Bruxismus kann zwar im Organismus eine Schutzfunktion ausüben. Im Kauorgan kann er aber auch ein erheblicher Risikofaktor für das Entstehen nicht kariöser Zahnhartsubstanzverluste und von Schäden an Restaurationen und an anderen biologischen Geweben sein. Um klinisch relevanten Bruxismus möglichst frühzeitig zu erkennen, hat eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) daher den Bruxismus-Screening-Index (BSI) entwickelt. Der nachfolgende Beitrag stellt den BSI vor und erläutert den Hintergrund.
Die neue AWMF-Leitlinie (S3) „Diagnostik und Behandlung von Bruxismus“ (AWMF-Registernummer 083-027) stellt gleich zu Anfang fest, dass Bruxismus zu erheblichen nicht kariösen Zahnhartsubstanzverlusten führen kann [1]. Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko für den Verlust von Restaurationsmaterialien, weswegen Bruxismus ein Risiko für technisches und biologisches Versagen von Zahnersatz darstellt [2–4]. Bei Patienten mit Bruxismus besteht eine höhere Prävalenz von Symptomen einer Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) – wie Schmerzen in der Kaumuskulatur oder den Kiefergelenken, Kopfschmerzen und Muskelverspannung [5].
CMD und Bruxismus sind zwei Entitäten
Allein diese Einleitung stellt klar, dass Bruxismus und CMD keine Synonyme sind, sondern zwei nebeneinander bestehende Entitäten, die häufig gleichzeitig vorkommen. Diese Aussage ist bemerkenswert, denn in der Vergangenheit wurde Bruxismus vielfach als Teil der CMD angesehen oder die Begriffe wurden synonym verwandt. Ein wesentliches Ergebnis der neuen Bruxismus-Leitlinie ist daher die Abgrenzung beider Entitäten.
In der Praxis hat dies Folgen für die Diagnostik und Therapie, aber auch für die Patientenaufklärung: So kommt es durchaus vor, dass es mit einer strukturierten Funktionstherapie gelingt, die Symptome einer Craniomandibulären Dysfunktion erfolgreich zu beseitigen, während der Bruxismus fortbesteht. In dem Fall sind die Schmerzen und/oder Dysfunktionen der CMD beseitigt, aber das erhöhte Risiko für die Zahnhartsubstanzen und Restaurationen als Folge des Bruxismus besteht fort und legt entsprechende Maßnahmen nahe.
Diagnostik des Bruxismus und der CMD
Die Leitlinie Bruxismus führt aus, dass in Abhängigkeit von der diagnostischen Herangehensweise drei Wahrscheinlichkeitsgrade für das Vorhandensein von Bruxismus vorliegen:
• möglicher Bruxismus
• wahrscheinlicher Bruxismus
• definitiver Bruxismus.
Letzterer wird nur mittels instrumenteller Untersuchung festgestellt, Schlafbruxismus zum Beispiel anhand polysomnografischer Untersuchungen während mehrerer Nächte in einem Schlaflabor. Der Leitlinie zufolge ist dieser Aufwand in der Praxis zu hoch und sollte allein wissenschaftlichen Untersuchungen vorbehalten bleiben [1].
Inhalte des Bruxismus-Screenings
Zur orientierenden Untersuchung in der Zahnarztpraxis, ob ein möglicher oder wahrscheinlicher Bruxismus vorliegt, hat eine Arbeitsgruppe der DGFDT daher den Bruxismus-Screening-Index entwickelt, abgekürzt „BSI“ – in Analogie zum „Periodontal Screening Index (PSI)“. Dieser kurze Screening-Test besteht aus insgesamt vier anamnestischen Fragen und drei Befunden.
Die vier Anamnesen betreffen folgende Inhalte:
• Selbstauskunft der Patienten oder Bericht ihrer Angehörigen über Knirschen oder Klappern mit den Zähnen
• Hinweise zu Beschwerden der Kaumuskulatur wie Missempfindungen, Schmerzen, Ermüdungen/vorübergehende Steifigkeit.
• Vorübergehende Schläfenkopfschmerzen
• Empfindliche Zähne.
