Die Praxisübernahme gehört nach wie vor zu den beliebtesten Formen der Existenzgründung. Ärztinnen und Ärzte (Aus Gründen der besseren Lesbarkeit dieses juristisch komplexen Textes wird im Folgenden nur die männliche Form verwendet. Gemeint sind aber ausdrücklich alle Geschlechter.), die sich für die Selbstständigkeit entscheiden, können mithilfe einer Praxisübernahme von bereits existierenden Strukturen profitieren, während Ärzte, die ihre Tätigkeit niederlegen möchten, ihre Praxis an fähige Hände weitergeben können.
Dieser Vorgang, im Fachjargon als Betriebsübergang bezeichnet, bringt jedoch einige Herausforderungen – insbesondere arbeitsrechtlicher Natur – mit sich, die sowohl für den bisherigen als auch für den neuen Praxisinhaber von entscheidender Bedeutung sind und besondere Aufmerksamkeit erfordern, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten.
Betriebsübergang kurz dargestellt
Juristisch gesehen liegt ein Betriebsübergang dann vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil (beispielsweise eine Zahnarztpraxis) durch ein Rechtsgeschäft (wie etwa einen Praxisverkauf) auf einen neuen Inhaber übertragen wird. Entscheidend ist, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität wahrt. Das bedeutet im Falle einer Praxisübernahme, dass die medizinischen Dienstleistungen fortgeführt, materielle Ressourcen wie Geräte und Patientendaten übertragen und idealerweise das Personal sowie der Patientenstamm beibehalten werden. Die wirtschaftliche Einheit besteht dabei nicht nur aus der Summe ihrer Einzelteile, sondern auch aus der Organisation und Struktur, die die bisherige Praxis aufweist.
Folgen eines Betriebsübergangs
Doch was bedeutet ein Betriebsübergang in der arbeitsrechtlichen Praxis für Veräußerer, Übernehmer und das Personal? Durch einen Betriebsübergang gehen gemäß Paragraf 613a Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Arbeitsverhältnisse, die zur Zeit des Betriebsübergangs zum Praxisveräußerer bestehen, kraft Gesetzes auf den Praxiserwerber über. Die Arbeitnehmer erhalten also ohne weiteres Zutun einen neuen Arbeitgeber, der in sämtliche Rechte und Pflichten aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis eintritt. Vom Übergang erfasst werden grundsätzlich alle Arbeitnehmer, das heißt auch leitende Angestellte, Mitarbeiter in Elternzeit (beziehungsweise Mutterschutz) oder in der Freistellungsphase der Altersteilzeit sowie die Auszubildenden.
Folgen für den Arbeitnehmer in der Regel überschaubar
Inhaltlich ändert der Betriebsübergang dagegen nichts am Arbeitsverhältnis, das heißt, die finanziellen Konditionen, wie das Gehalt, Sonderzahlungen, Zuschläge sowie der gesamte, beim Praxisveräußerer vorhandene Besitzstand – beispielsweise die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die für die Kündigungsfristen entscheidend ist – bleiben unverändert bestehen.
Während die Folgen für den Arbeitnehmer in der Regel überschaubar sind, lohnt es sich für den neuen Arbeitgeber dagegen, sich vor einer Praxisübernahme die laufenden Arbeitsverträge vorzeigen zu lassen. Dadurch kann er am besten verhindern, nicht blind langfristige Verpflichtungen einzugehen, die für ihn selbst nicht tragbar oder gewollt sind.
Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer kurz erklärt
Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen ein Arbeitnehmer mit dem Wechsel des Arbeitgebers – gleich aus welchen Gründen – nicht einverstanden ist. In diesem Fall hat er ein Widerspruchsrecht, dessen Ausübung den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Praxiserwerber verhindert. Dieses Widerspruchsrecht kann jederzeit entweder gegenüber dem Veräußerer oder dem Erwerber ausgesprochen werden, ist in seiner Ausübung jedoch zeitlich begrenzt. Es muss innerhalb eines Monats erklärt werden, nachdem der Arbeitnehmer über den bevorstehenden Betriebsübergang umfassend – dazu gleich mehr – in Textform informiert wurde.
Gleichwohl haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, wirksam auf das Widerspruchsrecht zu verzichten und so frühzeitig für Rechtssicherheit im Praxisalltag zu sorgen. Ein vorgefertigter Verzicht, der vom bisherigen und/oder neuen Praxisinhaber bereitgestellt wird, kann dem Unterrichtungsschreiben als Anlage beigefügt werden. Ob der einzelne Arbeitnehmer einen solchen Verzicht unterschreibt oder nicht, bleibt selbstverständlich letztlich seine Entscheidung.
Informationspflicht beider Arbeitgeber
Bereits vor dem eigentlichen Betriebsübergang hat der bisherige Arbeitgeber eine umfassende Informationspflicht gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern zu erfüllen. Diese Pflicht ist in Paragraf 613a Abs. 5 BGB gesetzlich verankert und dient dem Schutz der Arbeitnehmer sowie ihrer Entscheidungsfreiheit bezüglich des Übergangs ihres Arbeitsverhältnisses.
