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Was hinter dem Wortgeklingel Lauterbachs steckt – eine ernüchternde Analyse von Dr. Uwe Axel Richter

(c) magic pictures/Shutterstock.com

Eines muss man Karl Lauterbach lassen – Wortneuschöpfungen kann er. Als studierter Gesundheitsökonom (nicht Epidemiologe) und Berufspolitiker beherrscht er die vorherrschende Attitüde seines Fachgebiets aus dem Effeff, kaum nachvollziehbare Begrifflichkeiten wichtig und bedeutungsschwer erscheinen zu lassen. Und damit sogar ein warmes Gefühl bei den Zuhörern zu erzeugen, dass da jemand ist, der eine Lösung für drängende Problemstellungen hat. Auf das bald alles wieder gut werden wird dank der ministeriellen Entökonomisierung des Gesundheitswesens.

Welch geniales Wieselwort! Jeder mehr oder minder Sachkundige, gerne als Thebaner apostrophiert, kann sich darunter imaginieren, was er will. Wohlfeile Imaginationen wären dann selbstverständlich vom Minister bereits vorher gedacht worden. Trotzdem: Was meint Lauterbach mit Entökonomisierung? Und für was ist das eigentlich gut?

Ökonomische Grundprinzipien vs. Patientenversorgung

Versuchen wir eine Annäherung an die Begrifflichkeit und nehmen die allgemein verständliche Definition des FOCUS aus dem Jahre 2020: „Die Ökonomie bezeichnet die theoretische Wissenschaft der Wirtschaft. Zentrales Ziel der Ökonomie ist der effiziente Umgang mit knappen Ressourcen. Auf der Ökonomie aufbauend entwickelt sich der Begriff der Ökonomisierung. Die Ökonomisierung bezeichnet die Ausdehnung ökonomischer Grundprinzipien in bisher eher wenig ökonomische Bereiche. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet Ökonomisierung, dass in bestimmten Bereichen ökonomisches Denken über das ursprüngliche Ziel gestellt wird“.

Gewinn ist der Beginn ökonomischen Denkens

Und weiter: „Beispiel: Krankenhäuser waren lange Zeit in öffentlich-rechtlicher Hand, nach und nach werden viele Krankenhäuser aber von privaten Investoren übernommen. Diese haben das Ziel, einen Gewinn zu erzielen – sie implementieren ökonomisches Denken. Häufig ist der Begriff der Ökonomisierung negativ behaftet. […] Der Grund dafür: Wenn ökonomisches Denken in den Vordergrund tritt, wird das ursprüngliche Ziel nur noch sekundär behandelt. […] Der Patient ist zum Kunden geworden, der Heilungsprozess ist die Dienstleistung, die er käuflich erwirbt“.

Heilungschancen vs. Umsatz

So weit, so nachvollziehbar. „Die Befürchtung vieler dabei wäre nun, dass der Patient nicht mehr die Behandlung erhält, die die größten Heilungschancen mit sich bringt, sondern die Behandlung, die der Klinik am meisten Geld einbringt“. Und nun raten wir mal, wer diese Befürchtungen permanent in der Öffentlichkeit thematisierte?

Der Vater der Ökonomisierung der Kliniken

Dabei war es insbesondere Lauterbach gewesen, auf dessen politischen Wirken Anfang des neuen Jahrtausends im Gleichschritt mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Einführung der Fallgruppen (sogenannte Diagnostic related groups, DRGs) fußen. Der sogenannte Fallpauschalenkatalog bildet rund 1.200 Fallgruppen ab, die ab 2003 die damaligen krankenhausindividuellen Pflegesätze, die für jedes belegte Krankenhausbett unabhängig von der Schwere der Erkrankung des Patienten gezahlt wurden, ersetzten. Erreicht werden sollten damit mehr Transparenz, stabile Kassenbeiträge und mehr Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander.

Überbordende Dokumentation als Folge der Kommerzialisierung

Apropos Transparenz: Gemäß Bundesministerium für Gesundheit (BMG) „erfolgt die DRG-Kalkulation sowie die Kalkulation der Pflegepersonalkosten am Bett auf der Grundlage von tatsächlichen Kosten- und Leistungsdaten aller Krankenhäuser und ergänzend auf der Grundlage tatsächlicher Kostendaten einer Stichprobe von Krankenhäusern“. Ein Hamsterradsystem, das enorme dokumentarischen Aufwände bei Ärzten und im Controlling nötig macht – sind doch die Prozeduren bares Geld wert –, aber von dem zu Anfang vor allem die privatisierten Kliniken profitierten.

Nur zur Erinnerung: Auch bei den Klinikkonzernen war Karl Lauterbach ganz vorne mit dabei, und zwar von 2001 bis 2013 als Aufsichtsrat bei den Rhön Kliniken. Man achte auf die genannten Zeiträume.

Ökonomisierung = gefühlte Kommerzialisierung

Ist obiges Hamsterrad noch Kennzeichen einer Ökonomisierung der medizinischen Versorgungslandschaft oder bereits deren Kommerzialisierung, bei der gemäß Definition ausschließlich geschäftliche Interessen die Medizin/Versorgung dominieren, um Gewinn daraus zu ziehen? Angesichts vorgenannter Ausführungen eine müßige Frage.

