Das Bundeskabinett hat am 30. August die Entwürfe für zwei Digitalisierungsgesetze im Gesundheitswesen beschlossen und die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu einem der großen Projekte der Ampel-Koalition erklärt. Die sogenannten Leistungserbringer im Gesundheitswesen, vor allem die Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten im ambulanten Bereich, stehen beiden Gesetzen kritisch gegenüber. Die Gründe: fortgesetzte Sanktionen gegen die Leistungserbringer, zu kurze Entwicklungs- und Testphasen, unausgereifte Anwendungen und Bedenken beim Datenschutz.
Konkret geht es um das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und das Digital-Gesetz (DigiG). Vor allem das E-Rezept, das am 1. Januar 2024 flächendeckend eingesetzt werden soll, und die elektronische Patientenakte sind von der Bundesregierung nach außen als die großen Fortschritte angekündigt worden. Ärzte und Zahnärzte hatten allerdings bereits in der Verbändeanhörung zu den Gesetzentwürfen im August viele Änderungswünsche.
Ob die Gesetze schon zum 1. Januar 2024 in Kraft treten können, scheint zudem fraglich, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet. Danach wäre schon wegen des parlamentarischen Ablaufs und der Sitzungstermine von Bundestag und Bundesrat frühestens der Februar 2024 zu erreichen.
Politik muss für funktionierende Prozesse sorgen
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht anlässlich der vom Kabinett beschlossenen Entwürfe umfangreichen Nachbesserungsbedarf. „Wenn die Praxen das E-Rezept oder die elektronische Patientenakte zum Laufen bringen sollen, dann muss die Politik dafür sorgen, dass die Prozesse reibungslos funktionieren und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht gestört wird“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. „Entsprechende Regelungen vermissen wir in den Gesetzentwürfen.“
Weg mit den Sanktionen
Steiner äußerte sich empört darüber, dass die Bundesregierung an den Sanktionen festhält. Dies wird auch von den Zahnärzten scharf kritisiert. So soll Ärzten, die ab Januar 2024 nicht nachweisen können, dass sie in der Lage sind, E-Rezepte auszustellen, ein Prozent ihres Honorars abgezogen werden. „Statt durch ausreichende Tests und verbindliche IT-Vorgaben für eine funktionierende Technik zu sorgen, sollen die Praxen mit der Androhung von Strafen zur Digitalisierung getrieben werden“, kritisierte sie und forderte: „Es darf keine Sanktionen geben.“
Klare Vorgaben zur ePA für PVS fehlen
In einem Video-Interview wies Steiner zudem auf zwei weitere zentrale Punkte hin, die im Digital-Gesetz geändert werden müssen. Es seien zum einen klare Leistungsvorgaben für die Software-Hersteller notwendig, „damit in der Praxis praxistaugliche Anwendungen ankommen“. Die Akzeptanz und die Funktionstauglichkeit der ePA hänge „ganz entscheidend von der Performance der PVS-Systeme ab“, sagte sie. Dazu fehlten aber die Regelungen im Gesetz.
Komplexes Regelungsgeflecht hinderlich
Außerdem seien einfache und klare Regelungen zu Zugriffsrechten und Widerspruchsrechten der Versicherten bei der ePA unerlässlich, fuhr Steiner fort. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass „diese Diskussion und der Informationsbedarf“ in die Praxen verlagert werde. Die jetzigen Regelungen zur Opt-Out-Lösung bei der ePA bezeichnete sie als „unübersichtlich“. Es gebe „ein relativ komplexes Regelungsgeflecht an Informations- und Zugriffs- und auch Widerspruchsregelungen“.
