Neben apikalen Pathologien ist die intentionelle Replantation auch nach unfallbedingten Kronen-Wurzel-Frakturen eine Therapieoption. Dr. Marc Joos et al. stellen die Methode und ihre Varianten anhand eines Fallberichts in der Quintessenz Zahnmedizin 10/2022 vor.
Da die Schmelz-Zement-Grenze eines Frontzahns im palatinalen Bereich weiter inzisal verläuft als bukkal, ist eine Rotation der Wurzel um 180° Grad vorteilhaft für die spätere Rekonstruktion und das Austrittsprofil des betroffenen Zahns. Dadurch kann auch auf eine chirurgische Kronenverlängerung/Osteoplastik verzichtet werden. Die Behandlungszeit ist kurz, die Wundfläche ist klein und die Erfolgsraten sind hoch. Im Folgenden wird anhand eines Beispielfalls das Vorgehen Schritt für Schritt erläutert.
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Einleitung
Die intentionelle Replantation wird als Therapieoption häufig vergessen oder unterschätzt, obwohl sie schon lange vor Beginn der zahnärztlichen Implantologie erfolgreich angewandt wurde6. Bei der intentionellen Replantation wird ein erkrankter Zahn entfernt, außerhalb des Mundes therapiert und wieder replantiert. Intentionelle Replantationen eignen sich besonders für einwurzlige Zähne. Unter bestimmten Voraussetzungen können jedoch auch Molaren intentionell replantiert werden5.
Eine intentionelle Replantation kann bei apikaler Parodontitis (als Alternative zur Wurzelspitzenresektion)7, bei Ankylosen3 oder bei Kronen-Wurzel-Frakturen4 in Erwägung gezogen werden. Wichtig ist in jedem Fall eine gewebeschonende Zahnentfernung (Vermeidung von Kippbewegungen, keine mechanische Zerstörung der Zellen auf der Wurzeloberfläche), die Zwischenlagerung im Organtransplantationsmedium der Zahnrettungsbox und eine kurze extraorale Verweildauer. In Einzelfällen ist die Anwendung von Schmelzmatrixproteinen („Enamel matrix derivative“, EMD)3 oder topischen Steroiden8 vorteilhaft. Nach der Replantation ist eine mobile Schienung essenziell, welche die parodontale Heilung unterstützt9. Starre Schienen erhöhen das Risiko einer Ankylose.
Der Verlauf der Schmelz-Zement-Grenze ist bei Oberkieferfrontzähnen palatinal weiter inzisal gelegen als bukkal und Kronen-Wurzel-Frakturen enden fast immer palatinal epi- oder subkrestal. In dieser Kombination hat sich heute die intentionelle Replantation nach Rotation der Wurzel um 180° etabliert, was die koronale Rekonstruktion vereinfacht und das Austrittsprofil positiv beeinflusst.
Exemplarischer Fallbericht
Drei Tage nach Kollision mit einem Auto und erfolgter Erstversorgung sowie Überwachung im Spital stellte sich die damals 40-jährige, gesunde Patientin zur zahnärztlichen Beurteilung im Zahnunfallzentrum des Universitären Zentrums für Zahnmedizin Basel (UZB) vor. Extraoral waren bis auf dezente Schürfwunden an den Händen keine unfallbedingten Folgen erkennbar. Intraoral imponierte eine mehrfragmentäre Kronen-Wurzel-Fraktur des Zahns 11 (Abb. 1). Der Zahn zeigte eine physiologische Beweglichkeit am labialen Fragment und eine deutlich erhöhte Beweglichkeit der palatinalen und mesialen Fragmente. Die Pulpa war großflächig eröffnet. Im Zahnfilm konnte der Frakturverlauf (Abb. 2) nur ungenügend beurteilt werden, weshalb eine digitale Volumentomografie (DVT) angefertigt wurde, die den subkrestalen Frakturverlauf palatinal und die Pulpabeteiligung bestätigte (Abb. 3). Im Rahmen der zahnärztlichen Erstversorgung wurde das mesiale Frakturfragment entfernt, das palatinale Fragment adhäsiv fixiert und der Zahn provisorisch mit Komposit aufgebaut (Abb. 4).
Zur endodontischen Behandlung wurde die Patientin in die Klinik für Parodontologie, Endodontologie und Kariologie des UZB überwiesen. Aufgrund des palatinal subkrestalen Frakturverlaufs konnte ohne Kronenverlängerung keine suffiziente Rekonstruktion der Krone erfolgen. Verschiedenen Therapieoptionen wurden mit der Patientin besprochen und gemeinsam eine intentionelle Replantation geplant.
