Manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder. Gibt es nicht? Doch, kurz vor Weihnachten schon. Es mutet nämlich fast wie ein Wunder an, dass der Bundesgesundheitsminister seine bekannte Antipathie gegen Kammern in der vergangenen Woche überwinden konnte. Man sieht Karl Lauterbach tatsächlich auf einem Foto gemeinsam mit Vertretern der Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen, darunter auch oberste Vertreter der Kammern. Mit dabei: Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Da liegt die Frage nahe, welches Zeichen wohl mit diesem vorweihnachtlichen „Wunder“ verbunden sein mag.
„Mit Erleichterung und Zustimmung“
Bleiben wir noch kurz bei obigem, nun ja kleinem Wunder. Denn es kam noch besser: Die vorweihnachtliche Stimmung der Funktionäre der verfassten Zahnärzteschaft erfuhr kurz zuvor doch tatsächlich noch einen ministeriellen Gute-Laune-Booster durch ein Interview des für die ambulante Gesundheitsversorgung personifizierten „Schlechte-Laune-Machers“ Karl Lauterbach in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Und so zeigten sich kurz vor dem 4. Advent Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung in einer gemeinsamen Pressemeldung erleichtert und zustimmend. Karl Lauterbach sagte in diesem Interview unter anderem: „Bislang beobachten wir, dass internationale Firmen zum Beispiel Praxen […] übernehmen, um damit Geld zu machen. Das müssen wir dringend unterbinden. Wir wollen keine Investoren-Medizin. Medizin ist eine Fürsorge auf Grundlage der Wissenschaft. Keine Ware des Kapitalismus.“
Hört, hört!
Das klingt doch gut, vor allem, wenn man als Interessenvertreter sagen kann, dass man dies schon immer so oder so ähnlich gesagt habe. Weiterhin führte Lauterbach aus: „Wir haben in allen Bereichen zu viel Ökonomie und zu wenig Medizin, ob in den Krankenhäusern, durch die Fallpauschalen, bei den Medikamenten, wo es ebenfalls heißt: Hauptsache billig und jetzt auch noch bei den Arztpraxen, wo nun billige Massenabfertigung droht. Dass muss aufhören. Wir sind zu weit gegangen.“
Kein Geld, kein echtes Konzept
Soweit die vordergründig schönen Worte des Bundesgesundheitsministers. Allerdings fehlt mir der Impuls, mich ob des Gesagten wirklich freuen zu können. Wie er es fürderhin nun besser machen wolle, sagte KL nämlich nicht. Und woher er die dafür notwendigen Finanzmittel nehmen will, bleibt ebenfalls gänzlich im Dunkeln. Vom Finanzminister Lindner werden sie nicht kommen, das haben die finanziellen Umverteilungen und Einsparmaßnehmen rund um das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zur Genüge deutlich gemacht. Ebenso wenig durch die mantrahaft wiederholte Aussage, dass sich die berühmten Effizienzreserven im Gesundheitswesen durch noch mehr und vor allem besserer Digitalisierung heben lassen.
Schlimmer noch: Wissentliches jahrelanges Runterfahren einzelner Versorgungsbereiche, wie bei der Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin, kann in Krisensituationen, also wie derzeit der aus dem System selbst resultierenden Überlastung, durch plötzliche Entbudgetierung nicht geheilt werden. Natürlich hilft der Geldsegen, noch die letzten Körner bei denen zu mobilisieren, die ganze Chose am Laufen halten, aber viel mehr auch nicht. Denn es lassen sich mit diesem Geld weder Kinderärzte und auf Kinder spezialisierte Pflegekräfte noch die entsprechenden Krankenhausbetten vom Baum schütteln.
Wortbruch war gestern, oder?
Die dazu notwendige Umverteilung der finanziellen Mittel führt unweigerlich an anderer Stelle zu Finanzlöchern. Angesichts der Umverteilungsklimmzüge, die im GKV-FinStG nötig waren, um die notwendigen Einsparungen zu erreichen, und den damit verbundenen Zumutungen verwundern die derzeitige ministerielle finanzielle Freizügigkeit und seine warmen Wortspenden an die, die in der Coronakrise weder Rettungsschirm noch Einmalzahlung für die Mitarbeiter und noch nicht einmal freundliche Grußworte Wert waren, doch sehr. Wie vertrauenswürdig die Worte des Ministers sind, dass weiß nun gerade die Zahnärzteschaft seit dem Stopp der zugesagten PAR-Strecke zur Genüge.
Kein Umdenken, nur Löschen der schlimmsten Feuer
Insofern darf man aus dieser Anhäufung von Buzzwords des linken Zeitgeistes schließen, dass der Minister angesichts der Vielzahl an Problemen mit kalmierenden Worten nichts anderes tut, als Ruhe an einige Frontabschnitte zu bekommen. Ein Umdenken vermag ich beim besten Willen nicht zu erkennen, allenfalls opportunistische politische Geschmeidigkeit. Allein fürs Feuerlöschen sind für 2023 in der Kinderheilkunde runde 300 Millionen Euro geplant. Hinzu kommen noch einige „Sofortverbesserungen“ wie in der Geburtshilfe bei Hebammen etc. pp. Da wird es mit dem Erreichen der Einsparziele bereits eng. Sehr eng!
