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Gesundheitsminister im Interview mit der „Zeit“ – BZÄK und KZBV begrüßen offensichtlichen Richtungswechsel im BMG – BNZK sieht keine Wettbewerbsverzerrung durch investorengeführte MVZ

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach positioniert sich zu iMVZ.

(c) BMG/Thomas Ecke

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hat sich erstmals seit langem öffentlich zum Thema Fremdinvestoren im Gesundheitswesen geäußert. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ nahm er dazu kritisch Stellung.

Lauterbach sagte unter anderem: „Bislang beobachten wir, dass internationale Firmen zum Beispiel Praxen in der Augenheilkunde, von Zahnärzten und in der Dialyse übernehmen, um damit Geld zu machen. Das müssen wir dringend unterbinden. Wir wollen keine Investoren-Medizin. Medizin ist eine Fürsorge auf Grundlage der Wissenschaft. Keine Ware des Kapitalismus. Wir haben in allen Bereichen zu viel Ökonomie und zu wenig Medizin, ob in den Krankenhäusern, durch die Fallpauschalen, bei den Medikamenten, wo es ebenfalls heißt: Hauptsache, billig, und jetzt auch bei den Arztpraxen, wo nun billige Massenabfertigung droht. Das muss aufhören. Wir sind zu weit gegangen.“

Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) nahmen die aktuellen Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach mit Erleichterung zur Kenntnis. Noch auf der Delegiertenversammlung der BZÄK und der Vertreterversammlung der KZBV im November in München hatten die Delegierten von Lauterbach gefordert, endlich auf die Beschlüsse und Forderungen der Gesundheitsministerkonferenz der Länder zu reagieren und eine entsprechende Arbeitsgruppe einzurichten. Die GMK hatte gefordert, die Aktivitäten von Fremdinvestoren auch explizit in der Zahnmedizin deutlich einzuschränken.

„Erwarten, dass auf Worte schnellstens Taten folgen“

Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV, kommentiert die Aussagen des Ministers wie folgt: „Die Worte von Herrn Lauterbach unterstreichen den politischen Handlungsbedarf, den wir seit Jahren gegenüber der Politik anmahnen und den auch die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder einstimmig sehen. Die weiterhin dynamische Ausbreitung und die konkreten Gefahren von investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren für die Patientenversorgung belegen unsere detaillierten Analysen und Gutachten in aller Deutlichkeit. Wir erwarten, dass auf die Worte des Bundesgesundheitsministers jetzt auch schnellstens Taten in Form gesetzlicher Maßnahmen folgen. Der Zustrom großer Finanzinvestoren und Private Equity über den Aufkauf von meist kleinen und maroden Krankenhäusern und der damit einhergehenden Möglichkeit zur Gründung von iMVZ muss gestoppt werden. Wenn überhaupt sollten Krankenhäuser künftig nur dann innerhalb eines bestimmten räumlichen Einzugsbereiches um das Krankenhaus herum berechtigt sein, zahnärztliche MVZ zu gründen und nur, wenn sie auch schon vorher an der zahnärztlichen Versorgung beteiligt waren. Neben dieser räumlich-fachlichen Gründungsbeschränkung braucht es dringend mehr Transparenz im Investoren-Dickicht. Diese Maßnahmen sollten schnellstmöglich Teil eines Gesetzgebungsverfahrens aus dem BMG sein. Herr Minister, Sie sind am Zug!“

