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Noch stehen Sieger und Verlierer des Ampel-Endes nicht fest und auch Karl Lauterbach ist noch nicht für immer Geschichte – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Protasov AN/Shutterstock.com

Deutschland im Herbst 2024. Eine mehrheitsfähige Bundesregierung gibt es nicht mehr. Die FDP hat die Reißleine gezogen, drei der vier FDP-Minister verlassen das Kabinett Scholz. Damit ist auch die schöne Bezeichnung „Ampelkoalition“ der 24. Bundesregierung Geschichte.

Nun, noch nicht so ganz. Denn trotz Verlust der Mehrheit im Parlament will sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Zeitpunkt der Vertrauensfrage offenhalten und Mehrheiten für Entscheidungen und Gesetze bedarfsweise im Parlament suchen. Glück und Leid sind in der Politik je nach Perspektive und Aufgabe ein und dasselbe. Für die Bürger dieses Landes im Übrigen auch. Insofern ist das „klare Ablaufdatum“ für diese Regierung und damit auch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, so jedenfalls die Einschätzung von Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, doch nicht so klar wie es scheint.

Moderne Ampel-Lehre

Nimmt man es mit den Ampelfarben nicht so genau, könnte für das Scholz‘sche Wunschkonstrukt immerhin an der schönen Metapher der Ampel festgehalten werden. Nur das aus ihr eine sogenannte Bedarfsampel geworden ist. Eine weitere Bezeichnung für die zweifarbigen Ampeln sind Schlafampeln. Und damit wären wir der zu erwartenden Realität der kommenden Monate sehr nahe gekommen. Auch wenn bei der Schlafampel in realiter ein rotes und gelbes und kein grünes Licht leuchtet. Was wiederum auch bezeichnend ist.

Nicht Retter, sondern Sargnagel

Aber immerhin gehen bei einer Schlafampel bei Bedarf die Lichter an. Bei dem Bundesminister für Gesundheit habe ich da so meine Zweifel. Allen Ernstes rief doch Karl Lauterbach, der Harvard gebildete Gesundheitsökonom, kurz vor dem Bruch der Ampel den „Herbst der Reformen“ aus, bis der Bundeskanzler am Mittwochabend vergangener Woche das Licht für die existierende Koalition ausgemacht hat. Da fiel auch Propeller-Karl auf, dass seine „Reformen“ und „Revolutionen“ nun endgültig auf dem Spiel stehen und er nicht als Retter des Gesundheitswesens in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen wird. Nix mit dem Denkmal für den Jungen vom Niederrhein, stattdessen der „Sargnagel durch Unterlassen“ für das bestehende und trotz aller Macken funktionierende System.

Als Manager seiner Gesetze versagt

Und das alles, man muss es so hart sagen, selbstverschuldet! Nicht das Karl Lauterbach zu faul gewesen wäre: Die Anzahl der aus dem BMG entwickelten und in Kraft getretenen Gesetze und Verordnungen wie auch die der laufenden Verfahren ist enorm: 27 Gesetze und Gesetzesentwürfe, 48 Verordnungen und Verordnungsentwürfe. Insofern trifft es das deutsche Sprichwort „Am Abend werden die Faulen fleißig“ nicht so ganz.

Nein, er hat schlicht als Manager versagt. Falsche Prioritätensetzung (first comes first), falsche Einschätzungen bezüglich der Stake- und Shareholder, Unkenntnis beziehungsweise Ignoranz der bestehenden Gesetzeslagen – die Liste ließe sich noch erheblich erweitern.

Versorgung an den Rand der Klippe gebracht

Diese Kritik würde aus den Reihen der SPD selbstverständlich auf das schärfste zurückgewiesen, ist doch der Gesundheitsminister stets als strammer Ideologe unterwegs. Mit dem Ergebnis, dass der Versuch, das Gesundheitswesen auf links zu drehen und zentralisierte Strukturen zu schaffen, vor allem die bewährte ambulante wie auch stationäre Versorgung an den Rand der Klippe gestellt hat. Und da in jedem Apparatschik auch das Immer-Recht-haben „wohnt“, war und ist es mit Empathie und Wertschätzung für die, welche die Leistung im wahrsten Sinnen des Wortes erbringen, nicht weit her.

