Nimmt man die Ergebnisse der vor einer Woche veröffentlichten Umfrage der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) zum Stimmungsbild der niedergelassenen Vertragszahnärzteschaft für bare Münze, dann steht das derzeitige ambulante Versorgungsmodell mit dem Rücken an der Wand.
Das war jetzt die freundliche Formulierung. Man könnte auch vom absehbaren Ende der flächendeckenden und wohnortnahen zahnmedizinischen Versorgung in der jetzigen Form sprechen. Starker Tobak? Mitnichten, denn wenn gut 12 Prozent aller Niedergelassenen an der Befragung teilnehmen, spricht das nicht nur für die Validität der Zahlen, sondern auch für den (zu) hohen negativen Druck an der zahnärztlichen Versorgungsbasis. Traurig, aber wahr: Obwohl fast 100 Prozent ihre Arbeit als nützlich und sinnvoll betrachten, überlegen fast 72 Prozent „aufgrund der Rahmenbedingungen vorzeitig aus der Patientenversorgung auszuscheiden“. In Worten: zweiundsiebzig Prozent!
Das Ausmaß des Frusts überrascht
Die Ursachen sind keine Unbekannten. Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden diese breit diskutiert und wird darüber berichtet, und das beileibe nicht nur in der Fachöffentlichkeit. Insoweit können die Ergebnisse der KZBV-Zufriedenheitsumfrage 2024 „eigentlich“ nicht verwundern. 96,5 Prozent der antwortenden Kollegen und Kolleginnen nannten die Überlastung durch administrative und bürokratische Aufgaben, 80,5 Prozent die aufgezwungenen Digitalisierungsmaßnahmen, 91,6 Prozent eine nicht angemessene Honorierung im Bema und 97,4 Prozent die fehlende politische Wertschätzung. Alles nichts Neues, aber das Ausmaß derer, die es satthaben, überrascht dann doch.
Fachkräftemangel und Ausbildung
Und dann ist da noch der Mangel an Praxispersonal, den 95 Prozent aller Antwortenden beklagen. Dieser ist allerdings hinsichtlich seiner Ursachen vielschichtig. Sicher: Die Ausbildungszahlen sind den Daten des Statistischen Jahrbuchs 22/23 der Bundeszahnärztekammer zufolge mit jährlich rund 31.000 in Ausbildung befindlichen Menschen bei 12.000 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen weitestgehend stabil. Die „drop-out rate“, also die Zahl der vorzeitigen Vertragsauflösungen, mit 37,8 Prozent leider auch. Von den verbleibenden Auszubildenden überstanden lediglich 83,4 Prozent die Prüfungen.
Politische Entscheidungen zeigen Wirkung
Also noch mehr ausbilden? Angesichts ihres langjährigen „Wirkens“ (im wahrsten Sinne des Wortes) hat auch die Gesundheitspolitik ihren Teil zum schwierigen Image, den Verdienstmöglichkeiten und der sozialen Wertschätzung der zahnärztlichen Versorgung beigetragen. Hier sorgen der eiskalte politische Gegenwind und das unsägliche Verhalten der Politik (an dieser Stelle sei nur an den Umgang mit der Zahnmedizin und die Einstufung „nicht systemrelevant“ zu Beginn der Coronakrise erinnert) nach wie vor und entgegen aller lobenden Worte eben nicht für eine Aufwertung des Berufs der ZFA, sondern für das Gegenteil.
Themen sind jetzt wirkmächtig geworden
Die Zufriedenheitsumfrage der KZBV macht auch deutlich, wie wirkmächtig die seit Jahren vor sich hin schwärenden Themen geworden sind. Deshalb darf die Zahl von knapp 72 Prozent der Niedergelassenen, die angesichts der Rahmenbedingungen überlegen, vorzeitig aus der Patientenversorgung auszuscheiden, nicht nur zu denken geben, sondern müsste Anlass zum sofortigen Handeln sein. Allzumal knapp 75 Prozent der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen auch angeben, sich durch ihre Arbeit ausgebrannt zu fühlen.
58 Prozent würden sich nicht erneut niederlassen
Da nimmt es dann auch nicht mehr Wunder, wenn auf die Frage „Wenn ich heute noch einmal die Wahl hätte, würde ich mich wieder niederlassen“ nur 42 Prozent der niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte zustimmen. Eine Quote, die in einer aktuellen Umfrage unter Haus- und Fachärzten, die in einer Einzelpraxis niedergelassenen sind, ähnlich ausfällt. Headline des Artikels: „Nur jeder dritte Einzelpraxis-Arzt rät Nachwuchs auch zu diesem Weg“.
