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Dr. Uwe Axel Richter wirft einen kritischen Blick auf die Kosten der Koalitionspläne für Gesundheit und Pflege

(c) MMD Creative/Shutterstock.com

„Liefern statt lavieren!“ muss das Motto der neuen Regierung sein, wenn es um die drängendsten Themen in der Gesundheitspolitik geht. So hoffnungsvoll fordernd formulierte der BKK-Bundesverband noch Anfang März. Seit Ende März liegt nun das Ergebnis der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege in Papierform vor. 19 mehr oder minder sach- und fachkundige Politiker von Union und SPD (die Liste der Teilnehmer finden Sie hier) haben auf 233 Zeilen die aus ihrer Sicht notwendigen Aufgaben zusammengestellt. Immerhin findet sich statt der wolkigen Konjunktive vorheriger Papiere ein häufig verwendetes, markiges: „Wir werden“.

Zahlenspaß für Karl

Richtig interessant wird das Papier jedoch, wenn es um die zugegeben ersten Einschätzungen der finanziellen Auswirkungen geht. Mit Noch-Bundesgesundheitsminister, Gesundheitsökonom und Rechenkünstler Prof. Karl Lauterbach (SPD) sollte immerhin ein Mitglied der Arbeitsgruppe tief in der Zahlenmaterie bewandert gewesen sein. Was in diesem Fall nicht unbedingt ein Vorteil sein muss. Kleiner Fun fact am Rande. Die beiden als potenzielle Nachfolger gehandelten Tino Sorge (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, und Petra Köpping (SPD), langjährige Sächsische Staatsministerin für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, waren ebenfalls an Bord der AG. Die Tiefe der Finanzlöcher sollte also klar geworden sein.

Trends und Schwerpunkte

Nehmen wir also die in dem Papier vorgestellten Finanzpositionen in den Blick. Trotz des (noch) groben Zahlenwerks werden Trends und Schwerpunkte bereits deutlich, beispielsweise die im Vergleich zu Lauterbachs demonstrativer Zurückhaltung gegenüber der Apothekerschaft finanziell deutlich positivere Sichtweise der AG. Positiv muss angemerkt werden, dass die Arbeitsgruppe tatsächlich Einsparmöglichkeiten sieht und deren Einsparpotential benennt. Wie realistisch dieses ist, steht auf einem anderen Blatt.

Viel Zeit für die Arbeit des Parlaments geht verloren

Immerhin geht man davon aus, dass in diesem Jahr keinen Einsparungen möglich sein werden. Was angesichts des seitens der Koalitionskombattanten CDU/CSU und SPD verordneten Spätstarts für das Parlament auch kein Wunder ist. Mittlwerweile ist die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag bereits seit anderthalb Monaten Geschichte. Nach jetzigem Stand soll der neue Bundestag regulär am 12. Mai 2025 das erste Mal zusammentreten. Bis dahin heißt es für den größten Teil der 630 frisch gewählten Abgeordneten: Chillen und die Zeit nutzen für die Suche nach einem italienischen Restaurant des Vertrauens für die kommenden vier Jahre parlamentarischer Arbeit. Wenn sich die Zeitverschwendung angesichts der vielfältigen und zeitsensitiven Aufgaben mal nicht rächen wird.

Präventionserfolge brauchen Zeit

Bis Ende 2028 erwartet man kumulierte Einsparungen von 12.030 Millionen (= 12 Milliarden) Euro, davon alleine drei Milliarden Euro durch eine jährliche Reduktion der Krankheitslast um 0,4 Prozent des Niveaus von 2020. Erstaunlich ist, dass die Einsparungen gegen eine steigende demografische Krankheitslast bereits ab 2026 erfolgen sollen. Dass es ein entsprechendes Präventionsgesetz noch nicht einmal gibt – geschenkt. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die bereits seit mehreren Jahrzehnten geübte und nachweisbar sehr erfolgreich auf Prävention setzende deutsche Zahnmedizin bis zu messbaren Ergebnissen auch ein wenig Zeit brauchte. Und zwar mehr als eine Legislatur.

Primärarztsystem soll neunstellig sparen

Dem noch nicht eingeführten Primärarztsystem traut man gemäß den Zahlen bereits ab 2026 ein Einsparpotential von einer Milliarde Euro zu, welches dann um jährlich 500 Millionen Euro aufwachsen soll, was für die Legislatur zu einem Einsparvolumen von 4,5 Milliarden Euro führt. Die Notfallversorgungsreform soll laut Arbeitsgruppe für ein langfristiges Einsparpotential von jährlich einer Milliarde Euro gut sein. Für die Legislatur sind 1,53 Milliarden Euro eingeplant. Vorteil: Wenigstens hier liegt ein entsprechender Gesetzentwurf bereits vor. Dieser wurde im Oktober vergangenen Jahres nach der Aussprache im Parlament dem Gesundheitsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen. Rettungsdienstreform und Ambulantisierung/Hybrid-DRG sollen ab 2026 jeweils 500 Millionen Euro Einsparungen jährlich realisieren.

