Die 6. Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS • 6) liefert umfassende epidemiologische Daten zur parodontalen Gesundheit der deutschen Bevölkerung. Die Ergebnisse bestätigen: Parodontitis ist weiterhin hochprävalent und in fortgeschrittenen Stadien mit relevanten Allgemeinerkrankungen assoziiert. Insgesamt leiden 14 Millionen Menschen in Deutschland an behandlungsbedürftigen schweren Parodontalerkrankungen. Damit ist die Parodontitis eine Volkskrankheit, so die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro).
Ein großer Anteil erwachsener Personen hat Parodontitis, wobei die Schwere der Erkrankung (Stadium) zwischen den Altersgruppen deutlich variiert. Die Herausforderung für die Zahnmedizin in Deutschland wird es nun sein, die Erfolgsgeschichte der Prävention der Karies auch für die Volkskrankheit Parodontitis fortzuschreiben.
Hohe Prävalenz, Klassifizierung hilft bei Behandlungsplanung
Bereits in der Altersgruppe der jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) ist die Prävalenz von Parodontitis mit 95,1 Prozent insgesamt sehr hoch, allerdings verteilt sich der Großteil der Erkrankungsformen auf die Frühstadien. Konkret entfallen 31,6 Prozent auf Stadium I, was klinisch als Übergang zwischen Gingivitis und Parodontitis interpretiert werden kann und häufig noch durch präventive Maßnahmen kontrollierbar ist. Die Prävalenz für das Stadium II ist mit 46 Prozent am höchsten. Diese Stadien sind, wenn früh diagnostiziert, sehr gut therapeutisch zu kontrollieren. Gleichfalls können mit frühzeitiger Intervention Folgekosten, die sich sonst aus einer weiteren Progression der Erkrankung in Hinblick auf später notwendig werdende zahnmedizinische Rehabilitationen ergeben, weitreichend begrenzt werden.
Diese Erkenntnis ist erst aufgrund der durch die neue Klassifikation präzise klinische Definition der einzelnen Stadien der Parodontitis möglich geworden und erlaubt mit der Implementierung erweiterter Präventionskonzepte in der Zukunft eine verbesserte personalisierte Zahnmedizin.
Anteil schwer erkrankter, jüngerer Erwachsener steigt
Die Früherkennung und ein systematisches Präventionskonzept sind erforderlich, um das Risiko, schwere Formen der Parodontitis zu entwickeln, für einen großen Teil der Bevölkerung zu reduzieren. Alarmierend sind jedoch zugleich die Daten für die Stadien III (13,6 Prozent) und IV (3,9 Prozent) bei jüngeren Erwachsenen. Diese bedeuten, dass bereits in dieser Altersgruppe bei fast jeder 5. Person weit fortgeschrittene Erkrankungsformen nachweisbar sind und Strategien zur Prävention der Parodontitis in jüngeren Altersgruppen zur Anwendung kommen müssen. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig regelmäßige gründliche parodontale Untersuchungen bereits im Jugendlichen- beziehungswseise jüngeren Erwachsenenalter sind.
Jüngere Senioren mit hoher Krankheitslast
In der Gruppe der jüngeren Senioren (65 bis 74 Jahre) zeigen 52,7 Prozent schwere Formen der Parodontitis. Dabei weisen 26,3 Prozent das Stadium III und 26,4 Prozent das Stadium IV der Parodontitis auf. Beide Stadien erfordern häufig parodontalchirurgische Therapiemaßnahmen, deren Indikationen in der DG Paro-Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis Stadium I-III (AWMFRegisternummer: 083-043) wissenschaftlich dargestellt wurden, was die Komplexität der Therapie erhöht.
Mehr als jede vierte Person dieser Altersgruppe zeigt das Stadium IV der Parodontitis und damit einen weit fortgeschrittenen parodontalen Krankheitszustand mit gravierendem Funktionsverlust und hohem Therapiebedarf. Die erforderliche komplexe und zumeist interdisziplinäre Therapie wird in der S3-Leitlinie zur Therapie der Parodontitis im Stadium IV illustriert (AWMF-Registernummer: 083-056), die in Kürze in Deutschland implementiert werden wird.
Die DMS • 6 zeigt aber auch, dass in der Altersgruppe der Seniorinnen und Senioren der Anteil vollständiger Zahnlosigkeit von 23,2 Prozent in der DMS IV auf 5,4 Prozent in der DMS • 6 gesunken und die Zahl der durchschnittlich vorhandenen Zähne von 14,1 auf 19,6 gestiegen ist. Die Verwendung elektrischer Zahnbürsten und Hilfsmittel zur Zahnzwischenraumhygiene nimmt zu und wirkt sich positiv auf den Zahnerhalt aus.
Darüber hinaus ist es wichtig zu bemerken, dass in dieser Altersgruppe 27,3 Prozent an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 15,4 Prozent an Typ-2-Diabetes mellitus erkrankt waren, was Co-Morbiditäten mit Parodontitis vermuten lässt. An dieser Stelle sei zudem auf die Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ der DG Paro (AWMF-Registernummer: 083-015) verwiesen.
Versorgungslage: Prävention als Herausforderung für die Zukunft
Die DMS • 6 zeigt, dass regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei der überwiegenden Mehrheit der Befragten etabliert sind: 86,5 Prozent der jüngeren Erwachsenen und 88,3 Prozent der Seniorinnen und Senioren nehmen mindestens einmal jährlich eine zahnärztliche Untersuchung wahr. Professionelle Zahnreinigungen als wichtiges präventives Instrument werden hingegen noch nicht in einem ausreichenden Maße angenommen. Nur ca. 25 Prozent der Seniorinnen und Senioren geben an, diese präventive Maßnahme halbjährlich in Anspruch zu nehmen.
