Paragraf 6 Absatz 1 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) regelt die Möglichkeit, Leistungen, die nicht in das Gebührenverzeichnis der GOZ aufgenommen wurden, mit einer als gleichwertig erachteten Leistung des Gebührenverzeichnisses zu berechnen. Dieser Berechnungsweg besteht unabhängig davon, wann Anwendungsreife für diese Leistung bestand oder aus welchen Gründen die betreffende Leistung keine Aufnahme in das Gebührenverzeichnis gefunden hat.
Sicherlich ist diese Regelung kein Freibrief: Ein nur verbessertes Material oder ein neues technisches Gerät begründen für sich noch keine analoge Leistung, solange damit in der GOZ beschriebene Leistungen erbracht werden. Es existieren jedoch zahnärztliche Leistungen, deren Leistungsinhalt durch keine der Leistungsbeschreibungen im Gebührenverzeichnis abgebildet werden. Um eine solche Leistung handelt es sich beim mehrschichtigen Kompositaufbau in Adhäsivtechnik einschließlich Lichthärtung, der nicht der Geb.-Nr. 2180 GOZ „Vorbereitung eines zerstörten Zahnes mit plastischem Aufbaumaterial zur Aufnahme einer Krone“ unterfällt, auch nicht unter zusätzlicher Heranziehung der Geb.-Nr. 2197 GOZ „Adhäsive Befestigung“ (Amtsgericht [AG] Charlottenburg, Az.:205 C13/12 vom 8. Mai 2014).
Leistungsbeschreibung seit 1965 nahezu unverändert
Die Leistungsbeschreibung der Geb.-Nr. 2180 GOZ ist identisch mit derjenigen der Geb.-Nr. 218 der am 1. Januar 1988 in Kraft getretenen GOZ, stammt also zumindest aus dem Jahr 1987. Ein Rückblick auf die Bundesgebührenordnung für Zahnärzte (BuGo-Z) zeigt jedoch, dass diese „antike“ Gebührenordnung bereits im Jahr 1965 eine nahezu gleichlautende Leistungsbeschreibung auswies.
Sofern man dem Verordnungsgeber nicht prophetische Fähigkeiten unterstellt, kann diese Leistungsbeschreibung nur das zu dieser Zeit bekannte und verbreitete Procedere abbilden: Phosphat-, Stein- oder Glasionomerzement wurde – vielleicht portioniert, aber dennoch in einem Zug während der plastischen Phase des angerührten Materials – unter Druck in die mit mechanischen Unterschnitten präparierte Kavität eingebracht. Die Präparationsform ist materialbedingt, da die Haftung dieser Zemente an Zahnhartsubstanzen nicht immer ausreichend ist. Umfangreiche Defekte, die die erforderliche Kavitätengestaltung nicht gestatten, können in dieser Technik nicht versorgt werden.
Komposite und Adhäsive verändern die Technik
Die Entwicklung von Kompositmaterialien in Verbindung mit deren adhäsiver Befestigung erlaubt es jedoch gemäß aktuell gültigem zahnmedizinischem Standard, auch bei einem derartigen Ausgangsbefund einen Zahn zur Aufnahme einer Krone vorzubereiten. Somit unterscheidet sich der mehrschichtige Kompositaufbau in Adhäsivtechnik einschließlich Lichthärtung von der mit der Geb.-Nr. 2180 GOZ beschriebenen Leistung nicht nur wesentlich hinsichtlich der Art, Schwierigkeit und Dauer der Leistungserbringung, der Instrumentierung, der verwendeten Materialien und der hierfür entstehenden Kosten, sondern letztlich auch im Indikationsumfang und Leistungsziel.
2197 deckt Kosten und Zeitaufwand nicht mit ab
Es wird mitunter die Auffassung vertreten, die zusätzliche Berechnung der Geb.-Nr. 2197 Adhäsive Befestigung trage diesem anderen Leistungsgeschehen bereits vollumfänglich Rechnung. Dieser Berechnungsweg berücksichtigt jedoch weder die deutlich höheren Kosten für die Kompositmaterialien noch den im Vergleich deutlich höheren Zeitaufwand und die erhöhte Schwierigkeit für die angewandte Mehrschichttechnik (Amtsgericht [AG] Schöneberg, Az.: 18 C 65/14 vom 5. Mai 2015).
Gebühren-, vergütungs- und verordnungssystematisch inadäquate Lösungen
Das Heranziehen der Geb.-Nrn. 2180 und 2197 GOZ hält auch einer gebührensystematischen Auslegung nicht stand, denn sie wären deutlich unterbewertet: Selbst bei Anwendung des 3,5-fachen Steigerungssatzes lösen die beiden Gebührennummern lediglich eine Vergütung von 55,12 Euro aus. Damit aber läge deren Dotierung noch unter derjenigen für eine einflächige Kompositrestauration nach der Geb.-Nr. 2060 GOZ zum 2,3-fachen Steigerungssatz in Höhe von 68,17 Euro.
