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Lauterbachs „grober Heckenschnitt“ beim Sparen – eine Analyse von Dr. Uwe Axel Richter

(c) ProStockStudio/Shutterstock.com

Neue Gesetze für das Gesundheitswesen erblicken seit Jahrzehnten so gut wie immer unter dem gleichen Label das Licht der Öffentlichkeit: Spargesetz. Das politische Rezept zur erfolgreichen Durchsetzung ist immer dasselbe: Sich nicht gleichzeitig mit allen relevanten Leistungsbereichen im Gesundheitswesen anlegen, sondern lieber das Sankt-Florians-Prinzip wirken lassen: „Heiliger Sankt Florian, schütz unser Haus, zünd' andere an“. Doch Karl Lauterbacht macht es – auch diesmal – anders.

„Alle“ sollen Sparbeitrag leisten

Denn der in diversen Talkshows gestählte, aber von der angewandten Medizin eher unbefleckte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat es mit dem derzeit diskutierten Entwurf für das neue GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) problemlos geschafft, allen relevanten „Markt“-Teilnehmern – um im Bilde zu bleiben – das Dach anzuzünden. Nun gut, auf den ersten Blick ist die Finanzierungslücke in der GKV von rund 17 Milliarden Euro allein für die kommenden zwei Jahre auch erheblich. Um die Lücke zu schließen, greift Lauterbach nun in jede Tasche, von der er meint, darin „Kohle“ finden zu können.

Im BMG steht ein Füllhorn

Da ist es vorteilhaft, dass bei Lauterbach und den Mitarbeitern in seinem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) das Verständnis vorzuherrschen scheint, im Berliner Ministeriumssitz in der Friedrichstraße stehe das Cornucopia, welches eben jene Taschen fülle. Und so ist das Maßnahmenpaket zur Kostenreduktion und Einnahmenverbesserung breit gefächert und trifft fast alle – mal mehr, mal weniger hart. Abgesehen von den Patienten, so jedenfalls die Lauterbach‘sche frohe Kunde, bei denen der Bundesgesundheitsminister mögliche Leistungskürzungen bereits kategorisch ausgeschlossen hat. Schließlich gleichen Leistungskürzungen in der GKV angesichts der Vielzahl Betroffener und deren Lobbys – zu denen man auch alle im Bundestag vertretenen Parteien zählen darf, denn irgendwo finden immer Wahlen statt – politisch einem Bad in einem mit ausgehungerten Piranhas verseuchten Gewässer.

Auf Beitragszahler werden Beitragserhöhungen zukommen

Wobei das mit den Leistungskürzungen auch wieder nicht die ganze Wahrheit ist. Denn einerseits will der Minister die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) 2019 eingeführte Neupatientenregelung – eine nicht nur psychologisch wichtige Verbesserung für die Patienten – wieder einkassieren. Andererseits will Lauterbach die GKV-versicherten Beitragszahler mit einer Beitragserhöhung zur Kasse bitten. Von der im Vorfeld des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes kolportierten Erhöhung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte findet sich im derzeitigen Gesetzesentwurf jedoch nichts. Was letztlich bedeutet, dass es auch teurer werden kann. Angesichts des festgeschriebenen Arbeitgeberbeitrags ist das eine für die SPD durchaus heikle Gratwanderung.

Versicherungsfremde Leistungen bleiben ein Problem

Also auf zum Finanzminister, denn angesichts eines nicht unbeträchtlichen jährlichen Zuschusses aus dem Bundeshaushalt liegt der Gedanke durchaus nahe, den Bundeszuschuss deutlicher zu erhöhen. Doch auch hier scheinen die Grenzen enger gesteckt, als das seit einigen Jahren in Berlin übliche freudige „Steuermilliarden verpulvern“ vermuten lässt. Immerhin sollen es nun zusätzliche sieben Milliarden Euro für die klammen GKV-Kassen werden.
Nur – und dass ist die Crux – reicht der Bundeszuschuss (die zusätzlichen Belastungen durch Corona bleiben außen vor) auch mit den von Lauterbach eingeplanten zusätzlichen sieben Milliarden Euro noch nicht einmal aus, die politisch der GKV aufgelegten Kosten – Stichwort Verschiebebahnhof und versicherungsfremde Leistungen – zu decken. Schätzungen gehen von rund 34 Milliarden Euro zu Lasten der GKV-Kassen und damit der Beitragszahler aus, zu denen im Übrigen auch die Arbeitgeber zählen. Eine gewaltige Summe, die jeden Finanzminister sehr hartleibig werden lässt.

Nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen wird nicht gefragt

Für Lauterbach bleibt somit die Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro für 2023 und 2024 selbst bei einem um sieben Milliarden Euro erhöhten Bundeszuschuss im Jahr 2023 „sportlich“. Und das hat nicht nur etwas mit den sich weiter eintrübenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun, sondern auch mit der Frage, ob es alle gleichermaßen treffen wird. Und da liegt bereits der Hase im Pfeffer, ohne dass man nach der Sinnhaftigkeit der einzelnen Maßnahmen gefragt hat. Nachfolgend ein grober Überblick der wesentlichen Maßnahmen.

Man höre und staune, auch die gesetzlichen Krankenkassen sollen sparen, die Verwaltungskosten gedeckelt werden. Laut einer Meldung der Ärzte Zeitung handele es sich hierbei immerhin um eine Summe von rund 25 Millionen (sic!) Euro. Und wie soll es anders sein: Die letzten vorhandenen Kassen-Reserven sollen zugunsten des Gesundheitsfonds abgeschmolzen werden.

Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat’s …

Schienen die Apotheken angesichts des kürzlich ergangenen Schiedsspruches zu den pharmazeutischen Dienstleistungen noch zu den Gewinnern zu gehören, will Lauterbach nun mittels Erhöhung des Apothekenzuschlags auf Arzneimittel für die nächsten zwei Jahre rund 170 Millionen Euro abschöpfen. Und auch den Kliniken will der Minister mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag in die Tasche greifen, indem das Pflegebudget nur noch auf bettennahe Pflegepersonalkosten beschränkt wird.

Kein Geld für Neupatienten, strikte Budgetierung bei Zahnärzten

Bei den Leistungserbringern soll die 2019 mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführte extrabudgetäre Vergütung für Neupatienten gestrichen werden. Die damit bei den Ärzten einhergegangene Verlängerung der Praxisöffnungszeiten soll hingegen Bestand haben. Dies bedeute allein für den fachärztlichen Bereich ein Minus von ca. 400 Millionen Euro. Und selbst die Zahnärzte, deren Anteil an den Kassenausgaben stetig gesunken ist, sollen mittels strikter Budgetierung an die Kandare genommen werden.

Sparen oder Versorgungssicherheit

Aber die Mathematik ist unerbittlich. In der Addition der avisierten Einsparvolumina fehl(t)en nämlich noch einige „Milliönchen“. Und so verdoppelte sich der von der Pharmaindustrie zu leistende „Sparbeitrag“ während der laufenden Anhörungen binnen einer Woche mal eben auf 3,2 bis 3,9 Milliarden Euro. Umetikettiert als „Solidarbeitrag“ klingt das gleich auch weniger dramatisch, sondern moralisch. Und nein, es soll nicht dem Teil der Industrie, der in Coronazeiten hervorragende Geschäfte gemacht hat (und immer noch macht) aufgelastet werden, sondern allen. Eben auch der Generikaindustrie, die angesichts des starren Rechtsrahmens und eingezwängt in Fest- und Rabattverträge keinerlei Möglichkeiten hat, die derzeit massiv steigenden Kosten wenigstens in Teilen weiterzugeben. Wie das angesichts der letztjährigen Lieferausfälle von zentralen Wirkstoffen und der seitens der Politiker geforderten „Rückholung“ der Produktion und damit Versorgungssicherung hierzulande zusammengehen soll, weiß der Hugo.

Grober Heckenschnitt auch zulasten der Patienten

Auf der Suche nach den behaupteten Effizienzreserven im System hat Lauterbach – wie seine Vorgänger auch –, letztlich dem groben Heckenschnitt den Vorzug gegeben. Pikant ist, dass ihm im Gegensatz zu seinen Äußerungen Leistungskürzungen aka Verbesserungen der Patientenversorgung egal zu sein scheinen. Das TSVG war eine zentrale Forderung der gesetzlichen Krankenkassen der vergangenen Jahre: Die (angebliche) Ungleichbehandlung der GKV-Patienten gegenüber den Privatversicherten bei der Terminvergabe beseitigen. Und nun hört man im politischen Berlin einen vielstimmigen Chor: aber doch nicht für 400 Millionen Euro …

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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