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Durchbruchsstörungen im Bereich der Prämolaren und Molaren

Klinisches Beispiel für verschiedene Formen der Durchbruchsstörungen der ersten Molaren. Rechtsseitig zeigt sich das Bild einer PFE Typ 2.

Im Rahmen der Entwicklung der Dentition findet der Durchbruch der Prämolaren und Molaren normalerweise zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr statt und ist eng koordiniert mit der sagittalen und vertikalen Entwicklung des Gesichts. Störungen im Durchbruch dieser Zähne sind seltener als im Bereich der Eck- und Frontzähne. Sie können in beiden Kiefern an isolierten Zähnen einseitig oder beidseitig auftreten oder es können mehrere Zähne betroffen sein mit entsprechend schwer­wiegenderen Auswirkungen auf die Kaufunktion. Bezüglich der auslösenden Ursachen kommen systemische/biologische und lokale/mechanische Ursachen infrage. Für die Wahl einer erfolgreichen Therapie und ihres Zeitpunktes ist eine sorgfältige Differenzialdiagnostik und Ätiologiebestimmung von entscheidender Bedeutung.

Prof. Andreas Jäger et al. stellen in ihrem Übersichtsartikel als Teil 2 der Artikelserie zu Zahn­durchbruchsstörungen in der Quintessenz Zahnmedizin 10/21 die Klinik, die Differenzialdiagnostik und mögliche Therapie­ansätze spezifisch für die auftretenden Durchbruchsstörungen im Bereich der Prämolaren sowie der ersten und zweiten Molaren vor und fasst diese unter Berücksichtigung der Praxis von (Kinder-)Zahnärzt/-innen, Kieferorthopäd/-innen sowie Kiefer- und Oralchirurg/-innen als Hilfestellung für eine erfolgreiche Behandlung der zumeist jugendlichen Patient/-innen zusammen. Der erste Teil der Artikelserie zu Zahndurchbruchsstörungen ist in der Quintessenz Zahnmedizin 4/21 erschienen.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Nachdem im ersten Teil der Artikelserie auf Durchbruchsstörungen im Bereich der oberen Frontzähne eingegangen wurde, sollen im zweiten Teil solche im Bereich der Prämolaren und Molaren im Mittelpunkt stehen. Obwohl die dritten Molaren, die „Weisheitszähne“, bezüglich der Häufigkeit klinisch zu beobachtender Durchbruchsprobleme mit Abstand führend sind, werden diese im Rahmen dieses Beitrages nicht berücksichtigt. Die klinische Entscheidung, ob und wann Weisheitszähne erhalten oder entfernt werden sollten, wurde bereits an verschie­dener Stelle ausführlich diskutiert. Für die Praxis empfiehlt sich hier eine Orientierung an der aktuellen S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e. V. (DGZMK) und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) zur operativen Entfernung von Weisheitszähnen (AWMF-Reg.-Nr. 007-003).

Die bleibende Dentition bricht physiologischerweise zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr in die Mundhöhle durch. Die eruptiven Bewegungen der Zähne enden dabei aber nicht mit dem kompletten Durchbruch der Zähne, sondern diese kompensieren darüber hinaus während des weiteren Gesichtswachstums die sagittale und vertikale skelettale Entwicklung sowie später auch okklusale Abrasionen durch adaptive Zahnbewegungen. Aus diesem Grund ist das Auftreten eines ggf. progredient seitlich offenen Bisses eines der zentralen Merkmale einer Zahndurchbruchsstörung im Seitenzahnbereich. Bei auftretenden Störungen erfordert die Therapie der individuell betroffenen Zähne – in Abhängigkeit der individuellen Ursache für die Störung – dezidierte Kenntnisse der physiologischen Entwicklungsabläufe und umfangreiche klinische Erfahrung. Dies gilt sowohl für die Wahl der erforderlichen Differenzialdiagnostik und des richtigen Zeitpunktes für den Beginn einer therapeutischen Intervention als auch für die Wahl des individuell angemessenen Umfanges der therapeutischen Maßnahmen.

Vor einer Beschreibung der Probleme im Bereich der unterschiedlichen Zahngruppen erscheint es zunächst wichtig, übergeordnet die teilweise etwas unübersichtliche Nomenklatur betreffend die klinisch beobachteten Durchbruchsstörungen zu prä­zisieren und bezüglich der zugrundeliegenden Ätiolo­gie und der prinzipiellen kieferorthopädischen Therapiemöglichkeiten zu differenzieren (Tab. 1).

Eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Zahndurchbruchsstörungen ist im komplett ausgebildeten Gebiss in der Regel gut möglich. In der Phase des Wechselgebisses, in der vor allem die Anzahl der betroffenen Zähne und mögliche Verzögerungen in deren Entwicklung noch nicht abschließend beurteilt werden können, ist die Differenzialdiagnostik im Einzelfall schwierig16,29,30,37. Die klinische Untersuchung und die Bildgebung reichen hier häufig nicht aus und eine abschließende Diagnose kann gegebenenfalls erst nach Ablauf einer gewissen Beobachtungszeit erfolgen. Dies ist dann im Einzelfall problematisch, da zur Vermeidung von Sekundärschäden (zum Beispiel Verlust an vertikaler Höhe des Alveolarknochens, Elongation von Antagonisten und/oder Kippung von Nachbarzähnen) möglichst frühzeitig über die Einleitung interzeptiver Maßnahmen entschieden werden muss. Besonders wichtig ist die Unterscheidung von primären („Primary failure of eruption”, PFE) und mechanischen („Mechanical failure of eruption”, MFE) Ursachen für die Durchbruchsstörung. Neben den in der Tabelle 1 aufgeführten klinischen und radiologischen Befunden stellen hier human­ge­netische Tests zur Diagnostik von genetischen Störungen des Zahndurchbruchmechanismus ein wichtiges Werkzeug für eine gezielte Diagnostik dar16,30.

