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Erwartete 48 Milliarden Euro Defizit verlangen Lösungen – Dr. Uwe Axel Richter zur Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung
(c) Hanna J/Shutterstock.com
Welche Farbe steht für das deutsche Gesundheitswesen? Mein Vorschlag: rosa! Denn nirgendwo sonst springen so viele rosafarbene Elefanten durch ein geschütztes Reservat wie in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Selbst ein nach derzeitiger öffentlicher Meinung nicht goutiertes Wort wie „einnahmenorientierte Ausgabenpolitik“ (was soll denn in Anbetracht der gesetzlichen Regelung sonst die Richtschnur sein?) hält die rosafarbenen Tiere nicht davon ab, sich mit freundlicher Unterstützung von Leistungsempfängern, Leistungserbringern und der Politik immer weiter zu vermehren.
Doch klären wir zuvorderst, ob es rosa Elefanten überhaupt gibt. Wikipedia meint dazu: „Im Englischen und im Französischen ist ein rosafarbener Elefant der klassische Topos für eine alkoholbedingte Halluzination. Auch die Wirkung anderer Drogen wie LSD wird oft mit diesem Tier assoziiert, das zudem gelegentlich flugfähig sein soll.“ Das Problem des deutschen Gesundheitswesens wäre somit nicht, dass das „Wünsch Dir was“-Konzert aufgrund der Anerkennung der finanziellen und demographischen Realitäten sich dem Ende zuneigt, sondern dass der Alkohol alle ist. Was hierzulande bekanntermaßen ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Fehlende Fressfeinde
Doch zurück zur Vermehrungsproblematik der rosa Elefanten. In der Natur gibt es kein unbegrenztes Wachstum! Dieses wird durch Fressfeinde oder den natürlicherweise entstehenden Nahrungsmangel begrenzt. Nicht so im Gesundheitswesen. Dort gibt es gesetzlich verbriefte Ansprüche für die Mitglieder der GKV und detaillierteste Regelungen für die diejenigen, die in die Gruppe der „Leistungserbringer“ fallen.
Die Politik als Parasit im Gesundheitswesen
Und es gibt das Analogon zu Parasiten mit dem schönen Namen „die Politik“, die viel versprechen kann, weil sie gleichzeitig der Gesetzgeber ist. Unter dem Stichwort „versicherungsfremde Leistungen“ bürden sie der GKV Milliardenbeträge für soziale Wohltaten auf, die zwar sinnhaft sein mögen, aber haushaltstechnisch dort nichts verloren haben. Falls Sie das Wort Parasiten für deplatziert halten – Sie finden die Begründung ein paar Zeilen weiter unten.
Stichwort versicherungsfremde Leistungen
Nehmen wir nur die allgemeine Definition auf Wikipedia, die für alle Sozialversicherungsarten gilt: „Als versicherungsfremde Leistungen, auch Fremdleistungen genannt, werden in der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung in der Regel solche Leistungen bezeichnet, die mit dem Zweck der jeweiligen Sozialversicherung nicht vereinbar sind und daher nicht in ihren Aufgabenbereich fallen sowie deren Gewährung keine adäquate Beitragszahlung vorausgegangen ist.
Aus finanzwissenschaftlicher Sicht sind versicherungsfremde Leistungen nicht durch Sozialversicherungsbeiträge, sondern aus den allgemeinen Haushaltsmitteln des Staates, zum Beispiel durch entsprechende Bundeszuweisungen an die Sozialversicherungen, zu finanzieren. Daher sollten Bundeszuweisungen an die Sozialversicherungen grundsätzlich nach den Ausgaben für die versicherungsfremden Leistungen bemessen werden.“
Eingegrenzt auf die GKV benennt das Bundesgesundheitsministerium diese folgendermaßen: „Als versicherungsfremde Leistungen bezeichnet man medizinische Leistungen, die familienpolitisch motiviert oder von gesamtgesellschaftlichem Interesse sind. Hierzu gehören auch hiermit einhergehende Lohnersatzleistungen. [...] Der Bund beteiligt sich pauschal über Steuerzuschüsse an den Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für entsprechende Leistungen, um die Finanzierung dieser familienpolitisch und gesamtgesellschaftlich motivierten Aufgaben sachgerechter auf die Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu verteilen und die Solidargemeinschaft der Beitragszahler teilweise zu entlasten.“
Wann stirbt der Wirt?
