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Finanzierungsverhandlungen für die ambulante Versorgung gestartet – das enge Korsett der Körperschaften lässt Lücken, so Dr. Uwe Axel Richter

(c) judyjump/Shutterstock.com

Schön war`s auch ohne – doch bevor man sich an das Sommerloch gewöhnen konnte, neigt sich auch die gesundheitspolitische Sommerpause in Berlin schon ihrem Ende zu. Für diese Erkenntnis muss man aber keinen Kalender bemühen, dafür reichen zwei von drei Indizien: Karl Lauterbach zappelt nicht alleine mit mehr oder minder absonderlichen Aussagen auf den medialen Bühnen dieser Republik (ein typisches Beispiel findet sich hier). Zum zweiten schwillt der Strom der Meldungen aus Verbänden und Politik im digitalen Postfach merklich an.

Und als Drittes spürt man beim Blick auf deren Überschriften wieder dieses zunehmende Vibrieren der für das Gesundheitswesen so typischen „Erregtheit“ der Wortspender. Letztere wird in den kommenden Wochen und Monaten so sicher wie das Amen in der Kirche erheblich ansteigen, wenn nicht gar in ein Crescendo übergehen. Denn das Dauer-Aufregerthema in der ambulanten ärztlichen Versorgung – die aus Sicht der Niedergelassenen seit Jahren nur unzureichend an die Kosten- und Aufwandsentwicklung angepassten Einnahmen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (das war jetzt die freundlichste Formulierung, die mir einfiel) – nimmt mit dem Start der Finanzierungsverhandlungen für das kommende Jahr zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband Fahrt auf. Das Verhandlungsergebnis wird wiederum für die Zahnärzteschaft und deren Verhandlungen – sagen wir „richtungsweisend“ sein.

Keine positiven Auspizien

Die Vorzeichen für ein finanziell gutes Verhandlungsergebnis im Sinne der Leistungserbringer sind alles andere als gut. Die finanziellen Spielräume in der GKV sind nach der erneuten, in Gesetze gepackten Plünderungstour der Kassenfinanzen durch eine unheilige Allianz aus Gesundheits-, Finanz- und Arbeitsminister schlicht und einfach nicht mehr vorhanden. Mit kaum noch zu überbietender Dreistigkeit wurden und werden Staatsaufgaben den Kassenbeitragszahlern aufgebürdet. Die Krankenkassenverbände warnten angesichts der kostentreibenden Lauterbach`schen Gesetzesvorschläge bereits vor der parlamentarischen Sommerpause, dass in der Folge die Zusatzbeiträge ihrer Mitglieder erneut angehoben werden müssen.

Das Geld ist dank „Propeller-Karl“ schon weg

Das „Setting“ für die Finanzverhandlungen der KBV könnte perspektivisch kaum schwieriger sein. Denn sollten alle Gesetzesentwürfe aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG)  in diesem Jahr im Bundestag beschlossen werden und Gesetzeskraft erlangen, ist salopp formuliert das Geld für 2025 und folgende Jahre bereits weg. Verteilt von Bundesgesundheitsminister „Propeller-Karl“ Lauterbach auf alte und neue Baustellen im Gesundheitssystem – von Krankenhausreform, Digitalisierung, Gematik-Agentur bis Pharmaindustrie ist alles dabei. Und ja, auch für einen Teil der Ärzte sollen „bessere“ Zeiten kommen, Stichwort Entbudgetierung der Hausärzte.

Gesetzesstau im Parlament

Letztere hatte der Gesundheitsminister zwar bereits für das Jahr 2024 versprochen, kommen soll sie mit dem Inkrafttreten des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG). Das hängt aber noch im Parlament. Ein Schicksal, das es mit vielen weiteren Gesetzentwürfen aus dem Hause Lauterbach teilt: IOP-Governance-Verordnung (GIGV), Apotheken-Reformgesetz (ApoRG), Gesundes-Herz-Gesetz (GHG), Medizinforschungsgesetz (MFG), Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, Gesetz zur Reform der Notfallversorgung, Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG), Lebendorganspende-Reform. Hinzu kommen noch diverse Verordnungen, unter anderem zur Prüfung nach der neuen Approbationsordnung für Zahnärzte.

Zahnmedizin unter dem Radar

Angesichts dieser langen Liste nicht abgeschlossener gesetzlicher Maßnahmen für das Gesundheitswesen, an denen bei allen ein mehr oder minder großes Preisschild hängt, sollte man sich ob der Absenz von Vorschlägen zur „Verbesserung“ der Zahnheilkunde nicht wundern. Man sollte vielmehr hoffen, dass der Zahnmedizin eine Reform à la „Propeller-Karl“ erspart bleibt. Dennoch steht die Frage im Raum, was aus dem mittels GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) aufoktroyierten Budgetdeckel für 2023 und 2024 und seinen Folgen werden wird.