Entsprechend der bekannten typischen Durchbruchszeiten für die ersten Molaren, die Prämolaren und die zweiten Molaren treten mögliche Probleme bei den in der Regel jugendlichen Patienten zu unter­schiedlichen Zeitpunkten in der Dentitionsentwicklung auf. Aus diesem Grund sollen im Weiteren die typischen Störungen in der chronologischen Reihenfolge ihres möglichen Auftretens vorgestellt werden.

Durchbruchsstörungen im Bereich der ersten Molaren

Die Häufigkeit einer beobachteten Durchbruchsstörung im Bereich der ersten und zweiten Molaren wird in der Literatur mit zwischen 0,1 und 4,6 Prozent angegeben24. Für eine angemessene prognostische Einschätzung, Therapieplanung sowie das Inter­ventionstiming ist eine sorgfältige Differenzialdia­gnostik der Ursache der Störung von entscheidender Bedeutung, weshalb die verschiedenen Ursachen mit ihren klinischen Spezifika folgend beschrieben werden.

Primäre Durchbruchsstörungen (PFE)

Die Prävalenz für eine PFE wird von verschiedenen Autoren auf sehr niedrige 0,01 Prozent geschätzt16,30,37. Eine spezifische Verteilung auf die Geschlechter, Ober (OK)- oder Unterkiefer (UK) sowie rechte oder linke Seite wurde nicht beobachtet. Betroffen waren nach einer Studie von Rhoads et al.30 neben den ersten Molaren (91 Prozent) etwas weniger häufig die zweiten Molaren (ca. 66 Prozent), aber auch die Prä­molaren (61 Prozent) und die Milch­molaren (21 Prozent).

Ätiologie

Bei den primären Durchbruchsstörungen handelt es sich um eine Störung des biologischen Durchbruchmechanismus der Zähne. Es wurde schon früh eine familiäre Häufung betroffener Patient/-innen beobachtet. Daher war es ein wichtiger Erfolg für die Wissenschaft, als in der genetischen Forschung zumindest für einen Teil der betroffenen Patient/-innen die Beteiligung eines Polymorphismus im Bereich des „Parathyroid hormone 1“ (PTH1)-Rezeptors mit der PFE in Verbindung gebracht werden konnte16,30,37.

Differenzialdiagnostik/Bildgebung/Prognose

Im Röntgenbild des bleibenden Gebisses befinden sich typischerweise die betroffenen Zähne in einer suprakrestalen Position und im Bereich des erwarteten Durchbruchswegs des Zahns ist der Knochen komplett resorbiert. Nach dem klinischen Erscheinungsbild können bei der PFE prinzipiell 3 Subtypen unterschieden werden. Beim Typ 1 sind alle Zähne distal des ersten betroffenen Zahns gleichmäßig betroffen. Entsprechend nimmt der beobachtete, seitlich offene Biss nach distal zu. Beim Typ 2 sind die Zähne dagegen unterschiedlich stark betroffen, woraus ein variabel seitlich offener Biss resultiert. Zusätzlich wird auch ein Mischtyp (Typ 3) beobachtet, bei dem die Merkmale der Typen 1 und 2 in den verschiedenen Quadranten unterschiedlich imponie­ren (Abb. 1a). Differenzialdiagnostisch ist in der frühen Gebissentwicklung vor allem eine Abgrenzung der PFE von Ankylosen oder anderen mechanischen Ursachen für die Durchbruchsstörung wichtig.

Therapeutisches Management

Zahlreiche Autoren berichten über die fehlende, ja sogar negative Reaktion der von einer PFE be­trof­fenen Zähne auf kieferorthopädisch applizierte Kräfte16,30,37. Da zumeist auch die weiter posterior liegenden Zähne betroffen sind, ist eine frühzeitige Extraktion der ersten Molaren wenig hilfreich. Somit empfiehlt sich in der Regel eine abwartende und beobachtende Vorgehensweise sowie eine Aufklärung der betroffenen Patienten über mögliche spätere chirurgische und/oder prothetische Therapiemaßnahmen. Die genetisch verifizierte Diagnose „Pri­märe Durchbruchsstörung“ kann die Patient/-innen und Behandler/-innen daher vor einer jahrelangen, frustranen Behandlung schützen, da eine alleinige kieferorthopädische Behandlung nicht zum Erfolg führt und sich sogar negativ auf nicht betroffene Zähne und Kieferareale auswirken kann16,30,37.