Man achte auf das entlarvende Wörtchen „teilweise“. Nur damit die Größenordnung des Elefanten klar wird: Die versicherungsfremden Leistungen summierten sich gemäß dem in 2024 veröffentlichten Gutachten der IKK gesundplus „Identifikation versicherungsfremder Leistungen und Quantifizierung der damit verbundenen Ausgabenanteile am GKV-Beitragssatz“ auf knapp 60 Milliarden Euro im Jahr 2023. Das entspricht, so das Gutachten, rund 3,2 Beitragssatzpunkten. Der Staat refinanziert „mittels Steuerzuschüssen“ (wieder so ein fehlverwendetes Wort) davon lediglich 14,5 Milliarden, was 0,66 Beitragspunkten entspricht. Demnach war jeder GKV-Beitragszahler im Jahr 2023 mit 740 Euro dabei. Ein zusammenfassendes Chart findet sich neben der Studie unter dem angegeben Link.
Für 2025 werden 48 Milliarden Euro Verlust prognostiziert
Alles halb so wild, flüstert ein altbekannter rosa Elefant mit dem Namen „Et hätt noch evver jot jegange“ (für Nicht-Rheinländer: „Es ist noch immer gut gegangen“) den Gesundheitsmarktteilnehmern ins Öhrchen. Es könnte sich um eine fatale Fehleinschätzung handeln, denn die finanzielle Problemspirale der GKV dreht sich munter weiter. Für das Jahr 2025 prognostiziert das den Kassen gehörende Unternehmen Bitmarck ein um zehn Milliarden Euro höheres Defizit als in 2024: 48 Milliarden Euro! Und auf der Ausgabenseite der GKV herrscht mit plus 6,5 Prozent eine deutliche größere Dynamik als bei dem prognostizierten Einnahmenwachstum von 2 Prozent.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Doch Defizite finden nicht nur in den Excel-Tabellen der Buchhalter statt. Sie haben es an sich, zur Unzeit schlagend zu werden. Dass insbesondere die letzten beiden Gesundheitsminister – Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) – die finanzielle Situation der GKV mittels Abschmelzung der Kassenrücklagen bedrohlich verschärft haben, bedeutete für die neue Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) die erste Bewährungsprobe. Um kleinere Krankenkassen aufgrund der fehlenden Mindestreserve (20 Prozent der Monatsausgaben) vor einer möglichen Insolvenz zu bewahren, wurden 0,8 Milliarden Euro der Dezemberzuweisung des Bundes in den Mai vorgezogen. Die werden natürlich dann im Dezember fehlen.
Budget ist Budget
Diese Situation kann man nicht mehr rosa verbrämen: Wenn gemäß GKV-Finanzprognose jede vierte Krankenkasse im Jahr 2025 die Mindestreserve – trotz Beitragserhöhungen – nicht auffüllen kann, sind weitere Kostensteigerungen schlichtweg nicht mehr möglich. Egal mit welchem Argument die Leistungserbringer um die Kurve kommen werden: Mehr als kosmetische Verbesserungen außerhalb der Veränderungsrate der Grundlohnsummenentwicklung der beiden Vorjahre dürfen so gut wie ausgeschlossen sein. Selbst der Hoffnungsträger der Ärzteschaft, die Entbudgetierung (vorerst) der Hausärzte, wird eher schmerzhaft denn freudig werden. Denn die von Karl Lauterbach den Hausärzten versprochene Entbudgetierung hat gemäß Gesetz kostenneutral zu sein.
Die Sicht der Kassen
Die Kassen haben zum Finanzproblem ganz klare Vorstellungen: „Zu viele Gesundheitsminister haben nichts gegen die steigenden Ausgaben unternommen, im Gegenteil diese sogar durch teure Gesetze aktiv befördert. Jetzt ist die Zeit für einen echten Kurswechsel: Hin zu einer soliden GKV-Finanzierung, Schluss mit den sehr hohen Ausgabensteigerungen für Krankenhäuser, Ärztehonorare und Medikamente“ so Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, in der vom GKV-SV Anfang Juni verbreiteten Pressemeldung.
Kassen wollen mit Moratorium die Ausgaben deckeln
Pfeiffer betonte: ‚Wir brauchen als Sofortmaßnahme ein Ausgabenmoratorium. Das bedeutet, dass sich die Ausgaben der Krankenkassen an den tatsächlichen Einnahmen orientieren. Dadurch werden keine Zahlungen oder Leistungen gekürzt, aber die die Honorare- und Preise für Krankenhäuser, Ärzte und die Pharmaindustrie steigen dann nur noch so schnell, wie die Einnahmen der Krankenkassen.“
Neue Vorhaben noch gar nicht eingepreist
Diese sind für das laufende Jahr mit plus 2 Prozent prognostiziert, die Ausgaben jedoch mit plus 6,5 Prozent. Macht ein Minus von 4,5 Prozent, welches einzusparen wäre. Fragt sich nur, bei wem die Demographie die Kostendifferenz abladen wird. Hinzu kommt, dass die Kostenaufwände für die Umsetzung des von der Politik für die ambulante Versorgung präferierten Primärarztsystem, die zusätzlichen Aufwände für die Umsetzung der Krankenhausreform sowie die Reform des Notfall- und Rettungswesens noch nicht eingepreist sind.
