Der mit insgesamt 10.000 Euro dotierte Wrigley Prophylaxe Preis wurde am 27. November zum 26. Mal – in diesem Jahr online – verliehen. Den ersten Preis gewann die Arbeitsgruppe um Prof. Ali Al-Ahmad vom Universitätsklinikum Freiburg. Die Wissenschaftler untersuchten erstmals in vivo, wie unterschiedliche Nahrungsbestandteile die mikrobielle Balance im oralen Biofilm beeinflussen. Demnach können gezielte Ernährungsempfehlungen zur Kariesprävention effektiv sein.
Den zweiten Platz belegen Dr. Caroline Sekundo und ihr Team vom Universitätsklinikum Heidelberg, deren Pilotstudie erstmals Einblicke in die Mundgesundheit Hundertjähriger und Hochbetagter gibt. Den zusätzlich mit 2.000 Euro dotierten Sonderpreis „Niedergelassene Praxis und gesellschaftliches Engagement“ erringen Prof. Hüsamettin Günay und Dr. Karen Meyer-Wübbold von der Medizinischen Hochschule Hannover für ihr originelles Pilotprojekt, das Senioren eine spielerische Zahnputzkontrolle mittels App oder Abakus nahelegt.
Der Wrigley Prophylaxe Preis zählt zu den renommiertesten Auszeichnungen in der Zahnmedizin und gilt in Fachkreisen als Institution. Stifterin ist die wissenschaftliche Initiative „Wrigley Oral Healthcare Program“. Seit seiner Gründung vor 26 Jahren steht der Preis unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ). Eine unabhängige Jury würdigt wissenschaftliches Engagement sowie gesellschaftliche Projekte, die zur Verbesserung der Mundgesundheit bei besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen beitragen. Der Preis wird traditionell auf der Jahrestagung der DGZ verliehen, und auch hier verlief sie dieses Jahr etwas anders: Die Gemeinschaftstagung fand pandemiebedingt in diesem Jahr virtuell statt, und die Preise wurden zu Beginn der ersatzweise eingerichteten Online-Vortragsreihe verliehen.
Gesund essen, gesunde Zähne
Der mit 7.000 Euro dotierte erste Preis ging an Prof. Ali Al-Ahmad und ein Team aus Wissenschaftlern der Universitäten Freiburg und Zürich sowie des Helmholtz-Zentrums München: Dr. Annette Anderson, Prof. Dr. Markus Jörg Altenburger, PD Dr. Johan Peter Woelber, Prof. Dr. Elmar Hellwig, PD Dr. Lamprini Karygianni und Dr. Michael Rothballer. Die Wissenschaftler untersuchten in einer klinischen Studie, wie bestimmte Nahrungsbestandteile das Wachstum von Bakterien im supragingivalen Biofilm und damit auch das Kariesrisiko beeinflussen. Es ist bekannt, dass die Entstehung von Karies mit der Vermehrung säurebildender und -liebender Bakterien im Biofilm einhergeht und diese wiederum sich vor allem in Anwesenheit von Zucker und anderen leicht abbaubaren Kohlenhydraten vermehren. Welche Wechselwirkungen zwischen Ernährung und oralem Biofilm in vivo tatsächlich stattfinden, wurde im lebenden Organismus bislang kaum untersucht. In dieser Studie durchliefen elf gesunde Probanden fünf dreimonatige Phasen mit jeweils unterschiedlichem Ernährungsschwerpunkt: In Phase 1 behielten sie ihre normale Ernährung bei, in Phase 2 konsumierten sie zusätzlich häufig Kandiszucker, in Phase 3 Milch und Joghurt, in Phase 4 faserreichen Gemüsebrei und in Phase 5 kehrten sie zu ihrer normalen Ernährung zurück. Die normale Ernährung enthielt 140 bis 280 Gramm Kohlenhydrate pro Tag und wurde von den Probanden entsprechend den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts jeweils in einem Ernährungstagebuch festgehalten. In jeder Phase trugen die Probanden dreimal sieben Tage intraorale Schienen mit bovinen Schmelzproben zur Gewinnung von Biofilmproben, die mikrobiologisch mithilfe von Hochdurchsatz-Sequenzierung-Methoden analysiert wurden.