Danach hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform über den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, den Grund für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen zu unterrichten. An dieses Unterrichtungsschreiben oder auch „BÜ-Schreiben“ stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen. Bei unterbliebener, fehlerhafter oder unvollständiger Unterrichtung können – wenn auch in der Praxis selten – (Haftungs-)Folgen für Erwerber und Veräußerer drohen.
Unterrichtungspflicht gilt für bisherigen und neuen Inhaber
Die Unterrichtungspflicht trifft den bisherigen und den neuen Inhaber in gleicher Weise. Sie sind in dieser Situation Gesamtschuldner, was bedeutet, dass die Unterrichtung des einen zu Gunsten und zu Lasten des anderen gilt. Um zu vermeiden, dass sich die beiden Ärzte in ihrer Unterrichtung widersprechen, oder sich der eine auf den anderen verlässt mit der Folge, dass keine Unterrichtung stattfindet, empfiehlt es sich, im Praxisübernahmevertrag eine entsprechende Klausel über die Unterrichtung und Folgen einer etwaigen Fehlunterrichtung aufzunehmen.
Idealerweise informieren sowohl der bisherige Praxisinhaber als auch dessen Nachfolger die Mitarbeiter gemeinsam. Während der bisherige Praxisinhaber dadurch die Möglichkeit hat, seine Fürsorge für die Mitarbeiter und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren, kann der neue Praxisinhaber sich den zukünftigen Mitarbeitern vorstellen und bereits seine Anerkennung und das Interesse an der Fortführung der Praxis im vorhandenen Team bekunden.
Widerspruchsrecht und Kündigungsfristen
Es empfiehlt sich, die Informationspflicht so früh wie möglich zu erfüllen, um die Widerspruchsfrist zu initialisieren, die mit der Unterrichtung beginnt. Denn widerspricht ein Arbeitnehmer dem Wechsel des Arbeitgebers, muss der bisherige Arbeitgeber diesem Arbeitnehmer in aller Regel aus betriebsbedingten Gründen kündigen – regelmäßig weil er aus Altersgründen seine ärztlichen Tätigkeiten niederlegt. Da er dabei an die gesetzliche Kündigungsfristen gebunden ist, sollten Arbeitnehmer so früh wie möglich über den Betriebsübergang informiert werden, um potenzielle Konflikte mit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu vermeiden.
Beweislast für den Zugang der Unterrichtung liegt beim Arbeitgeber
Die Unterrichtung des Arbeitnehmers muss in Textform erfolgen, wobei eine eigenhändige Unterschrift nicht zwingend erforderlich ist. Zulässig sind schriftliche Mitteilungen, Kopien, Faxe oder E-Mails, sofern diese lesbar sind, den Absender eindeutig erkennen lassen und einen klaren Schluss aufweisen. Ähnlich wie bei einer Kündigung liegt die Beweislast für den Zugang der Unterrichtung jedoch beim Arbeitgeber. Dieser muss nachweisen können, dass der Arbeitnehmer die Information tatsächlich erhalten hat.
Um sicherzustellen, dass die Unterrichtung nicht einfach fälschlicherweise geleugnet werden kann, empfiehlt es sich, auf eine Zustellungsmethode zurückzugreifen, die den Zugang zweifelsfrei dokumentiert. Idealerweise sollte das Unterrichtungsschreiben persönlich gegen eine Empfangsbestätigung übergeben oder per Kurier mit entsprechender Quittung zugestellt werden. Auf diese Weise lässt sich ein rechtssicherer Nachweis erbringen und mögliche Unklarheiten vermeiden.
Haftungsfragen erklärt
Da der Praxiserwerber – wie bereits dargestellt – mit dem Betriebsübergang in alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt, wird er zum Gläubiger der Arbeitsleistung und gleichzeitig Schuldner der arbeitgeberseitigen Pflichten gegenüber den übergegangenen Arbeitnehmern. Dies bezieht sich sowohl auf vergangene als auch auf zukünftige Forderungen.
Interessanter gestaltet sich jedoch die Frage der Haftung des Praxisveräußerers. Unproblematisch sind Forderungen, die aus einem bereits vor dem Betriebsübergang wirksam beendeten Arbeitsverhältnis stammen. In dieser Konstellation haftet ausschließlich der Veräußerer. Liegt der Zeitpunkt der Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs hingegen nach dem Betriebsübergang, entfällt die Haftung des Veräußerers grundsätzlich.
Anteilige Haftung bei künftigen Ansprüchen
Etwas komplexer wird es bei Ansprüchen, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind und innerhalb eines Jahres nach diesem Zeitpunkt fällig werden. Hier haftet der alte Arbeitgeber nur noch zeitanteilig als Gesamtschuldner: Zu 100 Prozent unmittelbar nach dem Übergang, zu 50 Prozent nach sechs Monaten und zu 0 Prozent nach Ablauf eines Jahres.
