums Verhandlungen zur Bewertung

Der heutige Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vorgelegt werden und tritt – im Fall der Nichtbeanstandung – zum 1. Juli 2021 in Kraft. Die nun folgenden Verhandlungen von KZBV und GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss müssen bis dahin abgeschlossen sein. Zum 1. Juli werden die neuen Leistungen zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) dann den Patienten in vertragszahnärztlichen Praxen zur Verfügung stehen und von den Zahnärzten beantragt und abgerechnet werden können.

Titelbild: Fallbeispiel Eickholz/Strauß Neue Klassifikation – Parodontitis, generalisiert Stadium III, Grad C, Parodontologie 2019;30(2):115–123  (Original aus: Strauß B, Püllen F, Eickholz P. Systematische Parodontitistherapie vom 72. bis zum 82. Lebensjahr. Parodontologie 2018;29:37–49)
Quelle: Quintessence News Parodontologie Zahnmedizin Politik Nachrichten Patientenkommunikation Praxis Team

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