Nach einer (abgebrochenen) Wurzelspitzenresektion am Zahn 37 leidet ein Patient dauerhaft unter einem Nervschaden: Schmerzen, Taubheit und Sprachprobleme. Ein Behandlungsfehler konnte nicht festgestellt werden. Jedoch verurteilte das Landgericht München II – mittlerweile rechtskräftig – den Zahnarzt zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 20.000 Euro.
Die Begründung: Es habe mangels ausreichender Aufklärung keine wirksame Einwilligung in den Eingriff vorgelegen (LG München II, Entscheidung vom 1. März 2023, Az.: 1 O 227/21 Hei). Das Gericht legt zunächst ausführlich dar, welche Anforderungen an eine Aufklärung zu stellen sind. Es weist darauf hin, dass es betreffend bestehender Risiken nicht darauf ankomme, wie oft sich das Risiko verwirklicht. „Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann“.
Wann welche Risiken aufgeklärt werden müssen
Der Umfang der erforderlichen Aufklärung sei „umgekehrt proportional […] zur Dringlichkeit und zu den Heilungsaussichten“. Anders ausgedrückt: Bei gefährlichen und nicht dringlichen Eingriffen muss auch über Risiken aufgeklärt werden, die sich nur selten verwirklichen. Wenn es weniger gefährliche Behandlungsalternativen gebe, bestehe eine gesteigerte Aufklärungspflicht.
Problem elektronische Dokumentation
Hier ging es um die Gefahr einer dauernden Taubheit und es bestanden zwei Alternativen: abwarten und Entfernung des Zahns. In solchen Fällen reiche es nicht, nur auf die Gefahr einer Nervenläsion hinzuweisen, es müssen auch die Alternativen genannt werden. Eine solche Aufklärung konnte der Zahnarzt nicht belegen – unter anderem deshalb, weil er für seine elektronische Dokumentation kein Änderungsprotokoll vorlegte. Es war also nicht sicher, ob nicht Änderungen vorgenommen wurden.
Sorgfältig aufklären und fälschungssicher dokumentieren
Insbesondere vor Eingriffen, die schwerwiegende Folgen für den Patienten haben können, sollte also sorgfältig über auch seltene Risiken und bestehende Behandlungsalternativen aufgeklärt werden – und dies sollte fälschungssicher dokumentiert werden.
Dr. Wieland Schinnenburg, Zahnarzt und Rechtsanwalt, Hamburg
Dr. Wieland Schinnenburg studierte Zahnmedizin und Jura und war bis Ende 2017 als Zahnarzt in eigener Praxis in Schleswig-Holstein tätig. Parallel arbeitete er als Rechtsanwalt und Mediator in Hamburg und ist in diesem Bereich weiter aktiv.
Schinnenburg ist FDP-Mitglied und war unter anderem Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft. Nach der Bundestagswahl 2017 war er für eine Legislaturperiode bis Oktober 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags und in dieser Zeit Mitglied des Gesundheits- und des Rechtsausschusses und Drogenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.