Wie geht es mit der „Warnemünder Erklärung“, der Idee des „Hauszahnarztes/Hauszahnärztin“ weiter? Wie könnte die Auswahl der Zahnmedizinstudierenden verbessert werden? Was bedeutet das Amalgamverbot und gibt es mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach überhaupt eine gemeinsame Gesprächsebene? Diese und mehr Fragen beantwortete Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer, im Interview mit Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin „Quintessence News“. Benz: „Ich möchte, dass die jungen Menschen, die heute Zahnmedizin studieren, ein qualitativ gutes Studium absolvieren können und ihren Beruf später möglichst frei und mit Freude ausüben dürfen.“
Sie haben auf dem Neujahrsempfang weitere Informationen/Konkretisierungen zur „Warnemünder Erklärung“ angekündigt. Wann kommt da was und mit welchen der Themen wollen Sie starten?
Prof. Dr. Christoph Benz: Die „Warnemünder Erklärung“ setzt ein ganz neues Signal. Wir haben seit Jahrzehnten keine Werbung mehr für die Niederlassung gemacht, eher das Gegenteil. Die Hochschule betonte gerne die zunehmende Größe des Fachs, eine „Wissensexplosion“, wie es im Weißbuch hieß. Jüngere Kolleginnen und Kollegen schlossen daraus, dass die Einzelpraxis „old school“ sei. Die Standespolitik hat gerne geklagt. In der jungen Sicht blieb hängen: „Alles schwierig, es wird nur schlimmer, lieber erstmal abwarten.“ Und auch die älteren Kolleginnen und Kollegen sind nicht immer gute Ratgeber. Wir – und ich gehöre auch dazu – sind Kinder der Karieszahnmedizin. Da fühlt man sich nicht nur wohl in einer Präventions-Paro-Pflegezahnmedizin. Und so kommt es dazu, dass eine junge Uniprofessorin den Satz sagt „Schickt uns nicht mehr die alten Männer für die Berufskunde, die von der Niederlassung abraten.“ Aber Zahnmedizin funktioniert nur in der Niederlassung, davon bin ich überzeugt.
Dafür haben wir jetzt mit der Warnemünder Erklärung zum ersten Mal ein Ausrufezeichen gesetzt. Der Kernsatz heißt: Die Hauszahnärztin und der Hauszahnarzt sind der Nukleus der modernen Zahnmedizin und eine kleine Praxis ist das Gegenteil von ‚old school‘. Das sagen wir inzwischen gemeinsam mit der Hochschule.
Die Maßnahmen, die daraus resultieren, sind natürlich ein weiter Kanon. Wir müssen Anreize setzen, und das ist regional sehr verschieden. Sachsen-Anhalt hat jetzt ein „Gesundheitskabinett“ begründet: Politik und Standesvertreter an einem Tisch! So funktioniert das, weil man in den Regionen viel lösungsorientierter denkt. Darauf setzen wir jetzt!
Die Einzelpraxis ist und bleibt die häufigste Praxisform – was aber nicht heißt, dass nur eine Zahnärztin/ein Zahnarzt dort tätig ist, denn in immer mehr Einzelpraxen arbeiten heute angestellte Kolleginnen und Kollegen. Sie sehen in der kleinen Praxis ein vorteilhaftes Modell der Berufsausübung, weil überschaubarer etc. Zugleich beklagen Sie den ausufernden Kontroll- und Bürokratiewahn, der über die Praxen hereinbricht. Wie soll eine Einzelpraxis das noch stemmen? Welche Hilfen kann man den Praxen hier vonseiten der Kammern anbieten?
Benz: Wir haben leider immer wieder feststellen müssen, dass uns die Politik hier nicht verstehen will. Die einen empfehlen Investoren, die anderen kommunale Zentren, nichts davon wird funktionieren. Ich habe Bundesgesundheitsminister Lauterbach vorgeschlagen, eine Initiative für die Niederlassung zu unterstützen. Das würde ihn nichts kosten, aber wir kommen ins Gespräch über die Themen, die die Niederlassung verhindern.
