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Aktueller Stand der Forschung, Klinik und praktische Entscheidungshilfen


PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Die Lokalanästhesie ist ein wesentlicher Aspekt der zahnärztlichen Behandlung, da sie in nicht unerheblichem Maß den Komfort der Behandlung für Patienten und Zahnarzt erhöht. Fortschritte in der Lokalanästhesie können daher potenziell die zahnärztliche Behandlung verbessern. Zur lokalen Betäubung sind verschiedene anästhetisch wirksame Medikamente verfügbar, die der Zahnarzt jeweils nach der individuellen Indikation einsetzen kann. Autor PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer stellt in seinem Beitrag im Quintessenz Team Journal 7-8/17 die gewünschten lokalen Wirkungen und unerwünschte systemische Nebenwirkungen der eingesetzten Wirkstoffe vor, klärt physiologische Hintergründe, beschreibt die verschiedenen Injektionstechniken und gibt Entscheidungshilfen für die tägliche Praxis.

Den Erfordernissen einer modernen Zahnarztpraxis entsprechend, wendet sich das „Quintessenz Team-Journal“ an das gesamte zahnärztliche Team - die Behandler und die Mitarbeiter, vom Auszubildenden bis zur Dentalhygienikerin. Neben dem Basiswissen für die Auszubildende sorgen Beiträge aus dem klinischen Bereich für ein Kompetenz-Plus. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.


Am gängigsten sind die beiden Lokalanästhetika Lidocain und Articain, wobei sich Articain – vorwiegend in 4-prozentiger, aber auch in 2-prozentiger Konzentration18 – auf dem deutschen Markt nicht zuletzt aufgrund seines niedrigen allergenen und toxischen Potenzials zusammen mit seiner guten Wirksamkeit für einen Großteil der Anwendungen durchgesetzt hat. Es besitzt einen Thiophenring und – obwohl es zur Gruppe der Amide zählt – zusätzlich eine Estergruppe. Hierdurch kann es, neben der für Amide typischen hepatischen Metabolisierung, durch unspezifische Plasmacholinesterasen inaktiviert werden. Daraus resultiert neben einer geringeren Leberbelastung eine kurze Plasmahalbwertszeit von zirka 20  Minuten mit einem niedrigeren Risiko einer Kumulation bei Nachinjektionen. Im Gegensatz hierzu haben andere Lokalanästhetika vom Amidtyp (um Beispiel Lidocain) mit ihrer rein hepatischen Verstoffwechselung eine Halbwertszeit von ungefähr 90  Minuten. 

Wie alle anderen anästhetischen Substanzen – ausgenommen des zu diesem Zweck nicht mehr benutzten Kokains – haben Articain und Lidocain vasodilatative Eigenschaften und werden daher gewöhnlich zusammen mit Adrenalin in unterschiedlichen Konzentrationen eingesetzt. Insgesamt gilt Adrenalin derzeit als der vasokonstriktorische Goldstandard bei zahnärztlichen Lokalanästhetika. Das Sympathomimetikum Adrenalin wird physiologisch aus dem Nebennierenmark freigesetzt und hat lokal angewandt einen vasokonstriktorischen Effekt vor allem auf periphere Arterien und Venen. Es wird zusammen mit dem Lokalanästhetikum eingesetzt, um sowohl die Anästhesietiefe und -dauer als auch die lokale Hämostase zu verbessern. Des Weiteren soll so die systemische Toxizität des Lokalanästhetikums verringert werden. Vor allem im Rahmen der Infiltrationsanästhesie kommen diese additiven Effekte unmittelbar und klinisch relevant zum Tragen8. Da das lokal injizierte Adrenalin jedoch teilweise – je nach Applikationsart – in den systemischen Kreislauf eingeschwemmt wird, kann es dort ebenfalls seine, hier unerwünschte Wirkung entfalten. Bei ungefähr 20 Prozent aller intraoralen Injektionen ist mit zumindest kurzzeitig erhöhten Adrenalinspiegeln zu rechnen22, die klinisch durchaus relevant sein können, unter anderem da bereits geringe Adrenalinkonzentrationen im Lokalanästhetikum die kardiovaskulären Funktionen beeinflussen4. So wurde berichtet, dass das Eintreten von systemischen Komplikationen bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie hauptsächlich auf dem Vasokonstriktorzusatz basiert32. Zu diesen potentiellen Komplikationen gehören neben generellem Unwohlsein (unter anderem mit Kopfschmerzen, Erblassen, Schwitzen, Grippe-ähnliche Symptome) auch kardiovaskuläre Probleme wie die Tachykardie oder die Hypertension, aber auch ischämische Ereignisse25, der Tremor, Mydriasis, die Hyper- oder Hypoglykämie und das Potenzieren von weiteren Medikamenten-induzierten Nebenwirkungen12,29.

