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Große Ereignisse werfen ihr Scheitern voraus, meint Dr. Uwe Axel Richter zu den Forderungen der Kassen zum Primärarztsystem

(c) ADragan/Shuttestock.com

Auch wenn Bundesgesundheitsministerin Nina Warken die Einführung eines Primärarztsystems in ihrem 17-Punkte-Plan – böse Zungen sprechen von „Propeller-Karls Restpostenliste“ – auf ihrer Prioritätenliste nach hinten verschoben hat, macht der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) ausweislich des in der vergangenen Woche veröffentlichten Positionspapiers zur Primärversorgung weiter Druck. Die spannende Frage lautet: Wird es ein Abgesang auf das etablierte Versorgungssystem, respektive die Rolle der Niedergelassenen werden?

Dass die GKV-Kassen seit fast einem Jahr mit steigender öffentlicher Frequenz ein Primärarztsystem fordern, verwundert. Schließlich haben sie bereits seit 2007 mit der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) in Zusammenarbeit mit dem Hausärzteverband ein funktionierendes System unter ihren „Fittichen“, welches im Übrigen gesetzlich sanktioniert ist. Im GKV-Modernisierungsgesetz wurde bereits 2004 mit dem Paragrafen 73b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) die Grundlage für die HZV als ambulante Versorgungsform geschaffen. Keine drei Jahre später wurden die Krankenkassen seitens des Gesetzgebers verpflichtet, die HZV anzubieten. Trotzdem findet sich die Forderung nach einem Primärarztsystem im aktuellen Koalitionsvertrag der neuen CDU/CSU/SPD Regierung auf Seite 106 unter der Überschrift ‚Ambulante Versorgung“. Sicher auch, weil die Kassenärztliche Bundesvereinigung udn die Bundesärztekammer dieses Thema mit Blick auf die gewünschte Patientensteuerung ebenfalls befeuert hat.

Was das mit den Zahnärzten zu tun hat

Nun dreht es sich bei der Einführung eines Primärarztsystems um die ambulante hausärztliche Versorgung. Dennoch gilt es, zahnärztlicherseits ein wachsames Auge auf die damit möglichen Veränderungen der bisherigen beziehungsweise angestammten Rolle und Zuständigkeiten der Niedergelassenen zu haben. 

Die Vorstellungen der Kassenseite haben es durchaus in sich, gehen sie doch erheblich weiter als die zumeist in den Funktionärskreisen der verfassten Zahnärzte- und Ärzteschaft höchst emotional geführten Diskussionen rund um die Frage der Delegation oder Substitution. An dieser Stelle sei nur an die Kontroversen vor knapp zehn Jahren rund um die ersten „Bachelor Dentalhygienikerinnen“ erinnert.

Delegation ja, Substitution nein

Grob vereinfacht war die Antwort immer ein Ja zur Delegation und ein entschiedenes Nein zur Substitution. Ob das Nein zur Substitution hauptsächlich dem Ziel des Erhalts des finanziellen Status quo diente, lassen wir an dieser Stelle einmal offen. 
Mit dem zunehmend drängenden Thema Primärversorgung kommen zu einer hauptsächlich mit standes- und berufspolitischen Argumenten geführten Diskussion nun gesamtgesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Aspekte hinzu, welche die Gefechtslage fundamental verändern. Und genau an dieser Stelle ist die Zahnärzteschaft im metaphorisch selben Boot.

Finanzieller Spielraum nur durch Umverteilung

So banal es auch klingt, die Zeiten ändern sich – und zwar immer. Derzeit ist jedoch die Auslenkung des Pendels im Gesundheitswesen besonders groß. Das hat nicht nur mit politisch-ideologischen Vorstellungen insbesondere der Linksparteien zu tun. Sondern vielmehr mit fundamentalen Veränderungen des Arbeitsmarkts (Fachkräftemangel betreffend Assistenzberufe, aber auch Approbierte, tiefgreifende Veränderungen der Rollenbilder, Digitalisierung und KI etc. pp.) in Verbindung mit immer größer werdenden Schwierigkeiten, das Gesundheitswesen auskömmlich finanzieren zu können.