Ankylose

Die Prävalenz für das Auftreten von Ankylosen wird in der Literatur zwischen 1,5 und 9,9 Prozent ohne Prä­ferenz für ein Geschlecht angegeben6. Betroffen sind dabei vor allem die Milchmolaren (ca. 10:1). Bei den bleibenden Zähnen weisen am häufigsten die ersten Mo­laren (UK zu OK ca. 2:1) eine Ankylose auf (Abb. 1b). In histologischen und Compu­tertomografie (CT)-Untersuchungen an betroffenen ersten Molaren loka­lisierten Raghoebar et al.29 die An­kylose vorwiegend in der Region der Bi- bzw. Trifurkation der Wurzel.

Ätiologie

Zu einer Ankylose kommt es nach einer lokalisierten Zerstörung des faserigen Parodontalligaments mit einer knöchernen Verwachsung zwischen Alveolarknochen und Wurzelzement. Sie kann jederzeit im Verlauf des Zahndurchbruchs, vor oder nach dem Eintritt in die Mundhöhle auftreten, und führt je nach Entwicklungsstand des Patienten zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Infraokklusion des betroffenen Zahns6,24,37. Als Ursache werden lokale, bis in das Dentin reichende Wurzelresorptionen diskutiert, verursacht durch zum Beispiel Traumata oder eine Infektion, aber auch eine familiäre Häufung wurde beobachtet29. Ankylosen zeigen typischerweise keine Ausheilung. In einzelnen seltenen, lokal begrenzten Fällen wurde jedoch eine spontane Regeneration des Par­odontalligamentes beschrieben.

Differenzialdiagnostik/Bildgebung/Prognose

Für die Differenzialdiagnostik einer Ankylose wird in der Literatur neben der Bildgebung ein spezieller heller Perkussionsschall angegeben. Allerdings betrugen nach den Studien von Raghoebar et al.29 die Sensitivität der konventionellen Röntgendiagnostik und des Klopfschalltests lediglich 21 bzw. 29 Prozent bei einer Spezifität von jeweils 100 Prozent. Im Rahmen der klinischen Untersuchung wird unter anderem auch der Einsatz des Periotest-Geräts empfohlen, eine Validierung für diese Diagnostik erfolgte jedoch bisher nicht. Bessere Ergebnisse können durch die Auswer­tung von 3-D-Röntgenbildern (Digitale Volumentomografie (DVT), CT) erwartet werden14. In Einzelfällen ergibt jedoch lediglich eine longitudinale klinische Beobachtung die definitive Diagnose.

Therapeutisches Management

Die therapeutischen Überlegungen bei ankylosierten ersten Molaren sind vorrangig abhängig davon, in welcher Phase der Gebiss- und Gesichtsentwicklung die Ankylose eintritt. Ein frühes Auftreten führt im Verlaufe der kontinuierlichen vertikalen Entwicklung zu einer zunehmenden Infraokklusion des betroffenen Zahns und zu einem Verlust an vertikaler Höhe des Alveolarfortsatzes. Da eine Reaktion des Zahns auf kieferorthopädische Kräfte blockiert ist, gibt es in der Literatur zahlreiche Fallberichte über die Einordnung ankylosierter Molaren nach einer zuvor erfolgten „chirurgischen Luxation“. Die anschließend verwendeten eher großen extrusiven Kräfte sollten dann möglichst direkt nach der Luxation appliziert werden und kontinuierlich auf nahezu gleichem Niveau einwirken. Allerdings gilt es zu bedenken, dass es bei einer Lokalisation der Ankylose im Bereich der Bifurkation beziehungsweise im interradikulären Bereich schwierig sein kann, diese tatsächlich adäquat zu „brechen”, da die Rotationsbewegung bei der Luxation um diese Region herum erfolgt. Weiterhin beinhaltet eine Luxation und der anschließende Versuch der kieferorthopädischen Extrusion ankylosierter permanenter Molaren prinzipiell das Risiko einer Re-Ankylose18,29. Daher wird empfohlen, eine solche Therapie möglichst erst nach Abschluss oder bei lediglich geringem noch zu erwartenden vertikalem Restwachstum durchzuführen. Bei einer früh in der Entwicklung festgestellten Ankylose ist eine zeitgerechte Extraktion der betroffenen Zähne angeraten, wobei im Idealfall eine spontane Aufwanderung der zweiten Molaren erfolgt beziehungsweise der Aufwand eines aktiven kieferorthopädischen Lückenschlusses reduziert werden kann13,26.

Ektoper Zahndurchbruch/Abweichung der Zahnachse/Platzmangel

Ein ektoper Durchbruch der oberen ersten Molaren wurde bei Patient/-innen im Alter zwischen 6 und 9 Jahren mit einer Häufigkeit von 2 bis 6 Prozent beschrieben. Beide Geschlechter sind offenbar in gleichem Maße betroffen, allerdings ist der OK ca. 25-mal häufiger betroffen als der UK5,7,8,12,19.

Ätiologie

In der Ätiopathologie spielen neben lokalen Faktoren scheinbar auch genetische Faktoren eine Rolle. So wurde das Problem familiär gehäuft beobachtet und zudem auch signifikant häufiger in Kombination mit anderen Dentitionsstörungen wie zum Beispiel retinierten Milchmolaren oder verlagerten Eckzähnen sowie bei Patient/-innen mit Lippen-Kiefer-Gaumen (LKG)-Spalten diagnostiziert. Weiterhin spielen offenbar die Größe des betroffenen Molaren, dessen Achsenstellung sowie die Platzverhältnisse in der posterioren Maxilla beziehungsweise Mandibula eine Rolle5,7,8,12,19.

