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Durch interdisziplinäre Maßnahmen mithilfe von Minischrauben-Pontic, Zahnumformung und Implantation kann eine natürliche Ästhetik wieder hergestellt werden


Dr. Björn Ludwig

Dr. Björn Ludwig stellt in seinem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 5/18 eine interdisziplinäre kieferorthopädische Therapie am Beispiel eines erwachsenen Patienten mit Frontzahntrauma vor. Um gemeinsam mit dem Patienten ein möglichst natürliches Behandlungsergebnis zu erreichen, kamen unter anderem eine sofortige ästhetische Versorgung mit einem Minischrauben-Pontic, die Methode der biologischen Augmentation, eine Zahnumformung mittels Kompositverblendschalen und eine abschließende implantatprothetische Restauration zum Einsatz.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.


Fehlende Zähne im Frontzahnbereich – etwa als Folge von Zahntraumata oder auch als Resultat einer kongenitalen Aplasie – sind für den kieferorthopädischen Patienten belastend und haben eine negative Auswirkung auf sein Wohlbefinden1. Wenn der Patient zudem erwachsen ist und sich zum Beispiel durch ein komplexes Frontzahntrauma neben dem reinen Zahnverlust noch zusätzliche ästhetische Probleme wie Hart- und Weichgewebs­verluste ergeben, können die Behandlungsplanung und die Therapie eine Herausforderung sein.

Im vorliegenden Beitrag werden zur Behandlung des erwachsenen Patienten mit kieferorthopädischer Vorbehandlung im Jugendalter und Zustand nach Frontzahntrauma folgende Aspekte diskutiert:

  • provisorische prothetische Versorgung mittels Mini­schrauben-Pontic,
  • biologische Augmentation,
  • Zahnumformung mittels Kompositverblendschalen und digitales Smile-Design sowie
  • dentale Implantation und prothetische Restauration.

Klinischer Befund

Der 25-jährige Patient stellte sich wenige Stunden nach einem Unfall mit Frontzahntrauma vor. Nach frustraner klinischer Inspektion und negativer Vitalitätsprobe des Zahns 21 wurde ein digitales Volumentomogramm (DVT) angefertigt. Dieses zeigte eine mehrfache Kronen-, Wurzel- und Alveolarkammfraktur Regio 21 (Abb. 1 und 2). Wegen der traumatischen Gesamtschädigung wurde Zahn 21 entfernt. Therapeutisch folgten Maßnahmen der Socket Preservation4,5,8,11,14,15 zur Eingrenzung eines weiteren Verlustes der horizontalen und vertikalen Alveolarfortsatzdimensionen14,17.

Aufgrund des im Traumagebiet absehbaren, vor al­lem vertikalen Hart- und Weichgewebsverlustes ergab sich folgender Behandlungsplan:

  • sofortige prothetische Interimsversorgung Regio 21 mittels Minischrauben-Pontic;
  • Mesialisierung des Zahns 22 in Position 21 mit dem Ziel einer biologischen Augmentation (Positionstausch: 22 wird zu 21);
  • dentale Implantation Regio 22 nach kieferorthopädischem Lückenschluss;
  • Umformung des mesialisierten Zahns 22 (nun an Po­sition 21) und Implantatsuprakonstruktion Regio 22.

Provisorische Versorgung mittels Minischrauben-Pontic

Für den Patienten war es von besonderer Bedeutung, dass der mittlere Schneidezahn aufgrund seiner exponierten Lage im ästhetischen Bereich nach dem unfallbedingten Verlust umgehend ersetzt wurde. Im Hinblick auf eine sofortige Interimsversorgung sind sowohl herausnehmbare Behelfe als auch adhäsive Lösungen (zum Beispiel Marylandbrücken) zu diskutieren18. Alternativ können vertikal in den Alveolarfortsatz inserierte kieferorthopädische Minischrauben genutzt werden3,6,18. Diese haben während der aktiven kieferorthopädischen Therapie aber den Nachteil, gegebenenfalls mit geplanten Zahnbewegungen ungünstig zu interferieren. Eine sehr flexible Strategie kann jedoch eine ponticartig gestaltete Zahnkrone sein, die mit am anterioren Gaumen (me­dian oder paramedian) inserierten Minischrauben verbunden ist. Solch ein von Minischrauben getragener Pontic kam bei unserem Patienten zum Einsatz. Der Minischrauben-Pontic hatte dabei einen dreifachen Nutzen (Abb. 3 bis 5):

