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Zahnärzte und Ärzte kritisieren fortgesetzte Politik der Sanktionierung der Praxen bei TI-Anwendungen – PKV will Zugang zur ePA für alle

(c) Hilch/Shutterstock.com

Das Digital-Gesetz von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach steht von allen Seiten in der Kritik. Anlässlich der Verbändeanhörung am 1. August 2023 haben nicht nur KZBV und BZÄK kritisch Stellung zum Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für „DigiG“ genommen. Vor allem die fortgesetzte Sanktionspolitik für neue TI-Anwendungen ohne Rücksicht auf die tatsächliche Anwendungstauglichkeit sorgt für Unverständnis.

Das Digital-Gesetz (DigiG) war von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach bereits seit längerem angekündigt, der Referentenentwurf liegt seit 13. Juli 2023 vor. Es soll die im März 2023 vorgestellte Digitalisierungsstrategie des BMG umsetzen. Einige Maßnahmen wie die verpflichtende Nutzung des Elektronischen Rezepts (E-Rezept) sollen relativ kurzfristig umgesetzt werden.

Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV
Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV
Foto: Knoff/KZBV
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) äußert sich anlässlich der Anhörung zum Referentenentwurf im BMG kritisch. Der KZBV-Vorstandsvorsitzende ZA Martin Hendges erklärte: „Mit Unverständnis blicken wir auf die Fortsetzung der von uns immer wieder stark kritisierten Sanktions- und Fristenpolitik des BMG, die sich in dem vorgelegten Gesetzesentwurf erneut findet und kontraproduktiv auf die gesetzten Ziele wirkt. Dieser Ansatz hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Qualität der TI-Anwendungen sowie die Stabilität der Dienste gelitten haben und die Zahnarztpraxen einen unnötigen Arbeitsaufwand hatten, um die Anwendungen gangbar zu machen. Sanktionen sind ein verfehlter Weg, um die Digitalisierung des Gesundheitswesens nach vorne zu bringen! Dem BMG fehlt jedes Augenmaß dafür, wie zielführend und berechtigt die Interessen der Anwenderinnen und Anwender sind. Ebenso sehen wir es kritisch, dass technische Aufgaben sowie Verwaltungslasten von den Kassen, wie zum Beispiel die Identifizierung der Versicherten, erneut in unsere Praxen verlagert werden sollen. Wir warnen davor, die Praxisteams über den bereits enorm hohen Bürokratieaufwand hinaus zusätzlich mit fachfremden Aufgaben zu belasten. Digitale und technische Innovationen müssen für die Zahnärztinnen und Zahnärzte zeitlich, wirtschaftlich und organisatorisch umsetzbar sein und für die Versorgung der Patientinnen und Patienten einen erkennbaren Mehrwert entfalten. Dazu müssen vor allem die zahnärztliche Berufswirklichkeit und die Belange der Anwenderinnen und Anwender in den Blick genommen werden! Mit und nicht gegen die Anwenderinnen und Anwender finden sich die besten Lösungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens.“ Ein Beispiel gelungener Digitalisierung im Gesundheitswesen finde sich beim Elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahren (EBZ) der Zahnärzte, welches ohne Sanktionen mittels gestuftem Rollout flächendeckend in die Praxen eingezogen ist – inzwischen mit mehr als 5,5 Millionen gestellten Anträgen ein erfolgreicher Taktgeber in der TI, so Hendges.

Anwenderperspektive berücksichtigen

Hendges fordert zudem, dass die Anwenderperspektive berücksichtigt werden muss: „Bezüglich der elektronische Patientenakte (ePA) stellen wir klar, dass diese in erster Linie zu einer tatsächlich verbesserten Patientenversorgung führen muss, dabei aber zwingend praxistauglich und die damit verbundenen Aufwände für die Zahnärztinnen und Zahnärzte händelbar sein und perspektivisch zu einer Entlastung beitragen müssen. Dies erfordert wiederum eine stärkere Berücksichtigung der Anwenderperspektive der Zahnärzte und ihrer Teams. Dabei geht es vor allem darum, dass nur strukturierte und aus dem aktuellen Behandlungskontext hervorgehende und für die Versorgung wichtige Daten erfasst werden und kein unnötiger ‚Datenfriedhof‘ entsteht. Ziel muss ein reibungsloses, funktionales und aufwandarmes Befüllen und Datenmanagement sein“, sagte Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV.

