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Warum die GOÄneu keine Blaupause für eine GOZ-Novellierung sein sollte – die Analyse von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Lenzen/Shutterstock.com

Dass der September 2024 in die Annalen ärztlicher Versorgung eingehen wird darf als sicher gelten. Das Wie, ob als positiver oder negativer Aufreger vielleicht sogar als Big Bang, steht derzeit noch in den Sternen. Denn nach mehr als elfjähriger Bearbeitungszeit in unterschiedlichsten Konstellationen erblickte die „GOÄ neu“ am 11. September das Licht der deutschen Versorgungswelt. Nun gut, nicht so ganz, denn zuvor stehen erst einmal Sichtung und Bewertung der GOÄ neu durch 165(!) ärztliche Verbände auf dem Programm.

Diese sollten 14 Tage für Analyse und Stellungnahme Zeit haben. Am 9. Oktober dieses Jahres, so jedenfalls die ursprüngliche Planung, sollte dann das Opus Magnum gemeinsam mit dem PKV-Verband öffentlich vorgestellt werden. Davon ist man nun allerdings schon abgerückt, die Verbände sollen so viel Zeit bekommen, wie sie brauchten, heißt es.

Als Geburtshelfer der neuen GOÄ agierte ein sichtlich stolzer Präsident der Bundesärztekammer, der sich und sein GOÄ-Entwicklungsteam angesichts eines von ihm detektierten positiven Stimmungsbildes seitens der ärztlichen Verbände „hochgradiger Unterstützung“ sicher wähnte. Wobei hochgradig nicht mit breiter Unterstützung verwechselt werden sollte – aber dazu weiter unten mehr.

Große systematische Unterschiede

Doch was heißt GOÄneu? Die systematischen Unterschiede zur alten GOÄ sind jedenfalls gewaltig. Denn jede ärztliche Leistung hat nun ihren fixen Preis, die Mehrfachhebesätze entfallen und werden durch fixe Erschwerniszuschläge ersetzt. Für Änderungen, Bewertungen etc. soll es eine ständige gemeinsame Kommission geben, bestehend aus Vertretern der Ärzteschaft, der Privaten Krankenversicherungen (PKV) und der Beihilfe. PKV und Beihilfe saßen im Übrigen bei der Erstellung der GOÄneu mit im Boot.

 

Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“

Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.

Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.

GOÄ ist eine staatliche Verordnung

Eine Vorgehensweise, die man sich zumindest für einen freien Berufsstand als ungewöhnlich vor Augen führen sollte. Sie geht zurück auf die Zeit von FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr. Letzterer kaschierte sein diesbezügliches Politikversagen, indem er im Zuge seiner Amtszeit von 2011 bis 2013 die Bundesärztekammer und die PKV zur Erstellung eines gemeinsamen GOÄ-Entwurfs mit „sanftem“ Druck zusammenspannte. Frei nach dem politischen Motto „macht Ihr mal, zum Schluss entscheiden sowieso wir“ arbeiteten die jeweiligen Kommissionen seitdem an dem epochalen Werk einer wirklich neuen GOÄ.

„Cleverle“ Daniel Bahr 

Man kann den damaligen Schachzug von Bahr politisch clever nennen. Letztlich ist es nichts anderes als die Arbeitsverweigerung der zuständigen Politik. Deutlich wurde bei dieser Art des Vorgehens wieder einmal, dass die freien Berufe eben doch nicht gleich sind, wenn es ums Geld geht. Oder können Sie sich Rechtsanwälte oder Architekten vorstellen, die ihre Gebührenordnungen zuvor mit Rechtschutzversicherern oder Bauträgern abstimmen? Sobald es sich hingegen um Heilberufe handelt, ist es mit einer selbstbestimmten und stetig aktualisierten Gebührenordnung nicht weit her. Schließlich wirken sich deren finanzielle Folgen wegen der Beihilfe für die Staatsbediensteten direkt auf die Haushalte von Bund und Ländern aus. Insoweit könnte man den Move des damaligen FDP-Politikers Bahr durchaus als smart bezeichnen. 

Wo ist der Vorteil? 

