Nachdem Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach kurz vor Weihnachten für das erste Halbjahr 2023 einen Gesetzentwurf angekündigt hat, mit denen die Aktivitäten von Fremdinvestoren im ambulanten deutschen Gesundheitsmarkt eingeschränkt werden sollen – „Wir wollen keine Investoren-Medizin“, so Lauterbach –, positionieren sich nun Standespolitiker, Juristen und Vertreter der MVZ.
Die Forderung, die Aktivitäten von Fremdinvestoren im ambulanten Bereich stärker zu regulieren, wird erhoben, seitdem der Gesetzgeber 2015 die Möglichkeit eröffnet hat, arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren zu gründen, und als Voraussetzung für den Betrieb von MVZ den Erwerb eines Krankenhauses etabliert hat. Seitdem engagiert sich vor allem die zahnärztliche Standespolitik dafür, Fremdinvestoren aus der zahnärztlichen Versorgung herauszuhalten. Im Terminservice- und Versorgungsgesetz von 2019 sind Obergrenzen für den Anteil von sogenannten Investoren-MVZ (iMVZ) in der vertragszahnärztlichen Versorgung in den Planungsbereichen eingezogen worden. In der vertragsärztlichen Versorgung gibt es solche Vorgaben bislang nicht.
In den vergangenen Jahren gab es vermehrt Medienberichte, dass es gerade in der nephrologischen (Dialyse) und augenärztlichen Versorgung (ambulante Augen-OP) und HNO zur Bildung von MVZ-Ketten in der Hand von Investoren kommt. Erst vergangene Woche berichtete die Wochenzeitung „Die Zeit“ (Ausgabe 3/23) über eine HNO-MVZ-Kette in Investorenhand, gegen die mehrere Verfahren unter anderem wegen Behandlungsfehlern bei ambulanten Operationen laufen. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hatte das BMG mehrfach aufgefordert, in Sachen iMVZ tätig zu werden und eine entsprechende Arbeitsgruppe einzurichten.
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat nun Anfang Januar ein Positionspapier vorgelegt, anscheinend, ohne sich mit anderen Standesorganisationen wie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung oder den zahnärztlichen Organisationen Bundesärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) im Vorfeld abzustimmen. Das Papier decke sich aber weitgehend und in den Kernpunkten mit den Forderungen der Zahnärzteschaft, hieß es dazu aus der zahnärztlichen Standespolitik.
Regionale Zulassungsbeschränkungen
Die BÄK setzt sich in der an die Bund-Länder-AG zu diesem Thema adressierten Stellungnahme differenziert mit den bisherigen rechtlichen Vorgaben und ihren positiven wie negativen Folgen auseinander. Sie macht konkrete Vorschläge für die Gesetzestexte und Begründungen und formuliert schon in der Einleitung die Leitplanken ihrer Position: „Eine der Kernforderungen der Bundesärztekammer ist der verpflichtende örtliche und fachliche Bezug des Gründungs- Krankenhauses zu seinem beziehungsweise seinen MVZ. Nur so ist der Bezug zum Leistungsspektrum und zur ärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus und damit der Nutzen für die Patientinnen und Patienten vor Ort erkennbar – die interdisziplinäre und sektorenverbindende Versorgung aus einer Hand und an einem Ort.“ Vorgeschlagen wird die Ausweitung der bislang schon für die zahnärztlichen iMVZ vorgesehenen regionalen Zulassungsbeschränkungen auch auf ärztliche iMVZ. Eine weitere Forderung ist mehr Transparenz über die Inhaberschaft.