Kaum Änderungen zum ersten Entwurf erkennbar
In dem jetzt beschlossenen Entwurf für ein Digital-Gesetz sei die Arbeit der Praxen betreffend kaum etwas geändert worden; eine Anpassung betreffe den Arbeitsaufwand für das Einstellen von Dokumenten in die ePA, der jetzt mit einer Minute beziffert wird. „Schon im ersten Referentenentwurf haben wir die schablonenhafte Zeitangabe von drei Minuten für fünf Dokumente als unrealistisch und reine Theorie kritisiert. Nun ist diese Zeitspanne auf gerade einmal eine Minute reduziert worden. Das grenzt schon an totaler Realitätsverweigerung“, kritisierte Steiner und fügte hinzu: „Im Übrigen sind die niedergelassenen Praxisteams keine Fließbandbefüller von Akten, sondern müssen ihre Patientinnen und Patienten versorgen.“
Sehr lange Bank und dann zu kurze Frist
Die Bundeszahnärztekammer kritisiert die viel zu kurzen Fristen für Stellungnahmen und Beratungen beider Gesetze: „Lange waren sie angekündigt, dann passierte … nichts. Mitten in der Sommerpause macht das Bundesministerium für Gesundheit nun Tempo und hat mit dem Digital-Gesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz gleich zwei Entwürfe zur Umsetzung seiner Digitalisierungsstrategie auf den Weg gebracht: einmal mehr mit denkbar knappen Fristen zur Stellungnahme.“
Für Zahnärztinnen und Zahnärzte falle die erste Analyse nüchtern aus: Für sie dürften viele an sich sinnvolle Regelungen vor allem zu Mehrbelastungen führen. Zur Erfolgsgeschichte werde die Digitalisierung aber nur dann, wenn sie einen spürbaren Mehrwert bringe. BZÄK und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung hatten sowohl zum DigiG und zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) gemeinsame Stellungnahmen abgeben, die auch auf den Websites von KZBV und BZÄK eingestellt sind.
Kassen sollen zu Gesundheitsrisiken informieren
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) hat aus Sicht der Zahnärzteschaft noch einmal konkret zum GDNG Stellung genommen: „Versichertendaten sollen von der gesetzlichen Krankenversicherung künftig groß ausgewertet werden.“ Ohne dass es konkrete und hocheffiziente Prognosemodelle gebe, sollen Krankenkassen laut dem Entwurf mit automatischen Auswertungen künftig Patienten zu Gesundheitsrisiken informieren. Eine Überprüfung approbierter Leistungserbringer, wie zum Beispiel durch einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin im Falle von zahnmedizinischen Daten, ist dafür nicht vorgesehen. Die KZVWL kann in diesem Vorgehen keinen positiven Nutzen für Patienten erkennen und zweifelt am Nutzen dieser Maßnahme.
„Ohne Einwilligung von Patienten sollen Krankenkassen demnächst äußerst sensible und hoch schützenswerte Gesundheitsdaten automatisiert auswerten und diese dann über mögliche Gesundheitsrisiken informieren, heißt es in dem Referentenentwurf. Weil die Zahnärzte und Ärzte keinen Überblick über die gesamten Gesundheitsdaten hätten. Das verwundert uns sehr, denn eigentlich soll die elektronische Patientenakte (ePA), die künftig auch alle Verordnungsdaten und eine Medikationsliste enthalten soll, dies leisten. Trotzdem werden in diesem Gesetzesentwurf jetzt die Krankenkassen mit dieser Aufgabe betraut, die in der (zahn)medizinischen Beratung bei Behandlern angesiedelt ist“, bemängelt Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe.
Unbrauchbar im Sinne der Patientensicherheit
Dabei stelle sich auch die Frage, wie die Krankenkassen dieses Vorhaben umsetzen. „Wir halten dieses Vorgehen für durchweg unbrauchbar im Sinne der Patientensicherheit. Laut aktueller Studienlage gibt es keine automatischen Prognosemodelle für diese Datenmenge, deren Fehleranfälligkeit auf einem akzeptablen Minimum liegt. Zudem können wir davon ausgehen, dass ein solches Vorgehen, bei dem Krankenkassen plötzlich aus dem Nichts bei Patienten anrufen und davor warnen, dass ein besonderes Risiko für eine bestimmte Erkrankung vorliege, nur zu einer größeren Verunsicherung bei Patienten beiträgt“, fügt Michael Evelt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZVWL, hinzu.
Kein neues „Heftpflaster“ erfinden
„Wir haben evidenzbasierte Vorsorgeprogramme und ein individuelles Vertrauensverhältnis zu unseren Patienten. Wir sind ganz klar dafür, die derzeitigen TI-Anwendungen wie ePA und elektronisches Rezept sinnvoll auszubauen, statt jetzt ein neues Heftpflaster für diese zu erfinden“, sagt Seib. Daher schließe sich die KZVWL der Stellungnahme der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Bundeszahnärztekammer an.