Positiv sei an dem vorliegenden Referentenentwurf hervorzuheben, dass endlich der Forderung der KZBV entsprochen wurde und die Zahnärzte von der unnötigen und kostenverursachenden Verpflichtung befreit werden sollen, Schnittstellen zum elektronischen Melde- und Informationssystem (DEMIS) vorzuhalten.

Zurück zur gestuften Einführung des E-Rezepts

Hinsichtlich des elektronischen Rezeptes fordert Hendges, zu dem gestuften Verfahren zur Einführung zurückzukehren: „Insbesondere ist ein ausreichender Vorlauf mit schrittweise steigender Last erforderlich, um die Betriebsstabilität der Dienste zu gewährleisten und damit die Arzneimittelversorgung sicherzustellen. Das EBZ hat vorgemacht, wie es geht!“. Den Zahnarztpraxen in diesem Zusammenhang mit Vergütungskürzungen zu drohen, wenn sie nicht fristgerecht nachweisen, dass sie in der Lage sind, für die Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die elektronische Verordnung zu verwenden, bezeichnet Hendges als Hohn in Anbetracht des überdurchschnittlichen Einsatzes der Vertragszahnärzteschaft zum E-Rezept.

Das Ziel einer stärkeren Interoperabilität im Gesundheitswesen erachtet die KZBV grundsätzlich als sinnvoll und will dieses unterstützen. Allerdings sollte sie nicht als Selbstzweck oder zu Generierung großer Datenmengen zur Sekundärnutzung dienen, sondern primär der Verbesserung der Versorgung zugutekommen. Die Spezifikationen technischer, semantischer und syntaktischer Standards, Profile und Leitfäden müssen unter Einbeziehung der Zahnärzteschaft festgelegt werden. Sanktionsbewehrte Verpflichtungen zur kostenfreien Herausgabe und Übermittlung personenbezogener Gesundheitsdaten in einem interoperablen Format lehnt die KZBV nachdrücklich ab.

Digitalisierung muss einen Mehrwert bieten

Dr. Romy Ermler, Vizepräsidentin der BZÄK
Dr. Romy Ermler, Vizepräsidentin der BZÄK
Foto: BZÄK/Lopata
Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) bekräftigte ihre grundsätzliche Unterstützung der Digitalisierung im Gesundheitswesen – allerdings unter der Bedingung, dass die Digitalisierungsmaßnahmen zu einem spürbaren Mehrwert sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für Zahnärztinnen und Zahnärzte führen. „Zahlreiche Regelungen im DigiG-Entwurf bleiben allerdings hinter diesem Anspruch zurück“, heißt es. „Digitalisierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen sollten nach Ansicht der BZÄK drei Kriterien erfüllen: mehr Klarheit für Patientinnen und Patienten, keine Mehrbelastung für Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie ein Benefit für beide Seiten“, so BZÄK-Vizepräsidentin Dr. Romy Ermler.

Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sollten aus Sicht der BZÄK technisch ausgereift, hinreichend erprobt und wirtschaftlich, zeitlich wie organisatorisch in realistischer Weise umsetzbar sein. Dazu müssen vor allem die Praxistauglichkeit und die Belange der Anwenderinnen und Anwender in den Blick genommen werden. Aus Sicht der BZÄK müssen deshalb zum Beispiel die Regelungen zur elektronischen Patientenakte (ePA) und zum E-Rezept nachgebessert werden.
BZÄK-Vizepräsidentin Ermler unterstreicht: „Die BZÄK ist für die Digitalisierung und sie ist vom Nutzen der ePA überzeugt. Aber die ePA und andere Anwendungen wie das E-Rezept werden nur dann erfolgreich sein, wenn Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht weiter belastet werden. Hier gilt dasselbe, was für andere Lebensbereiche auch gilt: digitale Anwendungen setzen sich durch, wenn sie unser Leben besser machen und eine Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis mit sich bringen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – weg von einer Digitalisierung, die immer neue Verwaltungsaufwände schafft, hin zur tatsächlichen Unterstützung der Behandlung. Staatlich verordnete Fristen, Sanktionen und Bußgelder helfen überhaupt nicht.“ (Die gemeinsame Stellungnahme von KZBV und BZÄK zum Digitalgesetz kann hier abgerufen werden.)