Differenzialdiagnostik/Bildgebung/Prognose

Klinisch ist vor allem die Retention des ersten Mo­laren unter dem Milchmolaren sowie die mesiale Kippung des Zahns auffällig (Abb. 1c). Je nach Schwere der Verlagerung kommt es zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Resorption des Milchmolaren, welcher dann im Einzelfall auch spontan verloren gehen kann, was dann den spontanen Durchbruch des ersten Molaren ermöglicht. Im Röntgenbild (Zahnfilm oder Orthopantomogramm (OPG)) kann die Relation zwischen der Zahnkrone und der Wurzel des Milchmolaren und das Aus­maß der eingetretenen Wurzelresorptionen beurteilt werden.

Ein wichtiger Hinweis kann auch eine auffällige Asymmetrie im Durchbruch der Zähne auf der rechten oder linken Seite sein. Als mögliche Folgen eines ektopen Molarendurchbruchs sind Infektionen in dem betroffenen Interdentalraum (Karies, Gingivitis) oder der Verlust des Milchmolaren zu nennen. Letzte­res hat eine zunehmende Mesialwanderung/-kippung des ersten Molaren mit resultierendem Platzverlust in der Stützzone und einer Durchbruchsbehinderung für den zweiten Prämolaren zur Folge.

Therapeutisches Management

Eine wichtige klinische Beobachtung besteht darin, dass die betroffenen Zähne in 50 bis 60 Prozent der Fälle ohne therapeutische Maßnahmen spontan durchbrechen („self correction“ oder „jump type“). Im anderen Fall („reversal type“ oder „hold type“) bleibt der erste Molar unter dem zweiten Milchmolaren retiniert. Zur Einschätzung der Prognose eines spontanen Durchbruchs erwies sich das Ausmaß der stattgefundenen Resorption des Milchzahns als vali­der Parameter5,7,8,19. Chen et al.12 definierten zudem am OPG einen „Magnitude of impaction index“ (MOII), welcher ebenfalls für diese Vorhersage herangezogen werden kann (Abb. 2).

Abb. 2 Von Chen et al.12 wurde zur Einschätzung der Prognose eines spontanen Durchbruches ein kritischer MOII-Wert von ca. 0,2 bestimmt. Dieser wird anhand des OPG wie gezeigt ermittelt. Liegt der MOII unter 0,2, ist eine spontane Korrektur wahrscheinlich, liegt er darüber, wird diese immer unwahrscheinlicher.
Abb. 2 Von Chen et al.12 wurde zur Einschätzung der Prognose eines spontanen Durchbruches ein kritischer MOII-Wert von ca. 0,2 bestimmt. Dieser wird anhand des OPG wie gezeigt ermittelt. Liegt der MOII unter 0,2, ist eine spontane Korrektur wahrscheinlich, liegt er darüber, wird diese immer unwahrscheinlicher.

Bei der Planung des therapeutischen Vorgehens gehen daher neben dem Alter des Patienten das Ausmaß der Impaktion und der Resorption des Milchmolaren in die Entscheidung ein. Da ein spontaner Zahndurchbruch typischerweise vor dem 7. Lebensjahr erfolgt, kann bei einer Diagnose vor dem 8. Lebensjahr und einer weniger schweren Impaktion eine Beobachtungszeit von ca. 6 Monaten vorgesehen werden. Erfolgt in diesem Zeitraum keine Verbesserung, müssen aktive Maßnahmen
geplant werden. Eine rechtzeitige Distalisation des ersten Molaren kann dann gegebenenfalls die weitere Resorption des Milchmolaren aufhalten. Für diese Bewegung wurden in der Literatur einfache Maßnahmen wie Separatoren, aber auch verschiedene herausnehmbare und festsitzende Apparaturen inklusive der Verwendung eines „Headgear“ beschrieben8,19. In Fällen mit einer schweren Impaktion und bereits ausgeprägter Resorption des Milchmolaren sollte dieser extrahiert werden. In diesem Fall muss unbedingt die Notwendigkeit eines Lückenhalters oder gegebenenfalls einer aktiven Distalisation des ersten Molaren zur Platzkontrolle abgeklärt werden.

Weitere mechanische Hindernisse

Weitere mechanische Durchbruchshindernisse betreffend soll an dieser Stelle lediglich noch aufgeführt werden, dass im Falle der Identifikation einer derben mukosalen Bedeckung über einem durchbrechenden ersten Molaren (Abb. 1d), welcher ansonsten keine der oben beschriebenen morphologischen Auffälligkeiten aufweist, eine chirurgische „Operkulektomie“ eine wenig belastende und häufig erfolgversprechende Maßnahme darstellt39. Weitere Hindernisse, zum Beispiel Tumore oder Zysten, müssen selbstverständlich differenziert diagnostisch und therapeutisch adressiert werden (Abb. 1e).