Unterstellt, die ärztlichen Professionen würden sich trotz der erheblichen finanziellen Verwerfungen auf die GOÄneu verständigen können, steht immer noch die Genehmigung durch das BMG aus. Zwar hat Lauterbach im Vorfeld eine wohlwollende Prüfung zugesagt, aber eben auch nicht mehr. Wenn man an seine Reaktion anlässlich des Ärztetags in Bremen – angewidertes Gesicht und spitze Finger – bei der Übergabe eines von der BÄK schön gebundenen Vorentwurfe denkt, schwant einem Übles. Kleiner Spoiler: Sollte der Minister aufgrund der prognostizierten Kostensteigerungen für die Beihilfe seine Zustimmung trotzdem verweigern, würde die alte GOÄ in Kraft bleiben. Und der oben benannte ordnungspolitische Sündenfall unterbleiben. Und ganz nebenbei: Ein finanzieller Nachteil wäre es angesichts der vereinbarten Steigerungssumme nicht …

BÄK zeigt sich zufrieden

Doch zurück zur ärztlichen Sicht. Eigentlich müsste deren Freude groß sein, wenn nach fast vier Jahrzehnten endlich eine betriebswirtschaftlich sauber kalkulierte (so die Behauptung) und den aktuellen wissenschaftlichen Stand repräsentierende Gebührenordnung eine allseits konsentierte Basis für die ärztliche Versorgung bildet. 5.595 Gebührenziffern, 4.202 Hauptleistungen und 1.393 Zuschläge sollen sich in den kommenden drei Jahren zu einem positiven Preiseffekt von 13,2 Prozent für die privat abrechnende Ärzteschaft summieren. Das wären im Durchschnitt immerhin 4,4 Prozent pro Jahr. Und da die PKV wie auch die Beihilfestellen bei der Erstellung der GOÄneu mit am Tisch gesessen haben, wissen sie nicht nur um den (Einzel)-Preis der Leistung und seine kalkulatorischen Grundlagen, sondern aufgrund des anderthalbjährigen Testbetriebs auch den (geplanten) Mengeneffekt. Insoweit darf man von der Einigkeit der Verhandlungspartner ausgehen.

Honorarplus von ca. 1,9 Milliarden Euro

Soweit das Positive. Ob der Bundesgesundheitsminister zu derselben Einschätzung gelangen wird, steht zurzeit allerdings in den Sternen. Immerhin beziffert Reinhardt das Honorarplus für die nächsten drei Jahre mit ca. 1,9 Milliarden Euro. Und ein Teil davon wird nun mal von der Beihilfe zu tragen sein.

Viele Kröten für einige wenige Silberlinge 

Für dieses Honorarplus stehen allerdings einige gewaltig große Kröten auf dem Speiseplan der Ärzteschaft. An dieser Stelle nur die bis dato bekannten: „EBM-isierung“ der GOÄ (Globalbudget, Menge), Abwertung technischer Leistungen bei gleichzeitiger Förderung der sprechenden Medizin, Entfall der Preisdifferenzierung durch Verzicht auf Hebesätze, Einfachsätze und deren Folgen für eine Abdingung, Verlagerung des zukünftigen Morbiditätsrisikos auf die Ärzteschaft, Abstaffelung der Bewertungen wie im EBM, wenn vereinbarter Honorarzuwachs überschritten, Qualitätskriterien für das Honorar, Installierung einer Gemeinsamen Kommission (Ärzte, PKV und Beihilfe - Ärzte können überstimmt werden) – und damit letztlich der Verzicht auf eine „freie“ Gebührenordnung.

Beim Geld hört der Spaß auf

Da ist die Frage durchaus nachvollziehbar, was für die Ärzteschaft mit der neuen GOÄ eigentlich besser werden soll. Reduziert auf die Finanzfrage, würde die Antwort bei retrospektiver Betrachtung schnell „nichts“ lauten. Denn der seit 1996 immer wieder geforderte Inflationsausgleich hätte sich in Luft aufgelöst – für diesen Zeitraum reden wir immerhin von knapp 70 Prozent. In Anbetracht der aktuellen Inflationsrate sind die angekündigten durchschnittlich 4,4 Prozent für die kommenden drei Jahre vielleicht ein Inflationsausgleich, aber eben keine Preiserhöhung. 

