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„Uns fehlt der Nachwuchs, das Fachpersonal, die Zeit für Patienten – und der Respekt der Regierung“
Zahnärzteschaft und Praxisteams in Sachsen-Anhalt protestieren gegen „faule Politik“ und drohenden Versorgungsnotstand
Bei der ersten Protestaktion der Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt kamen direkt 500 Menschen auf den Domplatz von Magdeburg.
Am Mittwochvormittag, den 28. Juni 2023, blieben aus Protest zahlreiche Zahnarztpraxen in Sachsen-Anhalt geschlossen. Unter dem Motto „Faule Politik – Faule Zähne“ machten gut 500 Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihren Mitarbeitenden ab 9 Uhr vor dem Landtag in Magdeburg lautstark auf den sich anbahnenden Notstand der zahnärztlichen Versorgung im Land aufmerksam. Dieser Protest ist der erste seiner Art in den neuen Bundesländern.
Bei der Protestaktion der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt am 28. Juni auf dem Domplatz in Magdeburg kamen 500 Zahnärztinnen, Zahnärzte und Praxismitarbeitende zusammen. Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Der Tag war gut gewählt: Am 28. Juni begann auch die letzte Sitzung des Landtags vor der Sommerpause. Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Die Zahnärzteschaft protestiert zum einen gegen den drohenden Versorgungsnotstand in der Zahnmedizin in Sachsen-Anhalt ... Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
… zum anderen gegen die Wiedereinführung der strikten Budgetierung durch den Bund. Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Der Initiator des Protests, Zahnarzt Mathias Tamm vom Landesverband Sachsen-Anhalt des FVDZ, erklärte im Vorfeld: „Uns fehlt der Nachwuchs, uns fehlt das Fachpersonal, uns fehlt die Zeit für die Patienten und der Respekt der Landes- und Bundesregierung. Faule Politik führt zu faulen Zähnen. Deswegen rufen wir alle Kolleginnen und Kollegen mit ihren Praxisteams, alle Patientinnen und Patienten sowie alle Mitarbeitenden aus den Dentallaboren im Land dazu auf, unserem Protest zu folgen.“ Auch Dr. Jochen Schmidt, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und Zahnarzt aus Dessau-Roßlau, bekräftigte: „Seit Jahren warnen wir vor einem drohenden Zahnarztmangel in Sachsen-Anhalt. Doch anders als die Landesregierung stellen wir uns nicht blind, sondern ergreifen Maßnahmen, um junge Nachwuchskräfte zu fördern und in Sachsen-Anhalt zu halten.“
Dr. Carsten Huenecke, Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt und Zahnarzt aus Magdeburg: „Ich bin überwältigt von dieser Resonanz und danke den hier anwesenden Abgeordneten! Noch ist Zahngesundheit eines der erklärten Gesundheitsziele des Landes Sachsen-Anhalt, aber seien Sie ehrlich und streichen Sie es raus! Unsere Notdienste laufen voll, viele Patienten suchen händeringend einen Behandler, doch das ist der Regierung egal. Die gleiche Ignoranz erleben wir in Berlin, und am Ende trifft es die Patienten. […] Anderswo werden hunderte Millionen Euro in die Wirtschaftsförderung gepumpt, aber für die Zahnärzte, die in der Pandemie unter großer Aufopferung die Versorgung aufrecht erhalten haben, gibt es keinen Cent, im Gegenteil! Darum beenden Sie die Budgetierung und passen Sie die GOZ an!“ Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Sylvia Gabel, Zahnmedizinische Fachassistentin und Vorstandsmitglied im Verband medizinischer Fachberufe e.V.: „Ohne uns läuft es nicht in den Praxen! Herrn Lauterbach zeige ich die rote Karte, denn er fährt die ambulante Versorgung an die Wand. Es ist ihm egal, wie die Menschen auf dem Land versorgt werden.“ Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Tobias Krull, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt (Die CDU hatte die Landeszahnarztquote in den Koalitionsvertrag gehievt): „Wir dürfen nicht vor der Realität die Augen verschließen und müssen das Thema überparteilich bearbeiten. Wir fordern die Umsetzung des Koalitionsvertrags, zudem wird die CDU aktiv werden bei der finanziellen Unterstützung der Stipendien. Und wenn jemand der Politik auf den Zahn fühlen kann, dann Sie!“ Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Mandy Schumacher (SPD), Bürgermeisterin von Gardelegen, der flächenmäßig drittgrößten Stadt Deutschlands: „Wir spüren deutlich den Mangel an Zahnärzten, die Überalterung macht mir echt Angst! Deshalb hat die Stadt ein Stipendium für eine in Bonn studierende Gardelegerin aufgelegt. Wir müssen diejenigen, die weggehen, an uns binden – aber das ist eigentlich nicht unser Job, und auch nicht der der KZV, sondern der des Landes. Es ist dringend nötig, dass wir eine Landeszahnarztquote einführen.“ Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Sören Wilmerstädt, Mitteldeutsche Zahntechniker-Innung: „Ich bringe Ihnen die volle Unterstützung des MDZI und der Zahntechniker. Wir sitzen alle in einem Boot und müssen uns gemeinsam wehren gegen die massiven Eingriffe in unsere Arbeit und die Patientenrechte. Zu oft mussten wir feststellen, dass die Fachpolitiker keine Ahnung haben.“ Bild: Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
Protest zur letzten Landtagssitzung vor den Sommerferien
Der Termin für den Protest war bewusst ausgewählt, denn am 28. Juni 2023 kam der Landtag Sachsen-Anhalts zu seiner letzten dreitägigen Sitzung vor der Sommerpause zusammen.
Der vom Freien Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) initiierte und von den zahnärztlichen Körperschaften Kassenzahnärztliche Vereinigung und Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt unterstützte Protest richtet sich einerseits gegen die Untätigkeit des Landes angesichts der drohenden Versorgungskrise – bis 2030 wird die Hälfte der 1.263 Vertragszahnärztinnen und -ärzte in Sachsen-Anhalt das Rentenalter erreicht haben. Bereits jetzt finden viele Patienten keine Praxis mehr.
Gleichzeitig gefährdet die Wiedereinführung der strikten Budgetierung durch den Bund die Fortschritte beim Einsatz für eine gute Mundgesundheit in Sachsen-Anhalt, insbesondere die Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis, die wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes begünstigt. Voraussichtlich am Freitag, den 30. Juni 2023 will das Plenum ein weiteres Mal auf Antrag der Linken über die zahnärztliche Versorgung und die Einführung einer Landeszahnarztquote debattieren.
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