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Die von Lauterbach nicht ansatzweise gelösten Probleme der Kliniken und Niedergelassenen spielen ihm paradoxerweise in die Hände – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) IfH/Shutterstock.com

Um markige Worte samt Ego-Peinlichkeiten ist Prof. Dr. Karl Lauterbach – egal auf welchem Politikfeld – nie verlegen. Aber was heißt für den medial umtriebigsten Minister der Ampelkoalition schon Politikfeld – Hauptsache, er produziert Schlagzeilen samt schöner Fotos. Sein neuester „Coup“: Der Bundesgesundheitsminister auf dem Mannschaftsfoto mit den Deutschen Fußballmeistern und Pokalsiegern von Bayer Leverkusen.

Wohlgemerkt nicht in an der Stätte des Triumphs im Berliner Olympiastadion Berlin, sondern runde zwölf Stunden später und 555 Kilometer entfernt in Leverkusen (dem Wahlkreis) vor dem Schloss Morsbroich. Warum schreibe ich das? Weil so die Lauterbach‘sche Politikmethode funktioniert.

Imago des Kümmerns und „im Griff haben“

Auch und gerade im Gesundheitswesen. Bei seiner Pressekonferenz anlässlich der Verabschiedung des lang versprochenen Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) im Bundeskabinett Mitte vergangener Woche konnte man es wieder exemplarisch beobachten. Nach groß angekündigten Reformen bis hin zu Revolutionen sind wir mittlerweile einige verbale Stufen tiefer bei der notwendigen „Generalüberholung des Gesundheitswesens“ angekommen. Die x Referentenentwürfe, deren hochgejazzte Reformansätze von Entwurf zu Entwurf wie ein Soufflé mit falschen Zutaten und zu langer Vorbereitungszeit in sich zusammenfielen, legten seine wohl eher unfreiwillige verbale Abrüstung nahe.

Was meines Erachtens auch an der daran liegt, dass die Verspätung im Bundesministerium für Gesundheit selbst verschuldet worden war. Was Lauterbach allerdings nicht davon abhielt, seinen Gesetzestorso als wesentlichen Beitrag zur Verhinderung „medizinischer Banlieues“ in Deutschland anzupreisen.

„Medizinische Banlieues“ verhindern

Echt jetzt, „medizinische Banlieues“ als Beschreibung für Bezirke mit medizinischer, zahnmedizinischer und pharmazeutischer Unterversorgung? Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Banlieues so: „Die Banlieues sind die Randgebiete der französischen Großstädte, die seit Jahrzehnten von hoher Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung und sozialer Segregation geprägt sind“.  Schon interessant, was eine gute medizinische Versorgung vor Ort so alles verhindern können soll.

Unterstellt, dass sich der Herr Minister bei seiner Metapher nicht völlig vergriffen hat und ihm der soziale Kitt einer für alle funktionierenden medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung bewusst ist, wundert es schon, dass ausgerechnet eines seiner Lieblingsprojekte für angeblich notwendige niederschwellige Versorgung, die Gesundheitskioske, aus dem Gesetzesentwurf geflogen sind. (Lesenswert dazu auch der Kommentar von Dr. Marion Marschall zum GVSG-Entwurf.)

Parlament als Hintertür für mangelnden Wumms in der Koalition

Letzteres ist allerdings nicht die Folge seiner Einsicht, dass die Gesundheitskioske und deren Finanzierung mit dem von ihm gewählten Ansatz ordnungspolitisch nicht zu realisieren gewesen wären. Es ist wohl eher der knappen Zeit und der Hartleibigkeit des Bundesfinanzministers geschuldet. Aber Karl Lauterbach ist halt Karl Lauterbach. Da wundert es wenig, dass der Gesundheitsökonom umgehend ankündigte, die nun folgende parlamentarische Debatte des GSVG als Hintertür für die aus dem Gesetzentwurf gefallenen Punkte – Gesundheitskioske, Entfall der Homöopathie als Satzungsleistung der Krankenkassen und ein Verbot (hat er wortwörtlich so gesagt) der investorengetragenen MVZ – nutzen zu wollen.