  1. Zu Beginn diente er zur Befestigung des temporären Zahnersatzes,
  2. danach zur Verankerung des Zahns 11, um Zahn 22 an die Stelle von 21 zu bewegen (biologische Augmentation), und
  3. zum Schluss, um den temporären Zahnersatz während der Einheilphase des Implantats Regio 22 zu halten.

Biologische Augmentation

Aus der Literatur ist bekannt, dass der Verlust einzelner oder mehrerer Zähne zum vertikalen und horizontalen Knochenabbau führt2,16. Der Verlust von Frontzähnen hat eine etwa 50-prozentige Reduktion der vestibulär-oralen Dimension des Kieferkamms zur Folge12,16. Die Hälfte des Dimensionsverlustes tritt innerhalb von einem Monat ein, und nach drei Monaten sind etwa 80 Prozent des Gesamtverlustes eingetreten13. Im vorliegenden Fall wurde bereits nach wenigen Tagen offensichtlich, dass der vertikale Knochenverlust erheblich war. Der fehlende Knochen musste aufgebaut (augmentiert) werden, wozu die nachfolgend beschriebene Methode angewendet wurde (Abb. 6 und 7).

Bei allen Augmentationsverfahren, die ein Einlagern von Knochenersatz erfordern, ist ein mehr oder we­niger aufwendiger chirurgischer Eingriff erforderlich. Im Fall von autologen beziehungsweise allogenen Augmentationsformen sind zudem auch Materialresorptionen und -verluste zu beobachten. Als Alternative sollte der Implantologe, gestützt durch die Kooperation mit dem Kieferorthopäden, an die Möglichkeiten und das Poten­zial der präimplantologischen oder präprothetischen Kiefer­orthopädie denken. Dabei wird ein Zahn in Richtung des atrophierten Kieferkamms bewegt, was zu dessen funktioneller Belastung und Wiederaufbau führt. Diese Methode, eine suffiziente Knochenquantität für die Insertion von dentalen Implantaten zu schaffen, kann als biologische Augmentation bezeichnet werden9,10. Der Knochen lässt sich in entsprechender Qualität regenerieren. Durch die kieferorthopädische Vorbehandlung ist bei interdisziplinärer Planung und Abstimmung

ein weiterer Vorteil im Hinblick auf eine erfolgreiche Gesamttherapie möglich: Befindet sich ein Implantat zwischen zwei natürlichen Nachbarzähnen, dann bleibt die knöcherne Basis für die Papille erhalten, so dass eine optimale Rot-Weiß-Ästhetik erzielt werden kann. Bei größeren Lücken beziehungsweise zwei nebeneinander stehenden Implantaten wäre dies nicht so einfach möglich.

Provisorische Restauration mittels vorgeformter Komposit­verblendschalen

Nachdem der Zahn 22 weitgehend an Position 21 bewegt worden war, sollte eine temporäre provisorische Umformung erfolgen. Hierfür wendeten wir ein mehrstufi­ges Protokoll an, dessen Einzelschritte in der Literatur detailliert beschrieben sind7. Vor dem Finishing wurden das Bracket des Zahnes 22 entfernt. Dann kamen 0,3 mm starke, eigentlich für die ästhetische Zahnmedizin vorgesehene Nanohybridkomposit-Verblendschalen (Componeer, Coltène) zum Einsatz, welche für die Frontzähne des Ober- und Unterkiefers in verschiedenen Größen und Farben erhältlich sind. Über eine mitgelieferte Größen­lehre wird die für den entsprechenden Zahn passende Verblendschale ausgewählt, direkt am Patienten angepasst und adhäsiv befestigt. In der kieferorthopädischen Finishing-Phase konnten anschließend die gewünschten Detaillierungen der Zahnstellung vorgenommen werden. Nach vollzogener biologischer Augmentation und Zahnumformung wurden anhand einer einfachen digitalen Smile-Analyse verschiedene ästhetische Aspekte analysiert19 (Abb. 8 und 9):

