Bei chronischen Wunden ohne klinischen Verdacht auf eine Infektion sollten keine oberflächlichen Abstriche auf Bakterien entnommen werden. Denn die Ergebnisse sind irreführend und führen häufig zu einer unnötigen Antibiotika-Therapie mit dem Risiko der Resistenzentwicklung. Wenn tatsächlich eine Infektion vorliegt, soll der Erreger mit Hilfe von Proben aus tieferen Gewebeschichten abgeklärt werden. So lautet eine aktuell veröffentlichte „Klug entscheiden“-Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Inneren Medizin e. V. (DGIM). Acht neue Empfehlungen haben die internistischen Schwerpunktgesellschaften unter Führung der Konsensus-Kommission Klug entscheiden der DGIM im April 2024 veröffentlicht.
Ergebnisse oft irreführend – meist folgt Antibiotikagabe
Die menschliche Hautflora beherbergt – auch bei Gesunden – zahlreiche Bakterien und weitere Mikroorganismen. Werden im Krankenhaus bei chronischen Wunden Abstriche für mikrobiologische Kulturen entnommen, werden Erreger identifiziert, die für die Wundheilung ohne Bedeutung sind. Die neue „Klug entscheiden“-Empfehlung der DGIM aus dem Bereich Infektiologie rät daher dazu, nur dann eine Probe zu entnehmen, wenn sich um die Wunde Anzeichen einer Infektion wie Rötungen, eitrige Beläge oder Wärmebildung zeigen oder die betroffene Person über Schmerzen klagt. Um Klarheit über den Erreger zu erlangen, empfiehlt es sich in diesen Fällen, eine Probe aus tieferen Gewebeschichten zu entnehmen.
„Die Ergebnisse oberflächlicher Wundabstrichen führen oftmals zu unnötigen Antibiotikatherapien. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zahl von Resistenzen, der potenziellen Nebenwirkungen dieser Medikamente und auch der Kosten für das Gesundheitswesen sollten Antibiotika daher nur gegeben werden, um eine Infektion des umgebenden Gewebes zu beherrschen“, erklärt Prof. Sebastian Schellong, Vorsitzender der Konsensus-Kommission Klug entscheiden aus Dresden.
Acht neue Empfehlungen veröffentlicht, ältere Empfehlungen auf dem Prüfstand
Insgesamt acht neue „Klug entscheiden“-Empfehlungen hat die Konsensus-Kommission erarbeitet und Mitte April 2024 veröffentlicht. Darunter sind fünf Negativ-Empfehlungen aus den Schwerpunkten Nephrologie, Hämatologie, Infektiologie und Kardiologie sowie drei Positiv-Empfehlungen aus der Kardiologie, Infektiologie und Gastroenterologie. „Dass wir erneut mehr Negativ- als Positiv-Empfehlungen aussprechen, korrespondiert mit der Tatsache, dass Überversorgung im medizinischen Alltag das größere Problem darstellt“, so Experte Schellong.
In den vergangenen acht Jahren haben Internistinnen und Internisten aus allen Schwerpunkten der Inneren Medizin im Experten- und Konsens-basierten Verfahren fast 180 „Klug entscheiden“-Empfehlungen erarbeitet. „Wir beginnen damit, ältere Empfehlungen zu revidieren und gegebenenfalls zu überarbeiten, damit sie weiterhin den neuesten Stand des medizinischen Wissens abbilden“, blickt der Kommissions-Vorsitzende Schellong voraus. „Von den Empfehlungen profitieren Kolleginnen und Kollegen in der täglichen Arbeit in Klinik und Praxis, wann immer sie sich für oder gegen eine bestimmte diagnostische oder therapeutische Maßnahme entscheiden müssen “, so der Internist.
Unnötige Prozeduren und Kosten sparen
„Die ‚Klug entscheiden‘-Initiative hilft nicht nur Medizinerinnen und Medizinern im ärztlichen Alltag, sondern schützt auch unsere Patientinnen und Patienten vor unnötigen Prozeduren und spart vermeidbare Kosten“, erklärt auch der Vorsitzende der DGIM Professor Dr. med. Jan Galle. „In Zeiten überlasteter Versorgungsstrukturen und knapper Kassen ist ‚Klug entscheiden‘ daher heute wichtiger denn je und sollte möglichst allen Kolleginnen und Kollegen bekannt sein“, bestätigt auch DGIM-Generalsekretär Professor Dr. med. Georg Ertl.