Ein Löwe ohne Zähne

Gut gebrüllt – aber will „Löwe Lauterbach“ auch beißen? Oder fehlen ihm angesichts der politischen Machttektonik in der Ampelkoalition nicht doch die Zähne dafür? Gemessen an seinem bisherigen Handeln können insbesondere seine Aussagen zu iMVZ nur als abgestandene ministerielle Luft bezeichnet werden. Man denke nur an die naive Vorstellung der Politik, mittels kommunaler MVZ die Versorgung verbessern, respektive sicherstellen zu wollen. Und dabei natürlich Geld zu sparen, was schlussendlich nichts anderes bedeutet, als mehr Versorgung für das gleiche Geld zu bekommen.

Klamme Kommunen auch noch mit MVZ belasten?

MVZ, also Poliklinik-ähnliche Strukturen in der Hand chronisch klammer Kommunen, welche die Bundesregierung durch zusätzliche Aufgaben – zum Beispiel Unterbringung von Schutzsuchenden oder Wohltaten wie kostenfreie Kitas bereits finanziell maximal belastet? Und zusätzlich auch noch kommunale MVZ für die ambulante Grundversorgung, die bereits heute auch als Folge der jahrzehntelangen skandalösen gebührentechnischen Verweigerungshaltung der Politik nicht auskömmlich finanziert werden können?

Hinzu kommt, dass die Finanzierung der ambulanten Versorgung in Deutschland seit Jahrzehnten in der Systematik selbstständiger Praxen erfolgt. Und dort ist nicht nur die Organisations- und Kostenstruktur eine andere, sondern auch das Leistungsethos, vulgo der Output von Niedergelassenen.

MVZ-Angestellte sind keine Niedergelassenen

Ohne die von den Kassen und insbesondere dem Gesetzgeber in der existenten Vergütungsstruktur „eingeplante“ Mehrleistung der Niedergelassenen als selbstständige „Unternehmer“ sind in der Primärversorgung weder MVZ-Strukturen auskömmlich zu betreiben noch eine vergleichbare Behandlungsmenge aufgrund der „geregelten“ Arbeitszeiten von Angestellten zu stemmen. Was wiederum zur Folge hat, dass der Bedarf an „Leistungserbringern“ weiter steigen wird.

Am Ende werden es wieder Investoren sein

Für die Kommunen ist eine funktionierende Versorgung eine existenzielle Frage. Denn ohne erreichbare Ärzte, Zahnärzte, Apotheke haben sie keine Zukunft. Und trotzdem können und werden sich Kommunen absehbare Verlustbringer nicht selbst ans Bein binden wollen. Sie werden vielmehr denselben Weg gehen (müssen), der bereits seit drei Jahrzehnten mit den Klinikprivatisierungen beschritten wurde. Und das war was? Investoren. Man muss kein Hellseher sein um zu erkennen, welche Konsequenzen die von Lauterbach geplante Einteilung der Kliniken nach Leistungsleveln bringen wird.

Krankenkassen wollen keine Entbudgetierung

Und damit zurück zu Lauterbachs GVSG und seinen medizinischen Banlieues. Es scheint auch Lauterbach verstanden zu haben, dass eine echte – funktionierende und wirksame – Basisversorgung mangels funktionsfähiger Alternativen derzeit(!) nur mit Hausärztinnen und -ärzten, neuerdings gerne als Primärärzte bezeichnet, zu bekommen ist. Dafür ist er bereit, auch mit den Krankenkassen in den Clinch zu gehen, die sich mit der Entbudgetierung der Hausärzteschaft nicht so recht anfreunden wollen. Kein Wunder, denn damit fliegt sinnbildlich der wie bei einem Schnellkochtopf festsitzende Deckel vom Leistungstopf und der Morbiditätsdruck landet wieder bei den Krankenkassen. Solange nicht die Absenz von Krankheit, sondern nur die Behandlung von Krankheit bezahlt wird, gehört dieser genau dorthin. Die Antwort der Bezahlerseite wird jedoch – ohne großartige Hellseherei – nicht der von Lauterbach erneut versprochene Abbau von Bürokratie, sondern dessen genaues Gegenteil sein.