Generell ist es fraglich, ob Lauterbach all die offenen, geschweige denn angekündigten Gesetzesentwürfe noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach wird bringen können. Zu Lauterbachs Glück überlagert die tägliche Meldungskakophonie aus der Ampelregierung die jahrzehntealte alte Politikerregel, dass man als Regierungspartei mit Gesundheitsreformen zur Unzeit Wahlen verlieren, aber nicht gewinnen kann.

 

Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“

Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.

Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.

Enttäuschender Start, schlechte Perspektiven

Doch zurück zu den Finanzverhandlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit dem GKV-Spitzenverband. Mitte vergangener Woche trafen sich je drei Vertreter zur ersten offiziellen Besprechungsrunde im Bewertungsausschuss, um den sogenannten Orientierungswert (OW) für 2025 festzulegen. Das man sich in dem über Monate in gemeinsamen Gesprächen vorbereiteten Treffen nicht einigen konnte, verwundert wenig. Entsprechend bewertete die KBV den „Meinungsaustausch“ mit nur einem Wort: „Enttäuschend“.

Kein Plus für die ärztlichen Leistungen

Angesichts der Differenz zwischen der KBV-Forderung von 6 Prozent Plus beim OW und dem Angebot der Kassen von 1,6 Prozent ist die Bewertung mit „enttäuschend“ noch sehr zurückhaltend. In der Pressemeldung der KBV liest sich das so: „Wie ein roter Faden zieht sich durch, dass die Kassenseite die ärztliche Leistung überhaupt nicht berücksichtigen will im Rahmen der Anhebung des Orientierungswertes (OW). Sie verweist auf hohe finanzielle Belastungen, die ihr durch Krankenhausreform und andere gesetzgeberische Maßnahmen aufgebürdet würden. Doch das kann und darf nicht das Problem der Praxen sein und geht schon mal gar nicht. Immerhin scheint es eine Annäherung bei den sogenannten technischen Leistungen zu geben, worunter unter anderem die Personalkosten der Medizinischen Fachangestellten fallen“, so die KBV-Vorstände.

Der Tanz auf der Briefmarke

Ein Claus Weselsky von der Gewerkschaft der Lokführer, der personifizierte „Gott sei bei uns“ vieler Bahnvorstände, hätte dieses unter dem Beifall seiner Gewerkschaftsmitglieder sicher ganz anders formuliert. Vorausschauend liefert die KBV deshalb unter nachfolgendem Link gleich eine (dünne) Erklärung zur Pressemeldung mit, warum die Finanzierungsverhandlungen keinesfalls mit Tarifverhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern verglichen werden dürften.

Die nächste Gesprächsrunde dieses illustren Kreises findet bereits als erweiterter Bewertungsausschuss statt. Erweitert bedeutet, dass das illustre Gremium mit drei unparteiischen Mitgliedern, darunter der Vorsitzende, ergänzt wird.  Was wird dabei herauskommen? Mit Sicherheit weder die angebotenen 1,6 noch die geforderten 6 Prozent, ganz egal wie die jeweiligen Argumente lauten werden.

Weit entfernt von klassischen Tarifverhandlungen

Man muss kein Augur sein, um die Reaktionen der Niedergelassenen vorauszusagen. Trotzdem sind Rufe nach Streikmaßnahmen und Praxisschließungen angesichts der gesetzlich vorgegebenen Spielregeln nicht die richtige Vorgehensweise, um Druck für die Verhandlungen aufzubauen.

Man verabschiede sich daher von Vorstellungen, dass die gesetzlichen normierten Gesprächsrunden im gemeinsamen Bewertungsausschuss überhaupt so etwas wie Tarifverhandlungen seien. Hier „verhandeln“ zwei Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß den gesetzlich vorgegebenen Regeln. Das gleiche Spiel findet dann noch einmal auf der Ebene der Bundesländer statt, nur mit dem Unterschied, dass die KVen auf der Basis des auf der Bundesebene erzielten Ergebnisses mit den jeweiligen Kassenarten direkt verhandeln, so dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Vereinbarungen Ergebnisse geben kann. Vergleichbares gilt für die Vergütungsverhandlungen von Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen.

Das enge Korsett der Vertrags(zahn)ärzteschaft

Für das übliche Vorgehen der Weselskys dieser Welt – auch die KZVen und KVen verfüg(t)en über solche Exemplare – ist jedoch die vertrags(zahn)ärztliche Welt nicht die richtige Spielwiese. Zu eng ist das durch die Politik gewobene und gesetzlich normierte Netz gegenseitiger Bedingtheiten, als das den berechtigten Forderungen (wie immer liegt die Berechtigung im Auge des jeweiligen Betrachters) der Leistungserbringer mit Hilfe eines „Streiks“ Nachdruck verliehen werden könnte. Der kleine, aber feine Unterschied für diese „Freiheit“ liegt in der Zulassung und damit in der Mitgliedschaft in einer KZV oder KV. Kurz: Entweder man ist Vertragsarzt oder man ist keiner.