Vorliegende Untersuchungen zur ersten Frage konnten zeigen, dass damit allein keine hinreichende Erfassung der tatsächlich von Bruxismus betroffenen Patientengruppe erreicht wird; sie wird daher auch geringer bewertet (siehe unten).
Die Befunde umfassen folgenden Symptome:
• Masseterhypertrophie
• Kongruente Schlifffacetten in exzentrischer Okklusion
• Zungen- und Wangenimpressionen von Zähnen
Alle diese Befunde sind hinlänglich mit dem Bruxismus assoziiert worden.
Auswertung als Bruxismus-Screening-Index (BSI)
Die Selbstauskunft der Patienten oder Berichte ihrer Angehörigen über Knirschen oder Klappern mit den Zähnen werden nur mit einem Punkt bewertet. Alle übrigen Angaben oder Befunde werden mit zwei Punkten bewertet.
• Im Ergebnis signalisiert ein Punktwert von 1 einen möglichen Bruxismus.
• Ein Punktwert von 2 oder mehr signalisiert einen wahrscheinlichen Bruxismus.
Dokumentation des BSI in der Praxis
Für alle (zahn)ärztlichen Behandlungen gilt nach Paragraf 12 der Musterberufsordnung die Dokumentationspflicht. Hinsichtlich deren Umsetzung gibt das rechtskräftige Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München (Az.:3 U 5039/13 vom 18. Januar 2017) zum CMD-Screening vor restaurativen Behandlungen eine klare Richtschnur. Das Gericht hatte in seiner Urteilsbegründung festgelegt, dass zum einen die Durchführung eines CMD-Screenings heute Fachstandard sei und dass die Dokumentation nicht allein die Durchführung der Untersuchung, sondern auch die Befunde enthalten müsse.
Um diese Dokumentation zu vereinfachen hat eine Arbeitsgruppe der DGFDT mit den Autoren Lange, Ahlers, Mentler, Ottl, Peroz und Wolowski den Befundbogen „Bruxismus-Screening-Index (BSI)“ entwickelt. Die DGFDT hat diesen auf ihrer Website veröffentlicht (Abb. 1 a-b). Der Befundbogen enthält auf der Vorderseite die Anamnesen und Befunde sowie Kästchen zur Dokumentation. In die Kästchen trägt der Zahnarzt oder die Zahnärztin die Punktwerte ein. Die Rückseite enthält Hinweise zum Erheben der Anamnese und der Befunde.
Der Download des Befundbogens als PDF-Datei ist nicht allein DGFDT-Mitgliedern vorbehalten, sondern steht allen Zahnarztpraxen offen; das Urheberrecht bleibt bei den Autoren Lange/Ahlers/Mentler/Ottl/Peroz/Wolowski (2019).
Anbieter von Praxisverwaltungssoftware dürfen den BSI in ihre Systeme übernehmen. Dies ist in Dampsoft DS-Win Plus und im CMDfact-Modul CMDbrux bereits umgesetzt.
Konsequenzen des BSI-Ergebnisses
Da es eine kausale Therapie für den primären Bruxismus nicht gibt, ist die vorrangige Aufgabe des Zahnarztes die Früherkennung und Prävention vor Folgeschäden. Um das Knirschmuster bei Schlafbruxismus zu erkennen, können eingefärbte dünne Indikatorschienen eingesetzt werden [1]. Eine andere Möglichkeit sind Biofeedback-Schienen mit eingebauten Resistoren, die die Intensität des Bruxismus-Geschehens softwaregestützt aufzeichnen und durch aktivitätsabhängige Signale modulieren können.
Therapeutisch besteht die Möglichkeit, mittels verschiedener Maßnahmen die Patienten zu sensibilisieren, Folgen des Bruxismus zu vermeiden oder zumindest kurzfristig die Intensität des Bruxismus zu beeinflussen – mittels Beratung, Aufklärung und Selbstbeobachtung, mit Okklusionsschienen und anderen Aufbissbehelfen als reversiblen okklusalen Maßnahmen, per pharmakologischer Therapie, durch Veranlassung psychotherapeutischer Verfahren, durch Verordnung von Physiotherapie und physikalische Maßnahmen sowie durch Biofeedback. Die Bruxismus-Leitlinie fasst für die verschiedenen Maßnahmen im Abschnitt 7 auf 50 Seiten den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Publikationen in Zeitschriftenartikeln zusammen[1].
