Zwei Gebührenordnungen für private und gesetzliche Krankenversicherung oder eine Einheitsgebührenordnung? Der Prüfauftrag stand im Koalitionsvertrag, jetzt hat die dafür eingesetzte Kommission ihren Bericht vorgelegt. Man erkennt Reformbedarf.
Der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungssystem (KOMV), Prof. Dr. Wolfgang Greiner, erklärte anlässlich der Übergabe des Berichts an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Das Modell der partiellen Harmonisierung stellt eine sinnvolle Weiterentwicklung hin zu einem modernen Vergütungssystem dar. Es bietet zahlreiche Vorteile gegenüber dem heutigen System: Transparenz und Praktikabilität werden erhöht. Langfristig sind erhebliche Synergieeffekte zu erwarten, da nicht mehr zwei Leistungsverzeichnisse und Kostenkalkulationen separat gepflegt werden müssen. Fehlanreize zur Unter- und Überversorgung werden gemindert, was die Versorgungsqualität fördert.“
Die Kommission hat einige konkrete Vorschläge gemacht, wie diese „partielle Harmonisierung“ aussehen soll (siehe unten). Spahn sagte, er danke den Mitgliedern der Kommission für ihre intensive und konstruktive Arbeit, ließ aber offen, was daraus folgen wird: „Wir werden den Bericht prüfen und gemeinsam mit dem Koalitionspartner entscheiden, ob und wie wir mit den Vorschlägen umgehen wollen.“
Erste Konsequenz schnelle Umsetzung der GOÄneu
Vonseiten der Ärzteschaft wurde der am 28. Januar 2020 in Berlin übergebene Bericht grundsätzlich positiv beurteilt, nicht zuletzt, weil die Experten keine einheitliche Gebührenordnung befürworten. Als schnellsten Weg zu der vorgeschlagenen partiellen Harmonisierung sehen Bundesärztekammer, Ärzteverbände und der PKV-Verband die Umsetzung des bereits vorliegenden Vorschlags für eine novellierte Gebührenordnung der Ärzte (GOÄneu). Die Bundesärztekammer, die PKV und der PVS-Verband hatten im November 2019 eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. In ihr wurde nicht nur eine Einheitsgebührenordnung erneut abgelehnt, sondern auch auf den Entwurf der GOÄ als gute Grundlage hingewiesen und auf ein modernes Vergütungssystem gedrungen. Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt sagte der ÄrzteZeitung: „Erste Konsequenz aus den Beratungsergebnissen der KOMV muss die schnelle Umsetzung der GOÄneu sein“. Vorteil sei, so Reinhardt, dass hier bereits abgestimmte neue Leistungsbeschreibungen erarbeitet worden seien. „Die Vorschläge der KOMV, eine vom System der GKV und der PKV unabhängige Beschreibung aller ärztlichen Leistungen vorzunehmen und auf dieser Grundlage die Vergütungssysteme für vertragsärztliche sowie für privatärztliche Leistungen zu novellieren, würden jedoch nach Einschätzung des BÄK-Präsidenten „jahrelange Verzögerungen dringend notwendiger Reformen“ bringen“, heißt es dazu in der ÄrzteZeitung.
Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer, ging in seiner Begrüßungsrede auf dem Neujahrsempfang der Zahnärzteschaft am 28. Januar 2020 in Berlin ebenfalls auf den gerade frischen Bericht der Kommission ein: Mit dieser Idee einer „partiellen Harmonisierung“ werde man sich noch einmal intensiv beschäftigen müssen. Aber noch sei er guten Mutes.
Auch Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbands, begrüßte das Gutachten, machte aber auf die Probleme des Harmonisierungsgedankens aufmerksam: „Es ist eine gute Nachricht für das duale deutsche Gesundheitssystem, dass die Wissenschaftler keine gemeinsame Honorarordnung mit einheitlichen Preisen empfehlen. Denn angesichts der bestehenden Versicherungssysteme mit ihren sehr unterschiedlich gestalteten Vergütungsregeln würde sich durch eine erzwungene Zusammenlegung in der medizinischen Versorgung nichts zum Besseren, aber vieles zum Schlechteren verändern“, so Reuther.
„Modelltheoretisches Ergebnis eignet sich nicht für konkrete Umsetzung“
Der Vorschlag der KOMV für eine „partielle Harmonisierung“ der ärztlichen „Leistungslegendierung“ sei jedoch offenkundig der Versuch eines Kompromisses nach kontroversen wissenschaftlichen Debatten in der Kommission. „Dieses modelltheoretische Ergebnis eignet sich allerdings nicht für eine konkrete Umsetzung in die technische, juristische und medizinische Praxis der ärztlichen Vergütung. Es würde die Versorgung in Deutschland nicht verbessern“, so seine Einschätzung.
GOÄ-Entwurf gute Basis
Vielmehr gelte es jetzt, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel auch konkret umzusetzen, wonach sowohl die ambulante Honorarordnung in der GKV (EBM) als auch die Gebührenordnung der PKV (GOÄ) reformiert werden müssen. Zur Modernisierung der GOÄ liege bereits ein umfassendes Konzept vor, erklärte Reuther wie schon BÄK-Präsident Reinhardt: „Der gemeinsam von Ärzteschaft, PKV und Beihilfe entwickelte Vorschlag umfasst den neuesten Stand der Medizin, garantiert eine rasche Integration zukünftiger medizinischer Innovationen und stärkt die ‚sprechende Medizin‘, also die persönliche Zuwendung der Ärzte zu ihren Patienten. Im Interesse der Patienten und der Ärzte sollte der Gesetzgeber auf dieser guten Basis nun schnellstmöglich die Reform der GOÄ auf den Weg bringen“, so der PKV-Verbandsdirektor.