Als Vasokonstriktor zweiter Wahl – hauptsächlich in Kombination mit Prilocain – kann Felypressin verwendet werden. Bei diesem synthetischen Analogon des Hypophysenhinterlappenhormons Vasopressin ist die vasokonstriktive Wirkung im Vergleich zu Adrenalin schwächer und setzt zeitlich verzögert ein. Auch hier existieren jedoch relevante unerwünschte systemische Nebenwirkungen. Zu diesen zählt die Druckerhöhung im pulmonalen Kreislauf und das Initiieren von Uteruskontraktionen, weshalb pulmonale und kardiale Komorbiditäten sowie eine Schwangerschaft als Kontraindikationen angesehen werden. Vorwiegend experimentellen Einsatz fand bisher Clonidin, ein α2-präferentielles Sympathomimetikum, als Ersatz von Adrenalin. Patil & Patil vergleichen beispielsweise Lidocain mit Adrenalin und Lidocain mit Clonidin bei Hypertonikern und zeigten in der Clonidin-Gruppe vorteilhafte hämodynamische Parameter und weniger postoperativen Schmerz bei ansonsten ähnlichen anästhetischen Eigenschaften28.

Insgesamt gilt aufgrund der potentiellen systemischen Nebenwirkungen die Forderung, je nach den individuellen Gegebenheiten die minimal mögliche Konzentration des Vasokonstriktors Adrenalin klinisch einzusetzen7. Die Auswahl des geeigneten Lokalanästhetikums richtet sich neben der jeweiligen Indikation auch nach der individuellen Belastbarkeit des Patienten, die vor der Behandlung evaluiert werden sollte.


Tab. 1 Relative und absolute Kontraindikationen für den Einsatz von Adrenalin bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie. Natriumdisulfit ist ein Antioxidans, das in allen adrenalinhaltigen Medikamenten enthalten ist.

Einschätzung der Patientenbelastbarkeit

Zur initialen Einschätzung des Patientenzustandes und der Belastbarkeit bezüglich der Lokalanästhesie kann neben der medizinischen Anamnese das metabolische Äquivalent (MET) benutzt werden. Hier handelt es sich um eine Beschreibung des menschlichen Stoffwechselumsatzes in Relation zu seinem Körpergewicht. Ab einem MET von < 4 (Patient kann 1–2 Häuserblöcke in langsamer Geschwindigkeit gehen oder problemlos ein Stockwerk hochgehen) ist mit einer eingeschränkten Belastbarkeit zu rechnen6. Bei betroffenen Patienten sollte geprüft werden, ob eine ambulante Behandlung noch möglich ist. Ansonsten scheint es bei diesen sowie bei „Risikopatienten“ mit Nebenerkrankungen und Medikation (Tab. 1) sinnvoll, ein Anästhetikum mit geringem möglichem Adrenalinzusatz anzuwenden10,21,24. Nun verlangen unterschiedliche Injektionstechniken aufgrund der anatomischen Gegebenheiten unterschiedliche Lokalanästhetika17. Daher ist es wichtig, die benötigte Adrenalinkonzentration für die wichtigsten Injektionstechniken zu kennen.

Exemplarische Studien zur Anpassung der Adrenalinkonzentration an die Injektionstechnik

Infiltrationsanästhesie (Abb. 1)

In einer randomisierten, doppelt-verblindeten Studie erhielten 10 freiwillige männliche Probanden an Zahn 11 an unterschiedlichen Tagen eine Infiltrationsanästhesie mit 1,7  ml 4-prozentigem Articain mit unterschiedlichen Adrenalinkonzen­trationen (1:100.000, 1:200.000, 1:300.000, 1:400.000) sowie 4-prozentiges Articain ohne Adrenalin. Mittels elektronischem Pulpentester wurde anschließend der Beginn und die Dauer der Pulpenanästhesie gemessen. Parallel hierzu fand eine Überwachung der kardiovaskulären Parameter und der Sauerstoffsättigung statt. Zwischen den unterschiedlichen Lösungen konnte kein signifikanter Unterschied bezüglich des Beginns der Pulpenanästhesie detektiert werden. Im Unterschied hierzu zeigte sich eine signifikante Assoziation zwischen höheren Adrenalinkonzentrationen und einer längeren Pulpenanästhesie (Tab. 2). Unter Anwendung von Articain ohne Adrenalin konnte lediglich in 4/10 Fällen überhaupt eine Pulpenanästhesie erzielt werden (Abb. 2). Die kardiovaskulären Parameter waren bei allen gesunden Probanden unbeeinflusst.