Durchbruchsstörungen im Bereich der Prämolaren

Insgesamt liegt die Prävalenz von Durchbruchs­störungen der Prämolaren bei 0,2 bis 2,7 Prozent, wobei der UK häufiger betroffen ist als der OK und der zweite Prämolar häufiger als der erste15,20,28. Die mandibulären zweiten Prämolaren sind dabei – nach den Eckzähnen des OK – mit 24 Prozent aller impaktierten Zähne die am zweithäufigsten von Durchbruchs­störungen betroffenen Zähne, wenn man die dritten Molaren außer Betracht lässt3,15,22,28.

Ätiologie

Die wichtigsten ätiologischen Faktoren für eine Impaktion von Prämolaren sind lokale Faktoren wie Platzmangel, Defizite der Zahnbogenlänge, eine ektope Position der Zahnkeime, follikuläre Zysten und Durchbruchshindernisse wie ankylosierte Milch­vorgänger, aber auch überzählige Zahnanlagen oder Odontome. Allerdings existiert bei ektopen Zahnkeimpositionen offensichtlich auch eine erbliche Kom­ponente22. Zudem wird eine erhöhte Prävalenz der Prämolarendurchbruchsstörung bei verschie­denen Syndromen wie beispielsweise der cleido­kranialen Dysplasie und dem Downsyndrom oder bei systemischen Erkrankungen wie Osteopetrose, Hypothyreose und Hypophysenunterfunktion beschrieben3,10,20,28.

Dass insbesondere die zweiten mandibulären Prämo­laren von Durchbruchsstörungen betroffen sind, hängt mit der regelhaften Durchbruchssequenz der Zähne in den Stützzonen zusammen. Liegt in der Stützzone ein primärer Platzmangel vor, so äußert sich dieser häufig darin, dass der im Regelfall zuletzt durchbrechende zweite Prämolar keinen Platz mehr im Zahnbogen findet und entweder außerhalb des Zahnbogens durchbricht oder impaktiert bleibt28. Auch bei Platzverlust in den Stützzonen durch frühzeitigen Milchzahnverlust kann durch die Mesialwanderung oder -kippung des ersten Molaren
der Durchbruch des zweiten Prämolaren behindert werden28.

Der Zahnkeim des zweiten Prämolaren des UK liegt idealerweise zwischen den Wurzeln des zweiten Milchmolaren4,28. Normalerweise erfolgt die Eruption in vertikaler Richtung durch die Resorption der Wurzeln des Milchmolaren. Allerdings ist eine abnormale Zahnkeimposition, beispielsweise eine Angulation nach distal, keine Seltenheit, welche sich allerdings während des Zahndurchbruches häufig von selbst korrigiert (Abb. 3a). Insbesondere bei Nichtanlage des kontralateralen Prämolars wurde gehäuft eine verstärkte distale Inklination des Zahn­kei­ms beobachtet, die zu Verlagerungen und Impaktionen führen und in Einzelfällen sogar eine Schädigung (Resorption) der ersten Molaren nach sich ziehen kann4,20 (Abb. 3b).

Eine Studie aus dem Jahr 2020 konnte bei knapp der Hälfte (46 Prozent) der untersuchten ektopen zweiten mandibulären Prämolaren mindestens an einem weiteren Zahn eine Durchbruchsstörung feststellen, wobei es sich in den meisten Fällen um einen anderen zweiten Prämolaren handelte. In mehr als 10 Prozent der untersuchten Fälle lag eine familiäre Häufung ähnlicher Ektopien vor20.

In vielen Fällen behindert eine mit einer Prä­valenz von 6 bis 14 Prozentbezifferte Ankylose des Milchvor­gängers die Eruption des bleibenden Prämolaren6. Komplikationen wie Kippungen der Nachbarzähne mit resultierendem Platzverlust in der Stützzone und auch die Supraposition des Okklusionspartners sind mögliche Folgen10 (Abb. 3c).

Differenzialdiagnostik/Bildgebung/Prognose

Durch die klinische und radiologische Untersuchung werden die Platzverhältnisse, die Lage des Zahnkeims, das Stadium der Wurzelentwicklung und mögliche Durchbruchshindernisse bestimmt20. Bei der klinischen Untersuchung ist insbesondere die Platzanalyse von entscheidender prognostischer Bedeu­tung. Fehlt der Platz für den Durchbruch der Prämolaren im OK oder UK, kann ein Durchbruch außerhalb des Zahnbogens palatinal beziehungsweise lingual die Folge sein20,27.

Für die radiologische Diagnostik bieten sich Zahnfilme und OPG an, um einen Eindruck von der Wurzelentwicklung und von der Lage des Zahnkeims zu bekommen beziehungsweise mögliche Durchbruchshindernisse zu identifizieren10,15,20. Ein ektoper Zahn mit einer Wurzelentwicklung, die zur Hälfte bis zu drei Vierteln abgeschlossen ist, sollte mithilfe von Röntgenaufnahmen überwacht werden. In der Regel lässt sich nach 3 bis 6 Monaten eine Durchbruchsrichtung bestimmen. Zudem kann die Wahrscheinlichkeit eines Spontandurchbruches, aber auch die Gefahr von möglichen Schädigungen der Nachbarstrukturen abgeschätzt werden20. Bei den zweiten Prämolaren des UK wird in seltenen Fällen das Phänomen einer Transmigration – das heißt, der Zahn oder die Zähne sind weit vom Alveolarfortsatz entfernt – beobachtet27,35. Beispielsweise wurden Fälle beschrieben, bei denen ein zweiter Prämolar bis in den Kondylus oder den Processus coronoideus gewandert war. Eine Ent­fernung dieser migrierten Zähne ist in den meisten Fällen sinnvoll27,35.

