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Heilberufe müssen mehr echte Alternativen aufzeigen als nur das Halten des Status quo – die Analyse von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Viktollio/Shutterstock.com

„Ich wünsche allen Bürgerinnen und Bürgern ein frohes neues Jahr 2024! Am Horizont ist noch Licht, möge das Jahr uns allen mehr Licht bringen. Ich wünsche Ihnen besonders Gesundheit und uns allen Frieden. Für Ihre Gesundheit und den Frieden für alle werde ich mich weiter einsetzen.“ So die Neujahrswünsche von Karl Lauterbach, die er auf seinem favorisierten Verkündigungsmedium „X“ (früher Twitter) postete.

Immerhin, unser Gesundheitsminister sieht für das Jahr 2024 noch etwas Licht am Horizont flackern. Wohlgemerkt am Horizont, nicht etwa am Ende des Tunnels.

Sonnenaufgang oder Untergang?

Und mit dem Gedanken an des Gesundheitsministers Licht, welches er in der Ferne ausgemacht haben will, möchte auch ich Ihnen zum Start in das neue Jahr alles Gute und in jedweder Beziehung Tatkraft wünschen. Ob Lauterbachs Lichtlein den Sonnenaufgang oder doch deren Untergang beschrieb, lassen wir an dieser Stelle erstmal offen. (Oder seinen? Laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend sind nur noch 27 Prozent mit seiner Arbeit sehr zufrieden oder zufrieden, ein Minus von 11 Prozentpunkten gegenüber Januar 2023.)

Hoffen auf Lauterbachs „Termintreue“

Apropos Lauterbachs Ausblicke für das neue Jahr – am Mittag des 2. Januar veröffentlichte er folgenden Ausblick auf das neue Jahr: „Zahlreiche Verbesserungen in Gesundheit und Pflege werden in 2024 jetzt wirksam. Hier ein Überblick [Verweis auf tagesschau.de]. Insbesondere für Pflegebedürftige, Eltern und für Kinder gibt es Verbesserungen. Im nächsten Jahr reformieren wir Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken.“

Im nächsten Jahr? Puh, Glück gehabt, denn wenn Karl Lauterbach sich bei „seinen“ Terminen treu bleibt, besteht noch Hoffnung. Im Jahr 2025 sind Neuwahlen. Spätestens.

Regulierung – Der Supertreibstoff für Politiker

In den frühen Abendstunden des ersten Arbeitstages des neuen Jahres mühte sich Lauterbach auf „X“ weiter an seinem Image als „Wissenschaftler“ auf dem Ministersessel. Den zweiten und letzten Post des ersten Arbeitstags des neuen Jahres zierte der Bundesminister himself mit einem Foto von sich, welches ihn lesend in einem Sessel zeigte: „Meine Leseempfehlung für alle, die im neuen Jahr sich mehr mit KI beschäftigen wollen: Max @tegmark „Life 3.0“; Sehr tiefgründige Betrachtung der Physik, Informatik und Metaphysik von KI. Optimistischer Grundton mit wichtigem Aufruf zu Regulierung.“

Die KI, die alle Probleme löst

Spätestens bei Lauterbachs typischer Attitüde „Aufruf zur Regulierung“ sollte man hellhörig werden. Aber immerhin beschäftigte sich der ministerielle Gesundheitsökonom mit seinem derzeitigen Lieblingsthema, der künstlichen Intelligenz – der, so seine x-fach geäußerte Hoffnung – ultimativen Problemlösung für die hiesigen insuffizienten Softwarelösungen im Gesundheitswesen. Ob ihm da das Buch „Life 3.0“ des gemäß der Beschreibung auf Wikipedia „schwedisch-US-amerikanischen Kosmologen und Wissenschaftsphilosophen Max Tegmark“ bei den ganz irdischen Defiziten der chaotischen politischen Digitalisierungsbemühungen im deutschen Gesundheitswesen wirklich eine Hilfe ist? Aber immerhin wirkt es nach außen so, als ob sich der Minister mit aktuellen Fragestellungen intensiv – er liest ein Buch! – beschäftigen würde. Nur nebenbei: Das Buch wurde 2017 veröffentlicht. Wie immer ist der Minister bei den wichtigen Themen ganz vorne dran.

Wer sich nicht in die Realität begibt, erleidet auch keinen Schock

Dem wirklichen Leben, der ambulanten Versorgung in der Zeit einer real existierenden Erkältungs- und Grippewelle hat sich Lauterbach wohlweislich zum Start eines der nach seinen Worten wichtigsten Digitalprojekte in dieser Legislatur nicht ausgesetzt. In einer Apotheke oder Arztpraxis war – wie zu hören ist – der Minister auch an diesem Tag nicht gesehen worden. Ist das nun schlau oder doch nur feige?

Aber vielleicht muss man sogar froh sein, dass dem Minister der Realitätsschock erspart blieb. Denn wer weiß, welche Sanktionsverschärfungen ihm dann noch eingefallen wären. Sie wissen schon, die „digitalen“ Probleme sitzen im deutschen Gesundheitswesen besonders in der ambulanten Versorgung immer vor dem Computer im Behandlungszimmer. Jedenfalls gemäß der ministeriellen Vorstellung (und ähnlicher Einschätzung der Kassen).

Blick auf einen Mitverursacher der Digitalisierungsmisere

Was dummerweise halt auch für die Gematik gilt. Und hier reden wir definitiv nicht mehr über die Anwender, sondern die Mitverursacher der Digitalisierungsmisere im Gesundheitswesen. Zugegeben: Es ist schwer, politische Visionen in Softwarelösungen umsetzen zu sollen, die in differierenden technischen und Anwendungskontexten funktionieren sollen. Was nach den gemachten Erfahrungen offensichtlich nur bedingt funktioniert. Auch wenn ich mich wiederhole und erneut Albert Einstein zitiere: Es ist eine Form von Wahnsinn, stetig dasselbe tun, aber andere Ergebnisse zu erwarten.