Ambulantes System müsste sich komplementär weiterentwickeln

Nun soll es also eine große Klinikreform mit einer dreistufigen Krankenhauslandschaft und einem Finanzierungsmix aus Vorhaltepauschalen und 128 den jeweiligen Häusern zugewiesenen Leistungspauschalen richten. Das mag sich perspektivisch als eine sinnhafte Strukturreform für die Krankenhauslandschaft in Deutschland erweisen, die theoretisch das Potenzial hat, die Versorgungsqualität zu verbessern. Das setzt allerdings voraus, dass das ambulante System komplementär weiterentwickelt wird, Stichwort kommunizierende Röhren.

Ziemlich viel „vielleicht“

Aber erlaubt es die Klinikreform wirklich, von einer Entökonomisierung zu sprechen, nur weil die DRGs durch eine neue Finanzierungssystematik ersetzt werden? Vielleicht, weil sich der teils absurde Zeitaufwand der Ärzte für die Dokumentation der Behandlungsfälle im Sinne einer maximierten Abrechnung reduziert (hoffentlich!) und somit mehr Zeit für die Patientenversorgung bleibt. Oder weil die Patientenverteilung ökonomischer im Sinne der Leistungsgruppen erfolgen wird und damit auch Skaleneffekte gehoben werden können. Das ist ziemlich viel „vielleicht“.

Die wahre Entökonomisierung

Da Lauterbach jedoch öffentlich wiederholt bekräftigt hat, dass sich die Anzahl der Kliniken nicht wesentlich ändern soll, fragt man sich, womit angesichts der stationär wie ambulant weiter steigenden Personal-, Material- und Energiekosten und den Kosten des medizinischen Fortschritts in Verbindung mit der demografischen Entwicklung die Entökonomisierung ermöglicht werden soll. Und dann ist da noch die Inflation, von der keiner weiß, wie lange diese noch in Höhen von 5 Prozent plus x verharren wird.

Dennoch wird Lauterbach nicht müde zu betonen, dass das uneingeschränkte Leistungsversprechen für die Patienten nicht angetastet werden wird. In Anbetracht der faktisch gedeckelten Einnahmen der Kassen schreit das geradezu nach weiteren Kosteneinsparungen. In Anbetracht der bereits jetzt in vielen amublanten und stationären Versorgungsbereichen nicht mehr kostendeckend zu erbringenden Leistungen ein wenig erfolgversprechendes Unterfangen

Zauberwort „Entbudgetierung“

Doch die Realität sieht ganz anders aus, denn die nebulöse Entökonomisierung wird begleitet von einem weiteren populärem Ent-Wort Lauterbachs, nämlich die Entbudgetierung. Die aktuelle Morbiditätslage ließ nämlich die chronische Unterfinanzierung in der Kinderheilkunde für alle sichtbar werden. Keine Arzttermine, keine Krankenhausbetten, noch nicht einmal ausreichend fiebersenkende Medikamente. Ein Desaster mit Ankündigung. Um den Druck vom Kessel zu bekommen, kündigte der Minister vollmundig die Entbudgetierung für die Kinderärzte an. Und ließ sich feiern für etwas, was wie eine gesetzliche Maßnahme klingt, aber eben keine gesetzliche Grundlage hat.

Nun sollen Kassen und KBVen in bilateralen Verhandlungen die Kuh vom Eis bringen – wenigstens für drei Monate. Was nichts anderes heißt: bis nach dem erwartbaren Ende der Infektionssaison. Bis dato ist hier also nichts in trockenen Tüchern. Allzumal nun auch die Forderungen der HNO-Ärzte auf dem Tisch liegen, die bei Kindern nicht auskömmliche Finanzierung ambulanter Tonsillektomien nicht mehr durchführen zu wollen. Auch eine Form von Entökonomisierung.

Die rettende „Entbürokratisierung“

Aber nun kommt die Rettung, denn ein von Lauterbach geplantes Entbürokratisierungsgesetz soll fürderhin die Praxen von überflüssigem Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben entlasten. Allerdings braucht der Minister dafür noch eine systematische Analyse. Da kann man nur inständig hoffen, dass aus dieser Aktion seiner Beamten nicht eine Bürokratiezunahme resultiert, weil sich noch nicht ausreichend geregelte oder gar ungeregelte Bereiche gefunden haben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß …

Weitere Projekte aus der ministeriellen Backstube

Und weil wir so schön dabei sind, hier noch die weiteren Projekte und Gesetzesvorhaben aus der Backstube des Gesundheitsministeriums für 2023: eine neue Digitalstrategie, das E-Rezept, die E-Patientenakte (die sich nach Lauterbach selbst befüllen soll), die Regelung der MVZ/ZMVZ-Investorenproblematik, die GOÄ-Reform, die Reform der Approbationsordnung und auch die Krankenhausreform, die ebenfalls noch fertiggestellt werden muss. Von der GOZ ganz zu schweigen.

Ist diese enorme Projektfülle wirklich realistisch für das BMG leistbar? Bereits im vergangenen Jahr war das Murren der Belegschaft laut und öffentlich vernehmbar. Angesichts der hochkomplexen Fragestellungen, die zudem über Sektorengrenzen hinaus tief miteinander verwoben sind, ist ein straffes ministerielles Management unabdingbar. Letzteres scheint für unseren Talkshow-Minister leider eine contradictio in adiecto. Aber vielleicht findet sich doch noch jemand, der Professor Dr. Dr. Karl Lauterbach nachhaltig erklären kann, dass das Gesundheitswesen nicht die Truman-Show ist. Und er nicht der Regisseur. 

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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