MVZ sind Großstrukturen – und die sind zentral steuerbar

Apropos zentralisierte Strukturen. Warum sind all die politischen Versprechungen von der „Einhegung“ investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) nach wie vor nicht einmal ansatzweise umgesetzt? Ein Grund, unter ideologischen Gesichtspunkten ein wichtiger: Großstrukturen werden im linken politischen Spektrum nicht verachtet, sondern geschätzt. Warum? Weil diese – im Gegensatz zum niedergelassenen Freiberufler – zentral steuerbar sind. Man erinnere sich an die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die ihre politische Sozialisierung im Kommunistisches Bund Westdeutschlands erhielt. Ihr Credo gegenüber den Leistungserbringern lautete: „Es muss endlich Schluss sein mit der Ideologie der Freiberuflichkeit!"

„Gibt Du mir, gebe ich Dir“

Es ist halt einfacher, Monopoly zu dominieren, als eine Kiste mit selbstständigen Flöhen wie Freiberuflern oder klein- und mittelständigen Unternehmen zu hüten. Nur ein kurzer Blick in die USA, dem Land des angeblich freien Unternehmertums: Linkes Establishment und Turbokapitalismus, vulgo Hyperreichtum, gehen hervorragend zusammen. Warum wohl? „Gibst Du mir, gebe ich Dir.“ Man achte diesbezügliche einmal auf die Gesetzgebungen, die die pharmazeutische Groß(!)-Industrie begünstigen.

Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“

Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.

Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.

Flut von Gesetzen und Verordnungen

Doch zurück in die Niederungen des deutschen Gesundheitswesens und dem von Lauterbach ausgerufenen „Herbst der Reformen“. Nachfolgend einmal nur die Auflistung der noch laufenden Verfahren für Gesetze und der Verordnungen seit Lauterbachs Amtsantritt gemäß der Veröffentlichung des Bundesgesundheitsministeriums:

  • Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Betreiberverordnung
  • Verordnungen zur Anpassung des Betrags zur Finanzierung der Gesellschaft für Telematik
  • Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV)
  • Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG)
  • Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG)
  • Gesetz zur Reform der Notfallversorgung
  • Lebendorganspende-Reform
  • Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit
  • Coronavirus-Testverordnung (TestV)
  • Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV)
  • Pflegekompetenzgesetz (PKG)
  • Pflegefachassistenzeinführungsgesetz
  • Gesundes-Herz-Gesetz (GHG)
  • Verordnung zur Neufassung der Medizinprodukte-Betreiberverordnung und zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung
  • Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)
  • Verordnung zur Änderung der Approbationsordnung für Zahnärzte und Zahnärztinnen und weiterer Verordnungen im Bereich der Heilberufe
  • Verordnung zum Einsatz telemedizinischer Verfahren bei der Blut- und Plasmaspende (Telemedizin-BlutspendeV)
  • Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform (ApoRG)
  • Verordnung zur Übertragung der Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung nach SGB V auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung
  • Pflegepersonalbemessungsverordnung (PPBV)
  • Dritte Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften
  • Implantateregister-Gebührenverordnung (IRegGebV)

Entscheidende Gesetze zu spät vorgelegt

Eine beeindruckende Liste, hinter der ein gewaltiges Arbeitspensum des Ministeriums steht. Mit der gemeinhin üblichen Vorstellung eines „sesselpupsenden“ Beamtenapparats ist so etwas nicht zu schaffen.