Ärzte kritisieren Sanktionen und umständliche Regelungen zur ePA

Auch aus der Ärzteschaft kommt Kritik vor allem an den Sanktionen. Aber auch unrealistische Vorgaben zum Befüllen der ePA in der Praxis, umständliche Zugriffsrechte und Verfahren, fehlende Vorgaben für die Softwareentwicklung zur Umsetzung der ePA, die Ausweitung von Telemedizinangeboten auf mehr als 30 Prozent bei Videosprechstunden auch auf Apotheken sind Kritikpunkte. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisiert zudem, dass zwar die Ärzte und Psychotherapeuten mit Honorarkürzungen bestraft werden sollen, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie alle Komponenten zum Beispiel für das E-Rezept angeschafft haben. Für die Anbieter von IT-Systemen und die TI-Infrastruktur selbst, auf deren Produkte und deren Funktionieren die Ärzte angewiesen seien, gebe es aber keine Sanktionen. Im Zusammenhang mit den sogenannten digitalen Identitäten schreibt die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihrer Stellungnahme: „„Dass im Gegensatz zu den Arztpraxen nicht mit Sanktionen gegenüber den Organisationen gearbeitet wird, denen Zeitverzögerungen zuzurechnen sind, ist augenfällig.“

KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner erklärte, man vermisse im Referentenentwurf die notwendige Unterstützung der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten. „Mit mehr als einer Milliarde Patientenkontakten im Jahr werden sie die entscheidende Rolle beim Einsatz der elektronischen Patientenakte einnehmen. Sie brauchen praxistaugliche und funktionierende Anwendungen, die die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern und nicht, wie jetzt auch bei der ePA zu befürchten, mehr Zeit kosten. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung. In dem Referentenentwurf fehlen klare Vorgaben für die Anpassung der Praxisverwaltungssysteme und für ausreichende Tests bevor Anwendungen in den Regelbetrieb gehen. Stattdessen drohen den Praxen einmal mehr Sanktionen und Bußgelder. So erreicht man kein Vertrauen bei den Ärzten und Psychotherapeuten. Wenn gewollt ist, dass Digitalisierung ein Erfolg wird, muss man mit ihnen und nicht gegen sie arbeiten. Deshalb unser Appell an die Politik: Stellen Sie durch Anpassungen im weiteren Gesetzgebungsprozess sicher, dass die Anwendungen mit den Diensten der Telematikinfrastruktur funktionieren und streichen Sie die Sanktionen.“

Die Bundesärztekammer votierte zudem dafür, dass nur Ärzte, nicht aber Krankenkassen Behandlungsunterlagen in die ePA einfügen dürften, und dies nur in digital zu verarbeitenden Formaten. Der Gesetzentwurf sieht noch vor, dass alte Papierunterlagen von den Kassen gescannt und in die ePA eingepflegt werden sollen – dagegen hatte sich unter anderem der AOK-Bundesverband positioniert. Diese Aufgabe gehöre in die Hand der Patienten und Ärzte.