Apropos Finanzen: Das seitens der Krankenkassen und insbesondere von der scheidenden Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeifer, geforderte Ausgabenmoratorium klingt zwar wie der Mottenkiste entsprungen. Es sagt aber nichts anderes, als dass aus Sicht der „Payer “, also Kassen, der finanzielle Verhandlungsspielraum nahe Null liegt. Oder andersherum: Was der eine Leistungsanbieter mehr bekommt, muss zuvor einem andern Leistungsanbieter weggenommen worden sein.

Kassenstrategie: Angriff ist die beste Verteidigung 

Und damit rücken auch die Kassen und ihr nicht ganz kleiner „Apparat“ selbst in das Sparvisier. Gemäß den Daten des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) beschäftigten die GKV-Kassen 2022 141.262 Mitarbeiter, davon allein 136.685 als Verwaltungspersonal. Gemäß Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) gibt es 98.503 Praxen es in Deutschland, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung meldet 38.282 Praxen (nicht Niedergelassene). Da passt es doch sehr schön, wenn man mit dem Fokus auf die Primärversorgung die angestammte Rolle der Heilberufler im SGB-V-System(!) zunehmend in Frage stellen kann. 

Abschaffung der ärztlichen Freiberuflichkeit

Und obwohl Sommer, ist es keine dieser typischen Loch-Ness-Geschichten. Denn der Wutausbruch des Vorsitzenden des Spitzenverbande Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa), Dr. Dirk Heinrich: ‚„Wir lassen uns nicht zu Kassenknechten machen!“ hatte einen sehr konkreten Anlass. Er reagierte damit auf die Veröffentlichung des GKV-Spitzenverbands „Primärversorgung für GKV-Versicherte jetzt bedarfsgerecht ausrichten“ und dem bereits erwähnten Positionspapier mit dem „nett“ (Sie wissen schon, die kleine Schwester von …) klingenden Titel „Primärversorgung: Patientenorientierte Koordination in der ambulanten Versorgung“. Begründung aus der Pressemeldung: „Für den SpiFa kommt diese Positionierung des GKV-Spitzenverbands der Abschaffung der ärztlichen Freiberuflichkeit gleich und bedeutet nichts anderes als Staatsmedizin.“

GKV will das Primärarztsystem jetzt

Das 14-seitige Positionspapier des GKV-Spitzenverbands wurde vergangene Woche gleichzeitig mit der Verabschiedung der oben schon erwähnten langjährigen Vorstandsvorsitzenden Dr. Doris Pfeifer veröffentlicht. Ein Schelm wer sich da … wundern sollte. Die Vorschläge des GKV-Spitzenverbands – der wohlgemerkt für alle GKV-Krankenkassen spricht – „zur Einführung einer Primärversorgung sollen dazu beitragen, die Koordination der Patientenversorgung deutlich zu verbessern. Ziel ist eine bedarfsgerechte ambulante Versorgung, unter anderem durch eine stärkere Steuerung des Zugangs zur medizinischen Versorgung und durch die Reduzierung medizinisch nicht erforderlicher Praxiskontakte. Bestehende nicht effiziente Steuerungsinstrumente werden durch grundlegende strukturelle Instrumente zur Prozesssteuerung mindestens kostenneutral ersetzt“.

Die Vorstellung der Kassen lauten:

  • Zugang durch hybride Ersteinschätzung schneller und effizienter organisieren
  • Primärversorgung zur verbesserten Koordination
  • Digital unterstützte Behandlungskoordinierung im Primärversorgungsmodell
  • Koordination weiterdenken
  • Update der ambulanten Vergütungssystematik

Spätestens an dieser Stelle wird der Hausärzteverband rotieren, denn zu Ende gedacht, bedeutet das den Ersatz der funktionierenden Hausarztzentrierten Versorgung. Schließlich will der GKV-Spitzenverband „die bestehenden nicht effizienten Steuerungsinstrumente […] mindestens kostenneutral ersetzen“.