Im Falle von ankylosierten Milchvorgängern können anhand der Röntgendiagnostik mögliche ausbleibende Anzeichen für eine Resorption des Zahnes sowie stärkere Kippungen oder eine Durchbruch­behinderung von Nachbarzähne identifiziert werden.

Therapeutisches Management

Ob eine Durchbruchsstörung von Prämolaren vorliegt, kann auf einer Röntgenaufnahme sowohl an der Wurzelentwicklung in Relation zum Durchbruchsfortschritt als auch an der Position des Zahns eingeschätzt werden. Dabei ist es wichtig, eine durch Platzmangel verursachte Durchbruchsstörung von einer durch eine ektope Lage des Zahnkeims bedingten Durchbruchsstörung zu unterscheiden20. Während bei einer Durchbruchsstörung durch Platzmangel die Auflösung des Engstands im Vor­dergrund steht, richtet sich der Fokus einer Behandlung der ektopen Impaktion auf eine Unterstützung des Eruptionsprozesses durch Schaffung oder Korrektur eines Eruptionspfades20.

Als präventive Maßnahme für Prämolarendurchbruchsstörungen bei Platzmangel kann der Platz­erhalt mittels eines Lückenhalters nach frühzeitigem Milchzahnverlust angesehen werden. Im Falle einer den Durchbruch scheinbar behindernden Ankylose des Milchmolaren ist nach Studien von Kurol und Koch23 dessen vorzeitige Extraktion nur in aus­gewähl­ten Fällen erforderlich. Hier werden eine deutliche Achsenabweichung des nachfolgenden Prämolaren sowie feh­lende Anzeichen einer Wurzelresorption oder starke Kippungen der Nachbarzähne als rechtfertigende Indi­kation für eine Extraktionsentscheidung angeführt23,32 (Abb. 3d). Die geschaffene Extraktionslücke muss durch einen Platzhalter gehalten werden, um einen Platzverlust in den Stützzonen zu vermeiden.

Bei einer geringen Infraokklusion durch die An­kylose der Milchmolaren kann die Mesialkippung der ersten Molaren und die Elongation des Okklu­sionspartners mit Restaurationen im Sinne von Stahlkronen oder eines anderweitigen Okklusionsaufbaues verhindert werden10.

Kommt es durch einen primären oder sekun­dä­ren Engstand aufgrund der Platzproblematik zu einer Durchbruchsstörung, gibt es – je nach Ausmaß des Platzbedarfes – verschiedene therapeutische Ansätze, die sowohl die Extraktion von bleibenden Zähnen als auch die Rückgewinnung des verloren gegangenen Platzes durch Lückenöffnung miteinschließen. Üblicherweise wird nach den Platzbeschaf­fungs­maß­nahmen zunächst ein Spontan­durch­bruch des Zahnes abgewartet, bevor weitere Interventionen wie beispielsweise eine kieferorthopädische Ein­ordnung geplant werden10,27.

Bei ektoper Zahnkeimlage müssen in Abhängigkeit von der Position des Prämolaren (Verlagerungstiefe und Angulation), der Beziehung zu den Nachbarzähnen und der Platzverhältnisse verschiedene Therapieoptionen abgewogen werden. Infrage kommen hier die Extraktion des Milchvorgängers und ein anschließender Platzerhalt mittels Lückenhalter, eine kieferorthopädische Einordnung ggf. nach chirurgischer Freilegung, eine chirurgische Reposi­tio­nierung, eine Autotransplantation und auch die Extraktion des verlagerten Prämolaren3,10,20,28.

Dabei ist ein nach dem Ausprägungsgrad der Impak­tion und Angulation des Prämolaren hinsichtlich der Invasivität der Therapie abgestuftes Vorgehen ratsam. Nach Ismail et al. ist eine spontane Eruption wahrscheinlicher, wenn die Impaktionstiefe des betroffenen Prämolaren 5 mm zur Schmelzzementgrenze des ersten Molaren und seine Achsenneigung zur Längsachse des ersten Molaren bis zu 55° nicht überschreitet. In den Fällen, in denen nach 3 bis 6 Monaten kein signifikanter Durchbruchsfortschritt sichtbar ist, wird empfohlen den primären Vorgänger zu extrahieren, um die Eruption zu unterstützen und den Eruptionspfad vorzugeben, da sich nach der Extraktion der Milchmolaren häufig doch noch spontane Angulationskorrekturen mit regelrechten Einstellungen in den Zahnbogen zeigen20. Der Zeitpunkt der Extraktion darf allerdings nicht zu früh erfolgen, da sonst der Durchbruch des bleibenden Prämolaren auch verzögert werden kann bzw. sich eine Aufrichtung aufgrund fehlender Leitstrukturen nicht einstellt22.

