Ein neuer Rote-Hand-Brief der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) hat auf Daten hingewiesen, die ein vermehrtes Auftreten von Basalzell- und Plattenepithelkarzinomen (sogenannter weißer Hautkrebs) bei mit Hydrochlorothiazid (HCT) behandelten Bluthochdruckpatienten vermuten lassen.
So berichtet eine Studie über ein deutlich erhöhtes Risiko für Lippentumoren (Pottegard et al.). Die dauerhafte Einnahme von HCT war danach mit einer adjustierten Odds-ratio (OR) für Plattenepithelkarzinomen (SCC) an der Lippe von 2,1 (95 Prozent Konfidenz-Intervall von 1,7 bis 2,6), die OR stieg auf bis zu 3,9 bei einer Einnahme von mehr als 25.000 Milligramm. Die Autoren verzeichneten eine klare Dosisabhängigkeit, je höher die Dosis, desto höher das Risiko. Bei anderen diuretischen oder nicht-diuretischen Blutdrucksenkern sei keine Assoziation mit Lippentumoren festgestellt worden, heißt es.
11 Prozent der Fälle der Einnahme von HCT zugeschrieben
Die Autoren erwarten daher, dass etwa 11 Prozent der Fälle mit SCC Lippentumoren der Einnahme von HCT zugeschrieben werden könne. Die Einnahme des Wirkstoffs sei stark mit einem erhöhten Risiko für solche Lippentumore verbunden.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) warnt Patienten und Ärzte jedoch eindringlich davor, Medikamente aufgrund dieser Studienergebnisse einfach abzusetzen, und erläutert die Hintergründe. Hydrochlorothiazid (HCT) ist einer der am häufigsten verschriebenen Wirkstoffe zur Behandlung der arteriellen Hypertonie, an der in Deutschland Schätzungen zufolge etwa 20 bis 30 Millionen Menschen leiden. Ca. 45 Prozent dieser Patienten erhalten blutdrucksenkende Präparate, die HCT enthalten.
Daten deuten auf erhöhtes Risiko für weißen Hautkrebs hin
Auf Basis von Daten aus dem dänischen Krebsregister und dem nationalen Verschreibungsregister zeigen zwei neue Studien aus Dänemark einen kumulativen dosisabhängigen Zusammenhang zwischen HCT und nicht-melanozytärem Hautkrebs (NMSC). Je nach Region erkranken in Europa zwischen 1 und 34 pro 100.000 Einwohnern an einem Plattenepithelkarzinom (SCC) und zwischen 30 und 150 von 100.000 Menschen an einem Basalzellkarzinom (BCC). Je nach Höhe der kumulativen Dosis HCT könnte sich dieses Risiko – so die Rückschlüsse aus den beiden dänischen Studien – um das 1,3-fache für BCC und das zwischen 4- bis 7,7-fache für SCC erhöhen.
Antihypertensiva auf keinen Fall absetzen
Trotz dieser Daten warnen Experten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ausdrücklich davor, HCT-haltige Medikamente abzusetzen. „Wie außerordentlich wichtig eine blutdrucksenkende Therapie ist, zeigen uns belastbare Studiendaten“, erklärt Prof. Dr. Felix Mahfoud vom Universitätsklinikum des Saarlandes. „Pro Senkung des systolischen Praxis-Blutdrucks um 10 mmHg sinkt auch die Sterblichkeit, und zwar um 13 Prozent. Das relative Risiko, dass Patienten einen Schlaganfall erleiden oder eine Herzinsuffizienz entwickeln, verringert sich sogar um 30 Prozent. Die Medikamente abzusetzen, ist also mit großen Risiken verbunden“. (Lancet 387: 957, 2016)
Sonnenexposition und familiäre Prädisposition nicht erfasst
Die Ergebnisse der dänischen Studie seien außerdem nur begrenzt aussagekräftig, so DGK-Pressesprecher Prof. Dr. Michael Böhm: „Den Autoren lagen keine Informationen über die Sonnenexposition der Patienten vor, die ein Basal- oder Epithelzellkarzinom entwickelt hatten. Genauso wenig bekannt waren Daten zur familiären Prädisposition. Beide Faktoren sind aber äußerst wichtig für die Entstehung dieser Art von Karzinomen. Außerdem gibt es einen Zusammenhang zwischen Krebsrisiko und Hochdruck an sich“. (Hypertension 59: 802, 2012).“
Welche Alternativen zu HCT gibt es?
Neben Hydrochlorothiazid sind auf dem Markt andere Diuretika verfügbar, die eine mindestens gleich gute Wirksamkeit aufweisen. Prof. Dr. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum Leipzig warnt allerdings vor einem voreiligen Wechsel der Präparate: „Die von den aktuellen Leitlinien empfohlenen Kombipräparate aus beispielsweise AT1-Rezeptorantagonisten und Diuretika enthalten fast immer HCT. Von den kombinierten Präparaten zu Einzelpräparaten zu wechseln, sollte aber nur wenigen Patienten geraten werden, weil Kombipräparate nachweislich die Therapietreue der Patienten erhöhen und somit für eine deutlich effektivere Senkung des Blutdrucks sorgen.“
Laut Mahfoud sei bei einem Patienten mit einer Hautkrebsvorerkrankung oder auch einem Auftreten von Hautkrebs ein Wechsel zu alternativen Wirkstoffen ohne Frage angeraten.
Was können Patienten zur Verringerung des Hautkrebsrisikos tun?
Patienten, die den Wirkstoff HCT einnehmen, sollten ihre Haut auf Veränderungen insbesondere an bestehenden Läsionen untersuchen und gegebenenfalls ein Hautkrebs-Screening bei einem Facharzt vornehmen lassen. Präventiv sollten sie außerdem einen angemessenen Sonnenschutz verwenden und eine übermäßige Exposition gegenüber Sonnenlicht und UV-Strahlen vermeiden.
Vor allem aber sollten Blutdruckmedikamente weiterhin gemäß dem Behandlungsplan eingenommen werden. „Eine Verunsicherung der Patienten ist nachvollziehbar“, so Böhm. „Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass ein unbehandelter und unkontrollierter Bluthochdruck lebensbedrohliche Konsequenzen haben kann.“
Literatur
Pressemitteilung der DGK vom 31.10.2018: „Erhöhtes Hautkrebs-Risiko bei Blutdruck-Therapie mit HCT: Absetzen der Medikamente kann lebensbedrohlich sein. Information für Patienten.“ https://dgk.org/presse/. Zugriff am 31.10.2018.
Rote-Hand-Brief zu Hydrochlorothiazid: Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs (Basalzellkarzinom; Plattenepithelkarzinom der Haut) https://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/20181017.pdf. Zugriff am 1.11.2018.
Pedersen et al., Hydrochlorothiazide use and risk of nonmelanoma skin cancer: A nationwide case-control study from Denmark. J Am Acad Dermatol 2018;78:673-681. https://www.jaad.org/article/S0190-9622(17)32741-X/fulltext. Zugriff am 31.10.2018.
Pottegard A, Hallas J, Olesen M, Svendsen MT, Habel LA, Friedman GD, Friis S. Hydrochlorothiazide use is strongly associated with risk of lip cancer. J Intern Med 2017; 282: 322–331. http://findresearcher.sdu.dk/portal/files/128961683/Potteg_rd_et_al_2017_Journal_of_Internal_Medicine.pdf, Zugriff am 1.11.2018.