Der Grundstein zur systematischen Bekämpfung der Parodontitis in Deutschland wurde – basierend auf der S3-Leitlinie zur Therapie der Parodontitis Stadium I–III der DG Paro – mit der neuen Behandlungsrichtlinie (PAR-Richtlinie 2021) der KZBV gelegt. Allerdings wurden der hierdurch eingeführten neuen, dreijährigen Behandlungsstrecke mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) nach nur knapp anderthalb Jahren und damit mitten in der Einführungsphase die finanziellen Mittel entzogen, was seit 2023 einen erheblichen Einbruch bei den Neubehandlungsfällen zur Folge hatte. Dieser Einbruch wirkt bis heute in der Versorgung nach.
Forderungen an die Politik
Statt solch politisch induzierter, kurzsichtiger Kostendämpfungsmaßnahmen sollte die neue Bundesregierung in Prävention investieren, um den Kampf gegen die Volkskrankheit Parodontitis weiterzugehen. Wichtig wäre es, die präventionsorientierte Parodontitistherapie endlich gesetzlich als Früherkennungs- und Vorsorgeleistung anzuerkennen und damit die für die Versorgung erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Erst dann ist eine breite Umsetzung gesichert und der hohen Krankheitslast entsprechend möglich. Begleitend dazu muss verstärkt ein breites Bewusstsein in der Bevölkerung für dieses Krankheitsbild geschaffen werden.
Fazit: Zahnärztliche Prävention als Public-Health-Instrument
Die DMS • 6 verdeutlicht erneut die hohe Prävalenz der Parodontitis in Deutschland und zeigt gleichzeitig auf, zu welchem Zeitpunkt bereits präventive Strategien zum Einsatz kommen müssen, um Entstehung und Progression der Parodontitis zu verhindern. Parodontitis ist eine komplexe, nicht-übertragbare chronische Entzündungserkrankung des Menschen, welche in einem engen Zusammenhang mit systemischen Erkrankungen steht. Unbehandelt zeigt die Erkrankung eine kontinuierliche Progression, definiert durch Übergang des Stadium I bis hin zum Stadium IV. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung nehmen die Wechselwirkungen mit systemischen Erkrankungen zu. Damit wird deutlich, dass der Prävention der Parodontitis auch im gesamtgesundheitlichen Kontext eine zentrale Rolle im Public-Health-Management zukommt. Nachhaltige Prävention und eine enge Verzahnung mit der Allgemeinmedizin bieten die Chance, parodontale Erkrankungen als systemische Risikofaktoren zu erkennen und effektiv zu adressieren.
Da Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner jüngere Patienten in der Regel häufiger sehen als Allgemeinmediziner und Fachärzte, besteht ein großes Potenzial für die Früherkennung von lokalen und systemischen Krankheitsrisiken und die Aufklärung darüber.
Unabhängig von dem Potenzial, welches diese neuen Daten hinsichtlich eines gesamtgesellschaftlichen präventiven Ansatzes aufzeigen, sind aktuell 14 Millionen Patientinnen und Patienten von schweren behandlungsbedürftigen Parodontalerkrankungen betroffen und benötigen eine entsprechende systematische Therapie. Die DG Paro war und ist hierbei mit der Erstellung von S3-Leitlinien zur gesamten PAR-Behandlungsstrecke maßgeblich involviert und konnte dazu beitragen, den aktuellen wissenschaftlichen Stand in die PARBehandlungsrichtlinie zur umfassenden Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Parodontalerkrankungen in Deutschland einfließen zu lassen.
Aufruf für mehr Förderung der Parodontologie
Vor diesem Hintergrund ist die Zahl von 14 Millionen Menschen mit schweren behandlungsbedürftigen Parodontalerkrankungen auch angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland ein wichtiges Signal, mehr in die parodontologische Aus-, Fort- und Weiterbildung in Deutschland zu investieren. Hierzu gehören sowohl eine entsprechende personelle und finanzielle Ausstattung an den einzelnen universitären Standorten als auch strukturierte postgraduale Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zum Erlangen von Spezialisten und Fachzahnarzt-Expertise. Nur mit entsprechend weitergebildeten und in Zusammenarbeit mit allgemeinzahnärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen wird es möglich sein, Patientinnen und Patienten mit den schweren Formen der Parodontitis (Stadium III und IV) systematisch und umfassend zu helfen. Dies kann unter Umständen durch Etablierung einer umfassenderen Überweisungskultur innerhalb der Zahnmedizin gelingen. Diese wird vor allem dann entscheidend, wenn die Diagnose „Stadium IV Parodontitis“ lautet, da in diesen Fällen oftmals nicht nur parodontalchirurgische Interventionen, sondern auch eine enge Zusammenarbeit mit zum Beispiel kieferorthopädischen und prothetischen Fachdisziplinen erforderlich ist.
Daher sollten die aktuellen Daten der DMS • 6 zur parodontalen Gesundheit als Aufruf für mehr Förderung der Parodontologie in Deutschland gewertet werden.
Die Autoren der Pressemitteilung: Prof. Dr. Henrik Dommisch, Prof. Dr. Peter Eickholz, Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Prof. Dr. Thomas Kocher und ZA Martin Hendges
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