Somit konnte gezeigt werden, dass bei der Infiltrationsanästhesie der Zusatz von Adrenalin einen signifikanten Effekt auf die Anästhesiedauer hat, während die Anwendung der adrenalinfreien Lösung nur limitiert bei kurzen (< 15  Minuten) und wenig schmerzhaften zahnärztlichen Behandlungen zu empfehlen ist19. Diese Ergebnisse sind analog zu vergleichbaren Studien, in denen ebenfalls demonstriert werden konnte, dass Articain ohne Adrena­linzusatz nur bedingt für die Infiltrationsanästhesie geeignet ist31. Für das Erreichen einer sicheren Pulpenanästhesie sind bei der Infiltrationsanästhesie zumindest geringe Adrenalinkonzentrationen notwendig, wobei hier derzeit ein Zusatz von 1:200.000 empfohlen werden kann, während die Verringerung auf 1:400.000 vor allem bei kürzeren (Dauer Pulpenanästhesie zirka 30 Minuten) Behandlungen sinnvoll ist7,16.

Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior

Bei der Leitungsanästhesie existiert das hypothetische und nicht evidenzbasiert nachgewiesene Risiko einer ischämischen Nervschädigung durch den Vasokonstriktor. Ebenfalls theoretisch könnten höhere Konzentrationen des Vasokonstriktors die Diffusion des Lokalanästhetikums zum Nerven behindern6. Des Weiteren besteht trotz doppelter Aspiration die Gefahr der intravasalen Injektion, die in der Literatur mit 10–15  % aller Fälle angegeben wird3. Mögliche Erklärungen hierfür sind, dass es aufgrund von Verletzungen kleiner Gefäße auf dem Weg der Kanüle zu (partiellen) Resorptionen kommt und derart relevante systemische Spiegel von Lokalanästhetikum und Vasokonstriktor entstehen.

Da Articain durch seinen Thiophenring eine hohe Lipidlöslichkeit und Plasmabindungskapazität aufweist, kann von einer äußerst geringen Toxizität des Medikaments ausgegangen werden. Das enthaltene Adrenalin kann jedoch zu einer deutlichen Steigerung der Toxizität führen. Daher wurde im Rahmen einer prospektiven, randomisierten klinischen Studie bei 41 Patienten nach Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior mit 4 %igem Articain mit einem Adrenalinzusatz von 1:100.000 und bei 47 Patienten mit 4 %igem Articain ohne Adrenalinzusatz jeweils ein Unterkieferseitenzahn extrahiert. Zwischen den beiden Gruppen wurde der Beginn und die Dauer der Anästhesie sowie die benötigte Menge an Lokalanästhetikum, an Nachinjektionen, der Injektionsschmerz, der Schmerz während und nach der Behandlung sowie das Eintreten möglicher Komplikationen evaluiert. In beiden Gruppen konnten alle Operationen durchgeführt werden. Die einzigen Unterschiede zwischen den Gruppen waren, dass es unter Verwendung der adrenalinhaltigen Lösung zu einem signifikant schnelleren Wirkbeginn kam (7,2 versus 9,2 Minuten) und dass die Weichgewebsanästhesie ohne Adrenalin signifikant schneller abklang (2,5 versus 3,8 Stunden). Somit kann hier geschlussfolgert werden, dass die Verwendung von adrenalinfreiem 4 %igem Articain bei der Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior sehr wohl möglich ist und sogar die postoperative Taubheit, die immer noch unverhältnismäßig länger als die Behandlung ist, zeitlich reduziert (Abb. 3a bis d). Auf diese Art und Weise können potentielle, Adrenalin-immanente Nebenwirkungen reduziert werden17,22. Analog hierzu konnte gezeigt werden, dass 3 %iges Mepivacain ohne Adrenalin ähnlich effektiv bei kürzerer Dauer wie 2 %iges Lidocain mit einem Adrenalinzusatz von 1:80.000 bei der Leitungsanästhesie ist11. Tortamano et al. konnten im Vergleich von 4 %igem Articain mit 1:100.000 und 1:200.000 bei der höher konzentrierten Adrenalinmenge ebenfalls lediglich einen schnelleren Wirkbeginn und eine längere Wirkdauer nachweisen35. Somit kann eine Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior problemlos auch ohne Adrenalinzusatz durchgeführt werden.

