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Auch extreme Verlagerungen können mithilfe skelettal verankerter Minischrauben regelrecht eingestellt werden

Bei horizontal verlagerten Oberkiefereckzähnen sollte nach Erstellung eines digitalen Volumen­tomogramms (DVT) über eine bukkale Freilegung mit anschließender Zugrichtung nach bukkal- kaudal mithilfe von TADs nachgedacht werden. Dr. Andrea Freudenberg stellt in einem Beitrag für die Kieferorthopädie  02/19 zwei Fallberichte vor, die zeigen, dass mit einer kompletten festsitzenden Multibracketapparatur das Risiko von Wurzelresorptionen benachbarter Zähne und die Behandlungszeit wesentlich reduziert werden kann.

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Einleitung

Mit einer Inzidenz von 1 bis 2,5 % sind verlagerte und impaktierte Eckzähne eine Dysgnathieform, die jedem praktizierenden Kieferorthopäden in seiner Laufbahn mehrmals begegnet1,2. Da mit dem seitlichen Schneidezahn und dem ersten Prämolaren beide angrenzenden Zähne vor dem Eckzahn durchbrechen, zusätzlich der obere Eckzahn am weitesten kranial während seiner Entwicklung liegt, ist es nicht verwunderlich, dass sogar 60 % aller Durchbruchsstörungen ihm zuzuordnen sind3,4. Hiervon liegen 80 bis 85 % der Eckzähne palatinal und 15 bis 20 % bukkal5,6. Eine solche Impaktion, die oft mit einer Verlagerung vergesellschaftet ist, geht einher mit vielgestaltigen Problemen wie Zystenbildung und Wurzelresorption an Nachbarzähnen, langer Behandlungsdauer durch komplexe Bewegung des betroffenen Zahns und Bedarf einer engen Kooperation zwischen dem Kieferorthopäden und -chirurgen1,3. Insbesondere weit kranial liegende, horizontal verlagerte Eckzähne wurden oft entfernt, weil die Einordnung als zu langwierig und risiko­reich erachtet wurde.

Durch dreidimensionale Aufnahmetechniken (DVT) und der Verwendung von knöchern getragenen Miniplatten und Minischrauben (TAD) entstanden neue Behandlungsmethoden für eine Vielzahl kieferorthopädischer Probleme. Die folgenden zwei Fallpräsentationen zeigen, wie die Einordnung von horizontal verlagerten Eckzähnen durch die DVT-Erstellung und mithilfe skelettaler Verankerungen gelingen kann.

Fall 1 (weiblich)

Im Alter von 9,3 Jahren wurde die Patientin in der kieferorthopädischen Praxis erstmals vorstellig. Hauptanliegen waren ein verzögerter Durchbruch von Zahn 22 und eine in der Panoramaschichtaufnahme erkennbare ektope Lage beider Eckzähne im Oberkiefer, was zur Überweisung durch die Hauszahnärztin in die kieferorthopädische Praxis führte (Abb. 1 und 2).

Die klinische Befundung ergab zudem eine Rücklage des Unterkiefers mit vergrößertem Overjet von 7 mm und eingebrochener Stützzone im dritten Quadranten aufgrund eines frühzeitigen Milchzahnverlusts von Zahn 75. Die Therapie bestand zunächst in der transversalen und sagittalen Erweiterung des Oberkiefers mit dem Ziel der Lückenöffnung für Zahn 22, und Zahn 35 und der Vorverlagerung des Unterkiefers. Die erneute Panoramaschichtaufnahme 14 Monate später zeigte keine Positionsänderung der verlagerten Eckzähne (Abb. 3).