Vergewerblichung muss eine Ende haben

Der Präsident der BZÄK, Prof. Dr. Christoph Benz, positionierte sich mit einem Gesprächsangebot an die Politik: „Die Aussagen unseres Gesundheitsministers können wir uneingeschränkt unterstützen. Wir freuen uns sehr, dass im Bundesgesundheitsministerium das Bewusstsein für die Gefahren dieses Ausverkaufs der Medizin da ist. Die völlige Vergewerblichung der Zahnmedizin und Medizin muss endlich ein Ende haben! Schon in der ARD-Sendung ‚Panorama‘ im April 2022 wurde dokumentiert, dass Umsatzdruck auf von den Investoren angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte zu erheblichen Über- und Fehlbehandlungen führen kann. In der Zahnheilkunde darf nicht der betriebswirtschaftliche Geschäftsführer über Therapien entscheiden, sondern allein der Zahnmediziner frei von wirtschaftlichem Druck und Optimierungstendenzen. Fonds aus aller Welt haben den deutschen „Medizinmarkt“ als Renditeobjekt entdeckt und haben ihre zahnmedizinischen Investoren-MVZ (iMVZ) zu mehr als 80 Prozent in den kaufkräftigen Großstädten gegründet. Zur Versorgung in unterversorgten ländlichen Bereichen oder von vulnerablen Gruppen tragen sie mangels ausreichender Renditeerwartung kaum etwas bei. Wir haben konkrete Vorschläge zur Regulierung der ungebremsten Ausbreitung der iMVZ gemacht und stehen dem BMG für Gespräche dazu jederzeit zur Verfügung.“

Zahl der iMVZ im 2. Halbjahr 2022 gestiegen

Ebenfalls am Wochenende berichteten die „Welt“ und die „Welt am Sonntag“ (WamS) über die Aktivitäten von Fremdinvestoren in der Zahnmedizin und die Kritik der Zahnärzteschaft. Der Bericht bezieht sich auf eine aktuelle Auswertung der KZBV, nach der allein im zweiten Halbjahr 2022 die Zahl der von Investoren betriebenen zahnmedizinischen MVZ um 15 Prozent auf 435 gestiegen sei. Der Anteil der iMVZ an allen zahnmedizinischen MVZ liege damit inzwischen bei rund 29 Prozent. Auch das Bundesgesundheitsministerium reagierte auf Anfrage der „Welt“: „Hier werden wir jetzt noch einmal nachsteuern“, zitiert das Blatt die Reaktion aus dem Ministerium. Entsprechende Regelungen solle im kommenden Jahr auf den Weg gebracht werden.

Die Zeitung befragte auch den gesundheitspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, den Arzt Janosch Dahmen. Er sei „ausgesprochen alarmiert darüber, dass sich Private-Equity-Investoren auf eine Einkaufstour in der ambulanten ärztlichen Versorgungsinfrastruktur in Deutschland aufgemacht haben“, zitiert der Bericht Dahmen. Dies zöge sich durch den gesamten Gesundheitsbereich – von Arztpraxen bis Pflegeeinrichtungen und gefährde in einigen Regionen bereits die Patientenversorgung.

Investoren-Verband BNZK legt eigenes Gutachten vor

Der Bundesverband nachhaltige Zahnheilkunde (BNZK), in dem sich die meisten der auf dem deutschen Markt aktiven Investoren in der Zahnmedizin zusammengeschlossen haben, hatte unter seinem neuen Vorsitzenden Franz Maier ein Gutachten zu wettbewerbsökonomischen Aspekten der iMVZ in der zahnärztlichen Versorgung in Auftrag gegeben. Das Gutachten von Prof. Dr. Justus Haucap, ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission der Bundesregierung, und Dr. Michael Coenen, wurde Anfang Dezember 2022 vorgestellt. Die Autoren konnten dabei aktuell keine Marktbeherrschung der zahnmedizinischen Versorgung durch die iMVZ feststellen.

„ZMVZ beziehungsweise iZMVZ“, so Haucap, „ersetzen keine Praxen niedergelassener Zahnärzte oder Zahnärztinnen.“ Die Studie im Auftrag des BNZK zeige, dass privates Beteiligungskapital durch die Übernahme bestehender Standorte an existierende Strukturen anknüpfe und diese konsolidiere, heißt es in der BNZK-Presseinformation. Dr. Coenen erklärte: „So tragen sie auch zur Lösung des Problems vieler Ärzte kurz vor dem Ruhestand bei, ihre Nachfolge zu regeln.“

Die Autoren beleuchteten auch die im Auftrag der KZBV 2020 vom IGES-Institut erstellte Studie, nach denen in iMVZ, aber auch in zahnärztlich geführten MVZ, pro Fall höhere Umsätze generiert würden. Haucap und Coenen führen dies unter anderem darauf zurück, dass aufgrund der in der Regel interdisziplinären Ausrichtung dort komplexere Fälle mit einem umfangreicheren Leistungsspektrum behandelt würden.

