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Die apikale Mikrochirurgie unterscheidet sich von der traditionellen Wurzelspitzenresektion im Wesentlichen durch die Nutzung des Dentalmikroskops sowie die Verwendung speziell für diesen Zweck entwickelter mikrochirurgischer Instrumente und biologischer Füllwerkstoffe. Auf diese Weise wird es möglich, komplexe anatomische Strukturen minimalinvasiv zu behandeln, wodurch eine deutlich verbesserte Langzeitprognose und eine komplikationslose Ausheilung erreicht werden können. Mit der Weiterentwicklung der digitalen Volumentomografie und dem einhergehenden Einzug dieser Technologie in die endodontische Diagnostik schließen sich weitere Lücken sowohl in der präoperativen Röntgendiagnostik als auch in der Planung des chirurgischen Eingriffs. Der vorliegende Fallbericht von Autor Tom Schloss für die Endodontie 01/2023 beschreibt die Behandlung eines Oberkiefermolaren, bei dessen endodontischer Primärbehandlung aufgetretene Probleme eine Revisionsbehandlung und zusätzlich eine mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion notwendig machten.
Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Die Wurzelspitzenresektion ist insbesondere dann indiziert, wenn eine apikale Parodontitis nach einer endodontischen Revisionsbehandlung, in Einzelfällen aber auch nach einer Primärbehandlung symptomatisch bleibt oder nach entsprechender Verlaufskontrolle keine Ausheilungstendenz nach entsprechendem Kontrollzeitraum zeigt. Zu den möglichen Ursachen gehören persistierende oder refraktäre Infektionen des Wurzelkanalsystems, vor allem nach iatrogener Veränderung der Wurzelkanalanatomie, oder wenn Mikroorganismen und deren Toxine, die sich in der apikalen Region befinden, nicht durch die endodontischen Deinfektionsmaßnahmen erreicht werden können. Weitere mögliche, aber seltenere Gründe sind extraradikuläre Infektionen, zum Beispiel in Form von bakteriellem Biofilm auf der Wurzeloberfläche, oder Mikroorganismen, welche in der Läsion selbst enthalten sind. Zu den iatrogenen Veränderungen der Wurzelkanalanatomie gehören Kanalverlagerungen, Stufenbildungen, Blockaden, Perforationen und Stripperforationen. Auch Instrumentenfrakturen können eine vollständige Instrumentierung und Desinfektion des Kanalsystems verhindern.
Viele Jahre galt die traditionelle Wurzelspitzenresektion ohne Verwendung von Vergrößerungshilfen, mit Rosenbohrern zur retrograden Präparation und Silberamalgam als retrogradem Füllmaterial als Standardverfahren und ist auch heute noch weit verbreitet. Modernere Verfahren nutzen abgewinkelte Ultraschallspitzen und biokompatiblere Füllmaterialien wie SuperEBA (Bosworth), Mineral-Trioxid-Aggregat (MTA; Pro Root MTA, Dentsply Sirona), einen hydraulischen Silikatzement und seit Neuerem sogenannte Biokeramiken (zum Beispiel TotalFill BC Putty, FKG Dentaire oder American Dental Systems oder EndoSequence Henry Schein)1,2.
Die Anwendung des Dentalmikroskops, in der Endodontie mittlerweile etabliert, hat sich längst auch als wichtiges Hilfsmittel in der endodontischen Mikrochirurgie bewährt, was sich aber in der breiten Anwendung in der Praxis leider bislang nicht ausreichend widerspiegelt. Zahlreiche Studien belegen, dass sich mit mikrochirurgischen Techniken deutlich höhere Erfolgsraten (94 Prozent) als mit traditionellen Verfahren (59 Prozent) erzielen lassen3,4. Da die meisten apikalen Parodontitiden endodontisch vorbehandelter Zähne durch Revisionsbehandlungen sehr gut therapierbar sind, hat die endodontische Chirurgie trotz hoher Erfolgsraten eine begrenzte Indikationsstellung.