Wie Kleingärtner-Novizen in der Telematik

Aber fast zwanzig Jahre nach Gründung der Gematik und dem Aufgleisen der Telematik-Infrastruktur verhalten sich die verantwortlichen Minister und deren jeweilige Abteilungsleiter im BMG immer noch wie Kleingärtner-Novizen, die meinen, das Pfropfen zu beherrschen, nur weil sie eine Hecke unfallfrei schneiden können. Laut Wikipedia ist „das Pfropfen eine Art der Pflanzenveredelung, wobei ein Edelreis auf eine Unterlage gesteckt (gepfropft) wird“. Das ist eine Aufgabe mit mehr als drei Variablen: Der Unterlage, also der Pflanze, die veredelt werden soll, dem Edelreis, also einem abgeschnittenen einjährigen Trieb der wertvollen Sorte, und dem Habitat, da wo die Pflanze steht beziehungsweise stehen soll. Mikro- und Makroklima, Schädlinge etc. lassen wir einmal außen vor.

Ohne Nutzen keine Evolution

Was im übertragenen Sinn nichts anderes bedeutet, als das eine in der politischen Vorstellung „Veredelung“ (Verbesserung) der ambulanten Versorgung nur dann gelingt, wenn die Software-Pfropfung die Unterlage, also die Trägerpflanze veredelt und eben nicht schwächt. Dann geht sie nämlich ein. So simpel funktioniert Biologie. Oder anders gesagt: Ohne Nutzen keine Evolution. Das kapiert jeder, nur halt nicht Technokraten und Apparatschiks.

Eigenverantwortung ist für diese Politik „von gestern“

Und deshalb sollten die niedergelassenen Zahnärzte und Ärzte sowie die selbstständigen Apotheker im Jahr 2024 keinesfalls Lauterbachs Neujahrsbotschaft vergessen: „Im nächsten Jahr reformieren wir Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken.“ Dass ist das Gegenteil einer guten Botschaft, sondern die wiederholte Kampfansage an eine ambulante Versorgung, deren Basis die (eigen)verantwortlich agierenden Niedergelassenen und Apotheker sind. Eigenverantwortung – das Gruselwort eines jeden sozialistischen Politikers und der aktuellen Ausbaustufe unseres real existierenden Parteiensystems. Man schaue sich diesbezüglich nur einmal die kürzlich erfolgten „Flut“-Auftritte unserer politischen Regierungselite an. Kognitive Dissoziation at its best.

Die Politik zeigt, wohin sie will – die Heilberufler brauchen Plan A und Plan B

Es ist ja nicht so, dass die Botschaften der Ampelkoalition nicht decodierbar wären. Das gilt für alle Politikfelder und im Speziellen auch für die Gesundheitspolitik. Wir sind daher an dem Punkt, uns selbst zu fragen, wie wir das Gesundheitssystem insbesondere im Angesicht einer stagnierenden Wirtschaft, weiter steigender Bürokratielast, sinkender Produktivität, steigender Preisen, Arbeitskräftemangel, der zunehmenden Überalterung und der in den Ruhestand wechselnden Babyboomer weiterentwickeln wollen. Es braucht einen Plan A und Plan B der Zahnärzte-, Ärzte- und Apothekerschaft. Denn schon die simple Frage nach der Sicherstellung der mittelfristigen Versorgung (auf heutigem Versorgungsniveau) bedarf angesichts des nahenden Ausscheidens von rund einem Drittel der Niedergelassenen – egal ob Zahnärzte oder Ärzte – einer klaren Antwort.

Machen oder gemacht werden

Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht. Doch es ist – und hier passt dieses Wort endlich einmal – alternativlos. Vor allem für die Zahnärzteschaft, deren Berufsbild aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse – Stichwort orale Medizin – vor einem erheblichen und medizinisch hochspannenden Wandel im Sinne von Erweiterung steht.

Die erste Kolumne dieses Jahres endet, wie sie begann: mit einem Tweet von Karl Lauterbach, hier vom 7. Dezember 2021, dem Start der Ampelregierung. Sein Post, begleitet von einem Foto, auf dem er, Annalena Baerbock und Robert Habeck in die Handykamera grinsen, lautete: „Jetzt beginnt das eigentliche Projekt …“

Heilberufler müssen ernsthafte Perspektiven aufzeigen

Lauterbach, ein Schelm? Ganz im Gegenteil! Es fragt sich halt nur, welches und wessen Projekt er damit meinte. Mit dem Wissen um den Anteil des sogenannten Gesundheitsökonomen Lauterbach an dem bisherigen TI-/Digitalisierungsdesaster, um seine verabschiedeten und geplanten Gesetze und seiner klaren Präferenz für großindustrielle Lösungen muss man davon ausgehen, dass dieser sogenannte Gesundheitsminister – ein Gesundheitsminister ist jemand, der für die Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung zuständig ist – die ambulante Versorgung in ihrer jetzigen Form und Struktur terminieren wird. Wer das nicht will, muss sich mit Argumenten wehren, die nicht nur auf den Erhalt des Status quo ausgelegt sind, sondern die Perspektive für eine zukünftige Patientenversorgung und den eigenen Anteil daran aufzeigen. Lediglich in der argumentativen Kategorie „Entbudgetierung“ herumzuhüpfen – wie der Hausärzteverband –, ohne Blick auf die Gesamtsituation oder gar die „Kollegen“, springt deutlich zu kurz.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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