Coenen verwies gegenüber Quintessence News aber auf die schwierige und zum Teil unzureichende Datenlage, die auch das IGES-Institut in seiner Studie schon konstatiert habe. So seien zum Beispiel die Kennzahlen der Bedarfsplanungen nicht öffentlich zugänglich. Es fehle auf beiden Seiten, auch bei den Investoren, an Zahlen und Transparenz.

Ihre Ergebnisse fassen die Autoren wie folgt kurz zusammen (das vollständige Gutachten ist auf der Internetseite des BNZK eingestellt):

  • Es bestehen systematische Unterschiede zwischen niedergelassenen Zahnärzten und ZMVZ und iZMVZ im Hinblick auf Organisation und Angebot. Privates Beteiligungskapital in iMVZ knüpft bei der Übernahme von Praxisstandorten an bestehenden Strukturen an und konsolidiert diese.
  • Marktbeherrschung durch iMVZ kann auf den jeweils lokalen Bedarfsmärkten für allgemeine Zahnheilkunde durch die spezifisch für iMVZ in § 95 Abs. 1b SGB V getroffenen Vorkehrungen ausgeschlossen werden.
  • iMVZ haben Vorteile bei Fixkostendegression, Innovationsanreizen und dem Monitoring von wirtschaftlichen und qualitativen Standards. MVZ und iMVZ besitzen mehr fachliche Zusatz- Qualifikationen und Vorsprünge bei der Behandlungstechnik. Ihre Behandlungen haben eine höhere Fallkomplexität.
  • MVZ und iMVZ sind nicht als ein Substitut für die Zahnarztpraxen niedergelassener Zahnärztinnen und Zahnärzte zu verstehen, sondern – auch im Hinblick auf ihren Beitrag zur flächendeckenden Versorgung – als eine Variation, die zusätzliche Möglichkeiten eröffnet: iMVZ bieten jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten vermehrte Möglichkeiten zahnärztlich tätig zu werden, ohne selbst die finanziellen Verbindlichkeiten der Investition in eine eigene Praxis eingehen zu müssen. Sie bieten Chancen für Zahnärztinnen und Zahnärzte im Angestelltenverhältnis durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Work-Life-Balance im Allgemeinen. Sie lösen Praxisnachfolgeprobleme und können finanzielle Herausforderungen besser angehen, die sich der Zahnmedizin durch kontinuierlichen medizinisch-technischen Fortschritt und fortschreitende Digitalisierung stellen.
  • MVZ und iMVZ haben Standorte in dichter besiedelten Landkreisen und Städten. Diese Standorte sind weitreichend unabhängig vom regionalen Versorgungsgrad, da in der zahnmedizinischen Versorgung „dicht besiedelt“ nicht notwendigerweise mit „mindestens bedarfsgerecht versorgt“ gleichzusetzen ist.

„Die Studie widerlegt damit Befürchtungen, wie sie vor allem von Seiten Kassenärztlicher Vereinigungen in den letzten Monaten immer wieder geäußert wurden“, konstatierte der BNZK-Vorsitzende Franz Maier. Der Verband hat sich mit ihm als neuem Vorsitzenden für die politische Auseinandersetzung um die iMVZ neu aufgestellt.

13 Investoren im deutschen Markt aktiv

Die Wachstumszahlen bei den iMVZ waren bis zum Juni 2022 mit insgesamt 379 im Besitz von 13 Investoren eher moderat. Der Anstieg im 2. Halbjahr könnte nun wohl auch damit zu tun haben, dass nach den mehrfachen Forderungen der GMK und angekündigter Aktivitäten der Länder zur Beschränkung der Investoren nun in der Politik doch Bewegung in die Sache kommt und Restriktionen möglich werden könnten.

Dr. Marion Marschall, Berlin

Lesen Sie dazu auch die Kolumne von Dr. Uw Axel Richter „Träume – und Realitäten – in der Gesundheitspolitik“.

 

Reference: Politik Wirtschaft Nachrichten

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