In der präoperativen Diagnostik, aber auch zur Beurteilung des Erfolgs einer endodontischen Behandlung werden neben einer klinischen Untersuchung und der Präsenz oder Absenz von Symptomen standardmäßig Röntgenbilder herangezogen. In zahlreichen Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte wurden die Limitationen des konventionellen Röntgens deutlich5–7. Komplexe dreidimensionale anatomische Strukturen werden in einer zweidimensionalen Aufnahme aufsummiert; hinzu kommen geometrische Distorsionen, die durch den Aufnahmewinkel sowie durch divergierende Achsen mehrwurzliger Zähne entstehen. Die Wurzeln im Molaren- und Prämolarenbereich können von der Nasen- und Kieferhöhle, vom Mandibularkanal, von Läsionen, von knöchernen Strukturen und voneinander überlagert werden. Das kann dazu führen, dass komplexe anatomische Strukturen der Zahnwurzeln sich kaum diagnostizieren lassen und vorhandene Läsionen in ihrer Größe unterschätzt, nicht präzise den einzelnen Wurzeln zugeordnet oder gar übersehen werden, wie es auch bei Resorptionen häufig der Fall ist. Dieser Sachverhalt zeigte sich in einigen Untersuchungen, in denen ein Vergleich zwischen Röntgenbild und digitaler Volumentomografie (DVT) gezogen wurde. Deshalb werden Forderungen laut, die digitale Volumentomografie in der präoperativen Diagnostik und zur Behandlungsplanung mikrochirurgischer Eingriffe in der Molaren- und Prämolarenregion einzusetzen8. Ebenso kann die digitale Volumentomografie dazu dienen, im Einzelfall den Erfolg der apikalen Chirurgie zu bewerten2,9. Die deutlich bessere diagnostische Aussagekraft der DVT ist jedoch mit einer höheren Strahlenexposition verbunden, sodass der Einsatz dieses Verfahrens im Hinblick auf die rechtfertigende Indikation besonders kritisch betrachtet werden sollte10.
Falldarstellung
Allgemeinmedizinische Anamnese
Der 47-jährige Patient präsentierte sich in einem guten allgemeinmedizinischen Zustand ohne Vorerkrankungen.
Zahnärztliche Anamnese
Im Folgenden werden nur Angaben zum behandelten Zahn 26 und den benachbarten Strukturen vorgestellt.
Der Patient berichtete bei der Erstuntersuchung am 31. Oktober 2012, dass bereits drei Monate zuvor aufgrund anhaltender Schmerzsymptomatik, insbesondere heftiger Aufbissbeschwerden, von seinem Zahnarzt die Revisionsbehandlung an Zahn 26 eingeleitet worden war. Es hatten bereits etwa fünf Behandlungssitzungen stattgefunden. In diesem Zeitraum bekam er zweimal Clindamycin 600 mg/ 3 x täglich für jeweils zehn Tage verordnet. Danach wechselte der Patient schließlich den Zahnarzt. Nach Informationen des überweisenden Hauszahnarztes kam es bei dem Versuch einer Instrumentenfragmententfernung aus der distobukkalen Wurzel zu einer Perforation im apikalen Wurzeldrittel mit einer Blutung aus dem Wurzelkanal, woraufhin der Behandlungsversuch abgebrochen, eine medikamentöse Einlage aus Ledermix eingebracht und ein provisorischer Verschluss mit Cavit appliziert wurden. Im mesiobukkalen Wurzelkanal konnte der Apex ebenfalls nicht erreicht werden. Auf die Behandlung der palatinalen Wurzel habe man daraufhin ganz verzichtet und den Fall an unsere Praxis überwiesen. Die endodontische Primärbehandlung des Zahnes 26 hatte rund zehn Jahre zuvor anderenorts stattgefunden.