Ab einer Impaktionstiefe von bis zu 5 mm, aber einer größeren Angulation (> 55 bis 95°) wird eine chirurgische Freilegung empfohlen20. Der Eingriff beinhaltet die Entfernung von Knochen und Weichgewebe und damit die Freilegung der gesamten Okklusionsfläche des Zahnes. Der Zahn sollte dann ohne fremde Hilfe durchbrechen, indem eine Verbindung von der Krone zur Mundhöhle entlang des normalen Eruptionsweges erhalten wird10.

Eine aktive kieferorthopädische Einordnung mittels eines Attachments und einer kieferorthopädischen Apparatur wird bei der Einschätzung einer zu langsamen oder fehlenden Spontaneruption oder erheblichen Dystopien zur Steuerung der Durchbruchsrichtung notwendig10. In der Regel nutzt man für die kieferorthopädische Einordnung kontinu­ierliche Zugkräfte, die mittels Hebelmechaniken gesteuert aufgebracht werden.

Die chirurgische Freilegung, ob nun als Einzel­maßnahme oder in Kombination mit dem Kleben eines kieferorthopädischen Attachments, birgt das Risiko späterer mukogingivaler Probleme für den durchgebrochenen Zahn, beispielsweise bei einem Durchbruch in der nicht befestigten Gingiva oder bei Verletzungen der befestigten Gingiva durch das Attachment und/oder die daran befestigte Zugkette, was nach Möglichkeit durch entsprechende chirurgische und kieferorthopädische Techniken umgangen werden sollte. Weiterhin können im Einzelfall verschiedene Ausprägungsgrade einer Pulpaobliteration, eine Wurzelverkürzung oder eine Ankylose auftreten10,22.

Eine chirurgische Repositionierung oder Autotransplantation kann indiziert sein, wenn der Zahn eine erheblich aberrante Achsneigung aufweist oder wenn er – einmal freigelegt – nicht durchbricht10. Dabei hängt die Erfolgswahrscheinlichkeit unter anderem von der Wurzelentwicklung ab, die ca. drei Viertel der zu erwartenden Länge mit noch offenem Apex betragen sollte, da so die Möglichkeit gegeben ist, dass die Wurzel revaskularisiert und auch gute Heilungschancen für das Parodont bestehen20. Allerdings wurden in einer Studie bei 75 Prozent der erfolgreich chirurgisch repositionierten Zähne Obliterationen des Wurzelkanals und bei den restlichen Zähnen eine Pulpanekrose beobachtet20. Weitere Nebenwirkungen betreffen Auswirkungen auf den Alveolarknochen und die neurovaskuläre Versorgung des Kiefers20,22. Aufgrund der möglichen Komplikationen sollte eine chirurgische Repositionierung nur dann durchgeführt werden, wenn konservativere Methoden versucht wurden oder nicht indiziert sind22.

Durchbruchsstörungen im Bereich der zweiten Molaren

Durchbruchsstörungen im Bereich der zweiten Mo­laren liegen nach der aktuellen wissenschaftlichen Literatur zwischen 0,5 und 2,5 Prozent (UK > OK), wobei beide Geschlechter in etwa gleich betroffen sind. Sowohl ein einseitiges als auch ein symmetrisches Auftreten kann beobachtet werden9,17,24,36.

Ätiologie

Als mögliche Ursache wurde die Beteiligung der zweiten Molaren an einer primären Durchbruchs­störung bereits oben erläutert. Neben der möglichen Behinderung durch eine derbe mukosale Bedeckung ist jedoch in den allermeisten Fällen ein Platzmangel/ Engstand im posterioren Bereich des Zahnbogens für die Störung verantwortlich. In diesem Zusammenhang ist daher auch das gehäufte Auftreten des Problems in dem jeweiligen Kiefer mit einer skelettalen Mikro- und/oder Retrognathie und auch die beobachtete familiäre Häufung erklärbar. Ein weiterer häufig beobachteter Befund ist eine übermäßige Inklination der betroffenen Zähne nach mesial2,9,17,24,36.

Die klinische Erfahrung und auch die aktuelle Lite­ratur ergibt zudem Hinweise auf eine iatrogene Impaktion der zweiten Molaren durch interzeptive kieferorthopädische Maßnahmen, zum Beispiel zum Erhalt der „Stützzone“, und umso mehr nach aktiver Dis­ta­lisation der ersten Molaren33,34. Dieses wird verständ­lich angesichts der physiologischerweise ablaufenden „mesialen Drift“ der ersten Molaren währen der normalen Entwicklung der Dentition31 (Abb. 4a).

Differenzialdiagnostik/Bildgebung/Prognose

Die Diagnostik einer Eruptionsstörung ist im Normalfall anhand der Standardunterlagen (Modelle, OPG und Fernröntgenseitenbild (FSR)) möglich. Nur in Einzelfällen ist die Anfertigung von 3-D-Röntgenbildern, zum Beispiel DVT, erforderlich. Von besonderer Bedeutung ist eine Analyse der Platzverhältnisse im Bereich der hinteren apikalen Basis und der Achsenstellung der zweiten Molaren zur Okklusionsebene.