Diese dargestellten Haftungsregelungen gelten im Rahmen der gesetzlichen Regelungen gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern, also im Außenverhältnis. Im Innenverhältnis zwischen Praxisveräußerer und Praxiserwerber steht es den Parteien frei, davon abweichende Haftungsregelungen zu vereinbaren.
Kündigungsmöglichkeiten
Entgegen der Annahme vieler Arbeitnehmer, dass ihnen wegen eines Betriebsübergangs gar nicht mehr gekündigt werden kann, verbietet Paragraf 613a Abs. 4 BGB lediglich Kündigungen, die ausschließlich auf dem Übergang des Betriebs beruhen. Eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Praxisinhaberwechsel der tragende Grund für die Entscheidung ist.
Allerdings bleibt das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen unberührt. Sowohl verhaltens- als auch personenbedingte Kündigungen sind weiterhin möglich. Auch betriebsbedingte Kündigungen, deren Ursache nicht im Betriebsübergang selbst liegt, sondern an den Kriterien des Paragraf 1 Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) gemessen wird, sind zulässig. Zu denken ist hier etwa an einen notwendigen Stellenabbau aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die vor beziehungsweise bei Betriebsübergang nicht absehbar waren.
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Besonderheiten gelten beim Betriebsübergang dann, wenn der bisherige Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern nicht nur Einzelarbeitsverträge geschlossen hatte, sondern die Rechte und Pflichten beider durch Tarifvertrag und/oder Betriebsvereinbarung geregelt waren, ein eher im stationären als im ambulanten Sektor auftretender Anwendungsbereich. Insoweit kann ein Betriebsübergang nämlich auch zu veränderten Arbeitsbedingungen führen.
Wenn sowohl der bisherige als auch der neue Arbeitgeber an denselben Tarifvertrag gebunden sind, etwa durch Mitgliedschaft in derselben Arbeitgebervereinigung oder aufgrund einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung, gelten dessen Regelungen unverändert fort. Die Tarifvertragsparteien können diese Regelungen auch zukünftig ändern.
Ist der neue Arbeitgeber an einen anderen Tarifvertrag gebunden als der bisherige, werden die alten tariflichen Regelungen durch die des neuen Tarifvertrags ersetzt, sofern beide Tarifverträge aufgrund beiderseitiger Tarifbindung anwendbar sind. Eine zeitliche Veränderungssperre gibt es in diesem Fall nicht.
Transformationsregelung und Veränderungssperre
Wenn der neue Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist oder der Tarifvertrag weder von der Gewerkschaft des Mitarbeiters geschlossen noch allgemeinverbindlich erklärt wurde, werden die tariflichen Regelungen des alten Arbeitgebers automatisch Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Inhaber. Diese Transformationsregelungen unterliegen einer einjährigen Veränderungssperre, die den neuen Arbeitgeber daran hindert, Nachteile für den Arbeitnehmer einzuführen. Ausnahmen gelten nur, wenn der Tarifvertrag bereits abgelaufen ist.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass die Transformationsregel und Veränderungssperre nur bei tarifgebundenen Arbeitnehmern gelten. Sind sie dies nicht, sondern nimmt ihr Einzelarbeitsvertrag zum Beispiel lediglich auf tarifvertragliche Regelungen Bezug, so fallen sie nicht unter die Regelung des Paragrafen 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, die bisher gültigen Vertragsbedingungen gelten auch beim neuen Arbeitgeber unverändert fort.
Neue Regelungen dürfen Arbeitnehmer nicht benachteiligen
Ähnliches wie für Tarifverträge gilt auch für Betriebsvereinbarungen. Auch sie werden, sofern die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber nicht durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt sind, mit dem Betriebsübergang Bestandteil des Arbeitsverhältnisses und unterliegen einer Veränderungssperre. Dem neuen Arbeitsgeber steht es allerdings frei, neue Arbeitsverträge anzubieten. Darin enthaltene Regelungen dürfen allerdings die Arbeitnehmer nicht benachteiligen. Änderungen zugunsten des Arbeitnehmers sind dagegen jederzeit möglich.
Zusammenfassung
Auch wenn es auf den ersten Blick komplex erscheinen mag, ist ein Betriebsübergang im Gesundheitswesen gut zu bewältigen, wenn sowohl der bisherige als auch der neue Arbeitgeber die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen kennen und beachten.
Der neue Inhaber tritt automatisch in alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, einschließlich der Fortführung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Arbeitnehmer müssen rechtzeitig und vollständig über den Übergang informiert werden, um ihre Rechte zu wahren und Unsicherheiten zu minimieren. Arbeitgeber sollten außerdem die Haftungsregelungen beachten, insbesondere bei Ansprüchen, die vor oder kurz nach dem Übergang entstehen. Eine transparente Kommunikation und die Einbindung der Belegschaft in den Prozess sind dabei das A und O für einen reibungslosen Übergang und die Aufrechterhaltung der Motivation der Arbeitnehmer.
RA Dr. Justin Doppmeier, KWM LAW