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Warum auch die neue Koalition bei der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen mogeln wird – die Analyse von Dr. Uwe Axel Richter

(c) mayam_studio/Shutterstock.com

In der Gesundheitspolitik geht es seit dem Amtsantritt der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken vor 71 Tagen ziemlich ruhig zu. Aus dem Bundesgesundheitsministerium dringt vergleichsweise wenig, auch die öffentlichen Auftritte der Ministerin sind recht sparsam und zudem wenig aufgeregt und aufregend. (Einzige Ausnahme: Das „interessante“ Agieren im Zusammenhang mit dem Bericht der Sonderbeauftragten Sudhof zur Beschaffung von Masken und Co. durch ihren Amtsvorgänger, Parteikollegen und aktuellen Unions-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn.)

Im krassen Gegensatz zu dieser Wahrnehmung steht der stetig wachsende Problemberg für ihr Haus: die finanzielle Situation der GKV- und Pflegekassen, die ausstehende Notfallreform, die Probleme bei der unvollständig gebliebenen Krankenhausreform, die Sicherstellung einer (bezahlbaren) Arzneimittelversorgung etc.

Der erste Gesetzesvorschlag hat nichts mit der GKV zu tun

Anfang Juli gab es jedoch ein „Lebenszeichen“, als der Gesetzesvorschlag zum sogenannten Lachgasverbot – noch unter der Ägide von Karl Lauterbach vorbereitet, aber an dem vorzeitigen Ende der Ampelkoalition gescheitert – vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Um Gesetzeskraft zu erlangen, soll der Gesetzentwurf zur Änderung des „Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes“ (NpSG) nach der parlamentarischen Sommerpause beschlossen werden. Ziel ist es, den Lachgas-Missbrauch vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern. 

Für Kinder und Jugendliche gilt dann ein Erwerbs- und Besitzverbot, der Verkauf an Kinder und Jugendliche und der Verkauf über Automaten und den Versandhandel wird verboten. Von den Verboten ausgenommen bleibt, so die Bekanntmachung aus dem Bundesgesundheitsministerium, die nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik anerkannte Verwendung von Lachgas (N2O) zu gewerblichen, industriellen oder wissenschaftlichen Zwecken sowie die Verwendung als Arzneimittel und Medizinprodukt. 

Nur noch Schlagsahne?

Zum Glück bedachte man im Ministerium, dass Kuchen ohne Sahne nur halb so gut schmeckt. Und deshalb bleibt die Verwendung von N2O in Metallpatronen zum Aufschäumen von Sahne bleibt weiterhin erlaubt. Dann darf man gespannt sein, wie sich nach der zu erwartenden Verabschiedung des Gesetzes im Frühherbst die Absätze der sogenannten Sahnespender im Vergleich zum Verkauf von Sahne entwickeln werden. (Ironie off.)

Rekorddefizite der GKV trotz Rekordbeiträgen

Apropos aufschäumen: Mit diesem Wort lässt sich auch treffend der Zustand der bei den Beitragszahlern erhobenen Zusatzbeiträge beschreiben. Und das Ende der Fahnenstange scheint bei weitem noch nicht erreicht. Denn obwohl die Krankenkassen mit den höchsten bis dato erhobenen Zusatzbeiträgen – die im übrigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen bezahlen – von durchschnittlich 2,93 Prozent in das Jahr 2025 gestartet sind, steht gemäß dem BKK-Dachverband bereits jetzt fest, dass sich das Rekorddefizit aus 2024 in Höhe von 6,5 Milliarden Euro nochmals deutlich erhöhen wird. 

Wenn die Ausgaben schneller steigen als die Einnahmen, muss man nicht besonders mathematisch bewandert sein um zu erkennen, dass das Ende der Fahnenstange in der Belastung der Beitragszahler noch nicht erreicht sein wird. Die Frage wird sein, welche zusätzliche Kostenbelastung für die Beitragszahlenden die Bundesregierung noch für möglich hält. Dass das ohne Auswirkungen auf das Konsumverhalten des Großteils der Bevölkerung und damit ohne Auswirkung auf eine eh schon durch Kosten und lahmendem Absatz gestresste Wirtschaft bleiben wird, mag glauben, wer will. 