Da geht es zum Beispiel um den Kontrollwahn des Staates. Wir haben den HIV- und den Corona-Stresstest mit Bravour bestanden und trotzdem erfinden regionale Hygiene-Behörden ständig neue Aufgaben für uns. Meine Lösung: Eine bundesweite Struktur, die so wie das IQWiG bei vorgeschlagenen BEMA-Leistungen völlig nüchtern und rein evidenzbasiert analysiert: Gibt es ein Hygiene-Problem, wer ist zu Schaden gekommen, welche Maßnahmen sind erprobt?
Digitalisierung ist ein anderes Thema. Deutschland hat leider immer die Tendenz aufzusatteln, bis das Pferd zusammenbricht. Die kleine Struktur „Praxis“ besitzt schlicht nicht die Ressourcen für „Nice to have“-Kram. Das von den KZVen entwickelte EBZ-Tool zeigt, wo die digitale Reise hingehen muss: Funktion und Nutzen.
Aber bloß zu klagen hilft nicht und verschreckt unseren Nachwuchs. Wir müssen Probleme aufzeigen und Lösungen vorschlagen, dann haben wir auch das Ohr der Politik.
Ein Thema ist ja seit Jahren die Zulassung zum Zahnmedizinstudium. Sie haben wiederholt beklagt, dass das jetzige Auswahlverfahren nicht unbedingt die jungen Menschen ins Studium bringt, die am Ende gute Zahnärztinnen und Zahnärzte werden. Der Numerus Clausus ist für die Universitäten sicher, weil ausgeklagt, und nur noch wenige Unis machen sich die Mühe und nutzen die Möglichkeit, einen Teil der Studierenden persönlich auszuwählen. Wo sehen Sie hier Ansatzpunkte?
Benz: Zahnmedizin ist kein „Job“, den ich heute hier, morgen da und übermorgen ganz anders mache. Zu unserer DNA gehört das lebenslange Engagement für meine Patientinnen und Patienten in meiner Region. Nur so sind wir zum Mundgesundheits-Weltmeister geworden. Unsere Studentinnen und Studenten müssen wir zielgerichteter nach dieser DNA aussuchen. In Bayern hat das mal über mehrere Semester sehr erfolgreich funktioniert, ist dann aber wieder eingeschlafen.
Mittlerweile gibt es neue Anläufe. Hamburg hat den Modellstudiengang, die neue Uni „Theodor Fontane“ sucht so erfolgreich aus, wie das Witten-Herdecke schon lange macht, und östliche Bundesländer (Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt) wollen ihren Landeskindern größere Chancen einräumen. Auch in Hessen gibt es für Kammerpräsidentin Doris Seiz aus den Hochschulen Unterstützung für eine gezieltere Auswahl. Gerade die Hochschulen gewinnen, wenn die Studentinnen und Studenten so für die Zahnmedizin brennen, wie das früher war. Wichtig sind uns Konzepte, die den Hochschulen nicht noch mehr Arbeit aufbürden.
Noch ein Punkt zu der Frage, ob wir mehr ausbilden sollten. Das wäre tatsächlich keine Lösung für uns. Wir brauchen nicht mehr Kolleginnen und Kollegen, wir müssen viel mehr dafür werben, dass sie sich besser im Land verteilen.
Es scheint so, als ob das Amalgamverbot ab Januar 2025 auf europäischer Ebene steht. Es wird eine Übergangsfrist bis 30. Juni 2026 geben. Sie haben sich mit der KZBV und der Wissenschaft immer für den Erhalt von Amalgam als Füllungswerkstoff stark gemacht – gibt es für Deutschland hier noch den Spielraum bis Juni 2026? Und wie sehen Sie als Wissenschaftler, der auch im Bereich Füllungswerkstoffe geforscht hat, die Situation bei möglichen Alternativen?