Zu diesem Zeitpunkt schien mir und dem damals beratenden Kieferchirurgen eine Einordnung nicht empfehlenswert, insofern wurden Therapie­optionen erarbeitet: a) Extraktion der Zähne 53 und 63 mit Lückenschluss im Oberkiefer und alternativ b) möglichst langer Erhalt der Zähne 53 und 63 mit späterer Implantation. Eine Entfernung der verlagerten Zähne 13 und 23 wurde aufgrund der Gefahr der Zystenbildung vom Kieferchirurgen für beide Optionen angeraten. Durch das Zögern der Eltern und dem Versuch, durch Lymphdrainage eine Veränderung zu erreichen, kam es über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren zu keiner Entscheidung (Abb. 4 bis 7).

Nach Einholung einer kieferchirurgischen Zweitmeinung, der Erstellung eines DVTs und der daraus gewonnenen Erkenntnis, dass beide Eckzahnkronen weit bukkal liegen, entstand eine weitere Therapieoption: Freilegung beider Eckzähne von bukkal, Verankerungsaufbau mithilfe zweier von bukkal im Proc. alveolaris maxillae verankerter Minischrauben, freie Bewegungs- und Ausweichmöglichkeit aller Nachbarzähne (Minimierung der Gefahr von Wurzelresorptionen)7–9.

Die Patientenfamilie wünschte den Versuch der Einordnung, bei Nichtgelingen standen ja die Therapieoptionen (a) und (b) weiterhin zur Verfügung. Zeitnah erfolgten die Implantation beider Minischrauben distal von Zahn 11 bzw. 21 und die operative Freilegung beider Eckzähne, welche mit einem Freilegungskettchen versehen wurden. Die extramukösen Anteile der Freilegungskettchen wurden einige Tage postoperativ mit elastischen Fäden an die Minischrauben herangezogen und somit beide verlagerten Eckzähne aktiviert. Eine Komplikation ereignete sich etwa zwei Monate später, da die rechtsseitige Schraube sich derart lockerte, dass keine weitere Aktivierung möglich war. In einem zweiten Eingriff wurde die entsprechende Schraube entfernt und eine neue etwas weiter kranial zwischen den Wurzeln von Zahn 11 und 12 platziert (Abb. 8 und 9).

Als drei Monate später die Zahnkronen beider Eckzähne zu sehen waren, wurde eine Teilmultibracketapparatur im Oberkiefer eingesetzt. Die mittleren Inzisivi und die zweiten Prämolaren wurden mit Brackets beklebt und die ersten Molaren bebändert. Aufgrund der engen Lagebeziehungen mit den benachbarten Wurzeln von Zahn 12 und 14 bzw. 22 und 24 wurden diese vier Zähne zur Gewährleistung einer besseren Eigenbeweglichkeit zunächst nicht in die Apparatur mit einbezogen. Eine Verblockung von Zahn 11 und 21 mit beiden Minischrauben wurde zur Vermeidung einer Intrusion beider Zähne in Betracht gezogen, war aber nicht nötig. Mittels elastischem Faden wurden beide Eckzähne an den einligierten Bogen angebunden und regelmäßig aktiviert. Nach weiteren sechs Monaten Aktivierungszeit wurden alle übrigen Zähne – auch die des Unterkiefers – in die Multibracketapparatur mit einbezogen und beide Minischrauben entfernt. Auch die bis dahin aus ästhetischen Gründen vorerst belassenen Milchzähne 53 und 63 wurden entfernt, um eine leichtere Einordnung beider bleibenden Eckzähne zu gewährleisten. Es schloss sich über einen Zeitraum von 15 Monaten eine konventionelle festsitzende kieferorthopädische Therapie an, in welcher neben der Einordnung von Zahn 13 und 23 die weitere Ausnivellierung der Zahnbögen und die Reduzierung der Distalbisslage erfolgte (Abb. 10 und 11). Die aktive Behandlung wurde 27 Monate nach der Freilegung abgeschlossen. Davon war eine komplette Multibracketapparatur 15 Monate in situ.

Die Bilder bei der Enddiagnostik zeigen eine optimale Neutralverzahnung beider Oberkiefer­eckzähne (Abb. 12 bis 14). Auf der Panoramaschichtaufnahme sind ebenfalls die regelrecht positionierten Eckzahnwurzeln erkennbar (Abb. 15).