Nach den vorliegenden Studien steigt das Risiko für eine Retention der zweiten Molaren bei einer größeren mesialen Neigung der Zähne relativ zum ersten Molaren (> 30°), einem kleinen Abstand der ersten Molaren vom vorderen Ramusrand zu einem Zeitpunkt, wenn bereits zwei Drittel der Wurzel (< 12 mm) der zweiten Molaren gebildet sind, sowie bei einem auffälligem Längenunterschied zwischen der mesialen und distalen Wurzel2,17,36 (Abb. 4b).

Therapeutisches Management

Auch bei der Einstellung der zweiten Molaren gibt es die Möglichkeit einer verzögerten Einstellung, sodass eine spontane Korrektur der vermuteten Durchbruchsstörung eintreten kann. Nach Abschluss des Wurzelwachstums sinkt diese Wahrscheinlichkeit jedoch signifikant. Bei einem einseitig verzögerten Durchbruch sollten eine Röntgenaufnahme ange­fertigt und die Achsenstellung sowie der Stand der Wurzelentwicklung diagnostiziert werden.

Bei einer unauffälligen Achsenstellung des Zahns kann bei korrekter Indikation die chirurgische Freilegung des betroffenen Zahns mit Entfernung eines derben bedeckenden Weichgewebes zum spontanen Durchbruch führen1. Zusätzlich – oder auch als alleinige Maßnahme – wird eine frühzeitige Extraktion des dritten Molaren genannt. Bei einer Neigung der Zähne von mehr als 30° nach mesial hat sich für eine aktive orthodontische Einstellung die Aufrichtung der Zähne – in einfachen Fällen mit Separatoren, ansonsten mit Aufrichtefedern – bewährt17,38 (Abb. 5). Hier stellt die Verwendung einer skelettalen Verankerung eine wichtige Erweiterung der Therapieoptionen dar38. Zur Anbringung der Mechanik ist häufig eine zumindest teilweise chirurgische Freilegung der Zahnkrone erforderlich. Diese Maßnahme kann mit oder ohne Extraktion des benachbarten dritten Molaren erfolgen. Letztendlich besteht dann auch die Möglichkeit, die retinierten zweiten Molaren zu entfernen und eine Einordnung der dritten Molaren anzustreben.

In einer retrospektiven Studie verglichen Magnusson et al.25 den klinischen Erfolg der unter­schiedlichen beschriebenen Therapieansätze und identifizierten dabei die chirurgische Freilegung der zweiten ohne (71-Prozent-Erfolg) oder mit (50-Prozent-Erfolg) gleichzeitiger Entfernung der dritten Molaren als die Maßnahmen mit der günstigsten Prognose. Die Notwen­digkeit einer Unterstützung durch eine kieferorthopädische Aufrichtung ergab sich vor allem bei betroffenen Zähnen im UK. Die Extraktion der impaktierten zweiten Molaren mit Ersatz durch den dritten Molaren war die Therapieform mit der geringsten Erfolgsrate (11 Prozent), wurde aber interessanterweise gleichzeitig am häufigsten gewählt. Ein Behandlungsbeginn vor Abschluss der Wurzelbildung des zweiten Molaren scheint sich positiv auf den Behandlungserfolg auszuwirken. Vergleichbare Ergebnisse ergaben sich auch in einer weiteren klinischen Studie von Kenrad et al.21, welche die besonders geringen Erfolgsquoten für die isolierte Extraktion der dritten Molaren (25,9 Prozent) sowie die Therapie mit Extrak­tion der zweiten Molaren (23 Prozent) bestätigte. Angesichts der auch für die Patienten relativ aufwendigen und teilweise belastenden Therapie sowie der teilweise unsicheren Prognose muss hier auch die chirurgische Luxation des retinierten Molaren mit gleichzeitiger Transposition in die definitive Okklu­sion als mögliche Therapieoption aufgeführt werden. In einer retrospektiven Kohortenstudie mit 260 retinierten zweiten Molaren im UK erzielten Carmi­niti et al.11 mit dieser Methode eine Erfolgsquote von 98,1 Prozent.

Zusammenfassung

Jede auffällige Verzögerung im Durchbruch der Prämolaren oder Molaren bedarf einer sorgfältigen differenzialdiagnostischen Abklärung. Neben Anamnese und klinischer Diagnostik spielt die fallspezifisch ausgewählte Bildgebung eine wichtige Rolle. Mögliche Therapiemaßnahmen sowie deren zeitliche Planung werden bestimmt durch multiple Faktoren wie das Alter, die Ursache für die Störung, die Morphologie und Lage des betroffenen Zahns, die vorhandenen Platzverhältnisse, die Mitarbeit des Patienten sowie nicht zuletzt durch die individuellen Erfahrungen der beteiligten Zahnärzt/-innen, Chirurg/-innen und Kieferorthopäd/-innen. Eine korrekte Differenzierung von systemischen/biologischen und lokalen/mechanischen Ursachen ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass in vielen Fällen durch eine frühzeitige Diagnostik und die Einleitung interzeptiver Maßnahmen zukünftige aufwendige kieferorthopädische Behandlungen vermieden werden können. Aber auch in späteren Phasen der Gebissentwicklung können unter Verwendung angepasster Behandlungs­mechaniken gute Ergebnisse erzielt werden.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Andreas Jäger, Priv.-Doz. Dr. Svenja Beisel-Memmert und Dr. Eric Kutschera, Bonn

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 10/2021 Zahnmedizin Kieferorthopädie

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