Die gewaltige graue Wirklichkeit
Das ist dann auch kein rosafarbener Elefant mehr, sondern eben die Wirklichkeit der grauen Elefanten. Man kann vor ihnen die Augen verschließen, dennoch sind sie da. Man spürt sie, man riecht sie, man hört sie, man sieht in der Landschaft das Ergebnis ihres „Wirkens“. Mit anderen Worten: Auch die am längsten ignorierten Elefanten werden irgendwann sichtbar – was insbesondere für die im Raum befindlichen rosafarbenen Exemplare einer vergangenen Zeit gilt, in der das Wirtschaftswachstum die strukturellen Probleme der GKV verkleistern konnte.
Hartes Kostenmanagement erforderlich
Auf Seiten der Leistungserbringer – und das sind gemäß SGB V nicht nur Ärzte- und Zahnärzteschaft, sondern alle Personengruppen, die Leistungen für die Versicherten der Krankenkassen erbringen – kann man die Krankenkassen natürlich als Endgegner begreifen. Aber bei einem voraussichtlichen Minus im GKV-System von 48 Milliarden Euro in diesem Jahr ist es notwendig, sich auf die Realität einzustellen: Es wird nicht mehr Geld im System geben, es wird nur anders verteilt werden – zum Löschen der größten Brände wie im Krankenhausbereich. Und die Beiträge werden steigen. Darauf gilt es sich einzustellen, auch in der eigenen Praxis. Das kann in einem ersten Schritt nur lauten: Kosten senken, wo immer möglich, Investitionen nur mit stringentem Businessplan und die Behandlungen im Rahmen der GKV konsequent nach den gesetzlichen Vorgaben durchführen. Alles weitere nur, was die Patienten willens sind zu bezahlen. Freiberuflichkeit und Selbstbestimmtheit, welche im Übrigen auch für die Patienten gilt, sind ohne Unternehmer sein zu wollen keine Erfolgsgarantie.
Echte Strukturreformen sind unvermeidlich
Für Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sind echte Strukturreformen unvermeidlich. Da ist es alles andere als hilfreich, dass in Deutschland nicht nur die Milliardenbaustelle Gesundheitswesen besteht – ein durch die Sozialgesetzgebung geschütztes und im permanenten Anspruchs- und Leistungswachstum befindliches Großreservat. Sondern zeitgleich noch viele andere Baustellen: der Ukrainekrieg samt seinen Folgen, Verteidigungsausgaben, die gemäß Beschluss auf 5 Prozent des BIP steigen sollen, die Transformation der Wirtschaft (Klimawende incl. Energiewende, Veränderungen im internationalen Handel …), die finanziellen und demografischen Wachstumsgrenzen nicht zu vergessen.
40 Tage der Schonfrist sind bereits vorbei
Insofern wundert es ein wenig, dass man in den ersten 40 Tagen von Nina Warken im Amt öffentlich zu diesem Problem nur wenig und dann Altbekanntes hört – einzige Ausnahme war die Termingarantie im Zuge der Einführung des Primärarztsystems. (Und dann wird auch noch gerade aus dem rosa Elefanten „Bericht Maskenbeschaffung unter Spahn“ im BMG gerade ein veritabler grauer Elefantenbulle …)
Bleiben Frau Warken noch 60 Tage bis zum Ende der obligaten Schonfrist. Hoffen wir, dass es ihr gelingt, den politischen Missbrauch der gesetzlichen Krankenversicherung als Zahlstelle für soziale, aber eben versicherungsfremde Wohltaten, verursachergerecht zu gestalten. Denn das prognostizierte Kassenminus in Höhe von 48 Milliarden Euro entspricht ungefähr der Summe, die nach Abzug des Bundeszuschusses in Höhe von 14,5 Milliarden Euro zu den versicherungsfremden Leistungen bei den Kassen verbleibt.
Es wäre immerhin ein Anfang, denn laut Albert Einstein gilt: „Das Problem zu erkennen, ist wichtiger, als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung.“
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Foto: Verena GaliasDr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.
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