Am 20. März 2024 ist Weltmundgesundheitstag: Aus diesem Anlass macht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Wichtigkeit einer guten Zahngesundheit aufmerksam – und auf sogenannte seltene genetisch bedingte Zahnerkrankungen, so die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e.V. (DGMKG).
Zahnnichtanlagen sind – entgegen ihrer Einordnung als seltene Erkrankung – die häufigste Fehlbildung des Menschen und sollten zusammen mit anderen seltenen Zahnerkrankungen stärker in den Fokus kommen, so die DGMKG. Sie informiert anlässlich des Weltmundgesundheitstags über eine Form der Ektodermalen Dysplasie (ED) – die hypohydrotische Variante der ED.
Die hypohydrotische Variante der Ektodermalen Dysplasie (ED)
Wenn bei dieser Erkrankung sechs oder mehr bleibende Zähne nicht angelegt sind, sprechen Expertinnen und Experten von einer Oligodontie. Die Symptome sind zudem zugespitzte bleibende Zähne, zu wenig Schweißdrüsen und fehlgebildete Nägel sowie eine dünne Behaarung. Derzeit entsteht eine S3-Leitlinie zu seltenen Zahnerkrankungen, die unter anderem auf die Betreuung von ED-Patientinnen und -Patienten eingeht. So sollten Betroffene möglichst in einem interdisziplinären Team von Medizinern, Zahnmedizinern und MKG-Chirurgen betreut werden.
MKG-Chirurgie mit Brückenfunktion für die zahnärztlichen Maßnahmen
„In der interdisziplinären Behandlung kommt MKG-Chirurgen häufig eine Brückenfunktion zwischen Medizin und Zahnmedizin und eine koordinierende Funktion in Sprechstunden für seltene Zahnerkrankungen zu“, betont Dr. Jörg-Ulf Wiegner, Präsident der DGMKG. „Denn es kommt bei der kaufunktionellen Rehabilitation von ED-Betroffenen auf ein gutes Timing der Maßnahmen an. Zum Beispiel sollte eine kieferorthopädische Therapie vor dem 18. Lebensjahr stattfinden und Zahnimplantate und Kieferknochenaufbauten sollten in der Regel nach dem pubertären Wachstumsschub erfolgen.“ Auch die Abwägung von Alternativen zu Zahnimplantaten wie Zahntransplantate, Klebebrücken oder die Erhaltung von Milchzähnen über das Wechselgebiss hinaus erfordern eine kontinuierliche Betreuung der heranwachsenden Patientinnen und Patienten.
Oligodontie als Herausforderung
„Die hypohydrotischen Formen der Ektodermale Dysplasie (ED) sind häufig durch die Oligodontie besonders kompliziert“, erklärt Professor Dr. med. Dr. med. dent. Hendrik Terheyden, Pressesprecher der DGMKG. „Das Milchzahngebiss zeigt meistens nur geringe Auffälligkeiten aber im bleibenden Gebiss fehlen häufig mehr als sechs Zähne oder manchmal sogar alle. Die noch vorhandenen Zähne sind oft in der Form zugespitzt.“ Solche Zähne machen bei intaktem Zahnschmelz in der Regel keine Beschwerden, so dass der behandelnde Zahnarzt sie erhalten und eventuell mit Komposit aufbauen kann. Die ED fällt häufig erst beim Zahnwechsel auf, wenn bei acht- bis zwölfjährigen Kindern zum ersten Mal eine Kieferröntgenaufnahme angefertigt wird.
Oft späte Diagnose
Das Problem für Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen ist oft der rechtzeitige und barrierearme Zugang zur Versorgung. „Die Diagnose von ED erfolgt oft spät, da sich die Kinder an die Haut- und Haarsymptome gewöhnt haben und generell seltene Erkrankungen in der Bevölkerung weitgehend unbekannt sind und somit kaum etablierte Versorgungswege bestehen“, erläutert Terheyden. „Die Eltern der Patientinnen und Patienten und deren Hauszahnärztinnen/-zahnärzte wissen oft gar nicht, an wen sie sich wenden können. Hier bieten sich MKG-Chirurginnen und -Chirurgen an, die als Überweisungsempfänger häufig eine sehr große Zahl von Patientinnen und Patienten betreuen.“
Zahnärzte sollten Zeitfenster der Therapieoptionen kennen
Häufig wenden sich Betroffene jedoch nur an ihren Hauszahnarzt. Das kann problematisch werden, denn Zahntransplantate können – aus medizinischer Sicht - nur in einem engen Zeitfenster je nach Zahn um das zwölfte Lebensjahr, bei Weisheitszähnen um das 16. Lebensjahr erfolgreich angeboten werden. Zudem übernehmen Krankenkassen die kieferorthopädische Versorgung nach dem 18. Lebensjahr nicht mehr vollumfänglich. Hier ist eine koordinierende Stelle in Form der MKG-Chirurgen in einer Spezialsprechstunde hilfreich.
Spezialsprechstunden nutzen
„Weil die kaufunktionelle Rehabilitation von ED-Patientinnen und -Patienten fast immer an verschiedenen Stellen eine chirurgische Intervention erfordert, erfolgt die zeitliche Koordination am besten durch Mund-, Kiefer- Gesichtschirurginnen und -chirurgen, die außerdem die Brückenfunktion in die Allgemeinmedizin, zum Beispiel in die Pädiatrie und Dermatologie herstellen können“, so Terheyden. Weitere Beteiligte in dem interdisziplinären Team sind Hautärzte, Kieferorthopäden und zahnärztliche Prothetiker.
Niedrigschwelliges Angebot an Hauszahnärzte und Kieferorthopäden
Werden die heranwachsenden ED-Patientinnen und -Patienten rechtzeitig in Spezialsprechstunden zum Beispiel bei MKG-Chirurginnen und -chirurgen vorgestellt, erfolgen Therapien eher koordiniert und altersgerecht. Den Patientinnen und Patienten bleiben damit unkoordinierte und planlose Versorgungen erspart. „Die DGMKG macht deshalb ein niedrigschwelliges Angebot an die Hauszahnärzte beziehungsweise Kieferorthopäden, Jugendlichen und ihre Eltern“, rät Terheyden, Chefarzt für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Helios Kliniken in Kassel. „Erkrankten wird empfohlen, MKG-Chirurginnen und -chirurgen aufzusuchen, weil diese als Ärzte für den medizinischen Hintergrund der Erkrankungen ausgebildet sind und die medizinischen Symptome einordnen können.“
Häufig Zentren für seltene Erkrankungen an MKG-Kliniken
„Außerdem werden an MKG-Klinken mit Sprechstunden für kraniofaziale Fehlbildungen häufig auch Zentren für seltene Erkrankungen betrieben, in denen Expertinnen und Experten mit besonderem Fachwissen arbeiten“, so Terheyden. Eine weitere Anlaufstelle zur Orientierung ist die Selbsthilfegruppe Ektodermale Dysplasie e.V.
Titelbild aus: Hanisch et al. Seltene Erkrankungen mit implantologischem Therapiebedarf. Implantologie 2018;26(2):157–166