Das Aus für die letzten quecksilberhaltigen Produkte in der Europäischen Union scheint besiegelt: Ab 1. Januar 2025 darf Dental-Amalgam nicht mehr verwendet und aus der EU exportiert werden. Übergangsfristen für die Verwendung, Herstellung und den Import von Amalgam bis 30. Juni 2026 sind vorgesehen. Der Europäische Rat und das Europaparlament haben am 8. Februar 2024 eine entsprechende Einigung über den vollständigen Ausstieg aus der Verwendung von Quecksilber in der EU erzielt.
Das Europaparlament hatte bereits am 17. Januar 2024 das Aus für Quecksilber beschlossen, allerdings Übergangsfristen für Amalgam dabei ausgeschlossen. Die jetzt erzielte politische Einigung über einen Vorschlag zur schrittweisen Einstellung der Verwendung von Zahnamalgam und zum Verbot der Herstellung, der Einfuhr und der Ausfuhr quecksilberhaltiger Produkte, darunter bestimmter Lampen, ist noch vorläufig, bis sie von beiden Institutionen formell angenommen wird.
Die Bundeszahnärztekammer hatte, wie Vertreter der Zahnmedizin aus anderen europäischen Ländern, für den Erhalt von Amalgam für die Zahnmedizin argumentiert. Sie kritisierte den Beschluss des Parlaments („Klartext“ vom 31. Januar 2024) als Votum für einen übereilten Ausstieg. Im Parlament war die Berichterstatterin Marlene Mortler (EVP, Deutschland) mit ihrem Vorschlag einer längeren Übergangsfrist noch gescheitert.
Die BZÄK sah es Ende Januar – vor der Einigung von Rat und Parlament – noch als offen an, ob das Verfahren bis zu den Europawahlen im Juni 2024 abgeschlossen werden könne. „Von Seiten der europäischen und deutschen Zahnärzteschaft gab es Unverständnis für den viel zu kurzen Zeitraum, zumal die umweltgerechte Entsorgung sichergestellt ist“, heißt es im BZÄK-Klartext. Ein echter Ersatz für Amalgam sei nicht verfügbar, hieß es in der Diskussion um das geplante Amalgam-Aus vonseiten der BZÄK und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Das Amalgam-Aus bedeutet vor allem für die vertragszahnärztliche Versorgung ein Problem.
Übergangsfristen bis 30. Juni 2026
In der jetzt erreichten Vereinbarung von Rat und Parlament sind nun allerdings Übergangsfristen vereinbart. Dentalamalgam soll noch bis zum 30. Juni 2026 verwendet werden dürfen. In der Pressemeldung des Europaparlaments heißt es zur Einigung: „Trotz praktikabler quecksilberfreier Alternativen werden in der EU jährlich immer noch rund 40 Tonnen Quecksilber für Zahnamalgam verwendet, da die derzeitigen Vorschriften nur die Verwendung von Zahnamalgam zur Behandlung von Zähnen bei Kindern unter 15 Jahren sowie bei schwangeren und stillenden Frauen verbieten.
Die Verhandlungsführer einigten sich darauf, die Verwendung von Dentalamalgam in der EU bis zum 1. Januar 2025 auslaufen zu lassen, es sei denn, der Zahnarzt hält dies aufgrund der ordnungsgemäß begründeten spezifischen medizinischen Bedürfnisse des Patienten für unbedingt erforderlich. EU-Länder, die ihr Erstattungssystem noch nicht auf Alternativen umgestellt haben, können den Ausstieg bis zum 30. Juni 2026 verschieben, um negative Auswirkungen auf Personen mit geringem Einkommen zu vermeiden, die ansonsten sozioökonomisch unverhältnismäßig stark von dem Ausstieg betroffen wären.“
Damit wird auch die Ausfuhr von Zahnamalgam ab dem 1. Januar 2025 verboten sein. Für Herstellung und Einfuhr in die EU wird dies erst ab dem 1. Juli 2026 gelten.
Berichterstatterin Mortler mit Ergebnis zufrieden
Die Berichterstatterin Marlene Mortler (EVP, Deutschland) zeigte sich mit der gefundenen Einigung zufrieden: „Nach einer intensiven Verhandlungswoche konnten wir heute eine Einigung über das Verbot von quecksilberhaltigem Zahnamalgam erzielen. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer quecksilberfreien Zukunft. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis – denn wir haben sichergestellt, dass solches Zahnamalgam nur in medizinisch notwendigen Fällen verwendet werden darf. Einigen Mitgliedstaaten wurde eine Ausnahmeregelung gewährt, um die sozioökonomischen Folgen des Amalgamverbots abzufedern. Schließlich darf das Verbot von Zahnamalgam nicht dazu führen, dass sich einkommensschwache EU-Bürger in diesen Ländern keine angemessene zahnärztliche Behandlung mehr leisten können.“ Das gilt vor allem für Tschechien und Slowenien, aber auch in Deutschland ist die Amalgamfüllung im Seitenzahnbereich der für die Patientinnen und Patienten zuzahlungsfreie Standard.
