Noch knapp zwei Monate und die Halbzeit für die Ampelregierung ist erreicht. Diese Koalition aus SPD, Grünen und FDP erinnert mich zunehmend an die Werbung aus den 1980er- und 1990er-Jahren, in der rosafarbene, trommelnde Spielzeughäschen den überlegenen Energiegehalt einer speziellen Batterie symbolisieren sollten.
Der Tag verging, und bevor es dunkel wurde, hatten bereits die meisten Häschen keinen „Saft“ mehr für ihre einzige Aufgabe, nämlich trommeln. Nur ein Häschen hielt durch und trommelte sogar noch am nächsten Morgen. Ich glaube, es hieß „KaLau“. Und mit jedem Schlag auf das „Trömmelche“ brachte es eine neue Idee in die bundesdeutschen Gesundheitswelt.
Gesundheitsscreening zukünftig in der Apotheke
Die neueste Idee des Bundesgesundheitsministers zur Verbesserung der Versorgung lautet nun folgendermaßen: Mehr Vorsorge durch Einbeziehung der Apotheken. Für den Vorsorge-Check sollen die Altersgruppen der 25-, 35- und 50-Jährigen bei Erreichen der jeweiligen Altersstufe ein Voucher von ihrer Krankenkasse zugesandt bekommen, mit denen sie in der Apotheke Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin bestimmen lassen können. Sind die Werte auffällig, heißt es ab zum Hausarzt.
Politisches Marketing
Soweit die unterstellt gutmeinende Überlegung von Karl Lauterbach. Allerdings fragt man sich schon, was diesen „Mediziner und Wissenschaftler“ zu solchen Vorschlägen treibt. Gute Presse? Sicher, es rauschte ordentlich im Blätterwald. Oder nur ein Bonbon für die von ihm arg gescholtenen „Apotheker-Raffkes“, um etwas mehr Ruhe an diese Front zu bekommen? Immerhin ließ sich der Minister in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern so zitieren: „Damit würden wir gerade für junge Menschen die Hemmschwelle senken, sich durchchecken zu lassen“. Und schob hinterher: „Ich glaube, dass die Apotheker in diesem Bereich unfassbar wertvolle Arbeit leisten können“. Wie auch bei Impfungen und den pharmazeutischen Dienstleistungen.
Mehr als nur „Schubladen ziehen“
Letztere dürfen die Apotheken seit Sommer vergangenen Jahres zu Lasten der Krankenkassen anbieten. Zur Erinnerung: Dies umfasst eine erweiterte Medikationsanalyse, eine zusätzliche Betreuung bei ärztlich diagnostiziertem Bluthochdruck und Einnahme von Blutdrucksenkern, gesonderte medikamentöse Beratung für Patienten nach Organtransplantation sowie Tumorpatienten unter oralen Tumotherapeutika. Und last but not least sollen Apotheker auch Einweisungen zu Medikamenten zum Inhalieren bei Atemwegserkrankungen geben. Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister bezeichnete dieses damals als einen „fundamentalen Angriff auf die hausärztliche Versorgung, der angesichts der Versprechungen der Politik, die hausärztliche Versorgung stärken zu wollen, fast schon zynisch anmutet“.
Im Vergleich besserer Patienten-„Service“
In diesem Zusammenhang ist es schon interessant, dass der Minister die von ihm vorgeschlagenen neuen Vorsorge-Check-ups mit dem Hinweis auf die Niedrigschwelligkeit des Angebots bei den Apotheken samt der fehlenden Terminprobleme garnierte! Die deutlich längeren Öffnungszeiten inklusive des Samstags erwähnte er zwar nicht, aber das „Argument“ wird mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lassen.