Fall 2 (männlich)

Bei der Erstvorstellung im Alter von 9,6 Jahren zeigte der männliche Patient im frühen Wechselgebiss neben einer gewohnheitsmäßig offenen Mundhaltung eine lückig anteinklinierte Oberkieferfront mit Diastema mediale, ein tief inserierendes Lippenbändchen, einen vergrößerten Overjet von 5 mm, einen vertikalen Überbiss von etwa 85 % bei beidseitiger Neutralverzahnung mit Kreuzbiss der Zähne 22, 63, 64 mit 73 und 74 (Abb. 16). Die Panoramaschichtaufnahme ließ eine horizontale Lage des Zahnkeims 23 erkennen (Abb. 17).

Die Therapie der Frühbehandlung bestand in der Überstellung des Kreuzbisses mittels transversaler Erweiterung durch eine herausnehmbare Platte mit Transversalschrauben. Der Abschlussbefund 1,5 Jahre später: Die horizontale Lage von Zahn 23 hat sich leider bestätigt und eher verstärkt (Abb. 18 und 19).

Nach Durchbruch aller bleibenden Zähne (außer Zahn 23) wurde ein DVT erstellt (Abb. 20 und 21). Aufgrund der persistierend bukkalen Lage der Krone von Zahn 23 wurden zwei The­rapieoptionen mit der Patientenfamilie diskutiert: a) Versuch der chirurgischen Freilegung von bukkal und Einordnung mit Minischrauben, b) Entfernung von Zahn 23 durch Osteotomie und möglichst langem Erhalt von Zahn 63 mit restaurativem Aufbau.

In den Proc. alveolaris maxillae wurden zwei Minischrauben eingebracht, median zwischen Zahn 11 und 21 sowie zwischen Zahn 22 und 63. Im gleichen Eingriff wurde Zahn 23 von vestibulär freigelegt und mit Kettchen versehen. Da laut DVT Zahn 23 genau apikal von Zahn 24 lag, musste die Zugrichtung erst weit nach anterior erfolgen, bevor Zahn 23 nach kaudal aktiviert werden durfte. Dafür wurden die beiden Minischrauben (Transitoric Anchoring Device, TAD = vorübergehender Anker) durch einen Teilbogen verbunden, an welchem der freigelegte Zahn nun mit einem neuen elastischen Faden bzw. einer e-chain angebunden wurde (Abb. 22). In einem Rhythmus von vier Wochen erfolgten weitere Aktivierungen. Nach kontinuierlicher Aktivierung über einen Zeitraum von einem Jahr war Zahn 23 nach mesial und leicht nach kaudal gewandert (Abb. 23).

Nach 13 Monaten in situ wurden beide TADs entfernt und eine zahngetragene Feder (TMA-Teilbogen) mit Zug nach kaudal eingegliedert. Als Verankerung wurden Bänder an die ersten Oberkiefermolaren gesetzt und durch einen Palatinalbogen mit Abstützung an den Zähnen 14 und 24 verbunden. (s. Abb. 24). Nach erneuten regelmäßigen Aktivierungen stellte sich nach etwa vier Monaten keine weitere Besserung des klinischen Befunds ein, weshalb erneut ein DVT zur exakten Lagebestimmung von Zahn 23 veranlasst wurde. (Abb. 25).

Da eine weitere kaudale Kraftaufwendung zu riskant erschien (Wurzel von Zahn 24!), erfolgte eine Änderung der Zugrichtung nach bukkal. Zudem wurde auf Wunsch des Patienten eine Multibracketapparatur zur Korrektur der übrigen Zahnfehlstellungen eingegliedert (Patient drängte auf Lückenschluss Regio 11/21). Nach regelmäßiger Aktivierung der Apparatur war die Krone des Zahns nach weiteren fünf Monaten schließlich in der Umschlagfalte sichtbar (Abb. 26 und 27).