Klinischer Ausgangsbefund
Der extraorale Befund war ohne klinische Besonderheiten. Ebenso war der parodontale Befund unauffällig, ohne erhöhte Sondierungstiefen und mit einem negativen BOP-Index im gesamten zweiten Quadranten. Die Palpation des Vestibulums war schmerzhaft in der apikalen Region des Zahnes 26. Der Zahn reagierte deutlich schmerzhaft auf den Perkussionstest und war aufbissempfindlich. Die Nachbarzähne reagierten normal positiv auf den Sensibilitätstest mit Kälte und stellten sich auch ansonsten klinisch unauffällig dar. Der Zahn 26 war mit einer vollkeramischen Teilkrone versorgt, deren Okklusalfläche eine alio loco mit Cavit verschlossene Trepanationsöffnung erkennen ließ.
Abb. 1a Röntgenaufnahme von Zahn 26 zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung (31.10.2012): Anatomische Strukturen werden überlagert dargestellt.
Abb. 1b Screenshot der präoperativen DVT-Aufnahme von Zahn 26: In der sagittalen Schnittebene sind die Kanalverlagerung, das Instrumentenfragment und die periapikale Läsion an der distobukkalen Wurzel deutlich zu erkennen. Ebenso ist die Kanalverlagerung in MB1 sichtbar. In der koronalen Schnittebene wird deutlich, dass ein zweiter mesiobukkaler Kanal vorhanden ist. Die signifikant erhöhte Dimension der Schneider’schen Membran weist auf eine Sinusitis maxillaris hin.
Radiologischer Ausgangsbefund
Der Patient hatte keine Röntgenaufnahmen vorgelegt, sodass nach abgeschlossener klinischer Untersuchung eine digitale Einzelzahnaufnahme angefertigt wurde (Abb. 1a). Koronal war eine vollkeramische Restauration zu erkennen, die mit einem röntgenopaken Zement oder Komposit eingegliedert war. Die Pulpakammer war frei von röntgensichtbarem Material. Im apikalen Drittel des distobukkalen Wurzelkanals stellte sich ein vier Millimeter langes Instrumentenfragment dar, allem Anschein nach eine abgebrochene Hedströmfeile. Zusätzlich waren die Konturen des verlagerten Wurzelkanals sichtbar, der im apikalen Drittel distal des Fragments im Periapex endete. In der mesiobukkalen Wurzel zeigte sich eine unvollständig entfernte Wurzelkanalfüllung mit einer deutlichen Unterbrechung im mittleren Wurzeldrittel, die ebenfalls den Verdacht einer Kanalverlagerung nahelegte. Die palatinale Wurzel enthielt eine relativ homogene Wurzelfüllung, die bis in das apikale Drittel reichte.
Aufgrund der Limitationen der konventionellen Einzelzahnaufnahme und der komplexen Ausgangssituation wurde eine kleinvolumige DVT angefertigt (Veraviewepocs3De, Morita) (Abb. 1b). Auf der DVT bestätigten sich die Perforation im distobukkalen Wurzelkanal, die Präsenz eines MB2 mit einem eigenständigen Kanalverlauf in Relation zum MB1 und ein relativ weit offener Apex im palatinalen Wurzelkanal. An allen drei Wurzeln imponierten ausgedehnte periapikale Läsionen mit Lokalisation in enger Relation zur Nebenhöhle. Die angrenzende Schneider’sche Membran war in ihrer Dimension deutlich vergrößert, sodass eine dentogene Sinusitis vermutet wurde11,12.
Diagnosen
Die Diagnosen basierten auf folgenden Befunden: Zustand nach alio loco eingeleiteter endodontischer Revisionsbehandlung, insuffiziente Wurzelkanalfüllung, Instrumentenfragment sowie Verlagerung und Verdacht auf Perforation im apikalen Drittel der distobukkalen Wurzel, Verlagerung des MB1-Kanalverlaufs und ein nicht aufgefundener MB2 sowie offener Apex an der palatinalen Wurzel. Die apikalen Befunde lauteten auf akute apikale Parodontitis und dentogene Sinusitis.
Behandlungsplanung
Es wurde eine zweizeitige Revisionsbehandlung geplant, mit dem Versuch der Fragmententfernung und einer Perforationsdeckung. Nach dem abgeschlossenen orthograden Behandlungsversuch sollte eine mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion der bukkalen Wurzeln durchgeführt werden.