Intraligamentäre Anästhesie

Die Injektion in den Parodontalspalt ist hoch effektiv für die Anästhesie eines Einzelzahnes, inklusive des Unterkieferseitenzahnbereichs2. Da demonstriert werden konnte, dass das Lokalanästhetikum nach Applikation intravasal/intraossär verteilt wird, sind hier systemische Komplikationen durch höhere Adrena­linmengen nicht auszuschließen27,34. Aus diesem Grund, und auch wegen möglicher Schäden an dem parodontalen Gewebe, ist auch hier eine Reduktion der Adrenalinkonzentration sinnvoll5.

Bei der intraligamentären Anästhesie liegen wenige vergleichende Studien bezüglich der notwendigen Adrenalinkonzentration vor. Handler und Albers fanden in einer Studie von 1987 heraus, dass die Dauer der intraligamentären Anästhesie unabhängig von der benutzten Adrenalinkonzentration ist. Selbst Lidocain und reines Adrenalin führten zu dem gleichen Effekt wie Lidocain und Adrenalin 1:50.000 oder 1:100.00014. Im Gegensatz hierzu zeigte sich Lidocain mit einem Adrenalinzusatz von 1:80.000 als erfolgreicher zum Erreichen einer Pulpenanästhesie als 0,75 und 1 %iges Ropivacain ohne Vaso­konstriktor23. Gray et al. kamen zu dem Schluss, dass Lidocain ohne Adrenalinzusatz nicht ausreichend für eine sichere Einzelzahnanästhesie ist, und schlugen als Alternative bei Kontraindikationen gegen Adrenalin zum einen Mepivacain und zum anderen Prilocain mit Felypressin vor13. Aus der eigenen klinischen Erfahrung ist eine intraligamentäre Anästhesie problemlos mit geringen Adrenalinzusätzen (z. B. 1:400.000) beziehungsweise völlig ohne Adrenalin (Abb. 4a und b) möglich, wobei die Anästhesiedauer ohne Adrenalin leicht kürzer zu sein scheint. 

Antagonisierung der Adrenalinwirkung

Mit Phentolaminmesilat ist in Deutschland ein Antagonist zum Adrenalin zugelassen, der am Ende einer Behandlung unter Lokalanästhesie in das anästhesierte Areal injiziert wird. Hierbei kommt es im Durchschnitt zu einer bis zu 50 %igen Verkürzung der Weichgewebsanästhesie (z. B. der Lippe und der Zunge), was beispielsweise für Kinder, demente Patienten oder Diabetiker, die keine lange Nahrungskarenz einhalten können, indiziert sein kann, um selbstinduzierte Verletzungen zu vermeiden15,33. Kontraindikationen sind eine Allergie gegen den Wirkstoff oder seine Bestandteile. 

Generell ist jedoch zu überlegen, ob anstatt dieser zweiten Injektion nicht a priori auf Lokalanästhetika mit weniger Adrenalin beziehungsweise auf Techniken ausgewichen werden sollte (z. B. intraligamentäre Anästhesie), die per se eine deutlich geringere Weichgewebsanästhesie aufweisen. 

Diskussion und Fazit

Viele Patienten verlangen selbst bei zeitlich limitierten zahnärztlichen Behandlungen eine entsprechende Lokalanästhesie, wobei die Wahl des adäquaten Lokalanästhetikums von wichtiger klinischer Bedeutung ist. Diese Selektion basiert zum einen auf der prospektiv zu erwartenden Behandlungszeit und der Schmerzhaftigkeit des Eingriffs. Zum anderen muss die patientenspezifische Anamnese einbezogen werden, um letztendlich einen schmerzfreien Eingriff mit einem minimalen Risiko für (systemische) Komplikationen bieten zu können. Generell ist bei Verwendung von Articain mit hohen Adrenalinzusätzen die Dauer der Anästhesie oft unverhältnismäßig länger als die eigentliche zahnärztliche Behandlung und kann bis zu mehreren Stunden – abhängig von der Applikationstechnik – zu mastikatorischen und artikulatorischen Einschränkungen führen20. Die Reduktion des Vasokonstriktorzusatzes kann neben einer kürzeren Taubheit weiterhin zu einer Reduktion potentieller (systemischer) Komplikationen führen22. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass der Eingriff schmerzfrei bleibt, um der endogenen Ausschüttung von Adrenalin bei Schmerzreizen entgegenzuwirken. Vor allem bei Risikopatienten (Tab. 1) ist neben der Schmerzfreiheit auf eine stressfreie und schonende Behandlungsweise zu achten (adäquate Aufklärung, günstige Terminierung, kurze Wartezeiten)9. 