Klares Ergebnis: Die Bakterien im Biofilm reagierten eindeutig und nachhaltig auf das unterschiedliche Nahrungsangebot der verschiedenen Phasen. Besonders interessierte die Wissenschaftler, wie sich die Ernährung auf das Wachstum oraler Streptokokken auswirkte, vor allem der kariesfördernden Non-mutans-Spezies. Der Anteil an Streptokokken lag in Phase 1 bei 34 Prozent, stieg bei zuckerreicher Ernährung auf 40 Prozent und lag damit deutlich über dem Anteil von 24 Prozent der Phasen 3 und 4, in denen die Probanden viel Milch und Joghurt beziehungsweise Gemüse konsumierten. In Phase 5 stieg der Streptokokken-Anteil auf 29 Prozent und bewegte sich damit wieder in Richtung des Ausgangswertes in Phase 1.
Die Daten bestätigen, dass zuckerreiche Ernährung das Wachstum kariogener Bakterien im supragingivalen Biofilm fördert, während Milch, Joghurt und faserreiches Gemüse zu einer signifikanten Abnahme dieser Bakterien und glatteren Zahnschmelz führten. Die Veränderungen hielten auch an, nachdem die Probanden wieder zu ihrer Ausgangsernährung zurückgekehrt waren. Die Autoren schlussfolgern, dass die supragingivale Biofilm-Zusammensetzung durch Ernährung modulierbar ist und empfehlen daher mehr Milch, Joghurt und Gemüse zur Kariesprävention.
Hundertjährige: Trotz hoher Kariesprävalenz kaum reduzierte Lebensfreude
In Deutschland gibt es immer mehr Hochbetagte: 2018 waren 14.000 Menschen älter als 100 Jahre und Prognosen zufolge wird sich diese Zahl bis 2038 vervierfachen. Vor diesem Hintergrund befasst sich die Wissenschaft zunehmend mit Fragen der Langlebigkeit, insbesondere mit dem Gesundheitszustand der Hundertjährigen. Zahnmedizinische Aspekte wurden dabei bislang kaum berücksichtigt. Die mit dem zweiten Preis ausgezeichnete und mit 3.000 Euro dotierte Pionierarbeit hat dies nun geändert: Dr. Caroline Sekundo, Prof. Dr. Cornelia Frese und Eva Langowski sowie Prof. Dr. Andreas Zenthöfer vom Universitätsklinikum Heidelberg haben die Mundgesundheit von Hundertjährigen und Hochbetagen erstmals umfassend untersucht.
Für ihre klinische Querschnittsstudie besuchten sie 55 Senioren im Alter von 100 Jahren oder älter zu Hause und sammelten Daten unter anderem zu Zahnpflegegewohnheiten, zur zahnärztlichen Betreuung und mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Zudem erhoben die Autoren einen vollständigen zahnmedizinischen Befund. Die Ergebnisse wurden mit den Daten jüngerer Senioren (75 bis 100 Jahre) aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) verglichen.
Das Ergebnis: Nur 36 Prozent der Hundertjährigen waren zahnlos. Die meisten hatten noch eigene Zähne und waren unterschiedlich prothetisch versorgt. Im Vergleich zu jüngeren Senioren hatten Hundertjährige jedoch weniger eigene Zähne und häufiger Karies. Zudem war der Sanierungsgrad geringer und die Prävalenz von Wurzelkaries doppelt so hoch wie bei jüngeren Senioren. Die zahnmedizinische funktionelle Kapazität war gering: Bei 64 Prozent der Hundertjährigen waren Zahnschäden schlecht oder nicht therapierbar, und die Fähigkeit zur Mundhygiene war bei 44 Prozent stark eingeschränkt. Dennoch war die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität erfreulich hoch: Über Einschränkungen klagten die Hundertjährigen vor allem beim Kauen fester Nahrung und der damit verbundenen limitierten Auswahl an Nahrungsmitteln. „Insgesamt zeigt unsere Pilotstudie eine Verschlechterung der Mundgesundheit in sehr hohem Alter, die sich aufgrund der geringen Belastbarkeit zu diesem Zeitpunkt dann kaum noch verbessern lässt“, fasst Dr. Sekundo die Ergebnisse zusammen. „Deshalb sollten Präventivmaßnahmen viel früher ansetzen, um die Mundgesundheit und damit Lebensqualität möglichst lange zu erhalten.“
Sonderpreis: Zahnputzkontrolle mit App und Abakus
Den mit 2.000 Euro dotierten Sonderpreis „Niedergelassene Praxis und gesellschaftliches Engagement“ erhielten Prof. Hüsamettin Günay und Dr. Karen Meyer-Wübbold von der Medizinischen Hochschule Hannover für ihre Studie „Selbstkontrolle zur Verbesserung der eigenverantwortlichen häuslichen Mundhygiene bei Senioren“.