„Haltet den Dieb“: Verursacher ist die Politik 

Im Vergleich zu ihren großspurigen Vorgängern hat die neue Bundesgesundheitsministerin das Problem wenigstens öffentlich benannt: Der Bundeszuschuss ist im Gegensatz zu den der Gesetzlichen Krankenversicherung politisch aufgebürdeten Kosten viel zu gering. Wie viel zu gering, sagte sie allerdings nicht. Konkret schlagen die politisch gewünschten und gesetzlich legitimierten sozialpolitischen Wohltaten bei den Krankenkassen mit rund 60 Milliarden Euro Kosten jährlich zu Buche. Auf der Einnahmenseite stehen aber lediglich 14,5 Milliarden Euro. Mithin deckt der Bundeszuschuss lediglich 25 Prozent der versicherungsfremden Leistungen ab.

Begriff „Zuschuss“ ist irreführend

Die Bezeichnung „Bundeszuschuss“ klingt wie eine Wohltat des Bundes. Gemäß einem anerkannten Wirtschaftslexikon versteht man unter dem Wort Zuschuss eine „Zulage", „Subvention", „Prämie" oder „Beihilfe". Oder laut Wikipedia: „Unter einem Zuschuss versteht man im Allgemeinen finanzielle Fördermittel, die einem Wirtschaftssubjekt als Finanzierungshilfe zur Verfügung gestellt werden“. Im Prinzip sind die der GKV aufgebürdeten versicherungsfremde Leistungen jedoch nichts anderes als eine gut versteckte Zusatzsteuer für soziale Wohltaten auf die Arbeitsleistung der Beitragszahlenden. Aufbringen müssen diesen Kosten alle GKV-Beitragszahlenden: Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Selbstständige. 

Eine pauschale Abgeltung für steigende Kosten

Das Bundesgesundheitsministerium ordnet unter dem Stichwort „Bundeszuschuss“ das Ganze so ein: ‚Der jährliche Bundeszuschuss wird aus Steuermitteln pauschal für sog. versicherungsfremde Leistungen (zum Beispiel beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehegatten oder Leistungen für Mutterschaft und Schwangerschaft) an die GKV gezahlt. Seit 2017 beträgt der Bundeszuschuss 14,5 Milliarden Euro. [...] Im Jahr 2023 beteiligte sich der Bund erneut mit 2 Milliarden Euro als ergänzenden Bundeszuschuss und 1 Milliarde Euro als zinsloses Darlehen, welches bis Ende 2026 zurückzuzahlen ist, an der Finanzierung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Bundeszuschuss für die Jahre ab 2024 wird wieder in der regulären Höhe von 14,5 Milliarden Euro geleistet‘. 

Was es mit dem Bürgergeld auf sich hat

Der Vollständigkeit halber sei daher erwähnt, dass einer der größten und sich dynamisch entwickelnden Kostenblöcke, das sogenannte Bürgergeld, zum 1. Januar 2023 gesetzlich als Nachfolge der Hartz-4-Regelung eingeführt wurde. Die Anpassung des Bundeszuschusses für die kostenlose Krankenversicherung der Bezieher hat man trotz eines damit größeren Kreises von Anspruchsberechtigten natürlich „übersehen“. Das man der GKV zur Teildeckung der von der Politik zusätzlich veranlassten Kosten einen zinsfreien Kredit von einer Milliarde aufbürdet, passt da ins Bild. 

Feuer löschen mit Benzin 

Fragt sich nur, wie die Kassen die Rückzahlung dieses (auch von Warken kritisierten) Darlehens angesichts des steigenden Defizits schultern wollen. Mit erneut steigenden Zusatzbeiträgen könnte es schwierig werden, wenn die kreative Haushaltsführung der Bundesregierung zulasten der beitragszahlenden Bevölkerung breit bekannt und verstanden werden sollte. Die derzeitige Attitüde der Bundesregierung, der GKV bei Finanzengpässen mittels Krediten unter die Arme greifen zu wollen, ist wie Feuer löschen mit Benzin.

Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik – aber wie?

Dass die Kassen angesichts der Probleme auf der Einnahmeseite bei den Kosten eine Vollbremsung hinlegen wollen, ist aus deren Sicht nachvollziehbar. Die Frage ist allerdings, wie bei einer an den Einnahmen orientierten Ausgabenpolitik gespart werden soll, wenn die entscheidenden Stellschrauben gesetzlich fixiert sind. Wo soll bei einem unlimitierten und durch Gesetzgeber wie Rechtsprechung höchst ausdifferenziertem Leistungsversprechen denn der Rotstift im Leistungsbereich wirksam angesetzt werden?

Zahnmedizin als Beispiel sinnhafter und erfolgreicher Kostenbegrenzung

Wenn die Kassen die massive Ausgabendynamik stoppen wollen, wäre doch der erste Schritt zu schauen, wo im System erfolgreich und sinnhaft Kostenbegrenzungen gelungen sind, ohne dass es zu einer Verschlechterung des Versorgungsgrads oder der Gesundheit gekommen ist. In der Zahnmedizin hat man in den vergangenen zwei Jahrzehnten genau dies zeigen können: Festzuschuss, Mehrkostenvereinbarung, und konsequente Ausrichtung auf Prävention und Eigenverantwortung: PZR und Bonusheft. Der Mundgesundheit hat es nicht geschadet. Im Gegenteil, denn nachgewiesenermaßen verbesserte sich die Mundgesundheit in Deutschland und hat mittlerweile weltweit das Spitzenniveau erreicht.

Ohne Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen bringt Sparen nicht viel

Doch diese Erfolge fallen nicht von Himmel, sondern brauchen Zeit und konsequentes Arbeiten. Und die Ehrlichkeit, dass 45 Milliarden Euro, die der Staat der GKV vorenthält, nicht einfach so eingespart werden können. Für eine Konsolidierung der Kassenfinanzen ist daher eine konsequente Steuerfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen unabdingbar.

Dass parallel dazu Kosteneinsparungspotentiale identifiziert und umgesetzt werden müssen, versteht sich von selbst. Die Forderungen der Kassen nach mehr Prävention, mehr Digitalisierung und mehr sektorenübergreifende Versorgung sind wohlfeil, aber werden die vom Staat den Betragszahlern aufoktroyierten Kosten nicht einsparen können.

Hoffen auf vollständige Steuerfinanzierung ist unrealistisch

Um ein Gefühl für die Dimension der Umverteilung zu Lasten der Beitrag zahlenden zu bekommen, multipliziere man nur die nicht vom Bund getragenen Kosten der versicherungsfremden Leistungen von 45 Milliarden Euro mit zehn Jahren. Und jetzt vergleiche man diese Zahl mit der Höhe des Bundeshaushaltes oder des sogenannten Sondervermögens Infrastruktur. Oder man stelle sich die Frage, welche Steuersenkung jemals das Potenzial von einem „Jahresbeitrag“ versicherungsfremder Leistungen hatte.

Wie wahrscheinlich ist also die Umsetzung einer Steuerfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen durch eine seit Jahrzehnten auf maskierte Umverteilung setzenden Politik, die parteienübergreifend ursächlich für die Misere ist? Man könnte es doch mal mit einem „Deal“ versuchen: Die Bundesregierung verdoppelt Ihren „Zuschuss“ auf 29 Millionen für zehn Jahre und verschafft damit dem GKV-System die Zeit, um Einsparpotenziale zu detektieren und zu realisieren.

Zur Finanzierung des zusätzlichen „Zuschusses“ wird die Politik aktiv und besteuert nachgewiesen ungesunde Lebensmittel. Stichworte: Alkohol- und Zuckersteuer. Bedingung: sofort und nicht erst am Sankt Nimmerleinstag.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

Quelle: Quintessence News Politik Wirtschaft Nachrichten

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