Bei „wahrscheinlichem Bruxismus“ ist zudem das Risiko erhöht, dass die mit Bruxismus einhergehenden Risiken sich manifestiert haben. Um dies zu überprüfen, sollte zumindest ein CMD-Screening stattfinden, oder eine Kontrolle des Funktionszustands mittels klinischer Funktionsanalyse. Die Überprüfung, ob sich bereits ein erhöhter Zahnverschleiß entwickelt hat, ermöglicht ein Zahnverschleiß-Screening. Mehr zu dieser Untersuchungstechnik folgen in einem weiteren Beitrag.
Liquidation als Analogleistung
Praxen müssen auch (über-)leben. Daher ist bei neuen Leistungen auch die Abrechnung ein wichtiger Punkt. Zum Glück ist dieser bereits mit der Einführung des BSI geklärt: So erläutert Alexander Raff in der Ausgabe 3/2020 des Journal of Craniomandibular Function (CMF) ausführlich, dass es sich beim BSI um ein neues, diagnostisches Verfahren handelt, das auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt wurde und das nicht Bestandteil einer anderen Leistung ist. Die Erhebung und Auswertung des BSI ist daher eine neue selbstständige Leistung. Genau für solche Fälle sieht die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) in Paragraf 6 (1) die Berechnung im Wege der Analogabrechnung vor.
Eine geeignete Entsprechungsleistung sollte nach den Bestimmungen der GOZ eine diagnostische Leistung sein, die vom Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand her vergleichbar ist. Der Autor schreibt hierzu: „Beispielsweise erscheint eine Orientierung an der Bewertungsrelation zwischen den GOZ-Nrn. 4000 und 4005 (die GOZ-Nr. 4005 hat die Hälfte der Punktzahl der GOZ-Nr. 4000) naheliegend. Ein erhöhter Steigerungssatz oder eine abweichende Bewertung können erforderlich sein, wenn der Aufwand im Einzelfall deutlich abweicht, so zum Beispiel durch notwendige Wiederholung von Befunden mit unklarer Ausprägung oder bei der Notwendigkeit ausführlicher Beantwortung umfangreicher Rückfragen des Patienten zu Einzelbefunden.“[6]
Die „Zeitschrift für Kraniomandibuläre Funktion“ (CMF) der Quintessenz Verlags-GmbH berichtet bilingual in Deutsch und Englisch über neue Entwicklungen in Klinik und Forschung. Sie nimmt aktuelle Original- und Übersichtsarbeiten, klinische Fallberichte, interessante Studienergebnisse, Tipps für die Praxis, Tagungsberichte sowie Berichte aus der praktischen Arbeit aus der gesamten Funktionsdiagnostik und -therapie auf. Vierteljährlich informiert sie über Neuigkeiten aus den Fachgesellschaften und bringt aktuelle Kongressinformationen und Buchbesprechungen.
Die Ausgabe 3/2020 widmet sich dem Schwerpunkt „Okklusion“, unter anderem der Begriffsdefinition und der Okklusionsanalyse mit dem T-Scan-III-System . Sie enthält zudem neben dem Beitrag von Alexander Raff zur Abrechnung des BSI einen Beitrag von Ahlers und Wetselaar zur „Diagnostik von Zahnverschleiß nach dem Tooth Wear Evaluation System“. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
Ausblick
Bruxismus ist ein Mysterium, weil er für den Organismus hilfreiche Funktionen mit destruktiven Folgen vereint. Letztere stehen aus zahnärztlicher Sicht im Vordergrund. Der neue Bruxismus-Screening-Index (BSI) ermöglicht erstmals die Erfassung in der Praxis und schafft damit die Grundlage für strukturiertes Handeln. Einer der Schwerpunkte der Forschung – auch der Hamburger Arbeitsgruppe – liegt in der Erfassung der Bruxismusfolge Zahnverschleiß. Mehr dazu in einem weiteren Beitrag dieser Reihe.