Gleichzeitig zeigt die Liste zeigt auch das Problem: Lauterbach hat sich an vielen Nebensächlichkeiten abgearbeitet, aber eben die Herzstücke nicht in den Mittelpunkt seines Handelns gestellt. Kurz vor Ablauf der Legislaturperiode hat der Minister allein neun laufende Gesetzesverfahren (fett hervorgehoben) noch eingebracht. Darunter befinden sich die beiden wichtigsten Gesetzesverfahren dieser Legislatur: das KHVVG und das GVSG. Scheitern diese, brennt im stationären (zunehmende Zahl der Krankenhausinsolvenzen) wie auch ambulanten (ausbleibende Entbudgetierung der Hausärzte) Sektor der Baum. Dann wird insbesondere im Krankenhaussektor die kalte Strukturbereinigung Realität, die eben keine Rücksicht auf regionale Versorgungsnotwendigkeiten nimmt.

Die Selbstständigen in der Praxis sind für „ihre“ Patienten da

In der ambulanten Versorgung wird es anders laufen, da Ärzte wie Zahnärzte aufgrund ihrer tief empfundenen Verantwortung für die von ihnen dauerhaft versorgten Patienten versuchen werden, das Rad so lange wie möglich zu drehen. Es sind genau diejenigen eigenverantwortlich handelnden Selbstständigen, die für „ihre“ Patienten da sind und die vom linken Ideologen Lauterbach als vernachlässigbar eingeschätzt werden.

Noch sind Sieger und Verlierer des Dramas nicht klar

Zum Schluss zurück zum „klaren Ablaufdatum“ von Lauterbach. Obwohl das Scheitern der Ampelkoalition wie ein klassisches griechisches Drama mit dem Untergang eines tragischen, in unlösbare Parteien-Konflikte verstrickten Helden endet, ist es trotzdem noch keine Tragödie. Denn Sieger und Verlierer sind in dieser Aufführung bei weitem noch nicht ausgemacht. Der Bühnenvorhang ist noch nicht gefallen.

Keine gute Zeit für Wetten

Und damit ist es auch ein Fall für die Buchmacher und Wettbegeisterten. Vorsichtige Menschen sollten angesichts der vielen möglichen politischen Konstellationen derzeit besser nicht wetten. Und schon gar nicht darauf, dass Karl Lauterbach dem Gesundheitssystem fürderhin erspart bleibt. Denn sollte die Brandmauer der CDU/CSU gegenüber der AfD-Bestand haben – über deren Ausgestaltung man trefflich streiten kann – und die Wählererosion der SPD wie auch der Grünen anhalten, dann würde eine Dreierkoalition wahrscheinlich. Und dann wäre Lauterbach als Gesundheitsminister durchaus wieder eine Option. Frei nach dem Motto: Soll er doch die Suppe, die er sich eingebrockt hat, auch selbstauslöffeln.

„Suppe“ wird zunehmend heißer

Und diese Suppe wird zunehmend heißer. Dafür sorgt die „boomernde“ demographischen Entwicklung, die auf eine gleichzeitig noch negative wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes trifft, deren Folgen derzeit noch gar nicht abgeschätzt werden können. Hinzu kommen noch hausgemachte Probleme wie das gesetzliche verordnete Defizit der Gesetzlichen Krankenkassen von zehn Milliarden Euro aus versicherungsfremden Leistungen, plus den Folgen der strukturellen Veränderungen im Krankenhaussektor – KHVVG hin oder her – und der eventuell doch noch in Kraft tretenden Gesetze der Ampel-Ära.

„Heute ist nicht aller Tage …“

Wer also wetten möchte, sollte auf Leistungskürzungen, die man auch euphemistisch „Eigenbeteiligungen“ nennen könnte, oder massive Beitragssteigerungen setzen. Diese werden nicht nur die gesetzlich Versicherten, sondern auch die privat Versicherten treffen.

Und vielleicht auch auf Karl Lauterbach. Endete doch die Zeichentrickserie meiner Jugend „Der rosarote Panther“ immer mit der verheißungsvollen Sentenz: „Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Soll das heißen, ja ihr Leut', mit dem Paul ist Schluss für heut'?" – „Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage“.

Wetten wir also darauf, dass Karl Lauterbach genau das von sich glaubt.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

 

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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