Für quecksilberhaltige Lampen gilt, dass sie nur noch bis zum 30. Juni 2026 in Länder außerhalb der EU exportiert werden dürfen. „Damit wird sichergestellt, dass Produkte, die in der EU bereits verboten sind, nicht in Drittländer verkauft werden und dort umweltschädliche Folgen haben“, so Mortler.
Billigung durch Rat und Parlament noch erforderlich
Die vorläufige Einigung wird nun den Vertretern der Mitgliedstaaten im Rat und dem Umweltausschuss des Parlaments zur Billigung vorgelegt. Wird der Text gebilligt, so wird er nach der Überarbeitung durch Rechts- und Sprachsachverständige von beiden Organen förmlich angenommen, bevor er im Amtsblatt der EU veröffentlicht wird und 20 Tage später in Kraft tritt, beschreibt der Rat das weitere Vorgehen.
Auch die EU-Kommission begrüßte die nun gefundene Einigung zwischen Parlament und Rat zu ihrem Vorschlag. Dies sei ein großer Fortschritt für den Schutz der menschlichen Gesundheit und bringe erhebliche Vorteile für die Umwelt im Einklang mit dem Ziel der EU, die Umweltverschmutzung auf Null zu reduzieren, heißt es in der Meldung der Kommission.
Verbraucherschützer und zahnmedizinische Fachkräfte „erleichtert“
Verbraucherschützer und zahnmedizinische Fachkräfte seien erleichtert, meldete dazu das Europäische Netzwerk für Umweltmedizin (envmednetwork – european network for environmental medicine) aus Berlin. „Seit 2018 ist die Verwendung von Amalgam zur Behandlung von Karies bei Kindern unter 15 Jahren und schwangeren oder stillenden Frauen verboten. Nun soll das Verbot auf die gesamte EU-Bevölkerung ausgedehnt werden. Einigen Mitgliedstaaten wie Tschechien oder Slowenien, in denen Amalgam das einzige Material ist, das voll vom öffentlichen Gesundheitssystem erstattet wird, wurde allerdings eine anderthalbjährige Übergangsfrist eingeräumt, um das Gesundheitssystem auf Alternativen umzustellen“.
Mit durchschnittlich 0,6 Gramm pro Füllung und einem Gesamtverbrauch von 40 Tonnen Quecksilber pro Jahr ist Amalgam die größte verbleibende Verwendung von Quecksilber in der EU. Etwa 1000 Tonnen Quecksilber befindet sich in Mündern der europäischen Bevölkerung“, rechnet die Organisation vor.
Bei der Verwendung von Amalgam werde Quecksilber trotz aller Sicherheitsvorkehrungen unweigerlich auch in die Umwelt freigesetzt. Dabei sei dies kein lokales Problem, sondern eine internationale Bedrohung, da Quecksilber über die Atmosphäre und Gewässer die Grenzen passiere, so die Organisation. „Außerdem entweicht Quecksilber ständig in geringen Mengen aus den Füllungen, was für die vulnerable Bevölkerung direkt ein Risiko darstellt. Insbesondere wird Quecksilber aber beim Legen und Entfernen freigesetzt, wodurch nicht nur Patienten, sondern vor allem Zahnärzte und zahnärztliche Fachkräfte belastet werden“, so die Organisation weiter.
Nur noch 2,4 Prozent Füllungen mit Amalgam in Deutschland
Florian Schulze, Geschäftsführer des Europäischen Netzwerks für Umweltmedizin und nach Angaben des Netzwerks führender Amalgam-Experte in dem EU-Stakeholder-Prozess, erklärt dazu: „In Deutschland wird Amalgam nur noch für 2,4 Prozent aller Füllungen verwendet und fast die Hälfte der EU-Mitglied-Staaten sind bereits aus der Verwendung ausgestiegen oder haben den Gebrauch auf unter 1 Prozent gesenkt. Die Alternativen haben sich schon lange bewährt, weshalb das Verbot überfällig ist. Wir setzen uns seit über zehn Jahren dafür ein.“
Schutz der Praxisteams vor Quecksilberdämpfen
Sylvia Gabel, Referatsleiterin Zahnmedizinische Fachangestellte vom Verband medizinischer Fachberufe e.V., und Mitglied im Netzwerk, sagt „Amalgam hat in der modernen Zahnmedizin nichts mehr zu suchen. Beim Arbeiten mit Amalgam in der Praxis wird Quecksilberdampf freigesetzt und da 99 Prozent der Zahnmedizinischen Fachangestellten in Deutschland weiblich sind und Quecksilber sowohl schädlich für die Fruchtbarkeit als auch das ungeborene Kind ist, sind wir einem besonderen Risiko ausgesetzt.“
Wissenschaft und Zahnärzteschaft kritisch gegenüber totalem Amalgamverbot
Vonseiten der Zahnärzteschaft in Deutschland wurde das Vorhaben der EU zum Amalgamverbot kritisch begleitet, da Amalgam ein günstiger, auch unter schwierigen Bedingungen gut zu verarbeitender, lange haltbarer und in klinischen Studien bewährter Füllungswerkstoff ist. In Deutschland gilt Amalgam als „Kassenleistung“, Amalgamfüllungen sind für die gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten im Seitenzahnbereich zuzahlungsfrei.
