Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen hat Ende Mai 2025 beschlossen, niedergelassenen Zahnärztinnen nach der Geburt eines Kindes auf Antrag eine einmalige Förderung von 30.000 Euro zu gewähren. Die Reaktionen darauf waren geteilt. Während viele Zahnärztinnen das als positive Signal werteten, kam auch Kritik – denn bezahlt wird das aus dem Strukturfonds der KZV Sachsen, in den auch Gelder aus dem Honorartopf aller Zahnärzte in Sachsen fließen, die damit nicht an die Praxen ausgeschüttet würden. Warum nicht auch junge Väter diese Unterstützung bekommen würden, wurde gefragt. Und schließlich könnten die Zahnärztinnen Mutterschutz und Ausfallzeiten ja mit einer Versicherung abdecken.
Das Thema Absicherung von Zahnärztinnen in Zeiten von Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit beschäftigt den Dentista – Verband der Zahnärztinnen e.V. seit seiner Gründung – sei es für selbstständige Zahnärztinnen oder für Angestellte. Dentista-Präsidentin Dr. Rebecca Otto und Vizepräsidentin Dr. Juliane von Hoyningen-Huene sprechen im Interview mit „Quintessence News“ über die Rahmenbedingungen, den Vorstoß aus Sachsen und die Forderungen des Verbands.
Frau Dr. Otto, Frau Dr. von Hoyningen-Huene, hat Sie der Beschluss der KZV Sachsen, niedergelassenen Zahnärztinnen einen einmaligen Zuschuss nach Geburt eines Kindes zu zahlen, überrascht?
Dr. Rebecca Otto: Wir begrüßen diese Initiative ausdrücklich. Es ist ein starkes Signal für die Förderung junger Zahnärztinnen auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Natürlich handelt es sich um Gemeinschaftsgelder – aber diese bleiben im Bundesland und dienen der Sicherung der Versorgung vor Ort. Unser Gesundheitssystem beruht auf Solidarität, und genau darum geht es: strukturelle Ungleichgewichte auszugleichen. Faktisch sind es immer noch die Frauen, die Kinder bekommen – und damit verbundene berufliche Einschränkungen tragen. Diese Realität verdient Anerkennung und Unterstützung.
„Es braucht strukturelle Lösungen“
Ist das ein guter Vorstoß, oder geht das am eigentlichen Problem vorbei?
Dr. Juliane von Hoyningen-Huene: Wir sehen den Vorstoß als positiv. Junge Kolleginnen hören nach wie vor Sätze wie: „Bekomm erst deine Kinder, dann kannst du dich immer noch niederlassen.“ Das ist nicht zeitgemäß. Die Förderung setzt ein wichtiges Zeichen, dass Mutterschaft und Selbstständigkeit vereinbar sind.
Gleichzeitig müssen wir tiefer ansetzen: Was hält junge Frauen von der Niederlassung ab? Angst vor finanzieller Belastung, komplexe bürokratische Anforderungen und die Herausforderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier braucht es strukturelle Lösungen. Ob die Förderung wirklich ein Ansporn ist, sich niederzulassen, kann nur die Zeit zeigen. Die Strukturprobleme sind ja größtenteils ein gesamtgesellschaftliches Problem und können von uns Zahnärztinnen und Zahnärzten selbst nur bedingt gelöst werden.
Mutterschutz soll unterstützen, aber nicht zwingen
Was ist aus Sicht von Dentista beim Thema Mutterschutz für niedergelassene Zahnärztinnen essenziell? Wie könnten Zahnärztinnen als Praxisinhaberin und Mutter besser unterstützt werden?
Dr. Otto: Wichtig ist, dass Mutterschutz unterstützt, aber nicht zwingt. Zahnärztinnen sollten die Freiheit haben, ihre Tätigkeit individuell zu gestalten – auch während Schwangerschaft und Stillzeit. Netzwerke zur frühzeitigen Organisation von Vertretungen sind entscheidend. Hier unterstützt Dentista die Kolleginnen über unser Netzwerk.
Ebenso muss für Notdienste eine praxistaugliche Lösung gefunden werden. Wir fordern, dass Kolleginnen auf Wunsch für bis zu sechs Monate nach der Geburt vom Notdienst befreit werden können – das schafft Planungssicherheit und reduziert Druck in einer sehr sensiblen Lebensphase.
Das Thema Notdienste sollte überdacht werden
Sollte es Unterstützung auch für die männlichen Kollegen geben, wenn sich Zahnarzt-Ehepaare die Kindererziehung teilen?
Dr. von Hoyningen-Huene: Hier ist eine Differenzierung wichtig. Der klassische Mutterschutz betrifft die Zeit vor und unmittelbar nach der Geburt – das ist eine biologisch und gesundheitlich besondere Phase, die Männer so nicht erleben. Eine Gleichstellung in diesem Kontext würde an der Realität vorbeigehen.