Und meistens auch die Freundschaft

Wesentlich schwerer wiegt jedoch meines Erachtens die Sprengkraft der Ungleichbehandlung der Fachgruppen. Denn die GOÄneu produziert Gewinner und Verlierer nach dem Muster: je technischer die Leistung, umso größer die Abwertung. Wie man aus informierten Kreisen hört, soll das Minus bei apparativen Leistungen bis zu 40 Prozent betragen. Hinzu kommt, dass der jahrzehntelang nicht erfolgte Inflationsausgleich wie ein Hebel wirkt.

Das MRT aus der Portokasse bezahlen?

Es wird also Fachgruppen geben, die massiv Honorarumsatz verlieren werden. Und das sollen nun ausgerechnet die investitionsintensivsten sein? Nun war es vor zwölf Jahren durchaus berufspolitischer Konsens, die „Technik“ abzuwerten. Allerdings sind verbaler Konsens und tatsächliche Anpassungsbereitschaft des Berufstands zwei Paar Schuhe. Und so verwundert es wenig, wenn solche lange dauernden „Prozesse“ von der technischen Entwicklung überholt werden. Im Übrigen sprechen bis zu 40 Prozent Abwertung jeder Kalkulationsgrundlage Hohn, allzumal technische Kosten auch nicht inflationsfrei sind.

Was mich in diesem Zusammenhang jedoch am meisten irritiert, ist die Aussage der BÄK, dass die neuen Ziffern auf Basis betriebswirtschaftlicher Kalkulationen entstanden sein sollen. Es sei die Frage erlaubt: Auf welcher Basis denn sonst? Aber eine zweistellige prozentuale Abwertung bei einer knapp 70-prozentigen Inflation in den vergangenen 28 Jahren? Selbst wenn man nur die seit 2020 erheblich gestiegenen Inflationsraten zu Grunde legt, kommen Zweifel an einer seriösen betriebswirtschaftlichen Berechnung der technischen Abrechnungsziffern auf – egal ob retrospektiv oder prospektiv. Hier sollte die BÄK die Zahlenbasis schnellstmöglich aufdecken.

Zerreißprobe für die verfasste Ärzteschaft 

Die in den kommenden Wochen (und zu erwarten auch über den 9. Oktober hinaus) stattfindende Diskussion wird für die verfasste Ärzteschaft nicht nur hochspannend werden, sondern den Berufsstand auch vor eine länger währende Zerreißprobe stellen. Derzeit reicht das Stimmungsbild in der verfassten Ärzteschaft von Zustimmung bis Ablehnung. Die Kammerversammlung in Niedersachsen fasste kürzlich bereits den Beschluss für einen Sonder-Ärztetag und die Abberufung des Präsidenten. Für einen außerordentlichen Deutschen Ärztetag hatte sich der KBV-Vorsitzende, Dr. Andreas Gassen, bereits ausgesprochen.

In der Politik geschieht nichts zufällig

Ob Daniel Bahr, der ja bekanntlich nach seiner zweijährigen Amtszeit als Bundesgesundheitsminister zum Mitglied des Vorstands der Allianz Private Krankenversicherungs-AG avancierte, das auch so intendiert hatte, als er die BÄK mit der PKV zusammenspannte? Nun gibt es den schönen, auf Franklin D. Roosevelt zurückgehenden Satz, dass in der Politik nichts zufällig geschieht. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf dieser Weise geplant war.

GKV-isierte Gebührenordnung

Man muss Herrn Bahr ja nicht gleich hybride Kriegsführung unterstellen – aber es musste ihm klar gewesen sein, dass er damit einerseits den Berufsstand maximal forderte und andererseits die (damalige?) Organisationstruktur der BÄK maximal stresste, um nicht zu sagen überforderte. Mit dem Ergebnis, dass die Gebührenordnung eines freien Berufstands GKV-isiert werden soll. Oder sollte man sagen: Zu Grabe getragen wird?

Keine Blaupause für die GOZ

Damit ist die Frage, ob die GOÄneu als Blaupause auch für die Novellierung der GOZ taugen kann, eigentlich schon beantwortet.

Eigentlich.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Abrechnung Praxis

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