Amalgamfreie Füllungen für Kinder und Schwangere seit 2018
Für Kinder und Schwangere gibt es seit Juli 2018 einen Anspruch auf eine amalgamfreie Versorgung im Seitenzahnbereich. Gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten, die kein Amalgam möchten, können im Rahmen einer Mehrkostenvereinbarung mit einem Selbstzahleranteil auch eine zahnfarbene Füllung aus einem anderen Material wählen. Entsprechende Abrechnungspositionen sind im Bema-Nr. 13 plastische Füllungen zusammengefasst.
KZBV-Delegierte fordern Unterstützung für Multicenterstudie zu Alternativen
Für die vertragszahnärztliche Versorgung wird ein Problem jetzt akut. Bereits auf der Vertreterversammlung der KZBV im November 2022 in München hatten die Delegierten die Bundesregierung aufgefordert, sich für ein Aus für Amalgam erst nach 2030 einzusetzen, da derzeit keine echten Ersatzmaterialien verfügbar seien. Zudem wurde gefordert, dass das Bundesgesundheitsministerium eine hochwertige Multicenter-Studie fördern solle, mit der mögliche Alternativen unter den plastischen Füllungsmaterialien hinsichtlich Anwendung und klinischer Langzeitbewährung wissenschaftlich untersucht werden sollten. Hier müsse auch die Industrie helfen, war dazu am Rande der Vertreterversammlung zu hören.
Komposite aufwendiger zu verarbeiten
Bislang werden vor allem Komposite als zahnfarbene Alternativen in den Praxen eingesetzt, diese verlangen allerdings technisch und zeitlich einen höheren Aufwand, der durch die Mehrkostenvereinbarung abgebildet wird. Auch schneller zu legende Varianten wie Bulk-Fill-Komposite verlangen in der Regel mehr Arbeitsschritte als Amalgam, ihre klinische Bewährung ist aufgrund ihrer kürzeren Marktverfügbarkeit noch nicht über so lange Zeiträume dokumentiert wie bei Amalgam.
Andere Werkstoffe wie Glasionomerzemente erreichen häufig nicht die nötige Langzeitstabilität, neue verstärkte Varianten mit Coatings etc. erforderten wieder mehr Arbeitsschritte, das Problem mit den Langzeitdaten gibt es vielfach auch hier. Für ganz neue Materialklassen wie Alkasite fehlt wieder die für die Kassenversorgung geforderte klinische und wissenschaftliche, dokumentierte Langzeitbewährung.
Minimal-invasiver und substanzschonender als Amalgam
Alle möglichen Alternativen bei den plastischen Füllungswerkstoffen sind in der Regel minimal-invasiver und zahnsubstanzschonender einzubringen als klassische Amalgamfüllungen und kommen damit der Forderung nach einer minimal-invasiven und präventionsorientierten modernen ZahnMedizin entgegen. Viele Kompositfüllungen können zudem heute leicht repariert werden, ein Ersatz ist dann nicht notwendig.
Frage der künftigen Honorierung im Bema
Zahnfarbene Füllungen lassen sich allerdings in der Regel nicht zu den im Bema 13 a-d abgebildeten Honoraren für die Praxis wirtschaftlich erbringen. Das wurde zuletzt in der Zeitmessstudie für die Bema-Umrelationierung Anfang der 2000er-Jahre erhoben. Bis Amalgam ab Juli 2026 als Füllungswerkstoff komplett wegfällt, muss eine Alternative/neue Definition und Berechnung für die Füllungspositionen in Bema-Nummer 13 mit den Krankenkassen gefunden und vereinbart werden. Diese müsste idealerweise den höheren Aufwand für zahnfarbene Füllungen im Seitenzahnbereich auf dem aktuellen Stand kostendeckend abbilden, den die Praxen heute als Mehrkosten und Selbstzahlerleistung mit ihren Patientinnen und Patienten vereinbaren können (beziehungsweise der seit 2018 unter Bema-Nr. 13 e-h abgebildet wird). Die damit zu erwartenden höheren Leistungsausgaben dürften – trotz seit Jahren sinkender Zahl an Füllungen – bei den Krankenkassen angesichts der erwarteten Kassendefizite nicht leicht durchzusetzen sein.
Dr. Marion Marschall, Berlin