Entbürokratisierung ohne Preisschild

Was fehlt noch? Richtig, die Entbürokratisierung in Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Sozialer Pflegeversicherung (SPV). An diesen Punkt klebte die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege, wohl in weiser Voraussicht, kein Preispreisschild. Aber immerhin erwarte man „erhebliche Einsparungen, abhängig von der Ausgestaltung“.

Mehraufwendungen achtmal höher als Einsparungen

Soweit die derzeit konsensfähigen Einsparungen von potenziell gut zwölf Milliarden Euro. Diesen stehen im finalen Text der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege 98.385 Millionen Euro Mehraufwendungen für die Legislatur gegenüber. Und man höre und staune – die größten Aufwandsposten betreffen diesmal nicht Mehrkosten für GKV und SPV, sondern den Bundeshaushalt. Unter der Überschrift „Rückerstattung in die GKV und SPV“ soll/will der Bund in der Periode des 21. Bundestages insgesamt 62,67 Milliarden Euro aufwenden. Größter Einzelposten sind ab 2026 jährlich zehn Milliarden Euro an die GKV für kostendeckende Beiträge der Bürgergeldempfänger.

Endet der Raubzug zulasten der GKV?

Nur für die Geschichtsbücher: Die zehn Milliarden Euro jährlich sind de facto keine Rückerstattungen, wie die Überschrift suggeriert, sondern sollen ab 2026 der GKV lediglich nicht mehr „entwendet“ werden. Legt man das seit Anfang 2023 gültige Bürgergeld-Gesetz zugrunde, wären als Rückerstattung Ende 2025 immerhin rund 30 Milliarden Euro für die GKV fällig. Angesicht dieser enormen Summe wird schnell klar, wer die erheblichen Beitragsanstiege insbesondere für die Beschäftigte, weniger die Unternehmen, zu verantworten hat – nämlich die Bundesregierung! Und nicht die insbesondere seitens der Kassen-Vorstände gerne unisono angeschuldigten Heilberufler.

Auch die Pflege steckt in der Finanzklemme

Doch zurück zu dem Zahlenwerk der AG. Als weitere, die Einnahmensituation verbessernde Maßnahme soll der Bundeszuschuss zur GKV dynamisiert werden, was für die Legislatur in Summe gut 4,4 Milliarden Euro ausmachen würde. Für die Soziale Pflegeversicherung will man die Sonderentnahme für den Ausgleichsfond Pandemiekosten in Höhe 5,2 Milliarden Euro zurückführen, was in der Tat einer Rückerstattung gleichkommt. Die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige soll mit 13 Milliarden Euro bis 2028 für den Bund zu Buche schlagen.

Nur eine kleine Prise vom Sondervermögen

Mittlerweile soll sich ja herumgesprochen haben, dass der vermeintliche Geldberg namens Sondervermögen, den sich CDU/CSU und SPD noch vom alten Bundestag genehmigen ließen, nichts anderes ist als ein weiterer, zwar dedizierter, aber nach Zinszahlungen gierender riesiger Schuldenberg. Dediziert bedeutet nichts anderes, als dass ein „Sondervermögen Infrastruktur“ vornehmlich für – bildlich gesprochen – Betonhaltiges ausgegeben werden kann. Im Vergleich zu der vorgenannten Summe von 62,67 Milliarden Euro soll das Sondervermögen für Gesundheit und Pflege in der eher bescheidenen Größenordnung von 12,6 Milliarden Euro angezapft werden.

Größter Betrag ist mit 2,5 Milliarden Euro jährlich die Übernahme der von Lauterbach der GKV übergestülpten Kosten für den Krankenhaus-Transformationsfonds. Man ist geneigt zu sagen: Endlich soll dieser ordnungspolitische Unsinn aus der Zeit der Ampelkoalition – namentlich des Gesundheitsministers in Tateinheit mit Ex-Finanzminister Christian Lindner, FDP – beseitigt werden. Hinzu kommen noch Resilienzmaßnahmen zur Ertüchtigung der Uniklinika, Bundeswehrkrankenhäuser etc. pp. sowie für die energetischen Sanierungen und Digitalisierung dieser Häuser und der Pflegeeinrichtungen. Macht in Summe nochmals 1,7 Milliarden Euro pro Jahr.