Auch wenn es „Eulen nach Athen tragen“ ist, sei dennoch die am häufigsten „vergessene“ Eule nochmals erwähnt: Ein Streik der am GKV-System teilnehmenden Vertrags(zahn)ärztinnen und -(zahn)ärzte ist in der versorgungsorientierten Logik des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht möglich. So ein normiertes System sorgt für eine erhebliche innere und äußere Stabilität, mit der Resultante der Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Voraussetzung ist allerdings, dass die Anzahl der Leistungserbringer – die Besetzung der Kassenarztsitze – konstant hoch bleibt.

Toxischer Cocktail für die Versorgung

Womit wir bei des Pudels Kern sind. Faktisch bröckelt die Versorgungssicherheit an allen Ecken und Enden, weil die Anzahl der Niedergelassenen konstant sinkt und somit die Zahl der offenen Kassenarztsitze stetig steigt. Diese Zahlen sind alle öffentlich. Die Folgen werden mittlerweile für die Patienten spürbar, denn die Wege zum Hausarzt werden länger und Termine bei Fachärzten dauern oft Monate.

Über die Gründe mag man schon nicht mehr schreiben, denn sie sind alle sattsam bekannt. Sie reichen von stetig steigender Bürokratie über sinkende Realerträge der Praxen bei stetig steigenden Kosten und einer Wertschätzung der ärztlichen Tätigkeit seitens Politik und Kassen, die man nur noch als unterirdisch bezeichnen kann. Trotz dieses für die zukünftige Versorgung toxischen Cocktails hält die Politik in Tateinheit mit den Kassen die Leitungserbringer (ein Wort das Zahnärzte wie Ärzte nicht mögen, aber in diesem Zusammenhang treffend ist) für ausreichend gut bezahlt. Gemessen an den Kommentaren aus diesen Lagern sogar für überbezahlt. Wundert es da noch irgendjemanden, dass die ärztliche Versorgungsbasis im wörtlichen Sinne immer weiter erodiert?

Der „Lauterbach-Doppelwumms“

Tja, wie bezeichnet man in einem solchen Szenario die von der Kassenseite angebotene Erhöhung des Orientierungswertes um 1,6 Prozent? Blind? Dreist? Unverschämt? Nee, Lauterbach-Doppelwumms. Nur das dieser im Gegensatz zu dem von Bundeskanzler Scholz versprochen Effekt tatsächlich eintreten wird – allerdings in entgegengesetzter Richtung.

Das Argument der Kassen, dass für die medizinische Versorgung nicht mehr Geld da sei, ist angesichts der Attitüde des Bundesgesundheitsministers, Einsparungen bei den Leistungserbringern zu fordern, aber gleichzeitig das Geld der Kassen, also der Beitragszahler, für zig andere Projekte mit vollen Händen aus dem Fenster zu schmeißen, schlicht unredlich. Insbesondere die Kassenseite sollte erkennen, dass das Argument der Beitragssatzstabilität dann nicht ziehen wird, wenn sich die Beitragszahler trotz der mittlerweile enormen Höhe des persönlichen Krankenkassenbeitrags einer sich weiter verschlechternden Versorgungsrealität gegenübersehen.

Legale Lücken für Widerstand finden

Den Rückzug der KBV-Vorderen auf das gesetzliche Zwangskorsett zur Rechtfertigung einer angesichts der realen Kostensteigerungen nur winzigen Erhöhung des Orientierungswerts darf man getrost als Eigentor bezeichnen. Denn diesmal ist die Fallhöhe angesichts der sich permanent verschlechternden Rahmenbedingungen aus dem Blickwinkel der „Versorger“ für die Verhandler so hoch wie nie. Der gesetzlich eingehegte Manöverraum und ein nicht vorhandenes „Streik“recht für Vertrags(zahn)ärzte bedeutet doch nicht, dass man es seitens der Selbstverwaltung nur bei Appellen und Bitten belassen muss.

Das SGB V definiert zwar die Anforderungen an die Vertrags(zahn)ärzteschaft, nicht jedoch den zur Gewohnheit gewordenen Leistungsumfang. Es ist an der Selbstverwaltung, hier die legalen Möglichkeiten des Widerstands für ihre Zwangsmitglieder zu finden und zu kommunizieren. Was diese daraus machen, wird sich dann zeigen.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten Praxis

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