Ärztliche Leiter stärken
Investitionen in das Gesundheitssystem seien grundsätzlich positiv zu bewerten, so die BÄK, „insbesondere, da in einigen Fachgebieten die medizinische Technologie kaum noch durch einen einzelnen Vertragsarzt finanziert werden kann. Problematisch wird es, wenn das primäre Ziel nicht mehr die qualitativ hochwertige und zugewandte Patientenversorgung, sondern die Maximierung der Rendite ist. Es hat sich gezeigt, dass der mit der Kommerzialisierung von MVZ einhergehende (Rendite-)Druck so groß sein kann, dass ihm nicht allein mit der berufsrechtlichen Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten begegnet werden kann, die Behandlung allein am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten. Vielmehr bedarf es einer Anpassung der Rahmenbedingungen für die Zulassung und die ärztliche Tätigkeit in MVZ. Eine wichtige Maßnahme ist dabei die Stärkung des ärztlichen Leiters in MVZ.“ Dafür sollen unter anderem die Verträge von MVZ mit ärztlichen Leitern den Kassenärztlichen Vereinigungen vorgelegt werden müssen.
Nur noch fachübergreifende MVZ – Übergangsfristen für bestehende iMVZ
Die BÄK fordert, nur noch fachübergreifende MVZ zuzulassen, zudem müsse es einen örtlichen und fachlichen Bezug des Krankenhauses zum MVZ geben. Für bereits bestehende MVZ wird ab einen Stichtag eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2032 vorgeschlagen, für vor 2012 eingerichtete bis zum 31. Dezember 2033. Zudem sollen die Kernleistungen der Versorgungsaufträge überprüft werden, das soll der Rosinenpickerei und der Fokussierung auf lukrative Leistungen vorbeugen. Zudem soll die ärztliche Unabhängigkeit der angestellten Ärzte gestärkt werden und Disziplinarmaßnahmen auch gegen MVZ und ihre Träger möglich sein.
MVZ-Bundesverband lehnt BÄK-Vorstoß ab
Die Vorsitzende des Bundesverbands der Betreiber medizinischer Versorgungszentren e. V. (BBMV), Sibylle Stauch-Eckmann, weist Vorschläge der Bundesärztekammer (BÄK) zur gesetzlichen Regulierung von MVZ-Gruppen als ungeeignet zurück: „Das Papier der Bundesärztekammer steht im Widerspruch zu den jüngsten Aussagen des BÄK-Präsidenten Dr. Reinhardt, der sich für eine differenzierte Debatte eingesetzt hat. Dieser Anspruch wird aus den heute vorgestellten Positionen, insbesondere einer Aufhebung des Bestandsschutzes, nicht deutlich.“ Der BBMV hebt, wie andere MVZ-Betreiber auch, auf den Beitrag der iMVZ zur Lösung der anstehenden Probleme wie fehlendem Nachwuchs bei den Praxisinhabern, Trend zur Anstellung, Sicherstellung der Versorgung und breites Versorgungsangebot hin.
Lauterbach Wortwahl „purer Populismus“
Kritik wird auch an Lauterbach und dem von ihm verwendeten Begriff „Heuschrecken“ geübt: „Diese Wortwahl ist purer Populismus. Um Fehlentwicklungen im ambulanten Bereich zu vermeiden, hilft es nicht, diese an den Inhabern oder Trägern der MVZ-Gruppen als Sündenböcken festzumachen und für sie eine Art Sonderrecht zu schaffen. Der ordnungspolitische Rahmen muss alle Leistungserbringer erfassen“, so Stauch-Eckmann. Mit attraktiven Anstellungsmöglichkeiten, Aus- und Weiterbildung des medizinischen Fachpersonals, rotierenden Arbeitsmodellen und der Eröffnung von Zweigpraxen sicherten MVZ-Gruppen bereits einen wichtigen Teil der ambulanten Versorgung – auch und gerade auf dem Land. „All das wird mit der aktuellen Diskussion aufs Spiel gesetzt“, sagt Stauch-Eckmann.
„Die Mitgliedsunternehmen im BBMV stehen Modifizierungen des gesetzlichen Rahmens für MVZ-Gruppen so lange offen im Dialog gegenüber, wie sie für alle Beteiligten gleichermaßen gelten und die Herausforderungen der ambulanten Versorgung praxistauglich zu lösen versuchen. Allein eine bestimmte Form der Trägerschaft von Praxen herauszusuchen und an diese die Axt zu legen, verkennt völlig die Realität“, so Stauch-Eckmann.