Da die Ausformung der restlichen Zahnbögen zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen war, wurden als Entgegenkommen für den Patienten die Brackets im Unterkiefer und frontalen Oberkieferbereich entfernt und festsitzende Lingualretainer 33–43 bzw. 12–22 geklebt (Abb. 28). Anschließend wurde der persistierende Zahn 63 extrahiert (Abb. 29).

Nach weiteren fünf Monaten regelmäßiger Aktivierung konnte Zahn 23 schließlich in einen ersten Teilbogen zur vollständigen Ausnivellierung einligiert werden (Abb. 30).

Der Abschluss der aktiven Behandlung erfolgt nach 38 Monaten. Davon wurde 18 Monate nur mit elastischen Elementen zu TADs oder mit Federn gearbeitet, 30 Monate war eine komplette Multibracketapparatur in situ, weitere 10 Monate eine Teilmultibracketapparatur. Wenn erst später mit der Multibracketapparatur begonnen worden wäre, hätte sich die Zeit mit fester Zahnspange sicher noch reduzieren lassen. Aber die Führung der Patienten über so einen langen Behandlungs­zeitpunkt stellt eine Herausforderung dar, die Kompromisse erfordert. Auf die – bei freigelegten Zähnen ohnehin schwierige – weitere Einstellung des notwendigen Torques von Zahn 23 wurde daher auf Wunsch des Patienten verzichtet (Abb. 31 bis 34)10.

Diskussion

Die Freilegung und Einordnung von horizontal verlagerten Eckzähnen mittels skelettal verankerter Minischrauben sollte bei bukkaler Lage der Krone als eine Therapieoption in Betracht gezogen werden, deren Funktionalität unter anderem durch die oben erläuterten Fallberichte bestätigt wird11. Aufgrund der generellen Fehleranfälligkeit (Material und Behandlerexpertise betreffend) ist vorangehend eine gründliche Diagnostik (DVT) und Abwägung weiterer Therapieoptionen unerlässlich12,13. Vorteile der Minischrauben als Kraftwiderlager für die oft langanhaltende Traktion der Eckzähne sind zum einen in der ausbleibenden Nebenwirkung (hier meist Intrusion) für die Nachbarzähne zu sehen, zum anderen können sich die Nachbarzähne frei bewegen und so dem Druck ausweichen. Das minimiert die Gefahr von Wurzelresorptionen7–9. Die Parodontalgesundheit der mittels Minischrauben bewegten Zähne und Nachbarzähne zeigt laut Studienlage keine signifikante Beeinträchtigung (Parodontaler Screening Index, Bluten auf Sondieren)14.

In den vorgestellten Fällen überstieg die Behandlungsdauer nicht die Dauer von vielen anderen konventionellen kieferorthopädischen Therapien – zumal sich die festsitzende Behandlungsdauer durch die Verwendung von Minischrauben erheblich reduzierte15.

Bedeuteten extrem verlagerte Eckzähne vor wenigen Jahren noch eine permanente ästhetische Einschränkung durch das Unterlassen einer Therapie oder die Notwendigkeit einer späteren restaurativen oder prothetischen Versorgung, so sind – durch die vorgestellte Methode – heutzutage auch in schwierigen Fällen die ästhetischen und funktionellen Vorteile eines regelrecht eingestellten permanenten Eckzahns zu erreichen16.

Danksagung

Wir danken Prof. Dr. Dr. Georg Eggers, Kiefer­chirurg/Kopfzentrum Weinheim, Dürrestraße 2, 69469 Weinheim für die gute Zusammenarbeit bzgl. der dreidimensionalen Diagnostik, Setzen der Minischrauben und Freilegung der verlagerten Dreier.

Ein Beitrag von Dr. Andrea Freudenberg und Daniel Fuchs, beide Weinheim

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

 

Quelle: Quintessenz Kieferorthopädie 02/19 Kieferorthopädie Zahnmedizin

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