„Geplante“ Mehraufwendungen der GKV

Bleiben als letzter Kostenblock die Aufwendungen für die (neuen) Maßnahmen, die als Mehrkosten für die GKV zu Buche schlagen. Auch hier ist das Zahlenwerk etwas verwirrend, stehen doch Kosten zu Lasten der GKV oder der Steuerkasse sowie finanzneutrale Aufwendungen in einer Tabelle. Für die Jahre 2025 bis 2028 summieren sich die Aufwendungen auf 23,115 Milliarden Euro, davon gehen jedoch 11,8 Milliarden Euro zu Lasten der Steuerkasse.

Auch Heilberufler und Apotheker sollen profitieren

Demnach bleiben rund 11,3 Milliarden Euro als Aufwendungen für die GKV. Darin steckt die Entbudgetierung der Fachärzte mit 2,5 Milliarden Euro jährlich ab 2026, macht 7,5 Milliarden Euro. Die Vergütung der Honorarreform für die Fachärzte wird als kostenneutral eingestuft. Und dann kommen noch die Apotheker, deren Zuschläge für den ländlichen Raum in Höhe von 262,5 Millionen Euro sowie Präventionsmaßnahmen (87,5 Millionen Euro) aus dem Topf der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDl) angeblich gegenfinanziert würden.

Den größten Brocken macht bei den Apotheken die Erhöhung des Abgabefixums pro Arzneimittelpackung aus: 3,465 Milliarden Euro für die Legislatur bis 2028. Apropos Heilberufler: Dem finalen Papier der AG Gesundheit und Pflege ist in Zeile 57 folgendes zu entnehmen: „Den Apothekerberuf entwickeln wir zu einem Heilberuf weiter“.

Und man mag es glauben oder nicht, auch die Zahnärzteschaft findet mit zwei Worten in der letzten Textzeile Erwähnung. Unter der Überschrift „Bundestagsrelevanz, vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung kommen folgende Maßnahmen in Betracht“ steht in Zeile 233 die kryptische Ansage: „Bedarfsplanung Zahnärzte“. Aber die geht ja an die Länder, und mehr Geld für die Zahnärzte wird da auch nicht erwähnt.

Keine Aussagen zu Arzneimitteln

Einen der größten Kostenbrocken, den Arzneimittelbereich, hat man hinsichtlich seiner zukünftigen Finanzwirksamkeit zahlenmäßig gar nicht erst berücksichtigt. Dort heißt es lediglich: AMNOG-Ausgabensteigerungspotential für GKV: sehr hoch (Mrd., abhängig von der Ausgestaltung). Angesichts der in der Vergangenheit trotz aller Kostendämpfungsmaßnahmen in diesem Sektor zu beobachtenden Steigerungsraten werden mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald zusätzliche Einsparmaßnahem notwendig werden.

Schöne neue Welt?

Wie dem auch sei: Da die gemäß „Planung“ vorgesehen zusätzlichen Aufwendungen in Höhe von 11,3 Milliarden Euro sich auf die Jahre 2026 bis 2028 beziehen, würden aufs Jahr gerechnet knapp 3,8 Milliarden Euro seitens der GKV fällig werden. Bliebe ein jährliches Plus bei den Kassen zwischen 6,2 und 8,7 Milliarden Euro aufgrund der Kostenerstattung von zehn Milliarden Euro für die versicherungsfremden Leistungen sowie die Dynamisierung des Bundeszuschusses.

Jetzt beginnt das Lavieren

Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre. Denn ob das Papier der AG die nächste Verhandlungs-, respektive Konsolidierungsrunde der potenziellen Koalitionäre von Union und SPD unverändert überstehen wird, muss bezweifelt werden. Als nächstes nehmen sich nämlich die „führend“ führenden Politiker – CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, Ex-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD, langjähriges Mitglied des Gesundheitsausschusses) und die digitalisierungsaffine CSU-Politikerin Dorothee Bär – des Ergebnispapiers der AG Gesundheit und Pflege an. Danach folgt dann die Konsentierungsphase mit den Ergebnissen der übrigen Arbeitsgruppen sowie die Finalisierungsrunde.

Mal sehen, was inhaltlich dann noch übrig sein wird. Denn angesichts all der schulden- und steuerfinanzierten Maßnahmen wird schnell klar, dass nicht nur im Bundeshalt umverteilt, sondern auch massiv gespart werden muss. Allein schon, um den Schuldendienst für das Sondervermögen finanzieren zu können.

Oder anders gesagt: Spätestens jetzt beginnt das Lavieren. Geliefert wird später, allerdings nicht wie bestellt. Und leider muss man damit rechnen, dass vor allem die zukunftsweisenden Ideen schnell wieder ad acta gelegt werden. Oder passend zum Frühjahr: Nicht alle Blütenträume werden reifen. Manche auch deshalb, weil sie leider nicht ausreichend „gegossen“ werden, weil es an Mut und Mumm fehlt.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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