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Prof. Dr. Falk Schwendicke und Prof. Dr. Roland Frankenberger zur Studienlage bei Glasionomerzementen

Abb. 1c Klasse-II-Glas-Hybrid- Restauration fünf Jahre nach der Behandlung (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Matteo Basso, Italien).

Mit dem geplanten Phase out von Dentalamalgam in der EU und der damit verbundenen, zum 1. Januar 2025 wirksamen neuen Behandlungsrichtlinie stellt sich in der Praxis nun eine konkrete Frage: Welches Material kommt für eine zuzahlungsfreie, plastische Restauration im Seitenzahnbereich infrage? Mit diesem Papier soll diese Frage beantwortet werden und es wird deutlich: Nicht alle „selbstadhäsiven“ Materialien sind auch wirklich für diese Indikation geeignet. Beim Blick auf die klinischen Daten zeigen sich Glashybride im Vorteil.

Einführung

Nachdem es bereits seit Jahren abzusehen war, wurde es nun schneller Realität, als zunächst zu erwarten war: Zum 1. Januar 2025 wird Dentalamalgam aus deutschen Zahnarztpraxen verschwinden. Auch wenn Zahnärztinnen und Zahnärzte seit Jahren immer weniger Amalgam verarbeitet hatten und die Indikationsstellung für Amalgam immer enger wurde, so hat die völlige Verbannung des Materials aus dem Leistungskatalog doch signifikante Implikationen. Die neue Behandlungsrichtlinie für Füllungen (Bema 13a bis d) in der Gesetzlichen Krankenversicherung sieht nun vor, dass selbstadhäsive Materialien (und in Ausnahmefällen und bei bestimmten Indikationen auch Bulk-Fill-Komposite) das neue plastische „Kassenmaterial“, also Amalgamersatz, werden. Diese Regelung wurde vor dem Hintergrund getroffen, dass am Ende der Zahnarzt oder die Zahnärztin zusammen mit dem Patienten am besten entscheiden können, welches Material indikationsgerecht verwendet wird – vor allem, da sich die Wissenschaft einig ist: Es gibt nicht den einen Amalgamersatz. Das vorliegende Papier soll dabei helfen, die Frage zu beantworten, welches Material vor dem Hintergrund der großen Auswahl adäquat ist. Im Zentrum der wissenschaftlichen Betrachtung steht dabei immer die klinische Datenlage und Evidenz.

Selbstadhäsive plastische Füllungsmaterialien

Glasionomerzemente (GIZ)

Glasionomerzemente (GIZ) werden in konventionelle, metallverstärkte und hochviskose GIZ eingeteilt1. Die chemische Grundlage der GIZ ist immer die Reaktion von basischen, pulverförmigen Gläsern (Calcium-Aluminium-Fluoro-Silikatgläsern) mit einer Polyalkensäure (Polyacrylsäure)1. Diese Säure-Base-Reaktion ist relativ feuchtigkeitstolerant beim Legen des GIZ, sollte aber während der Abbindephase einerseits trocken gehalten werden (Ionenausschwemmung), andererseits aber nicht austrocknen (Wasserverlust)2. Weitere essenzielle Komponenten von GIZ sind Wasser und Komplexbildner. Die Abbindereaktion der GIZ ist zweigeteilt, in Phase 1 entsteht (5 bis 10 Minuten) das feuchtigkeitsempfindliche Kalziumpolykarboxylat, nach 24 Stunden ist dann Phase 2 abgeschlossen, wenn ein stärker vernetzter Aluminium-Polykarboxylatkomplex entsteht2. GIZ zeigen einen chemischen Verbund zu feuchtem Schmelz und Dentin3. Die Fluoridionenfreisetzung gilt als eine der positiven Eigenschaften der GIZ. Sie ist in der initialen Phase (vier Wochen) relativ hoch und geht dann in eine anhaltende, diffusionsbasierte Freisetzung mit niedrigerer Rate über4

Kunststoffmodifizierte GIZ (KGIZ)

Kunststoffmodifizierte GIZ (KGIZ) enthalten neben den GIZ-Komponenten hydrophile Methacrylatmonomere (zum Beispiel HEMA/Hydroxyethylmethacrylat) sowie ein Photoinitiatorsystem (Campherchinone)5. Neben der steuerbaren Polymerisation wird dadurch vor allem die Biegefestigkeit, aber auch die Ästhetik verbessert. Die Fluoridionenfreisetzung der KGIZ ist ähnlich wie bei den GIZ.