Bei methodisch abstrakter Betrachtung wäre also eine deutlich schwierigere, zeitaufwändigere und kostenintensivere Leistung trotz bereits erhöhtem Steigerungssatz niedriger vergütet als eine einfachere. Das passt nicht zur Vergütungssystematik der GOZ, die nach dem vermeintlichen Willen des Verordnungsgebers die Vergütungen der einzelnen Leistungen des Gebührenverzeichnisses in ein stimmiges Verhältnis zueinander setzen soll.
Dr. Michael StriebeDr. med. dent. Michael Striebe (Jahrgang 1957), 1978 bis 1983 Studium der Zahnmedizin und Promotion an der Universität Marburg, 1983 bis 1985 Assistentenzeit und Stabsarztfunktion bei der Bundeswehr, seit 1985 niedergelassen in eigener Praxis in Hannover. Im Lauf der vergangenen zehn Jahre unter anderem Vorsitzender des GOZ-Ausschusses der Zahnärztekammer Niedersachsen, Vorsitzender der GOZ-Arbeitsgruppe Nord, Mitglied des Senates für privates Leistungs- und Gebührenrecht und des Ausschusses Gebührenrecht der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Co-Autor des Kommentars der BZÄK zur GOZ, gutachterliche Tätigkeit als zahnärztlicher Sachverständiger, mehr als 100 Veröffentlichungen zum zahnärztlichen Gebührenrecht.
(Foto: ZA)
Grundsätzlich denkbar wäre zwar auch, die Geb.-Nrn. 2180 und 2197 GOZ zum Gegenstand einer Vereinbarung nach Paragraf 2 Abs. 1 und 2 GOZ zu machen und den etwa 10-fachen Steigerungssatz anzuwenden. Das wäre zwar unter Kostenaspekten denkbar, passt jedoch nicht zur Verordnungssystematik der GOZ, die in derartigen Fällen den Weg des Paragrafen 6 Abs. 1 vorsieht (Landgericht [LG] Stuttgart, Az.: 22 O 171/16 vom 2. März 2018).
Ohnehin hat in diesem Zusammenhang der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass die Aufgabe des Steigerungssatzes und der Vereinbarung gemäß Paragraf 2 Abs. 1 und 2 GOZ nicht darin besteht, den durch wissenschaftlichen Fortschritt entstehenden Mehraufwand abzubilden, sondern in Fällen, in denen der Verordnungsgeber eine Leistung nicht vor Augen hatte, eine Analogberechnung vorzunehmen ist (Bundesgerichtshof [BGH], Az.: III ZR 344/03 vom 13. Mai 2004).
Das Vorhandensein einer derartigen Regelungslücke belegt die Tatsache, dass der Verordnungsgeber mit der Novellierung zwar deutlich höher bewertete Leistungen für Restaurationen mit Kompositmaterialien in Differenzierung zu anderen Restaurationen mit plastischem Füllungsmaterial neu in das Gebührenverzeichnis aufgenommen hat, die Leistungsbeschreibung und damit der Leistungsinhalt der Geb.-Nr. 2180 GOZ indes unverändert geblieben ist (Amtsgericht [AG] Weinheim, Az.: 1 C 140/17 vom 19. Oktober 2018).
Urteile bestätigen die Analogie
In den vorstehend zitierten, die Analogie bestätigenden Urteilen wurden die Geb.-Nrn. 2100, 2120 und 5000 GOZ als gleichwertig erachtet und bestätigt. Auch bei analogen Leistungen können gemäß Paragraf 5 GOZ selbstverständlich noch erhöhte Schwierigkeiten, ein erhöhter Zeitaufwand oder sonstige Umstände, deren Ursachen in der Person des Patienten liegen, in die Gebührenfindung einfließen.
Ebenso können analoge Leistungen mit einer Vereinbarung gemäß Paragraf 2 Abs. 1 und 2 GOZ kombiniert werden (Bundesgerichtshof [BGH], Az.: III ZR 223/05 vom 23. März 2006). Bei diesem Vorgehen sind Gebühren in jeder angemessenen und gewünschten Höhe rechtssicher darstellbar.
Im Katalog der BZÄK aufgeführt
Der mehrschichtige Aufbau mit Kompositmaterial in Adhäsivtechnik einschließlich Lichthärtung ist auch Gegenstand des Katalogs selbstständiger zahnärztlicher gemäß § 6 Abs. 1 GOZ analog zu berechnender Leistungen der Bundeszahnärztekammer (Stand: Oktober 2019). Daher soll noch auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gera verwiesen werden, wonach ein Arzt den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Berechnung einer Leistung im Wege der Analogie ohne weitere Prüfung folgen darf (Verwaltungsgericht [VG] Gera, Az.: 1 K 546/16 vom 3. April 2017).
Dr. med. dent. Michael Striebe, Hannover
Aus: GOZette-Newsletter, Die ZA – ZA Zahnärztliche Abrechungsgenossenschaft eG. Übernahme für Quintessence News mit freundlicher Genehmigung des Autors und der ZA.
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