Orthograde endodontische Revisionsbehandlung
Nach lokaler Anästhesie und Isolierung mit Kofferdam wurden der provisorische Verschluss, Karies, Reste von Füllungswerkstoffen im Bereich der Zugangskavität sowie eine teilweise vorhandene medikamentöse Einlage entfernt und vier Wurzelkanaleingänge dargestellt. Die vorhandene Guttapercha wurde unter Verwendung von Orange Solvent ( Dr. Schumacher) angelöst und mit einem „WaveOne Primary“-Instrument (Dentsply Maillefer) in Crown-Down-Technik schrittweise entfernt. Anschließend wurden das Spülprotokoll mit 3-prozentigem Natriumhypochlorit, alternierend mit 20-prozentiger EDTA-Lösung, und eine Aktivierung mit Ultraschall (IRRI-Safe, Satelec Acteon) eingeleitet. Unter endometrischer Längenkontrolle (RootZX, Morita) wurde mit K-Feilen der Größen ISO 08 und 10 die apikale Durchgängigkeit („patency“) im MB2 und im palatinalen Kanal überprüft beziehungsweise hergestellt sowie im Bereich der kleinflächigen Perforation des disto-bukkalen Wurzelkanals eine Längenbestimmung durchgeführt. Der MB1 erschien verlagert und es konnte keine elektronische Längenmessung er-folgen, da eine apikale Durchgängigkeit einer weiteren Perforation gleichgekommen wäre. An MB2 wurde mit Pathfiles (Dentsply Maillefer) maschinell ein Gleitpfad erstellt und in sämtlichen Kanälen mit ProTaper--Instrumenten (Dentsply Maillefer) eine rotierende Instrumentierung durchgeführt, gefolgt von einer finalen Instrumentierung mit LightSpeed-Instrumenten (LightSpeed Endodontics) bis zur Größe 90 im palatinalen Wurzelkanal, der einen relativ weit offenen Apex zeigte. Nach intensiver ultraschallaktivierter Desinfektion wurde der Zahn mit einer Kalziumhydroxideinlage versorgt und mit Cavit und einem Flowable-Komposit verschlossen.
Zwei Wochen später folgte die zweite Sitzung, die für den Abschluss der orthograden Behandlung vorgesehen war. Der Zahn war nach wie vor symptomatisch, sodass bereits jetzt die endgültige Entscheidung für eine zusätzliche mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion getroffen wurde. Nach lokaler Anästhesie und Isolierung mit Kofferdam wurden der provisorische Verschluss entfernt, das Spülprotokoll wiederholt, die medikamentöse Einlage vollständig entfernt und mithilfe elektronischer Längenmessung die Werte der vorangegangenen Sitzung überprüft. Zur Vorbereitung der Wurzelfüllung wurde eine Mastercone Aufnahme angefertigt. Im palatinalen Wurzelkanal wurde wegen des großen Kanallumens und der weiten apikalen Öffnung eine Füllung mit MTA bevorzugt. Hierfür wurden mithilfe eines Dovgan Carriers entsprechender Dimension sukzessive Portionen von MTA so tief wie möglich in den Wurzelkanal appliziert und anschließend mit Nickel Titan-Pluggern apikalwärts transportiert. Anschließend erfolgten in MB1, MB2 und DB eine thermoplastische Wurzelkanalfüllung und ein adhäsiver Kompositaufbau (Tetric flow und Tetric EvoCeram, Ivoclar Vivadent). Eine unmittelbar nach Abschluss angefertigte Röntgenkontrollaufnahme (Abb. 2) sowie die präoperative DVT wurden eingehend mit dem Patienten besprochen und es wurde erneut auf die Notwendigkeit einer zusätzlichen apikalchirurgischen Behandlung der bukkalen Wurzeln hingewiesen. Es wurden noch einmal unter anhaltender lokaler Anästhesie minutiös die Sondierungstiefen überprüft, um eine Paro-Endo-Läsion auszuschließen13. Der Patient erklärte sich willens und bereit und es wurden die einzelnen Behandlungsschritte der OP sowie allgemeine und spezielle Risiken anhand eines Aufklärungsbogens („Wurzelspitzenresektion [MKG 3]“, Thieme Compliance,) im Beisein einer Mitarbeiterin (ZMF) besprochen. Der individualisierte Bogen wurde dem Patienten mitgegeben und es wurde um eine schriftliche Einverständniserklärung und Rücksendung an die Praxis gebeten.
Mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion
Anästhesie
Der Patient wurde noch einmal eingehend über Verhaltensregeln nach der OP instruiert und es wurden als Prämedikation 600 mg Ibuprofen sowie 2.000 mg Amoxicillin verabreicht. Das Lokalanästhetikum (Articain mit Adrenalinzusatz 1:100.000; Ultracain D-S forte, Sanofi-Aventis) wurde in der keratinisierten Gingiva an mehreren Stellen um das Operationsfeld herum infiltriert und eine Einwirkzeit von 20 Minuten abgewartet, um eine ausreichende Hämostase zu erreichen.14
Präparation des Lappens
Das Design des Mukoperiostlappens wurde mit einer sulkulären Schnittführung, beginnend distal von Zahn 17 bis mesial von Zahn 16, gefolgt von einer girlandenförmigen paramarginalen Schnittführung entlang des Zahns 15, geführt und mit einer vertikalen paramedianen Entlastungsinzision mesial von Zahn 15 abgeschlossen15. Nach der Präparation des Lappens, bei der darauf geachtet wurde, das Periost möglichst intakt vom Knochen zu lösen, wurde die bukkale Knochenwand mit dem Dentalmikroskop untersucht. Eine Fenestration der bukkalen Kortikalis durch die Läsion wurde nicht beobachtet.
Osteotomie: Darstellung der apikalen Läsion und der Wurzelspitze
Die aus der DVT gewonnenen Erkenntnisse wurden nun zur Präparation der initialen Osteotomie genutzt, um diese möglichst zielgerichtet und klein zu halten. Nach Darstellung der mesiobukkalen und distobukkalen Wurzelspitzen mit einem Rundbohrer (ø 2 mm) wurden diese um ca. 3 mm in einem Winkel von ca. 0 bis 10 Grad, also relativ senkrecht zur Längsachse der Wurzel, mit einer Lindemann Fräse ( Hager & Meisinger) reseziert. Im Zuge der Resektion wurde das erreichbare pathologisch veränderte gefäßreiche Weichgewebe kürettiert, um eine zunehmende Blutstillung und bessere Übersicht zu erreichen. Am Apex der distobukkalen Wurzel wurde das Instrumentenfragment dargestellt und entfernt (Abb. 3a). Nach ausreichender Hämostase mithilfe adrenalingetränkter Pellets und einer kleinflächigen Applikation von 20-prozentigem Eisensulfat-Gel (Viscostat, Ultradent) wurde die glattgeschliffene Resektionsfläche mit Methylenblau (1–2 Prozent) eingefärbt, gespült und unter hoher Vergrößerung (ca. 20 x) mit einem Mikrospiegel (American Dental Systems) untersucht (Abb. 3b)14,16. Die vollständige Resektion wurde überprüft und an der mesiobukkalen Resektionsfläche wurden die Querschnitte zweier mit einem Isthmus verbundener Wurzelkanäle lokalisiert. An der distobukkalen Resektionsfläche waren sowohl der ursprüngliche Kanalverlauf als auch die Kanalverlagerung zu erkennen.
Abb. 2 Röntgenkontrollaufnahme nach abgeschlossener Revisionsbehandlung an Zahn 26 (06.11.2012).
Abb. 3a Initiale Osteotomie an der distobukkalen Wurzel mit dargestelltem Instrumentenfragment.
Abb. 3b Resektionsfläche der distobukkalen Wurzel an Zahn 26 unter ca. 20-facher Vergrößerung. Deutlich sind der ursprüngliche Kanalverlauf und die Transportation zu erkennen (29.11.2012).
Abb. 3c Retrograde Kavität an der mesiobukkalen Wurzel nach achsgerechter Instrumentierung mit Ultraschallspitzen unter Einbeziehung beider Kanäle und eines Isthmus.