Lieber angestellt als selbstständig?
Angesichts der extrem hohen Quote negativer Einschätzungen und Antworten sei jedoch an die Antwort auf die erste Frage „Meine Arbeit ist nützlich und sinnvoll“ erinnert: Fast 99 Prozent der Befragten stimmten zu! Angesichts dieser überwältigenden Bejahung des ausgeübten Berufes darf man davon ausgehen, dass viele der Antwortenden sich trotz aller Negativität der „Zufriedenheitszahlen“ vorstellen (können), als angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte – und damit weitestgehend befreit von Bürokratie, nervenden und teuren Digitalisierungsaufwänden und mangelnder politischer Wertschätzung – weiter arbeiten zu wollen.
Zangenangriff auf das etablierte Versorgungsmodell der Zahnmedizin
Doch das sind „good news“ und „bad news“ zugleich. Denn im Feuer steht hier das etablierte Versorgungsmodell in der Zahnmedizin: der Zahnarzt als Unternehmer und hier insbesondere der sogenannte zahnärztliche Goldstandard, die Einzelpraxis. Es ist quasi ein Zangenangriff: Wie die Zahlen zur Zufriedenheit aufzeigen, stellen auf der einen Seite die seit langem Niedergelassenen aufgrund der herrschenden Bedingungen die unternehmerische Tätigkeit zunehmend in Frage. Auf der anderen Seite erhöhen diese im Markt wabernden negativen Einschätzungen die Schwierigkeiten, zahnärztlichen Nachwuchs von der Sinnhaftigkeit einer Niederlassung zu überzeugen. Die Folgen liegen auf der Hand: zunehmende Unterversorgung und Unwucht in der flächendeckenden wohnortnahen zahnärztlichen Versorgung.
Eindrucksvolle Zahlen für schlechte Stimmung
In einer Welt voller negativer Nachrichten haben wir nun auch in der Zahnmedizin „eindrucksvolle“ Zahlen, die die schlechte Stimmung unter den Niedergelassenen als Folge der Politik der vergangenen zwei Jahrzehnte belegen. Die Frage sei erlaubt, was die KZBV mit einer Umfrage erreichen will, die so wirkt, als ob sie lediglich die zahnärztliche Vox populi in Fragen gekleidet und so das gewünschte Ergebnis angesichts des bekannten Frusts selbst erzeugt hat.
KZBV erhöht eigenen Handlungsdruck
Dass diese Ergebnisse Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht zum Überdenken seiner Strategie zum Umbau des Gesundheitswesens in ein staatlich gelenktes Gesundheitssystem veranlassen werden, kann man als sicher voraussetzen. Dies gilt allerdings nicht für die KZBV! Denn für diese hat sich der Handlungsdruck mit Blick auf die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags nochmals erhöht. Ganz abgesehen von der immer drängenderen Frage, wie es ab 2025 hinsichtlich der Entwicklung der Vergütung für die Vertragszahnärzteschaft aussehen wird.
Erhebliches GKV-Defizit im ersten Quartal 2024
Einen Ausblick auf das, was kommen wird, zeigt die Entwicklung der GKV-Kassenfinanzen. Bereits im ersten Quartal 2024 steht ein Defizit von 775 Millionen zu Buche. Und darin sind bis auf die Kinderärzte weder die gesetzlich vorgesehene Entbudgetierung der Hausärzte noch die Kosten für die Krankenhaus- und Notfallreform enthalten. Nach dem jetzigen Gesetzesfahrplan würden diese Mehrkosten erst ab dem Jahr 2025 anfallen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Politik dann eher an den Fristen schrauben wird, denn ihre Zusagen einzuhalten.
Versprochene Einsparungen erst in den Folgejahren
Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es bereits im Jahr 2024 ein Milliardendefizit der GKV geben wird. Da man dem Wahlvolk kurz vor eine Bundestagswahl die dann zwingend steigenden Zusatzbeiträge voraussichtlich nicht zweimal zumuten will, wird dann auch dem letzten Parlamentarier auffallen, dass die von Lauterbach versprochenen Einsparungen durch seine revolutionären Reformen erst in den Folgejahren kommen werden. Man darf sich also auf weitere Einsparungen zu Lasten der Leistungserbringer gefasst machen.