Bei der partnerschaftlichen Aufteilung von Kindererziehung hingegen braucht es familienfreundliche Strukturen für beide Elternteile. Wir begrüßen zum Beispiel die politische Diskussion über die Reform des Ehegattensplittings. Kindererziehung betrifft nur einen Lebensabschnitt – Pflege von Angehörigen einen weiteren. Beides muss in die berufliche Planung integrierbar sein.
Im zahnmedizinischen Bereich ist für Kolleginnen und Kollegen mit kleinen Kindern immer wieder der Notdienst ein Thema, dies sollte auch überdacht werden, gerade für Wochenenden und die Nächte. Besonders wenn man alleinerziehend im ländlichen Raum ist.
Kritik kam auch daran, dass das Geld für eine solche Förderung junger Mütter aus dem Strukturfonds nach Paragraf 105 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch kommt, also aus dem Gesamthonorarvolumen aller Zahnärztinnen und Zahnärzte in einer KZV – das dann nicht an die Praxen ausgezahlt wird. Bis zu 0,2 Prozent des Gesamthonorarvolumens können KZVen in diesen Fonds lenken, die Kassen zahlen ebenfalls in diesen Topf, der dafür gedacht ist, die Versorgungsstrukturen zu erhalten und zu unterstützen. Halten Sie diese Kritik für gerechtfertigt?
Dr. Otto: Diese Kritik teilen wir nicht. Die Nachwuchsförderung ist entscheidend für die Sicherung der Versorgung – insbesondere in ländlichen Regionen. Wenn wir keine effektiven Maßnahmen ergreifen, riskieren wir langfristig Versorgungsengpässe. Alle bisherigen Maßnahmen waren nicht ausreichend zielführend. Wir wollen weiterhin in einer Selbstverwaltung und in einem freien Beruf aktiv sein und wenn wir die Versorgung der Bevölkerung nicht sicherstellen, werden es andere für uns regeln.
Dass sich die Kassen mit 50 Prozent an der Förderung beteiligen, trotz angespannter Haushaltslage, ist bemerkenswert. Man darf nicht vergessen: Ein Beschäftigungsverbot bei angestellten Zahnärztinnen verursacht ebenfalls erhebliche Kosten – oft mehr als 100.000 Euro für das Gesamtsystem plus den bestehenden Urlaubsanspruch für den Arbeitgeber. Wenn die Kollegin mit zwei mal 30 Tagen (zwei Jahre à 30 Tage) Urlaubsanspruch zurückkommt, denn im Beschäftigungsverbot reduziert sich der Urlaubsanspruch nicht, bedeutet dies für den Arbeitgeber 60 Tage bezahlten Urlaub, welchen dieser tragen muss.
Eine frühe Niederlassung bedeutet hingegen Eigenverantwortung und Entlastung des Systems. Deshalb: Eine lohnende Investition.
Private Absicherung kompliziert und nicht überall zugänglich
Welche Möglichkeiten haben selbstständige Zahnärztinnen denn derzeit überhaupt, Ausfälle während der eigenen Schwangerschaft und eine Auszeit nach der Entbindung abzusichern?
Dr. von Hoyningen-Huene: Derzeit liegt die Absicherung weitgehend in der Eigenverantwortung der Praxisinhaberinnen. Wer in einer Einzelpraxis tätig ist, muss eigenständig eine Vertretung organisieren – und die Kosten dafür tragen.
Zur Absicherung stehen private Krankentagegeldversicherungen oder Praxisausfallversicherungen zur Verfügung. Letztere greifen, wenn eine Zahnärztin aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen längere Zeit ausfällt. Doch diese Modelle sind teuer, oft unflexibel und nicht flächendeckend bekannt oder zugänglich.
Jetzt hat sich die neue Regierungskoalition einen besseren Mutterschutz auch für Selbstständige in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die Rede ist davon, „umlagefinanzierte und andere geeignete Finanzierungsmodelle“ zu prüfen, und man wolle gemeinsam mit der Versicherungswirtschaft Konzepte für die Absicherung der betroffenen Betriebe entwickeln. Wie stehen Sie aus Sicht der Zahnärztinnen dazu? Sind für die Praxen von Heilberuflerinnen besondere Regelungen nötig?
Dr. Otto: Wir begrüßen den Vorstoß ausdrücklich. Es ist wichtig, dass Selbstständige die Möglichkeit haben, selbstbestimmt über Art und Umfang ihrer Tätigkeit während Schwangerschaft und Stillzeit zu entscheiden.
In unterversorgten Regionen hat der Ausfall einer Zahnärztin direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung. Ein strikter, verpflichtender Mutterschutz würde hier zu Versorgungslücken führen – selbst, wenn Büro- oder Beratungstätigkeiten noch möglich wären. Wir plädieren daher für flexible, passgenaue Regelungen und praxisnahe Modelle – etwa in Kooperation mit der Versicherungswirtschaft.
