Die Zahn- und Mundgesundheit der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt könnte sich infolge des Zahnärztemangels deutlich verschlechtern, warnte Dr. Dorit Richter, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KZV Sachsen-Anhalt, bei einem Pressegespräch am Rande des Neujahrsempfangs der Heilberufler Sachsen-Anhalt am 10. Januar 2024. Ein erstes klares Anzeichen sei der aktuelle Anstieg an Schmerzpatienten in den Praxen.
Gerichtet an die Politik fordert Richter unterstützende Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung und eine deutliche Entlastung der Praxen. Denn es gebe für die zahnärztliche Versorgung – anders als bei der ärztlichen – kein Auffangnetz in den Kliniken für die Patientinnen und Patienten.
Patienten finden keine neue Praxis mehr
Im vergangenen Jahr sind 55 Zahnarztpraxen in Sachsen-Anhalt ohne Nachfolge aus der zahnmedizinischen Versorgung ausgeschieden, so die Zahlen der KZV Sachsen-Anhalt. Jede dieser Praxen betreute einen Patientenstamm von mehreren tausend Personen, die nur zum Teil von anderen Praxen als Neupatienten aufgenommen werden konnten. Viele müssen nun aktiv nach einer neuen Zahnarztpraxis suchen oder bleiben unversorgt. So meldeten sich immer mehr Zahnarztsuchende bei der KZV und der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt. Die Situation wird künftig noch dramatischer, da die Anzahl der im Land tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte in den kommenden Jahren altersbedingt weiter abnimmt und Nachfolger kaum zu finden sind.
Probleme auch in Sachsen
Auch die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen berichtet zum Jahresbeginn von zunehmenden Problemen, weil Zahnärztinnen und Zahnärzte altersbedingt ihre Praxen aufgeben und keine Nachfolgerin/keinen Nachfolger finden. Hier mussten Notdienstkreise neu geordnet werden, mit längeren Wegen für die Patientinnen und Patienten. „Gab es im Jahr 2019 noch 2.427 sächsische Praxen, sank die Zahl im Jahr 2022 auf 2.220 Praxen. Infolge des hohen Altersdurchschnitts der sächsischen Zahnärzteschaft sowie des Mangels an jungen Nachwuchskräften wurde in den letzten Jahren nur etwa jede dritte bis vierte Praxis in Sachsen übernommen. Dieser Trend unterliegt keiner regionalen Besonderheit und betrifft auch Großstädte“, so die KZV Sachsen.
Alle Landesteile in Sachsen-Anhalt betroffen
© Viktoria Kühne
Als Zahnärztin mit eigener Niederlassung in Halberstadt kennt Dr. Dorit Richter die aktuelle Stimmung in den Praxen. Sie betont: „Die Versorgung im Land ist am Limit und viele Zahnärztinnen und Zahnärzte sind mit ihren Praxisteams angesichts des immer höheren Patientenzustroms zunehmend frustriert.“
Präventionsorientierte Zahnheilkunde gerät ins Hintertreffen
Die präventionsorientierte Zahnheilkunde, die in den vergangenen Jahrzehnten in allen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen zu einer deutlichen Verbesserung der Zahn- und Mundgesundheit geführt habe, gerate immer mehr ins Hintertreffen. Immer weniger Menschen im Land hätten eine Hauszahnarztpraxis, bei der sie regelmäßige Kontrolluntersuchungen wahrnehmen können. Vorbeugen sei schon immer die bessere Alternative zum Heilen. Doch aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen stehen in Sachsen-Anhalt immer mehr Schmerz- oder Notfallpatienten vor den Türen der noch tätigen Zahnarztpraxen, so die KZV.