Während schmerzhafte Behandlungen, die länger als 10–15  Minuten dauern, unter Infiltrationsanästhesie zumindest einen geringen Adrenalinzusatz benötigen, gilt dies weniger bis gar nicht für die Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior und die intraligamentäre Anästhesie. 

Bei der Infiltrationsanästhesie bietet 4-prozentiges Articain mit Vaso­konstriktorzusatz eine längere und im Vergleich zu der Lösung ohne Adrenalin eine tiefere Anästhesie. Es ist möglich, je nach zu erwartender Behandlungsdauer, bei der Infiltrationsanästhesie einen unterschiedlichen Adrenalinzusatz zu wählen (siehe Tab. 2). Auch Articain mit einem Vaso­konstriktorzusatz von 1:400.000 weist mit einer mittleren Pulpenanästhesie von 36  Minuten eine für die meisten zahnärztlichen Behandlungen ausreichende Wirkdauer auf. Die Lösung ohne Adrenalin bietet bei der Infiltration lediglich eine eingeschränkte und kurze anästhetische Dauer19,30. Hier sollte bei Patienten mit Kontraindikationen für Adrenalin, die für einen längeren und/oder schmerzhaften Eingriff eine Infiltrationsanästhesie benötigen, eher die Anwendung von Mepivacain, das ohne Adrenalinzusatz angewendet werden kann, in Erwägung gezogen werden.

 


Abb. 5 Zungeneinbiss eines oral antikoagulierten Patienten nach alio loco durchgeführter Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior links.

Die Anwendung von 4-prozentigem Articain ohne Adrenalin im Rahmen der Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior führt zu einem langsameren Beginn des vollen anästhetischen Effekts gemeinsam mit einem schnelleren Abklingen der lokalen Betäubung17,26. Durch eine Beschränkung des anästhetischen Effekts auf die Behandlungsdauer wird eine Beeinträchtigung der Patienten durch die sonst prolongierte Betäubung des Weichgewebes reduziert. So kann es insbesondere bei Kindern und beeinträchtigten Patienten zu Selbstverletzungen von Weichgewebe, beispielsweise durch Zungen-, Wangen- oder Lippenbeißen, mit teilweise schwerwiegenden Folgen kommen (Abb.  5). Adewumi et al. berechneten 14 Prozent posttherapeutische Weichgewebsschädigungen bei Kindern unter Verwendung von 4-prozentigem Articain mit einem Zusatz von Adrenalin von 1:200.0001. Im Gegensatz hierzu wurden bei 999 Kindern mit 1:400.000 Adrenalin derartige Schäden nur in 0,4 Prozent aller Fälle beobachtet16. Somit ist bei der Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior die Anwendung des adrenalinfreies Präparats zu empfehlen. 

Bei der intraligamentären Anästhesie (ILA), einer Methode zur primären gezielten Einzelzahnanästhesie, wurde bisher die Bedeutung des Adrenalinzusatzes zum Lokal­anästhetikums nur wenig beachtet, da zumeist nur ein geringes Volumen (0,2  ml pro Wurzel) verwendet wird. Allerdings erreicht das Lokalanästhetikum das periapikale Gewebe vor allem durch den Knochen und die Gabe ist somit mit einer intraossären Absorption vergleichbar. Die intraossäre Absorption gleicht nun wieder der intravasalen Applikation. Daher sind – insbesondere bei Gabe größerer Mengen, beispielsweise bei Nachinjektionen oder Zähnen mit mehreren Wurzeln – systemische Effekte nicht auszuschließen. Wir konnten im Rahmen einer laufenden prospektiv-randomisierten Studie bisher zeigen, dass auch unter Verwendung von stark adrenalinreduzierten oder sogar adrenalinfreien Lokalanästhetika (äquivalent: 2-prozentiges Mepivacain ohne Vasokonstriktor) eine suffiziente Einzelzahnanästhesie möglich ist. Daher empfehlen wir derzeit bei der intraligamentären Anästhesie ein Lokalanästhetikum mit einem Zusatz von ≤ 1:200.000 Adrenalin.

Sollten bei der Infiltations- und Leitungsanästhesie höhere Adrena­linkonzentrationen notwendig gewesen sein, kann im Sinne des Eigenschutzes des Patienten die Verwendung eines Antagonisten zum Adrenalin (Phentolaminmesilat; OraVerse) sinnvoll sein.

Ein Beitrag von PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Rostock

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Das Titelbild zeigt die exemplarische Ausbreitung des blau gefärbten Lokalanästhetikums im Tierpräparat nach Infiltrationsanästhesie.Bild: Kämmerer/Quintessenz Team Journal 7-8/17
Team Zahnmedizin

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