Laut SpiFa sieht der GKV-Spitzenverband „die Einrichtung einer zentralen Plattform vor, an welche Ärztinnen und Ärzte ihre Termine melden müssen. Ein zentraler Algorithmus soll dann den Praxen die jeweiligen Patientinnen und Patienten zuweisen, die einen Termin benötigen. Für die Praxen gibt es weder die Möglichkeit einer Einschätzung noch einer Entscheidung. Darüber hinaus enthält das Positionspapier die Forderung, wonach Ärztinnen und Ärzte ‚Behandlungsdiagnosen sowie erbrachte medizinische Leistungen zukünftig täglich, unmittelbar und automatisch an Krankenkassen übermitteln‘ müssen“. Deutlicher kann man die Vorstellung der Kassen zur neuen Rollenverteilung nicht kommunizieren.

Digitalisierung kommt tragende Rolle zu

Für den GKV-Spitzenverband spielt die Digitalisierung die tragende Rolle bei der Hebung der vermuteten Effizienzreserven. Der ePA kommt dabei, wie von Karl Lauterbach lediglich wolkig umschrieben, in der zielgerichteten Patientensteuerung die zentrale Funktion zu. Was die Möglichkeit eines Opt-out für GKV-Versicherte – sagen wir es so – marginalisiert.

Die Ersteinschätzung soll zwecks Ressourcenentlastung standardisiert und digital erfolgen und die Patienten zielgerichtet steuern. Dabei sollen die „größeren primärversorgenden Praxisstrukturen gezielt gestärkt werden. […] Die weitere Integration von qualifiziertem Praxispersonal und weiterer Gesundheitsberufe in die Versorgung wird gefördert durch mehr Delegation und Substitution“.

Eine der Folgen findet sich unter dem Punkt „Update der ambulanten Systematik“. Zitat: „Um das Potenzial der Primärversorgung ausschöpfen zu können, muss die vertragsärztliche Vergütungssystematik grundlegend überprüft und kostenneutral angepasst werden“.

BKK: Patienten wüschen stärkere Rolle der Kassen

Nur zwei Tage später veröffentlichte der BKK-Dachverband seinen Kundenreport 2025. Gemäß der Befragung von 5.000 Befragten vermeldete der BKK-Dachverband, dass sich die Versicherten deutlich mehr als die reine Kostenübernahme wünschten. Zitat: „Sie möchten Orientierung, Qualitätstransparenz und eine aktive Begleitung durch ihre Krankenkasse im Gesundheitssystem. […] 73 Prozent der Befragten wünschen sich, dass ihre Krankenkasse in Zukunft eine aktivere Rolle als Kümmerer und Lotse übernimmt“. Die zentrale Erkenntnis, welche der BKK-Dachverband aus seinem Kundenreport zieht, will ich Ihnen keinesfalls vorenthalten: „Die Rolle der Krankenkassen muss sich weiterentwickeln“.

Vom Kapitän und Lotsen zum reinen Steuermann?

Die Richtung hat das Positionspapier Primärversorgung des GKV-Spitzenverbands ja bereits deutlich gemacht. Fragt sich nur, was aus der Lotsenfunktion der Hausärzte werden soll, wenn die Kassen diese für sich reklamieren. Vielleicht doch lieber Kapitän?
Nur klingen die erwähnten ‚größeren Einheiten‘ gerade nicht nach Einzelpraxis. Um das Bild der Seefahrt und der Reederei noch ein wenig auszuwalzen: Große Schiffe befinden sich häufig nicht im Eigentum derer, die sie bereedern, vulgo in Fahrt haben. Im Gesundheitswesen nennt man diese Investoren. Was bliebe für die Heilkundigen dann noch als Rolle? Maximal Steuermann!

Große Ereignisse werfen ihr Scheitern voraus

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Stella Merendino, brachte es kürzlich in einem Interview des Ärztenachrichtendiensts so auf den Punkt: „Das alte Modell der Einzelpraxis funktioniert nicht mehr“. Wenn das keine guten Nachrichten für Investoren und Digitalisierer sind. Für die Leistungserbringer und Patienten wohl eher nicht.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Reference: Politik Praxis

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