Gesetzesvorschläge wie am Fließband
Insoweit sieht es finanziell für die GKV bereits jetzt alles andere als gut aus. Doch das ficht „Propeller-Karl“ – Spitzname Karl Lauterbachs aus seiner Zeit als Fliege tragender Experte und Parlamentarier – nicht an. Er macht mit seinen kostensteigernden Gesetzesvorschlägen munter weiter, als gäbe es kein Morgen: Die Gesundheitskioske sollen über das Parlament wieder ins Gesetz, für patentgeschützte Arzneimittel soll es „geheime“ Erstattungspreise geben und mit seiner neuesten Idee für ein „Gesundes-Herz-Gesetz“ dürften vor allem die Arzneimittelausgaben weiter befeuert werden. Es ist wirklich absurd: Hier positioniert sich der Minister als Freund der Prävention, aber den Zahnärzten streicht man die zugesagten Zusatzmittel für die neue PAR-Strecke, deren Behandlung die Kosten für viele chronische Erkrankungen nachweislich senken würde. Der BKK-Dachverband bezeichnet den bereits vorliegenden Referentenentwurf für das Gesetz (erstaunlich, wie schnell dieser nach Ankündigung durch den Minister auf dem Tisch lag) in seiner Stellungnahme als Pharma-Arzt-Apotheken-Alimentationsprogramm. Die Betonung auf Pharma, denn diese Sparte liegt dem Kanzler nach eigenem Bekunden ja besonders am Herzen.
Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“
Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.
Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.
Frontalangriff auf die Apotheken
Apropos Apotheken. Der Umgang Karl Lauterbachs mit dieser Heilberufsgruppe lässt angesichts des Frontalangriffs auf das bundesdeutsche Apothekensystem durch die Relativierung der approbierten Apotheker Schlimmes befürchten. Setzt sich der Gesundheitsminister mit seinen Vorstellungen durch, wird es für ausgebildete Apotheker im Angestelltenverhältnis immer schwieriger werden, schwebt ihm doch vor, dass in den sogenannten Zweigapotheken in Zukunft Pharmazeutisch-technische Assistenten/Assistentinnen „eigenverantwortlich“ im Sinne von „alleine“ tätig sein können. Die Folgen für die angestellten Apotheker kann sich jeder angesichts der Entlohnungsdifferenz von Apothekern zu PTAs selbst ausmalen.
Demontage etablierter freier Berufe
Der Hinweis auf die Apothekerschaft soll an dieser Stelle nur eines verdeutlichen: Lauterbach schreckt auch vor der Demontage etablierter freier Berufe und mit einem hohen Sicherheitsstandard ausgestatteter Versorgungsmodelle nicht zurück. Genauso verfährt er auch mit den gesetzlichen Krankenkassen. Es muss einem zu denken geben, dass Lauterbach gegen den massiven Widerstand der Kassen ausgabensteigernde Entbudgetierungen für die Hausärzte in das GVSG schreibt, ohne die dafür anfallenden Summen konkret beziffern zu können und ohne entsprechende Einsparungen im System realisiert zu haben. Gleichzeitig schwadroniert der Minister über weitere Entbudgetierungen bei den Fachärzten – die er nach eigenen Aussagen im ambulanten System für überflüssig hält, Stichwort zweite Facharztschiene.
Letztlich verschärfen Entbudgetierungen angesichts des nach wie vor unlimitierten Leistungsversprechens das Finanzproblem im Gesundheitssystem: Dafür reicht das Geld nicht. Hier setzt der Gesundheitsminister in Tateinheit mit dem Finanzminister und Arbeitsminister die Rahmenbedingungen. Und die werden an dem Prinzip der Bezahlung mit befreiender Wirkung zu Lasten der Leistungserbringer nichts ändern.
Hat die KZBV im politischen System wirklich Macht?
Was kann eine gesetzlich eingehegte Selbstverwaltung substanziell daran ändern? Als Teil der Staatsgewalt bleibt außer appellieren, bitten und mit Vorschlägen überzeugen … weni (Klageweg) bis nichts! Macht hätten nur die Versorger, die echten! Denn diese braucht die Politik wirklich. Angesichts der „glorreichen“ Vergangenheit mit Korbmodellen etc. scheint es wenig sinnvoll, einen Weg à la „Wir zeigen der Politik mal, wo der Hammer hängt“ noch einmal gehen zu wollen.
Der Dollpunkt des jetzigen Systems sind die zahnärztlichen Medizinschen Versorgungszentren und Poliklinik-ähnlichen Strukturen – egal in welcher Hand – samt der zunehmenden Zahl angestellt tätiger Zahnärztinnen und Zahnärzte. Für die KZBV sind die knapp 72 Prozent daher ein Fanal, die Versorgungsstrukturen neu zu denken. Denn was passiert (auch mit den Strukturen der KZBV), wenn die Angestellten die 50-Prozent-Marke in der ambulanten Versorgung erreichen?
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.