Benz: Ja, das Amalgamverbot kommt jetzt doch schneller, als wir das aus unseren Gesprächen erwartet hätten. Vielleicht liegt es daran, dass die treibenden Kräfte in Kommission und Parlament befürchtet haben, es könnte mit dem weiteren Ausstieg aus dem Einsatz von Quecksilber mit anderen Mehrheitsverhältnissen nach der Europawahl im Juni dieses Jahres schwieriger werden. Da ist plötzlich wirklich viel Druck hinter die Sache gekommen, aus meiner Sicht völlig unnötig.
Für die Zahnmedizin ist das komplette Verbot von Amalgam ein Problem. Ich werde nicht müde, das zu wiederholen, und das ist von Wissenschaftlern nicht nur aus Deutschland immer wieder vorgetragen worden. Für bestimmte Patientengruppen ist Amalgam aus vielen Gründen nach wie vor das beste Material. Mit allen heute verfügbaren und bewährten Alternativen können Behandlungen nur mit Abstrichen bei Langlebigkeit und Handling oder auch gar nicht durchgeführt werden.
Die in der EU-Regelung vorgesehenen Ausnahmen, die in der Entscheidung des Zahnarztes liegen, werden über eine längere Frist wohl nicht funktionieren, wenn Amalgam nicht mehr hergestellt oder gehandelt werden kann. Ob Deutschland die mögliche Verlängerung beantragen wird oder nicht – wir werden sehen.
Aber wir haben uns vorbereitet, die Wissenschaft hat uns möglichen Alternativen dargestellt. Jetzt muss das von den Partnern verhandelt werden.
Die Ernennung von Prof. Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister hat sich auch für die Zahnärzteschaft als problematisch herausgestellt – die ambulante Versorgung und die Zahnmedizin scheinen ganz offensichtlich nicht seine bevorzugten Themen zu sein. Wie ist der Kontakt zum Minister und ins Ministerium? Probleme gibt es ja mehr als genug – von nach wie vor unregulierten iMVZ über Bürokratie und Digitalisierung bis zum gemeinsamen Kampf mit der KZBV gegen Budgetierung.
Benz: Ja, es gibt einen ganzen Strauß von Themen, bei denen wir Kontakt zum Bundesgesundheitsministerium haben oder mit dem Ministerium sehr gut zusammenarbeiten. Wir haben auf der Sacharbeitsebene einen sehr guten, oft vertrauensvollen und lösungsorientierten Kontakt. Man hört uns ebenso wie die KZBV, sieht unsere Themen und Punkte. Nur kann – und wird – ohne den Minister nichts final entschieden werden.
Und wir haben auch mit Professor Lauterbach freundlichen Kontakt, nur leider nicht zu den Themen, die uns auf den Nägeln brennen und über die wir reden wollen. Da geht es dann mehr um Nachhaltigkeit oder den Klimapakt für das Gesundheitswesen. Immerhin konnte ich mit ihm über Behandlungen in Narkosen sprechen können, ohne die das AuB-Konzept nicht funktioniert. Und auch mit seinem engsten Berater stehen wir im Austausch.
Aber lieber wäre es uns natürlich, er würde sich in den aktuellen Fragen wie der GOZ, der Digitalisierung, der Budgetierung und der Zukunft der Parodontitistherapie, Amalgam oder investorengeführten MVZ etc. mit uns direkt auseinandersetzen.
Lauterbach hat einen riesigen Berg von Problemen vor sich, vor allem die Situation der Krankenhäuser ist bedrückend. Da sind wir Zahnärzte dann leider oft eine Quantité négligeable.
Sie sind bei Ihrer Wahl im Juni 2021 und mit ihrem Team angetreten mit dem Versprechen, hinter alle Prozesse und Aktivitäten der BZÄK zu schauen und die Schlagkraft der Kammern und der Bundeszahnärztekammer auch durch mehr Kooperationen der Kammern und mehr Koordination der Aktivitäten zu erhöhen. Das Überprüfen der Prozesse hatten Sie 2022 für abgeschlossen erklärt. Wie steht es heute mit der Zusammenarbeit der Kammern?