Glashybride

Weiterentwickelte GIZ, bei denen die feuchtigkeits- und trocknungsempfindliche Abbindephase mit einem speziellen Lack („Coating“) geschützt wird und zudem unterschiedlich große Glaspartikel zum Einsatz kommen , werden heute oft auch als Glashybride bezeichnet. Die vorgenommenen Modifikationen erhöhen die Biegefestigkeit des Glashybrids und erweitern das Indikationsgebiet dieses Materials auch auf den kaulasttragenden Seitenzahnbereich.

Glascarbomere (GC)

Glascarbomere (GC) sind GIZ mit einer höheren Bioaktivität. Sie enthalten daher bioaktives Pulver (Hydroxylapatit und Fluorapatit)6 und Silikonöl. Es findet eine Säure-Base-Reaktion statt, zeitgleich aber auch eine Reaktion von Hydroxylapatit und Polyalkensäuren6. Füllstoffe sind sowohl Aluminosilikatglas (wie bei den GIZ) als auch Hydroxylapatit. Die sekundäre Abbindereaktion scheint länger als in GIZ zu sein und wird auf ca. zehn Monate bemessen6.

GIZ-Komposit-Hybride

GIZ-Komposit-Hybride sind als Weiterentwicklungen auf dem Sektor der KGIZ zu sehen. Die bisherigen Vertreter sind jedoch in dieser Form entweder trotz initial vielversprechender Ergebnisse nicht mehr auf dem Markt (Surefil One, Fa. Dentsply Sirona, Bensheim)7, 8, 9, 10, 11 oder nicht mehr selbstadhäsiv zu verarbeiten (Activa, Fa. Pulpdent, Haan)12, 13.

Selbstadhäsive Komposite (SAK)

Bei selbstadhäsiven Kompositen (SAK) handelt es sich im Prinzip um „Spin-offs“ der selbstadhäsiven Befestigungskomposite. Mittlerweile sind solche Materialien auch als plastische Restaurationsmaterialien auf dem Markt erhältlich, die Indikation beschränkt sich jedoch hauptsächlich auf die Klasse V und kleinere Klasse-I-Restaurationen sowie das Abdecken von MTA in der Endodontie. SAK bauen zwar nicht zuletzt durch ihre Flow-Konsistenz und die damit verbundene gute Benetzung eine gewisse Haftung vor allem zum Dentin auf, leiden aber unter einer ähnlichen Hydrophilie wie die selbstadhäsiven Befestigungskomposite14.

Adhäsive plastische Füllungsmaterialien

Bulk-Fill-Komposit (BFK)

Hier muss man zwischen Kompositen, die für dickere Schichtstärken (4 bis 5 Millimeter) geeignet sind, und jenen mit „echtem“ Bulk-Fill-Charakter unterscheiden. Während erstere in niedrigvisköse (fließfähige BFK – FBFK) und hochviskose (modellierbare PFK – MBFK) BFK eingeteilt werden und rein lichthärtend sind, sind letztere immer dualhärtend und fließfähig, weil sie sonst die Mischkanüle nicht passieren könnten. Die Vorteile einer Restauration mit Bulk-Fill-Material gegenüber herkömmlichen Kompositen sind eine verkürzte (20 Prozent) Behandlungszeit15 und die damit verbundene geringere Wahrscheinlichkeit für Kontaminationen sowie die Vermeidung von Lufteinschlüssen und Imperfektionen durch die geringere Zahl an einzubringenden Inkrementen.

Klinische Daten

Die Materialauswahl ist demnach scheinbar groß. Bei genauer Betrachtung der klinischen Daten wird allerdings deutlich: Nur eine kleine Zahl der Materialien sind in mehreren, ausreichend langen und robusten klinischen Studien untersucht worden. Für die Seitenzahnfüllung bei Erwachsenen ist die klinische Datenlage für die allermeisten der oben genannten Materialien  begrenzt. Demnach kommen diese Materialien teils zwar theoretisch infrage, weil sie sich auf vielversprechende laborexperimentelle Studien stützen, sind aber klinisch noch nicht ausreichend geprüft worden, um ihre Eignung mit Sicherheit feststellen zu können. Auch sind die meisten der genannten plastischen Materialien von unterschiedlichen Herstellern (noch) nicht für kaulasttragende Seitenzahnrestaurationen zugelassen.

Eine solide Datenlage besteht für die hochviskosen Glasionomere, wobei hier auch nur ein Hersteller (Fa. GC, Bad Homburg) in den vergangenen Jahren diese Materialgruppe konsequent weiterentwickelt und in unterschiedlichen Studien klinisch geprüft hat. Hervorzuheben ist hierbei vor allem das Glashybrid EQUIA Forte. Das Material ist in mehreren klinischen Studien, unter anderem in randomisiert kontrollierten Ansätzen, untersucht worden16, 17, 18, 19.