PD Dr. Oliver M. Ahlers, Hamburg
Dr. Matthias Lange (Berlin)
Dr. Christian Mentler (Dortmund)
Prof. Dr. Peter Ottl (Rostock)
Prof. Dr. Ingrid Peroz (Berlin)
PD Dr. Anne Wolowski (Münster)
PD Dr. Oliver Ahlers, Hamburg, studierte von1982 bis 1988 Zahnmedizin in Hamburg und schloss das Studium mit Staatsexamen und Approbation ab. Ab 1989 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Poliklinik für Zahnerhaltung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKA), später Oberarzt und stellvertretender Direktor der Poliklinik, 1992 erfolge die Promotion. Seine Arbeitsgebiete sind die Zahnärztliche Funktionsdiagnostik und -therapie sowie funktionelle und ästhetische Restaurationen.
Seit 1992 leitet Ahlers den Arbeitskreis CMD und chronische Schmerzen der Zahnärztekammer Hamburg, im selben Jahr übernahm er auch die Leitung der Dysfunktions-Sprechstunde der ZMK-Klinik (zusammen mit Dr. Jakstat). Seit 2001 ist er Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und –therapie (DGFDT).
Nach seiner Habilitation im Jahr 2004 gründete er 2005 das CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf, dessen ärztliche Leitung er innehat und das 2010 als erste postgraduierte Ausbildungsstätte für „Spezialisten für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT)“ zertifiziert wurde. 2005 wurde er zum Spezialisten für Funktionsdiagnostik und -therapie der DGFDT ernannt, seit 2008 ist er Mitglied der Redaktion des zweisprachigen „Journals of CranioMandibular Function (CMF)“. Seit 2016 ist Ahlers auch Vorsitzender des Fortbildungausschusses der Zahnärztekammer Hamburg.
Ahlers ist vielfach mit wissenschaftlichen Preisen ausgezeichnet, so mit Tagungsbestpreisen der DGFDT in den Jahren 1996, 2001, 2008, 2009, 2011, 2016 und 2018 sowie mit dem Alex-Motsch-Preis der DGFDT für die beste wissenschaftliche Publikation des Jahres im Journal for Craniomandibular Function (CMF) in den Jahren 2015, 2016, 2017 umd 2018. Von ihm liegen zahlreiche Zeitschriftenpublikationen und mehrere Lehrbücher vor. Er ist zudem in der Entwicklung von Software für die zahnärztliche Funktionsanalyse sowie zahlreicher Medizinprodukte aktiv.
(Foto: Reetz)
Literatur
[1] Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) A, Peroz I, Bernhardt O, Kares K, Korn H-J, Kropp, et al. S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung von Bruxismus, AWMF-Registernummer 083-027. Düsseldorf: AWMF Arbeitsgemeinschaft medizinisch wissenschaftlicher Fachgesellschaften; 2019.
[2] Ekfeldt A, Karlsson S. Changes of masticatory movement characteristics after prosthodontic rehabilitation of individuals with extensive tooth wear. The International journal of prosthodontics. 1996;9(6):539-46.
[3] Johansson A, Omar R, Carlsson GE. Bruxism and prosthetic treatment: a critical review. J Prosthodont Res. 2011;55(3):127-36.
[4] Manfredini D, Bucci MB, Sabattini VB, Lobbezoo F. Bruxism: overview of current knowledge and suggestions for dental implants planning. Cranio. 2011;29(4):304-12.
[5] Jimenez-Silva A, Pena-Duran C, Tobar-Reyes J, Frugone-Zambra R. Sleep and awake bruxism in adults and its relationship with temporomandibular disorders: A systematic review from 2003 to 2014. Acta odontologica Scandinavica. 2017;75(1):36-58.
[6] Raff A. Abrechnung des neuen Bruxismus-Screening-Index der DGFDT (Billing for the DGFDT Bruxism Screening Index). Journal of Craniomandibular Function. 2020;12(3):273-279.