Benz: Zu Beginn unserer Legislatur haben wir die Kammer-Prozesse durchleuchtet, hinterfragt und schlagkräftiger gemacht. Die Bundeszahnärztekammer hat zwar nur ein kleines, dafür aber sehr engagiertes und schlagkräftiges Team . Damit bearbeiten wir eine immer breiter werdende Palette von Themen und Aufgaben, die am Ende für die tägliche Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in den Praxen, aber auch in den Kliniken oder anderen Einrichtungen wichtig sind. Zunehmend mehr jüngere Standespolitikerinnen und Standespolitiker – darunter inzwischen 4 Landespräsidentinnen und Romy Ermler als Bundes-Vizepräsidentin – bereichern unsere Arbeit. Erfreulicherweise sind viele davon Absolventen und Absolventinnen der AS-Akademie.
Die Idee, dass einzelne Kammern Themen bearbeiten und Lösungen vorstellen, die dann von anderen Kammern übernommen und adaptiert werden können, setzen wir immer öfter um. Alle Kammern unterstützen sich gerade bei den GOZ-Schulungen, wir rollen jetzt die Werbekampagne für den Beruf der Zahnmedizinischen Fachangestellten und das Fachpersonal aus der Kammer Nordrhein bundesweit aus, auch im Bereich Qualitätsmanagement gibt es schon länger Kooperationen von Kammern. Wir tauschen uns da wirklich sehr gut aus und haben uns digital vernetzt.
Das ist und bleibt aus meiner Sicht das Zukunftsmodell: Wir müssen uns besser vernetzen austauschen und unsere Kräfte bündeln – nur so kann es uns auch gelingen, für die Zahnärzteschaft problematische Entwicklungen, zum Beispiel im Bereich Hygiene, Bürokratie oder EU, früh zu erkennen und gemeinsam dagegen vorzugehen. Auch die Unterstützung der Kammern bei den Gesundheitsministerien auf Landesebene hilft sehr, weil sie die bundespolitischen Aktivitäten verstärkt.
Die tägliche Arbeit der BZÄK wird vielfach von dem bestimmt, was aus Ministerien und Politik in Deutschland und auf europäischer Ebene an „Ideen“ auf die Zahnärzteschaft einprasselt. Wie man darauf, auch als Vorstand und als Präsident der Bundeszahnärztekammer, darauf reagiert, hängt ja auch von dem Leitbild, von den eigenen Werten und von der Idee ab, die man von der Berufsausübung einer Zahnärztin, eines Zahnarztes auch in der Zukunft hat. Wie sehen Sie diese Zukunft, welche Ideen und Werte treiben Sie an?
Benz: Ich bin kein „Wolkenschieber“, ich will konkrete Lösungen für das hier und jetzt unserer Praxen. Ich möchte, dass die jungen Menschen, die heute Zahnmedizin studieren, ein qualitativ gutes Studium absolvieren können und ihren Beruf später möglichst frei und mit Freude ausüben dürfen. Wir alle sollen gut und erfolgreich arbeiten können, ohne mit weiterer Bürokratie drangsaliert oder durch Budgets eingeschnürt zu werden. Mein Modell ist und bleibt dabei die Niederlassung in einer eigenen Praxis, allein oder mit Kolleginnen und Kollegen. Und es muss endlich aufhören, dass immer nur über unseren Verdienst gesprochen wird. Eine Praxis zu führen ist der „Skin in the game“-Faktor, der sich lohnen muss. Punkt!
Zahnmedizin ist so ein tolles Fach, gerade in diesen Zeiten, wo sich fachlich so viel bewegt, der Weg hin zur oralen Medizin ist ja schon vorgezeichnet. Wir können für die Menschen – vom Baby bis zum hochbetagten Senior – so viel mehr Gesundheit erreichen. Mit Prävention statt Reparieren. Das schafft die Schwarmintelligenz der vielen kleinen Praxen und hängt damit auch die allgemeine Medizin ab.
Zusammengefasst: „Niederlassung lohnt sich!“ Das ist die Gewinner-Kampagne für alle: Patienten, Zahnärzte und Gesellschaft.