  • Mittenbeziehungen (dental und fazial),
  • Lachlinie,
  • Gingivaverlauf sowie
  • Zahnform und -breiten.

Abb. 10 bis 12 Digitale Implantatplanung Regio 22. 10: Diagnostische virtuelle Insertion des Implantats zur Überprüfung der Wurzelparallelität und des Platzangebots. 11: 3-D-gefertigte Implantatinsertionsschablone. 12: Überprüfung der ästhetischen Gingivaverhältnisse drei Monate nach Implantatinsertion.

Vor der Implantation Regio 22 wurde ein DVT für die Planung des Lückenmanagements und der Implantatposition angefertigt. Mit Hilfe des DVT erfolgte die Herstellung einer Bohrschablone, um das Implantat möglichst ideal zu positionieren (SICAT-Implant, SICAT,  und Prowital-Implantat 3,5 x 9 mm, Forestadent Implants). Die weit palatinal gewählte Implantatposition ermöglichte eine ästhetisch günstige Knochen- und Gingivaschicht vestibulär des Implantats. Bereits nach drei Monaten zeigten sich ästhetische Weichgewebsverhältnisse (Abb. 10 bis 12).

Nach fünfmonatiger Einheilphase wurde auf der Basis eines intraoralen Scans eine virtuelle prothetische Planung für ein formadaptierendes Veneer an Zahn 22 und eine Implantatkrone auf diesem Zahn durchgeführt. Hierbei wurden palatinale Frühkontakte festgestellt. Es wurde ein kieferorthopädisches Set-up zur Beseitigung der Engstände im Unterkiefer und der frontalen Frühkontakte angefertigt (Abb. 16 und 17).

Fazit

Der Versuch, sich durch eine virtuelle Simulation und eine anamnestische Befragung des Patienten die Anfangsposition des Zahnes 21 vor dem traumatischen Verlust zu vergegenwärtigen, führte zu dem Ergebnis, dass ein Diastema mit starker Abweichung der dentalen zur fazialen Mitte vorgelegen hatte. Vergleicht man nun die extra- und die intraorale Situation nach biologischer Augmentation, zeigt sich, dass Lachlinie, Gingivadisplay sowie Zahn- und Gesichtsmitte natürlich erscheinen. Die Gingivahöhe und das Volumen lassen eine erfolgreiche biologische Augmentation erkennen. Die dentale Mittenbeziehung ist nicht ideal; hier wurde die Gesichtsmitte als Referenz festgelegt (Abb. 16 und 17). Um das Diastema mediale zu schließen und die dentale obere Mitte sowohl möglichst ideal zur Gesichtsmitte als auch in verbesserter Übereinstimmung zur Unterkiefermitte zu positionieren, musste die Sutur im Oberkiefer überschritten werden, was zu einer Deviation des oberen Lippenbandes und einer leichten Invagination der Gingiva führte.

Insgesamt war der Patient nach 15-monatiger interdisziplinärer Behandlung in funktioneller, aber vor allem in ästhetischer Hinsicht sehr zufrieden und empfand seine Zähne sowie sein Lachen nach dem Frontzahntrauma deutlich schöner als zuvor.

Literatur auf Anfrage unter news@quintessenz.de


Ein Beitrag von Dr. med. dent. Björn Ludwig, Homburg/Saar, und Dr. med. dent. Bettina Glasl, Traben-Trarbach

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin, Ausgabe 5/18 Kieferorthopädie Zahnmedizin

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