„Einheitsgebührenordnung vom Tisch“
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), und Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), nahmen in einem Pressestatement ebenfalls zum Gutachten Stellung: „Das Gutachten kommt zu zwei wesentlichen Ergebnissen: Eine einheitliche Gebührenordnung für PKV und GKV birgt mehr Nachteile als Vorteile. Die Kommission sieht Reformbedarf sowohl bei der GOÄ als auch beim EBM. Damit sollte das Ziel einer Einheitsgebührenordnung vom Tisch sein. Zur Weiterentwicklung der ärztlichen Vergütung bietet das Gutachten aber auch weiterführende Ansätze“, so Gassen.
Der Zi-Vorstandsvorsitzende von Stillfried sieht wenig Praktikabilität im Vorschlag und zeigt Möglichkeiten auf: „Der Vorschlag der KOMV für eine ‚partielle Harmonisierung‘ der ambulanten ärztlichen Vergütungssystematiken in der vertragsärztlichen Versorgung für GKV-Versicherte (EBM) und der privatärztlichen Versorgung (GOÄ) muss differenziert bewertet werden. Er mag wissenschaftlich interessant sein, praktikabel ist er nicht. Denn der sogenannte Gemeinsame Leistungsausschuss wäre mit Aufgaben überfrachtet; die notwendige Weiterentwicklung würde eher gelähmt als befördert. Die Idee, den Vergütungssystemen mit der Definition ärztlicher Einzel- beziehungsweise Teilleistungen einen gemeinsamen Anker zu geben, ist interessant, aber extrem herausfordernd. Wahrscheinlich kommt dies nur für Teilbereiche in Betracht. Diese Aufgabe sollte allein bei der ärztlichen Selbstverwaltung liegen. Auf Basis dieser Leistungsbeschreibung könnte dann mit Beteiligung der jeweiligen Kostenträger die Kostenbewertung stattfinden. Die Bestimmung von relativen Leistungsbewertungen beinhaltet Wertfestlegungen, die durch die Vertragspartner getroffen werden müssen. Das betrifft etwa den Stellenwert von sprechender Medizin zu technischer Medizin.“
Vertragszahnärzte brauchen „echte Gebührenordnung in Euro“
Ergänzend führt Gassen aus: „Entsprechend würden wie bisher im Bewertungsausschuss für die Versorgung gesetzlich Versicherter gemeinsam mit der GKV Euro-Preise kalkuliert und gegebenenfalls Leistungskomplexe gebildet. Die Vertragsärzte brauchen daneben auch eine echte Gebührenordnung in Euro, die solide betriebswirtschaftlich kalkuliert ist und Investitionen in die ambulante Medizin fördert. Die Kommission hat die unterschiedlichen Realitäten und Voraussetzungen von GOÄ und EBM erkannt. Sie hat richtig eingeschätzt, dass eine einzige Gebührenordnung nicht die dafür erforderliche Flexibilität mit sich bringt.“
Zu den wesentlichen Empfehlungen der Kommission
In der Pressemitteilung zur Veröffentlichung sind die wesentlichen Empfehlungen so zusammengefasst: Die Kommission schlägt eine „partielle Harmonisierung“ der ambulanten ärztlichen Vergütungssystematiken in der vertragsärztlichen Versorgung für GKV-Versicherte (EBM) und der privatärztlichen Versorgung (GOÄ) vor. Dieses Konzept unterscheidet zwischen Bausteinen, die gemeinsam weiterentwickelt werden, und Bereichen, bei denen Unterschiede bewusst erhalten bleiben sollten.
Zu den gemeinsamen Bausteinen gehören die Definition der ärztlichen Leistungen (sogenannte Leistungslegendierung) und die relative Kostenbewertung, das heißt die ökonomische Bewertung der Leistungen im Vergleich zueinander. Für beides sollen nach Auffassung der Kommission neue gemeinsame Gremien der vertrags- und privatärztlichen Versorgung zuständig sein.
Die Preise sollen hingegen weiterhin getrennt für GKV und PKV vereinbart werden. Dabei können neben den Kosten auch andere Gesichtspunkte einfließen, wie regionale, fachspezifische und mengenbezogene Aspekte. Angesichts der bestehenden sehr unterschiedlich gestalteten Versicherungssysteme empfiehlt die KOMV keine gemeinsame Honorarordnung mit einheitlichen Preisen.
Mindestqualitätsstandards gemeinsam und einheitlich definieren
Aus Gründen des Patienten- beziehungsweise Verbraucherschutzes schlägt die Kommission außerdem vor, dass Mindestqualitätsstandards für die vertrags- und privatärztliche Versorgung künftig gemeinsam und einheitlich definiert werden. Darüber hinaus sollen die Verhandlungspartner auch noch weitergehende Anforderungen festlegen können.
Flankiert wird das Modell durch eine Reihe ergänzender Vorschläge. So sollen die Koordination zwischen Krankenhäusern und ambulanten Ärzten und das Arbeiten im Team gefördert sowie Anreize zur besseren Versorgung im ländlichen Raum gesetzt werden.
Bericht online verfügbar
Der vollständige Bericht der KOMV ist auf der Internetseite des BMG zum Download eingestellt. Der Auftrag im Koalitionsvertrag und an die Kommission betraf nur die ärztliche Versorgung. Zwischenzeitlich war Ende des vergangenen Jahres in Politik und Standespolitik schon darüber spekuliert worden, ob der Bericht der Kommission überhaupt veröffentlich werden würde. (MM)
Quellen: BMG/Ärzte-Zeitung/KBV-ZI/PKV-Verband/QN