Was sollte nicht alles besser werden

Bis auf das Cannabisgesetz (bei dem auch mehr Fragen offenblieben als beantwortet wurden) hat Lauterbach von seinen großen Reformankündigungen bis dato nur zwei – gegenüber seinen Ankündigungen maximal abgespeckte – Reförmchen in den parlamentarischen Abstimmungsprozess gebracht: aktuell besagtes GVSG und eine Woche zuvor das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG).

Versorgungsgrenzen niederreißen

Nota bene: Bei diesem hat das Wort „Versorgung“ noch eine zweite Bedeutungsebene – nämlich die finanzielle Sicherstellung des Krankenhausbetriebs. Insbesondere dieses Gesetz verkörpert die von Lauterbach angestrebte Revolution für das Gesundheitswesen: Das Niederreißen der Sektorengrenzen und damit eine Neuordnung der Versorgungsbereiche. Abgesehen von diesen beiden Gesetzestorsi fehlt hier jedoch bis dato das entscheidende Puzzlestück, wenn man so will, der Schlussstein, nämlich die Notfallreform. Bis auf die formulierten Eckpunkte gibt es bis dato nichts Substanzielles.

Die Probleme spielen Lauterbach in die Karten

An den Finanzproblemen der Kliniken hat sich somit nichts geändert, und das seit Beginn der Ampelkoalition. Die Wahrscheinlichkeiten für Klinikinsolvenzen steigen weiter – und damit die Gefahr der kalten Strukturbereinigung. Das Perverse ist, dass genau dieses in die Karten von Lauterbach für eine primär staatliche Versorgung spielt. Ebenso wie die Schwierigkeiten der Selbstverwaltung, das Versorgungsniveau in der Fläche aufrechtzuhalten. Dabei ist es ja bei weitem nicht der physische Mangel an Niederlassungswilligen – egal ob Medizin oder Zahnmedizin –, sondern die schwindende Attraktivität der Niederlassung. Die Probleme respektive Ursachen liegen alle auf dem Tisch und sind weidlich diskutiert. Geändert hat sich bis dato bis auf die blitzartige Entbudgetierung der Kinderärzte nichts.

Keine Liebe für die ambulante Versorgung

Aber nur weil die Hausärzte in dem neuen Gesetzesopus nach außen die Hauptrolle zu spielen scheinen, heißt das nicht, dass der Gesundheitsminister etwa seine Liebe für die ambulante Versorgung entdeckt hätte. Das Gegenteil ist der Fall und manifestiert sich in der Saga von der teuren und unnötigen zweiten Facharztschiene. Dies sei ein deutscher Sonderweg – diese Behauptung von Ulla Schmidt und ihres damaligen Adlatus Karl Lauterbach hat es mittlerweile bis in die Regierungskommission zur Krankenhausreform und sogar in die Köpfe von Kommunalpolitikern geschafft.

Ideologischer Kampf gegen die „doppelte Facharztschiene“

Allerdings wurde das mittlerweile 24 Jahre alte Versprechen nennenswerter Einsparungen bei Abschaffung selbiger niemals belegt. Geschweige denn, wie man das ambulant von den Fachärzten geleistete Versorgungsvolumen andernorts stemmen will. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob sich ambulante und stationäre Versorgung inhaltlich gleichen – von so simplen Aspekten wie Erreichbarkeit für die Patienten ganz abgesehen.

Es geht um das politische Primat und gegen die Freiberuflichkeit

Aber darum geht es bei diesem Thema am allerwenigsten. Es geht um das politische Primat, und da ist eine mit dem Wegfall der „doppelten Facharztschiene“ gleich auch gestutzte Selbstverwaltung der Freiberufler sehr von Vorteil. Und ganz nebenbei schwächt man damit auch die viel geschmähte „Ideologie der Freiberuflichkeit“. Niemand unterschätze diesen „Bundesgesundheitsfundamentalisten“.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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