Bewertung des früheren BSG-Richters Wenner
Auch von juristischer Seite kursieren aus vielen Interessenrichtungen Bewertungen zu möglichen Regulierungsmaßnahmen. Einer der prominentesten Autoren dürfte der frühere Vorsitzende Richter am Bundessozialgericht a.D. Prof. Dr. Ulrich Wenner sein, der am 12. Januar 2022 seinen Beitrag „Gutes Geld und schlechtes Geld“ auf dem Gesundheitsrecht.blog veröffentlichte. Er sieht einen sehr engen rechtlichen Gestaltungsspielraum für Maßnahmen, die die Aktivitäten der Investoren im MVZ-Bereich einschränken oder gar verbieten können. Dies auch vor dem Hintergrund, dass im Krankenhausbereich bereits seit längeren Investoren aktiv sind und hier – trotz bekannter Fehlentwicklungen und verschiedener Skandale – keine stärkeren Beschränkungen erfolgt oder geplant sind.
MVZ nur noch in räumlichen Einzugsbereich
Wenner schreibt in seinem Fazit: „Ein vollständiges Verbot investorenbetriebener MVZ ist nur zulässig, wenn die damit angestrebten Ziele nicht mit weniger harten Maßnahmen erreicht werden können. Für den vertragszahnärztlichen Versorgungsbereich sind solche mit dem TSVG eingeführt worden, um den Anteil einzelner MVZ-Betreiber an der Versorgung in einem Planungsbereich zu begrenzen. Ob das sinnvoll und umsetzbar ist, mag auf sich beruhen; verfassungsrechtlich müsste jedenfalls belegbar sein, dass damit – und ergänzend mithilfe von umfassenden Transparenzvorgaben – Gefährdungen der ambulanten ärztlichen Versorgung nicht begrenzt werden könnten. Zumindest müsste der Gesetzgeber vor einem völligen Verbot investorenbetriebener MVZ wohl vorschreiben, dass ein Krankenhaus MVZ nur noch in seinem räumlichen Einzugsbereich und für die Fachrichtungen gründen darf, die auch im Haus angeboten werden. Die positiven Auswirkungen für eine sektorenübergreifende Versorgung, die davon ausgehen sollen, dass ein Investor ein kleines Krankenhaus der Grundversorgung im Westerwald kauft und damit augenärztliche MVZ in ganz Deutschland gründet, sind zumindest mir noch nicht klar geworden.“
Terminhorizont noch offen
Wann die von Lauterbach angekündigten Neuregelungen zu den iMVZ kommen, ist noch offen. Das Bundesgesundheitsministerium erklärte auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag, man arbeite an einer entsprechenden Vorlage. Noch liegt die Antwort nicht im Dokumentenarchiv des Deutschen Bundestags vor, der Ärztenachrichtendienst zitiert aber aus der ihm vorliegenden Antwort an die Antragsteller: „Die Bundesregierung teilt das Anliegen, die Transparenz über die Organisationsstrukturen von MVZ in dem für eine ausreichende Patienteninformation und eine zielgenaue Versorgungssteuerung erforderlichen Umfang herzustellen.“ Man beabsichtige, einen Vorschlag zu erarbeiten, die nähere Ausgestaltung werde gerade geprüft.
In der Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion wurden am 11. und 12. Januar 2023 auch die gesundheitspolitischen Projekte diskutiert und priorisiert. Danach könnten die Neuregelungen zu den iMVZ im noch nicht diskutierten und terminierten „Versorgungsgesetz in der GKV II“ enthalten sein. Das legt eine inhaltliche Vorsortierung aus dem BMG nahe. Das „Versorgungsgesetz in der GKV I“ ist danach für das 1./2. Quartal 2023 vorgesehen. (MM)