Abb. 3d Schnittführung des Mukoperiostlappens und mikrochirurgische Nähte (6-0).
Retrograde Präparation und Wurzelkanalfüllung
Es wurde nun mit einem zirkoniumnitritbeschichteten und zur Wurzeltopografie und -krümmung der Wurzeln passenden Ultraschallinstrument (ProUltra, Dentsply) eine 3–4 mm tiefe, in der Achse der Wurzel gelegene und parallel zu den Wänden des Kanals orientierte retrograde Präparation durchgeführt (Abb. 3c). Der Isthmus sowie die Kanalverlagerung wurden in die Präparation einbezogen und bei hoher Vergrößerung (ca. 20 x) mit einem Mikrospiegel die korrekte Ausführung überprüft. Die retrograde Wurzelkanalfüllung erfolgte mit MTA (Dentsply Maillefer), um einen bakteriendichten Verschluss zu gewährleisten. MTA erscheint wegen seiner überlegenen Biokompatibilität1 als das Material der Wahl1,12. Einzelne Portionen wurden von einem MTA-Block mit einem geeigneten Mikrospatel entnommen, in die Retrokavität eingebracht und mit einem abgewinkelten Retroplugger (American Dental Systems) kondensiert. Auf einer intra operationem, vor der Nahtlegung erstellten Röntgenaufnahme wurde die Homogenität der retrograden Wurzelkanalfüllung überprüft. Das Operationsfeld wurde mit Küretten und einem in Kochsalzlösung getränkten Tupfer gereinigt und der Lappen reponiert. Der Wundverschluss erfolgte unter dem Mikroskop unter Verwendung zweier diamantbeschichteter Mikronadelhalter (Mamadent) mit 6-0 Nahtmaterial (Prolene, Ethicon) (Abb. 3d).
Postoperative Versorgung
Um postoperative Schwellungen und Schmerzen zu vermeiden, wurde Ibuprofen für die Dauer von zwei Tagen (Tagesdosis: 3 x 600 mg) verordnet. Auf die Gabe eines Antibiotikums wurde verzichtet17. Die Nähte konnten bereits nach vier Tagen entfernt werden.
Abb. 4 Röntgenkontrollaufnahme nach mikrochirurgischer Wurzelspitzenresektion der bukkalen Wurzeln an Zahn 26 (29.11.2012).
Abb. 5a Röntgenaufnahme zur Verlaufskontrolle 16 Monate nach apikaler Chirurgie (18.02.2014), b) und c) Screenshots der DVT-Aufnahme zur Verlaufskontrolle 16 Monate nach apikaler Chirurgie an Zahn 26 (18.03.2014)
Abb. 5b In der koronalen Schnittebene ist die knöcherne Ausheilung an der Resektionsfläche der distobukkalen Wurzel zu erkennen. Die Schneider’sche Membran weist nun eine physiologische Schichtstärke auf.
Abb. 5c In der koronalen Schnittebene ist die knöcherne Ausheilung an der Resektionsfläche der mesiobukkalen Wurzel zu erkennen. Die retrograde Wurzelkanalfüllung ist achsgerecht in beide Wurzelkanäle ca. 3 mm tief eingebracht, die durch einen Isthmus verbunden sind.
Verlaufskontrolle
Nach mikrochirurgischer Wurzelspitzenresektion der bukkalen Wurzeln erfolgte eine Röntgenkontrollaufnahme an Zahn 26 (Abb. 4). Einen Monat nach dem Eingriff wurde routinemäßig eine klinische Untersuchung durchgeführt. Dabei wurde ein günstiger Heilungsverlauf beobachtet, die Gingiva erschien reizlos und die Vernarbung im Bereich der Schnittführung minimal15.
Klinische und röntgenologische Kontrollen erfolgten nach 16 Monaten und nach 7,5 Jahren, zuletzt am 6. März 2020.