Die Gesetzesqualität ist gut – sagt der Minister
An dieser Stelle sei daher an den Schluss von Karl Lauterbachs Rede in der Bundestagsanhörung zu dem Anfang Dezember beschlossenen Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes erinnert: „Wir arbeiten hier mit hoher Taktzahl, mit hohem Tempo, deshalb möchte ich allen Abgeordneten, die diese schnelle Taktzahl mitgehen, aber auch den Mitarbeitern im Hause ganz herzlich danken. Ich weiß, dass ich Ihnen viel abverlange – wir sind in hohem Tempo unterwegs –, aber es wird eine gute Qualität geliefert. Das ist aus meiner Sicht eine gute Zeit für die Entwicklung des Krankenhauses“.
Ob die Vielzahl der neuen Gesetze tatsächlich von guter Qualität ist, sei dahingestellt. Zweifel sind jedoch erlaubt, denn gemäß dem neuen Jahresgutachten des Normenkontrollrats hat sich seit 2019 die Zahl der Gesetze, die in weniger als fünf Tagen Beratungszeit beschlossen wurden, verdreifacht. Das Warum möchte ich der Phantasie der Leser überlassen.
Rechte Tasche, linke Tasche
Wie es „wirklich“ läuft – oder anders formuliert: Welcher politische Wind in den Ministerien auf Entscheidungsebene weht, wird aus einer Antwort des Staatssekretärs im Bundesgesundheitsminister, Edgar Franke (SPD), auf die kleine Anfrage von Alois Rainer deutlich. Dieser wollte wissen, ob die im Zuge des GKV-FinStG und der Inflation entstehenden Mehrausgaben der Apotheken ausgeglichen werden. In seiner Antwort bezieht sich Edgar Franke auf das Heben von Effizienzreserven durch selbiges Gesetz. Hier die Antwort (zitiert nach dem Infoportal Apotheke Adhoc): „Eine im Gesetz enthaltene Maßnahme ist die auf zwei Jahre befristete Erhöhung des Apothekenabschlags (ein nochmals erhöhter Zwangsrabatt, den die Apotheker zugunsten der GKV leisten müssen (d. Verf.)). Eine finanzielle Kompensation dieser Maßnahmen würde dem Ziel des Gesetzes widersprechen und ist deshalb nicht vorgesehen.“
Immerhin verweist der Staatssekretär auf die Gas- und Strompreisbremse sowie die Härtefallregelung für kleinere und mittlere Unternehmen. Weitere spezielle Härtefallregelungen würden in den speziellen Ressorts ausgearbeitet werden.
Lauterbach decouvriert sich selbst
Erinnern wir uns daher noch einmal kurz an das eingangs erwähnte Zitat von Karl Lauterbach aus der „Zeit“. „Wir haben in allen Bereichen zu viel Ökonomie und zu wenig Medizin, ob in den Krankenhäusern, durch die Fallpauschalen, bei den Medikamenten, wo es ebenfalls heißt: Hauptsache billig und jetzt auch noch bei den Arztpraxen, wo nun billige Massenabfertigung droht. Dass muss aufhören. Wir sind zu weit gegangen.“
Dass nun billige Massenabfertigung drohe, ist angesichts des täglichen Engagements von Zahnärztinnen und Zahnärzten, Ärztinnen und Ärzten und all den Zahnmedizinischen und Medizinischen Fachangestellten, welches weit über die bekannten Erstattungslücken hinausgeht, letztlich nichts anderes als eine weitere Freud’sche Fehlleistung des Ministers, der trotz all ihrer Erfolge bekanntermaßen kein Freund der ambulanten Versorgung ist. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber permanent die Rahmenbedingungen in Zahnarzt- und Arztpraxen verschlechtert und Leistungskürzungen nichts anderes als die logische Konsequenz wären, sind das lediglich Krokodilstränen eines Ministers, der den Weg in die Staatsmedizin gehen will.
Es ist daher auch nicht schwer zu prognostizieren, dass neben der Demografie die Marginalisierung der Heilberufe – von der Aufwertung der Pflegeberufe über Gesundheitskioske bis zu Postulaten, dass (wie im Wahlprogramm der niedersächsischen Grünen formuliert) nur der in einem MVZ angestellte Heilberufler sich ausschließlich auf die Zahnmedizin oder Medizin konzentrieren könne – voranschreiten wird. In diesem Kontext spielt er mit der bisherigen Stärke des ambulanten Versorgungssystems.
Im Übrigen hat der Minister nicht gesagt, dass er keine Investoren-MVZ mehr will. Vielmehr äußerte er sich so, „das Geld machen zu verhindern“. Was immer er damit gemeint haben mag.
Es bleibt ein schwieriges Spannungsfeld
Und so sehen wir einem der spannendsten Jahre entgegen: Eine linke Politik, die sich zunehmend von der politischen Mitte und den Leistungsträgern dieser Gesellschaft entfernt, wird – da muss man kein begnadeter Prognostiker sein – auf ein sich weiter verschlechterndes wirtschaftliches Umfeld treffen. Dazu kommt ein Minister, der in einer Realität lebt, die nicht die der Ärzte- und Zahnärzteschaft ist. Und weil das alles unbestimmt ist, muss und wird die verfasste Zahnärzteschaft derweil langsam und stark die dicken Bretter der Politik bohren, aber wie Max Weber anno 1919 bereits formulierte, „mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“.
Ich wünsche Ihnen frohe und besinnliche Weihnachten. Kommen Sie gut in das neue Jahr!
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.