Vielen Patienten scheint es schwer zu fallen, bei ihrer täglichen Zahn- und Mundhygiene eine Systematik umzusetzen. Apps können sie dabei unterstützen. Bislang auf dem Markt erhältliche Produkte richten sich jedoch vor allem an Kinder. Zudem nutzen ältere Personen neue Technologien oft ungern, weil ihnen das Verständnis oder der Zugang dazu fehlt.
Ziel des Projekts war zu evaluieren, ob sich eine App oder ein Abakus eignet, Senioren dabei zu unterstützen, die Zahnputzsystematik „KIAZZ-Plus“ umzusetzen und gleichzeitig ihre Mundhygiene selbst zu kontrollieren. Für die Studie wurden 16 Teilnehmer gebeten, ihrer häusliche Mundhygiene in drei Phasen à drei Wochen zu dokumentieren: In Phase 1 erfolgte die Dokumentation via App, in Phase 2 wurde die App mit mehr Funktionen ausgestattet, in Phase 3 verwendeten die Teilnehmer einen Abakus.
Das Ergebnis: Die zu Beginn der Studie gemessenen Plaque-Index-Werte verbesserten sich durch jede Art der Mundhygiene-Dokumentation deutlich. Als besonders effektiv entpuppten sich die funktionsreiche App und der Abakus. Der Abakus als plastisch-anschauliches Hilfsmittel förderte die Selbstkontrolle, gleichzeitig wurden Motorik und Sensorik beansprucht. „Dies schien die Teilnehmer mehr zu motivieren und zu disziplinieren als die reine Dokumentation per App oder Mundhygieneprotokolle“, stellen die Autoren fest, „wobei unser Pilotprojekt in erster Linie zeigt, dass die Integration einer Selbstkontrolle in ein zahnmedizinisches Präventionskonzept erfolgversprechend ist – ob per App, Protokoll oder Abakus“.
Jury startet mit Frauen-Power in 2021
Mitglieder der unabhängigen Wrigley Prophylaxe Preis-Jury 2020 waren Prof. Dr. Thomas Attin, Zürich, Prof. Dr. Werner Geurtsen, Hannover, Prof. Dr. Rainer Haak, Leipzig, Prof. em. Dr. Joachim Klimek, Gießen, Prof. Dr. Hendrik Meyer-Lückel, Bern, DGZ-Präsident Prof. Dr. Christian Hannig, Dresden, und Andreas Herforth, Referent zahnärztliche Versorgung bei der Techniker Krankenkasse Hamburg.
Im nächsten Jahr entscheidet die Jury in etwas anderer Zusammensetzung, welche eingereichten Arbeiten für den Wrigley Prophylaxe Preis prämiert werden. Der DGZ-Präsident Prof. Christian Hannig verlässt die Runde und blickt gerne auf die spannende Aufgabe als Jurymitglied zurück: „Besonders beeindruckend war zu sehen, mit wie viel Forscherdrang und Ideenreichtum sich Wissenschaftler und Zahnärzte für eine bessere Mundgesundheit von Risikogruppen engagieren. Der Prophylaxe Preis ist eine großartige Initiative, die dieses Engagement unterstützt.“ Nachfolgerin von Prof. Hannig ist Prof. Annette Wiegand, Göttingen. Neuer DGZ-Präsident ist Prof. Rainer Haak, der bereits Mitglied der Jury ist.