Landesregierung muss unterstützen
Die Erfolge der vergangenen Jahrzehnte bei der Verbesserung der Mundgesundheit der Bevölkerung stünden auf dem Spiel. „Wenn die Politik nicht anfängt, sich dieser Realität zu stellen, werden die Menschen aus Sachsen-Anhalt künftig an ihren schlechten oder sogar fehlenden Zähnen erkennbar sein“, mahnte Richter. Von der Landesregierung erwartet sie aktives Handeln, beispielsweise die Einführung einer Landeszahnarztquote, um die umfassenden Sicherstellungsmaßnahmen und Förderprogramme der Zahnärzteschaft zur Gewinnung und Bindung des zahnärztlichen Nachwuchses im Land zu unterstützen. (Die KZV LSA bietet unter anderem ein Stipendium für ein Zahnmedizinstudium in Ungarn und weitere Hilfen für Studierende an.)
Belastung durch Kostendämpfungspolitik
Wichtig sei aber auch ein Ende der destruktiven Gesundheitspolitik des Bundes. „Anstatt die verbliebenen Praxen zu stärken, werden diese durch die gegenwärtige Kostendämpfungspolitik der Bundesregierung, die unzureichende und kostspielige Digitalisierungsstrategie sowie ständig zunehmende administrative Anforderungen nur noch weiter belastet“, erklärte Richter.
Kein Auffangnetz durch Kliniken
Sie warnt: „Es muss uns bewusst sein, dass es in der Zahnmedizin im Gegensatz zum hausärztlichen Bereich kein Auffangnetz durch Kliniken gibt. Wenn es keine Zahnarztpraxen mehr gibt, werden die Menschen in vielen Teilen Sachsen-Anhalts unversorgt bleiben.“
Budgetierung belastet Praxen und behindert Versorgung der Parodontitispatienten
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Überschreitung des Budgets droht für 2024
Auch in Sachsen-Anhalt drohe ab 2024 eine Überschreitung des vorhandenen Budgets und damit ein Einbruch der Behandlungszahlen, so Hünecke. Die Zahnärztinnen und Zahnärzte müssten dann bei der Diagnose einer Parodontitis ihrem ärztlichen Ethos gemäß eine mehrjährige Behandlung beginnen – bekommen diese aber eventuell nicht vollständig bezahlt. Das sorge für viel Frust im Berufsstand, so Hünecke.
Hohe volkswirtschaftliche Folgekosten
Arbeitsausfälle und die Behandlung der Folgeerkrankungen brächten zudem hohe volkswirtschaftliche Folgekosten. Letztlich würde ein Rückgang der Behandlungszahlen die großen Bemühungen Sachsen-Anhalts im Kampf gegen die Volkskrankheiten Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schwächen, kritisierte der Kammerpräsident.
KZV Sachsen muss Notdienstkreise neu strukturieren
Foto: KZVS
Rahmenbedingungen zunehmend ungünstiger
Die flächendeckende zahnmedizinische Versorgung in Sachsen ist aufgrund ständig steigender Anforderungen an die Praxen bei gleichzeitig gedeckelter Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in Zukunft gefährdet, heißt es vonseiten der KZV. Schon jetzt finde nur noch jede dritte bis vierte Praxis im Freistaat einen Nachfolger. Ursachen dafür seien nicht mehr nur der hohe Altersdurchschnitt der Zahnärztinnen und Zahnärzte und der Mangel an Nachwuchs. Auch die Rahmenbedingungen würden zunehmend ungünstiger. Dazu zählen Bürokratielasten, hohe Kosten, Personalmangel sowie eine willkürliche Sparpolitik des Bundesgesundheitsministers.
Kommunen müssen Infrastruktur anbieten
„Durch den Wegfall von Zahnarztpraxen werden sich Patientinnen und Patienten auf weitere Wege einstellen müssen. Dies gilt auch im Notfall, da eine Anpassung der Struktur der Notdienstkreise unerlässlich ist“, so die KZV Sachsen. Diese Neustrukturierung laufe bereits seit einiger Zeit. Ziel sei es, dass Patienten auch künftig eine Zahnarztpraxis in zumutbarer Entfernung möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. „Hier sind die Kommunen gefordert, die nötige Infrastruktur anzubieten“, so die KZV.