Nach Abschluss der Wurzelkanalbehandlung wurde der Eingriff in Lokalanästhesie durchgeführt. Zunächst erfolgte das scharfe Durchtrennen der marginalen Fasern mit einen Mikroskalpell (Abb. 5). Die Wurzel konnte daraufhin gewebeschonend durch vorsichtige Rotation mit einer Zange (Abb. 6) entfernt und in eine Zahnrettungsbox ( Abb. 7) gelegt werden. Nach extraoraler Inspektion der Wurzel (Abb. 8) und Ausschluss weiterer Risse oder Frakturen wurde der Zahn approximal geringgradig korrigiert. Dies verhinderte im vorliegenden Fall Interferenzen mit den Nachbarzähnen. Der Zahn 11 wurde nach Rotation in einer leicht extrudierten Position replantiert, sodass der Frakturspalt nun bukkal und knapp subgingival zu liegen kam (Abb. 9). Es folgten die Konditionierung des Zahns 11 und je eines Nachbarzahns (Abb. 10) mit Phosphorsäure und nachfolgend die Fixation mit der adhäsiv befestigten Titan-Trauma- Schiene (TTS, Fa. Medartis, Basel/Schweiz; Abb. 11). Schließlich wurde die ehemalige Inzisalkante rotierend in der Höhe reduziert sowie die Okklusion palatinal korrigiert (Abb. 12). Ein postoperatives Röntgenbild wurde angefertigt (Abb. 13). Die Patientin wurde über das postoperative Verhalten aufgeklärt und gebeten, ihre Kontrolltermine zwei und sieben Tage nach der Operation wahrzunehmen.
Der postoperative Verlauf war wie fast immer in solchen Fällen vollkommen unauffällig. Die Schienenentfernung erfolgte nach acht Wochen. Zu diesem Zeitpunkt zeigte der Zahn 11 eine physiologische Beweglichkeit und war symptomlos (Abb. 14).
Die Rekonstruktion des Zahns 11 erfolgte in der Klinik für Parodontologie, Endodontologie und Kariologie des UZB. Dort wurde der Zahn nach einem adhäsiven Stiftaufbau mit einer Krone aus Lithiumdisilikat versorgt (Abb. 15 und 16). Ein Kontrollröntgenbild nach 18 Monaten (Abb. 17) zeigte die vollständige Reossifikation des periradikulären Knochens sowie einen unauffälligen Parodontalspalt. Die Patientin war vollkommen beschwerdefrei und zufrieden mit der Behandlung des Unfallzahns.
Diskussion
Die intentionelle Replantation ist als Alternative zur konventionellen, chirurgischen Kronenverlängerung zwar schon länger bekannt6, wird jedoch als Therapiemöglichkeit oft vergessen und/oder es finden sich zu wenig Praxen und Zentren, die diese Technik beherrschen. In der Klinik für Oralchirurgie des UZB gehört die intentionelle Replantation aufgrund der guten Ergebnisse, der kurzen Behandlungsdauer und der vernachlässigbaren Morbidität der Patienten zum Standardrepertoire – nicht nur bei der Behandlung von Kronen-Wurzel-Frakturen, sondern auch bei unfallbedingten Ankylosen und bei finalen Formen der Parodontitis marginalis. Lediglich die bukkal/labial zu fixierende Schiene stellt vorübergehend einen kleinen ästhetischen Nachteil dar. Auch bei einwurzligen Zähnen mit Kronen-Wurzel-Fraktur kann es während der Zahnentfernung zu weiteren Frakturen des Zahns kommen – darüber müssen die Patienten aufgeklärt werden. Wenn die Wurzel mit einer Zange nicht mehr ausreichend gefasst werden kann, kommen moderne vertikale Extraktionstechniken zum Einsatz (Benex, Rolux etc.).
Im vorliegenden Fall hat die adhäsive Fixation des palatinalen Frakturfragments – wenn auch nur als provisorische Maßnahme – die gewebeschonende Zahnentfernung mit der Zange wesentlich vereinfacht. Eine topische antiresorptive, regenerationsfördernde Therapie mit Kortikosteroiden war im vorliegenden Fall nicht indiziert, ganz im Gegensatz zu einer unfallbedingten Avulsion. Auch eine topische Applikation von EMD war hier nicht erforderlich. Diese kann diskutiert werden, wenn eine Wurzel nicht wirklich gewebeschonend entfernt werden kann2. Auch auf eine Nahtadaptation der Gingiva konnte aufgrund des guten dentogingivalen Verschlusses verzichtet werden.
Die axiale Rotation um 180° Grad ist wesentlicher Bestandteil des Therapiekonzepts bei der intentionellen Replantation nach Kronen-Wurzel-Fraktur. Die bis zu 2 mm weiter inzisal liegende palatinale Schmelz-Zement-Grenze begünstigt das Kronen-Wurzel-Verhältnis insofern, als der Zahn nach Rotation um 180° weniger extrudiert werden muss. Der ehemals subkrestale palatinale Frakturverlauf soll nach Replantation und Rotation nun labial knapp subgingival zu liegen kommen. Dadurch kann eine korrekte biologische Breite eingehalten werden. Die Schienung des Zahns unterstützt die parodontale Heilung und unterliegt den gleichen Kriterien, die auch nach einem Zahntrauma gelten. Zur schmelzschonenden Entfernung der Schiene empfiehlt sich die Verwendung von fluoreszierendem, zahnfarbenem und fließfähigem Komposit1.
Ein Beitrag von Dr. Marc Joos, Dr. Florin Eggmann, Prof. Dr. Andreas Filippi, alle Basel
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de