PKV will ePA direkt auch für Privatversicherte und Beihilfeberechtigte

Die ePA ist laut Gesetzentwurf mit einer Opt-out-Regelung zunächst für gesetzlich Versicherte vorgesehen. Privat Krankenvollversicherte und Beihilfeberechtigte sind außen vor, beklagt der Verband der Privaten Krankenversicherung in seiner Stellungnahme: „Die Bundesregierung wird ihr Versprechen einer elektronischen Patientenakte für alle (‚ePA für alle‘) aus der Digitalisierungsstrategie nur einlösen können, wenn das Opt-out-Verfahren bei der ePA auch für die privat Krankenvollversicherten und Beihilfeberechtigten umgesetzt wird“, heißt es. Ohne Opt-out würde das Ziel einer maximalen Teilhabe der Bevölkerung verfehlt. Zudem wären mit zwei parallel zu betreibenden und zu wartenden ePA-Modellen massive Mehraufwände und Nachteile für die ePA-Entwicklung sowie höhere Kosten verbunden, die das Gesamtziel einer zügigen und erfolgreichen Digitalisierung im Gesundheitswesen behindern. Dafür sei eine eindeutige Krankenversicherungsnummer erforderlich. Auch wollen die PKVen die E-Rechnung als Fachanwendung aufgenommen wissen, das Recht haben, eigene Apps mit E-Rezept-Funktionalitäten anzubieten und Rechtssicherheit für die tarifliche Abbildung dieser gesetzlich eingeführten digitalen Angebote und ihrer Kosten.

DiGA sollten nicht auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen ausgeweitet werden

Kritisch bewertet wird von den Experten in den Stellungnahmen auch die Ausweitung der DiGA – der Digitalen Gesundheitsanwendungen – auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen. Schon jetzt seien Nutzen und Risiken der DiGA schwer zu bewerten. Die Unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses sehen die Ausweitung der DiGA aus diesem Grund sehr kritisch und lehnen sie ab.

Auch der AOK-Bundesverband sieht das kritisch: Die Ausweitung des Leistungsanspruchs von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen lehnt der AOK-Bundesverband ab. „Die Anwendung risikobehafteter DiGAs ohne Nutzennachweis gefährdet die Patientensicherheit“, kritisiert Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands. Bevor diese in die Versorgung kommen, sei eine vorherige Nutzenbewertung zwingend erforderlich. Angesichts der knappen finanziellen Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dürfe das Geld der Beitragszahlenden nur für Anwendungen eingesetzt werden, deren Nutzen klar wissenschaftlich belegt ist.

 

Digitalisierungsstrategie und DigiG – die wichtigsten Inhalte

Im März hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach seine „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ vorgestellt und in diesem Zusammenhang das Digitalgesetz (DigiG) mit dem Kernstück elektronische Patientenakte (ePA) angekündigt. Inhalte des Strategiepapiers sind neben einer Vision und Zielen für die Digitalisierungsvorhaben auch regulatorische Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Strategieumsetzung. So sollen bis zum Jahr 2025 80 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine ePA verfügen, bis Ende 2025 sollen 80 Prozent der Nutzer, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen und bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben unter Nutzung von Gesundheitsdaten aus dem FDZ Gesundheit durchgeführt und initiiert werden.

Das DigiG sieht nun Folgendes vor:

  • Die elektronische Patientenakte soll ab Anfang des Jahres 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet werden. Wer die ePA nicht nutzen möchte, kann dem widersprechen (Opt-Out).
  • Um ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln künftig besser zu vermeiden, soll die ePA – in enger Verknüpfung mit dem E-Rezept – für jeden Versicherten mit einer vollständigen, weitestgehend automatisiert erstellten, digitalen Medikationsübersicht befüllt werden.
  • Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung und die Nutzung per elektronischer Gesundheitskarte und ePA-App stark vereinfacht werden.
  • Digitale Gesundheitsanwendungen werden stärker in die Versorgung integriert und ihr Einsatz transparent gemacht.
  • Die assistierte Telemedizin soll einen niedrigschwelligen Zugang zur Versorgung bieten, insbesondere auch in schwer zu versorgenden Regionen. Außerdem wird die 30%-Begrenzung für die Telemedizin aufgehoben.
  • Der Innovationsfonds wird weiterentwickelt und verstetigt. So können innovative Versorgungsformen dauerhaft erprobt und der Transfer in die Versorgung gestärkt werden.
  • Ein Digitalbeirat bei der gematik, der unter anderem mit Vertretern des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), der Medizin und der Ethik besetzt sein wird, soll künftig die gematik bei all ihren Festlegungen mit abgewogenen Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.

Der Referentenentwurf kann auf der Internetseite des BMG abgerufen werden.

Quelle: Quintessence News Politik Telematikinfrastruktur Nachrichten Praxis

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