Rechte Tasche, linke Tasche – Evidenz Fehlanzeige
An eine wie auch immer geartete medizinische Evidenz für seinen neuesten Vorschlag wird er im Vorfeld auch diesmal nicht gedacht haben. Diese ist offensichtlich immer nur dann wichtig, wenn Zahnärzte, Ärzte und auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) etwas „wollen“. Bei dieser Art von Politikgestaltung kann man hinsichtlich der Finanzierung auch von dem üblichen Prozedere ausgehen, welches in etwa so funktioniert: Da das Honorar der Heilberufler nach Meinung des Professors – in Tateinheit mit den Krankenkassen – eh mehr als ausreichend ist, wird demnach intern umverteilt werden. Bei den Apothekern also von der wichtigsten Umsatzsäule, dem Apothekenhonorar auf das abgegebene Arzneimittel, hin zu den Vorsorgedienstleistungen. Ob des Ministers Vorschlag dann noch als Bonbon bei den Apothekern durchgehen wird? Spannend ist jedoch zu sehen, wie der Beruf des Pharmazeuten zunehmend „blutiger“ und damit politisch in Richtung „Arzt light“ gerückt wird. Da fehlt dann nur noch Urindiagnostik … abwegig?
Systemveränderung à la BMG: Relativierung der ärztlichen Tätigkeit
Führt man sich all die bis dato erfolgten Maßnahmen vor Augen (nicht alle sind auf Lauterbachs Mist gewachsen), steht auch die neueste Lauterbach-Idee in einer Linie mit der Relativierung der ärztlichen Tätigkeit, Zuständigkeit und Kompetenz in der ambulanten GKV-Versorgungswelt in den vergangenen Jahren. Zumindest ist der Aufbau von Parallelstrukturen nicht zu übersehen – wie Gesundheitskioske, pharmazeutische Dienstleistungen, Impfungen, und jetzt auch noch Vorsorge-Checkups bei den Apotheken oder auch Verschreibungen durch im Ausland ansässige Ärzteportale. Erosion allerorten. Und perspektivisch kommen die Potenziale der Telemedizin für solche Anbieter dazu, von der KI ganz zu schweigen. Die geplanten strukturierten Daten in der elektronischen Patientenakte und das E-Rezept werden es möglich machen.
Es kann kein unlimitiertes Leistungsversprechen mehr geben
Unterstellen wir, dass Lauterbach weiß, dass das Gesundheitswesen in seiner bisherigen Form nicht mehr zu bezahlen ist. Und dass das uneingeschränkte Leistungsversprechen gegenüber den Versicherten aufgrund des zunehmenden Ärzte-, Zahnärzte- und Personalmangels samt der Folgen der Budgetierung faktisch nicht mehr zu halten ist. Im Übrigen nimmt auch die Zahl der Apotheken seit Jahren deutlich ab, im vergangenen Jahr bereits dramatisch. In einer solchen Situation ist die derzeitige ministeriale Salamitaktik, unter deren Folgen insbesondere die Heilberufler leiden, Teil des Problems und nicht der Lösung.
Um eine sinnvolle Lösung mit Hilfe der Kompetenz aller Beteiligten – und nicht nur in mehr oder minder legitimierten und befähigten Expertenrunden – zu erarbeiten, bedarf es einer beiderseitigen schonungslosen Analyse. Die Festschreibung des unlimitierten Leistungsversprechens durch die Politik und auch die Einstellung auf Leistungserbringerseite, dass sich die Probleme allein mit mehr Geld im System lösen ließen, sind kontraproduktiv.
Mehr Luther, weniger Lauterbach
Das bedingt jedoch, dass der Minister – statt sein gesundheitspolitisches ADHS medial auszuleben – es vielleicht doch einmal mit Luther versuchen sollte, der vor rund 500 Jahren sagte: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Und seine 95 Thesen coram publico verteidigte. Es müssen ja nicht gleich 95 Thesen sein. Die wichtigsten Erkenntnisse samt Begründung und öffentlichem Bekenntnis wäre ja schon mal klasse. Dann wüsste man, woran man ist, und kann gemeinsam konstruktive Lösungen erarbeiten.
Auf dem Weg in die (digitalisierte) Planwirtschaft
Sorry, ich träume. Hatte ganz vergessen, dass Lauterbach ja Sozialist mit dem Ziel einer Bürgerversicherung ist und wir uns mit großen Schritten und jedem weiteren seiner vielen Gesetze und Gesetzesvorhaben auf die Planwirtschaft zubewegen. Dieses Mal allerdings mit digitalen Komponenten, die die Kontrolle der Leistungserbringer und das Teilen und Herrschen im System noch einfacher machen …
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.