Noch liegt dazu ja keine Gesetzesinitiative vor, und es wird vermutlich noch dauern, bis sich hier etwas tut. Dann wäre die zahnärztliche Standespolitik auf Landes- und Bundesebene gefordert, sich in diesen Gesetzgebungsprozess in Stellungnahmen und Positionierungen für die Zahnärzteschaft einzubringen. Dentista-Mitglieder sind in der Standespolitik bundesweit aktiv – hat die etablierte Standespolitik dieses Thema überhaupt auf dem Schirm?
Dr. von Hoyningen-Huene: Dentista arbeitet seit mehr als 15 Jahren aktiv an diesem Thema und bringt Expertise und Erfahrungswerte in politische Prozesse ein. Die Bundeszahnärztekammer ist in diesem Bereich ein enger Partner, ebenso wie andere Akteurinnen in der Standespolitik.
Wir sind in den entsprechenden Gremien vertreten und setzen uns konsequent dafür ein, die Perspektive von Zahnärztinnen sichtbar zu machen – auch und gerade in Gesetzgebungsprozessen.
Frau Dr. Otto, Sie sind bei den Spitzenfrauen im Gesundheitswesen als Co-Vorsitzende aktiv. Spielt das Thema Mutterschutz dort eine Rolle?
Dr. Otto: Ja, insbesondere im Zusammenhang mit Karrierewegen und Führungsverantwortung. Familienfreundliche Führung ist noch immer die Ausnahme – gerade in hochqualifizierten medizinischen Berufen.
Bei unserem Treffen im Bundesfamilienministerium mit der damaligen Familienministerin Lisa Paus haben wir ausführlich über Teilzeitführung und flexible Arbeitsmodelle gesprochen. Hier gibt es noch großen Handlungsbedarf – und dieser betrifft Männer und Frauen gleichermaßen.
Mutterschutz-Regelungen sollten angepasst werden
Sie setzen sich bei Dentista auch für die faire Umsetzung der bisherigen Mutterschutz-Regelungen ein. Was ist Ihnen hier besonders wichtig?
Dr. von Hoyningen-Huene: Der Schutz des ungeborenen Kindes ist selbstverständlich zentral. Dennoch setzen wir uns für eine Anpassung der Regelungen ein, etwa die Verkürzung des Stillbeschäftigungsverbots auf sechs Monate. Auch fordern wir, dass Beschäftigungsverbote ähnlich wie Elternzeiten zu einer Reduktion des Urlaubsanspruchs führen. Hier gibt es aktuell ein deutliches Ungleichgewicht – mit finanziellen und organisatorischen Folgen für Praxisinhaberinnen.
Sie sind beide Mütter – wie haben Sie Beruf und Familie gerade in der herausfordernden Zeit vor und nach der Geburt gestemmt? Und was hätten Sie sich damals als Unterstützung gewünscht?
Dr. Otto: Planung hilft – aber das Leben läuft nicht immer nach Plan. Ich hatte Glück mit einem engagierten Team, das mich unterstützt hat. Mein Mann ist ebenfalls selbstständig, und wir hatten keine familiäre Unterstützung. Eine fest angestellte Haushaltshilfe war für uns die Lösung – aber solche Kosten können aktuell nur sehr begrenzt steuerlich geltend gemacht werden.
Kinderbetreuung ist keine private Entscheidung, sondern Voraussetzung für die Berufstätigkeit – und damit auch für die Versorgung der Allgemeinheit. Hier brauchen wir dringend eine vollständige steuerliche Absetzbarkeit für Eltern. Davon profitieren nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Arbeitnehmer.
Zudem sind bestehende Minijob-Regelungen und Hinzuverdienstgrenzen oft praxisfern und fördern informelle Beschäftigung. Eine grundlegende Reform ist überfällig, um echte Wahlfreiheit und faire Rahmenbedingungen für berufstätige Eltern zu schaffen und damit die Berufstätigkeit von Frauen nicht an der mangelnden Unterstützung bei Sorge- und Hausarbeit scheitert.
Auch die Angestellten werden gebraucht
Dr. von Hoyningen-Huene: Ich war zwar Angestellte, aber bin direkt wieder in die Zahnärztekammer zurückgekehrt, da ich dort im Vorstand bin. Für die Praxis war ich aber ebenfalls nach vier Monaten schon wieder zumindest stundenweise aktiv, denn auch wir Angestellten werden gebraucht, um die Versorgung sicherzustellen.
Grundsätzlich sollte man allen Arbeitszeitmodellen offen gegenüberstehen, sowohl von Seiten der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, als auch von „offizieller“ Seite. Es werden nicht für alle die gleichen Konzepte funktionieren, auch die Gesellschaft sollte toleranter werden für die individuellen Betreuungsentscheidungen der Familien.