Besonders sei auf eine multinationale Studie hingewiesen, die insgesamt 360 Kavitäten in 180 Patienten im sogenannten Split-mouth-Design restauriert und über mittlerweile fünf Jahre nachuntersucht hat. Hierbei wurde EQUIA Forte mit einem adhäsiv platzierten Kompositmaterial verglichen. Die Überlebensraten beider Materialien waren weder nach drei noch nach fünf Jahren signifikant unterschiedlich, nach fünf Jahren zeigten sich beim Glashybrid allerdings mehr marginale Chippings als beim Komposit. Da diese allerdings weitgehend zugänglich und damit reparabel waren, kann davon ausgegangen werden, dass auch bei ausgedehnteren Klasse-II-Kavitäten (wie sie in dieser Studie vorlagen) mit EQUIA Forte ein Material vorliegt, das auch über einen mittel- bis langfristigen Horizont gute (in dieser Studie 94 Prozent nach fünf Jahren) Überlebensraten aufweist (Abb. 1a bis c)17. Auf die weitergehenden Vorteile der Glasionomere (zum Beispiel Vorteile in subgingivalen Bereichen durch Fluoridabgabe) ist oben eingegangen worden.

Die Tabelle fasst die Studien zu Glasionomeren, die von 2007 bis 2024 publiziert worden sind, noch einmal zusammen. Es wird deutlich, dass neuere Studien – vor allem jene mit EQUIA Forte – jährliche Versagensraten unter 5 Prozent aufweisen, womit diese Materialien die Kriterien „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ erfüllen dürften.

Empfehlungen

Glashybrid weist im kaulasttragenden Seitenzahnbereich für überschaubar große Kavitäten gute klinische Daten auf. Es kann daher als selbstadhäsives plastisches „Kassenmaterial“ empfohlen werden. Ausnahmeindikationen sind sehr große Kavitäten mit breiten Isthmen und ausladenden approximalen Kästen. Hier sind Bulk-Fill-Komposite indiziert, wobei berücksichtigt werden muss, dass die klinische Datenlage nur für die lichthärtenden Bulk-Fill-Komposite ausreichend vorhanden und gut ist (zum Beispiel everX Flow, Fa. GC).

Ein Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Falk Schwendicke, München, und Univ.-Prof. Dr. Roland Frankenberger, Marburg

 

Die Autoren weisen aus Transparenzgründen darauf hin, dass sie für das Erstellen dieses Artikels ein Honorar erhalten haben und regelmäßig als Referenten für GC tätig sind.

Referenzen

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2. Wilson AD, McLean JW. Glass-Ionomer Cement Chicago: Quintessence; 1988.
3. Van Meerbeek B, De Munck J, Yoshida Y, Inoue S, Vargas M, Vijay P, et al. Buonocore memorial lecture. Adhesion to enamel and dentin: current status and future challenges. Operative dentistry. 2003;28(3):215-35.
4. Forsten L. Fluoride release and uptake by glass ionomers. Scandinavian journal of dental research. 1991;99(3):241-5.
5. Nicholson JW, Czarnecka B. The biocompatibility of resin-modified glass-ionomer cements for dentistry. Dental materials : official publication of the Academy of Dental Materials. 2008;24(12):1702-8.
6. Zainuddin N, Karpukhina N, Law RV, Hill RG. Characterisation of a remineralising Glass Carbomer(R) ionomer cement by MAS-NMR spectroscopy. Dental materials : official publication of the Academy of Dental Materials. 2012;28(10):1051-8.
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10. Rathke A, Pfefferkorn F, McGuire MK, Heard RH, Seemann R. One-year clinical results of restorations using a novel self-adhesive resin-based bulk-fill restorative. Sci Rep. 2022;12(1):3934.
11. Maghaireh GA, Albashaireh ZS, Allouz HA. Postoperative sensitivity in posterior restorations restored with self-adhesive and conventional bulk-fill resin composites: A randomized clinical split-mouth trial. J Dent. 2023;137:104655.
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13. Sadeghyar A, Lettner S, Watts DC, Schedle A. Alternatives to amalgam: Is pretreatment necessary for effective bonding to dentin? Dent Mater. 2022;38(11):1703-9.
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19. GÜRses M, Inan B, Cobanoglu N, TÜRkmen ATK. Five-year clinical follow-up of bulk-fill restorative materials in class II restorations. Dental Materials Journal. 2024;43(5):746-54.
20. Muddugangadhar BC, Amarnath GS, Sonika R, Chheda PS, Garg A. Meta-analysis of Failure and Survival Rate of Implant-supported Single Crowns, Fixed Partial Denture, and Implant Tooth-supported Prostheses. J Int Oral Health. 2015;7(9):11-7.

Reference: Zahnmedizin

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