Bei der 16-Monatskontrolle wurde in Absprache mit dem mitbehandelnden HNO-Facharzt zusätzlich zur Einzelzahnaufnahme eine DVT-Aufnahme angefertigt, um die postoperative Heilung und insbesondere den Zustand der Nebenhöhle beurteilen zu können. Dabei wurde eine vollständige knöcherne Ausheilung im Bereich der vormaligen Resektionshöhlen unter Ausbildung einer bukkalen Kortikalis und einer Lamina dura mit normalem Parodontalspalt entlang der Resektionsfläche beobachtet. Anhand der DVT wurde ein vollständiger Rückgang der ursprünglich deutlich erhöhten Dimension (> 12 mm) der Schneider’schen Membran beobachtet (Abb. 5a bis c). Dies wurde als Ausheilung einer dentogenen Sinusitis interpretiert12.
Die 7,5-Jahreskontrolle (Abb. 6a bis c) wurde mit dem Anliegen des Patienten verbunden, eine endodontische Revisionsbehandlung an den Zähnen 36 und 37 durchzuführen, deren Komplexität ebenfalls eine DVT erforderte. Dadurch bot sich die Gelegenheit, die Region um den 2012 behandelten Zahn erneut dreidimensional zu kontrollieren.
Abb. 6a 7,5-Jahreskontrolle mit unauffälligen apikalen Verhältnissen (06.03.2020).
Abb. 6b und c Screenshots der DVT-Aufnahme von Zahn 26 (06.03.2020): 7,5 Jahre postoperativ zeigt sich eine unverändert positive Situation im Vergleich zur Kontrolle nach 16 Monaten.
Abb. 6b und c Screenshots der DVT-Aufnahme von Zahn 26 (06.03.2020): 7,5 Jahre postoperativ zeigt sich eine unverändert positive Situation im Vergleich zur Kontrolle nach 16 Monaten.
Diskussion
Die Falldarstellung zeigt Komplikationen, die weitgehend während der Primärbehandlung entstanden waren und zur Veränderung der Wurzelkanalanatomie geführt hatten: Wurzelkanaltransportation, Perforation und Instrumentenfraktur. Zusätzliche Probleme waren ein nicht aufgefundener MB2 und nicht zuletzt die insuffiziente Wurzelkanalfüllung. Als apikale Befunde wurden eine akute apikale Parodontitis sowie eine dentogene Sinusitis festgestellt. Eine iatrogene Veränderung der Kanalanatomie gilt als ungünstiger prognostischer Faktor für eine rein orthograde Revisionsbehandlung: In einer Nachuntersuchung von 425 Zähnen zwei Jahre nach endodontischer Revision zeigten Zähne, die zum Zeitpunkt der Revision röntgenologisch eine apikale Parodontitis und gleichzeitig iatrogene Veränderungen der Wurzelkanalanatomie aufwiesen, die geringsten Erfolgsraten (40 Prozent), wohingegen Zähne ohne Veränderung der Anatomie bei Vorliegen einer apikalen Parodontitis in 83,8 Prozent der Fälle ausheilten18. Folglich lässt sich schon bei einer gründlichen klinischen und röntgenologischen Erstuntersuchung abschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion notwendig werden kann. Die Revisionsbehandlung verbesserte im vorliegenden Fall dennoch den Zustand des Zahns deutlich. Es gelang, aus dem nahezu gesamten Wurzelkanalsystem die Infektion zu beseitigen und den Zahn für eine neue prothetische Versorgung vorzubereiten. Die erfolgreiche orthograde Behandlung der palatinalen Wurzel limitierte den chirurgischen Eingriff auf die bukkalen Wurzeln und sorgte somit für eine günstigere Ausgangslage. Insgesamt sicherte die Kombination aus orthograder Revisionsbehandlung und endodontischer Chirurgie den Behandlungserfolg19.
Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung wurde zusätzlich zur konventionellen Einzelzahnaufnahme eine hochauflösende kleinvolumige DVT angefertigt. Bei Oberkiefermolaren ist die Beurteilung der Wurzelkanalanatomie sowie der Knochenverhältnisse im Furkationsbereich und der fazialen Knochenwand anhand von konventionellen Röntgenaufnahmen besonders schwierig. Wurzelüberlagerungen, ein inkonstant vorhandener Processus zygomaticus, periapikale Läsionen oder gegebenenfalls vorhandene Fremdkörper (Stifte, Wurzelkanalfüllmaterial) überlagern feinste Strukturen und iatrogene Veränderungen des Wurzelkanalverlaufs. Eine Divergenz der Molarenwurzeln und die Form des Gaumens führen zu geometrischen Distorsionen. Eine kleinvolumige DVT löst dieses Problem und erlaubt eine detaillierte Analyse der anatomischen Verhältnisse. In der Oberkiefermolarenregion können zudem die Knochenschichtstärke zwischen der Läsion und der angrenzenden Nebenhöhle sowie die Dimension der Schneider’schen Membran bestimmt werden11,20. Im vorliegenden Fall wurde auf diesem Wege eine dentogene Sinusitis diagnostiziert. Die aus der DVT gewonnenen Informationen erlaubten eine genaue Planung des chirurgischen Eingriffs. Es erfolgte eine Vermessung des Zahns und der umliegenden anatomischen Strukturen unter Bestimmung von Referenzpunkten, die intra operationem nachvollziehbar waren und ein minimalinvasives Vorgehen ermöglichten8. Der gleichen Argumentation folgend lassen sich Heilungsverläufe nach mikrochirurgischer Wurzelspitzenresektion anhand der DVT besser beurteilen2,9. Allerdings ist vor der Anfertigung einer DVT zur Verlaufskontrolle die rechtfertigende Indikation besonders kritisch zu prüfen10. Im vorliegenden Fall wurden die Aufnahmen in Absprache mit dem Facharzt für HNO angefertigt und dienten zusätzlich der Beurteilung der Nebenhöhle.
Die moderne apikale Mikrochirurgie beinhaltet als wesentliche Merkmale die Verwendung eines Mikroskops mit hoher Vergrößerungsleistung und adäquater Ausleuchtung des Operationsfeldes, abgewinkelte Ultraschallinstrumente zur achsgerechten Retropräparation sowie die Verwendung biokompatibler Wurzelfüllwerkstoffe (MTA; Pro Root MTA, Dentsply Maillefer, TotalFillBC putty, FKG)2. Zahlreiche Studien zeigten, dass sich mit mikrochirurgischen Techniken deutlich höhere Erfolgsraten (94 Prozent) erzielen lassen als mit traditionellen Verfahren (59 Prozent)3,4,14. Im vorliegenden Fall konnten aus der distobukkalen Wurzel das Fragment einer Hedströmfeile entfernt und der verlagerte Wurzelkanal instrumentiert und mit MTA gefüllt werden. In der mesiobukkalen Wurzel stand die Instrumentierung zweier Kanäle und eines Isthmus im Vordergrund. Ein Isthmus wird als eine Hauptursache für das Scheitern der traditionellen Wurzelspitzenresektion betrachtet, weil er nur mit dem Operationsmikroskop erkannt und lediglich mit feinen Ultraschallspitzen retrograd aufbereitet werden kann3,14. Am häufigsten sind hiervon die mesiobukkalen Wurzeln erster Oberkiefermolaren (3 mm koronal des Apex: 76 Prozent) und die mesialen Wurzeln erster Unterkiefermolaren (83 Prozent) betroffen, aber auch bei Prämolaren findet sich oft ein Isthmus21,22.
Die Wurzelkanäle (MB1, MB2) wurden ca. 4 mm tief retrograd präpariert, während der Isthmus nur rund 2 mm tief instrumentiert wurde, um eine Perforation oder einen Riss an der an dieser Stelle vorhandenen Einziehung der Wurzel zu vermeiden.
Schlussfolgerungen
Die Kombination aus endodontischer Revisionsbehandlung und mikrochirurgischer Wurzelspitzenresektion unter Einbeziehung modernster Diagnostik, Instrumente, Werkstoffe und Techniken führte im vorliegenden Fall zu einer vollständigen Ausheilung und verhalf dem Zahn zu einer günstigen Langzeitprognose19.
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