„Mir fehlt jegliches Verständnis dafür, dass sich der Bundesgesundheitsminister beim Zielkonflikt zwischen einer präventionsorientierten, wohnortnahen, flächendeckenden Versorgung und einer kurzsichtigen Sparpolitik auf die Seite der Kostendämpfung schlägt.“ Der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) Martin Hendges fand anlässlich der Krisensitzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am 18. August 2023 in Berlin deutliche Worte zur Situation der Zahnärzteschaft nach dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz.
Hendges war Gast der Ärzte-Veranstaltung mit rund 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Marriott-Hotel in Berlin, die unter dem Motto „PraxenKollaps. Praxis weg. Gesundheit weg.“ auch die gewünschte Aufmerksamkeit in den Medien fand – bis hin zur Hauptausgabe der „Tagesschau“ am Abend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – neben den Delegierten der KBV-Vertreterversammlung auch Vorstände und Mitglieder der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen als Vertreter der Vertragsärzte- und Vertragspsychotherapeutenschaft – formulierten sieben Forderungen an die Politik (siehe unten) und forderte diese auf, dazu in eine Frist von vier Wochen Stellung zu nehmen.
Zwänge und Nöte der Praxen
Zuvor beschrieben die Vorsitzende der KBV-VV Dr. Petra Reis-Berkowicz, der Vorstand der KBV – Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeier und Dr. Sibylle Steiner – ebenso wie Vertreterinnen und Vertreter der KVen und der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten die vielen Facetten der Zwänge und Nöte der Kolleginnen und Kollegen. Von Budgetierung über Bürokratie, Digitalisierungschaos, zu wenig Zeit für die Patienten, unbesetzte Praxissitze und damit noch mehr Patienten, die versorgt werden müssen, über hohe Inflationslasten bis Fachkräftemangel reichten die Themen der zum Teil dramatischen Schilderungen. (Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ebenso wie der Pressekonferenz gibt es auf der Internetseite der KBV).
„Es ist fünf vor zwölf – die Praxen in Deutschland arbeiten längst über dem Limit. Deshalb fordern wir die Politik auf: Halten Sie Ihre Versprechen und handeln Sie endlich! Verhindern Sie das Aus der ambulanten Versorgung“, machte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen auf der Krisensitzung deutlich. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen seien immer weniger Menschen bereit, in einer Praxis zu arbeiten. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, geht in den Praxen das Licht aus“, betonte der KBV-Chef. Entsprechend habe man sich nun direkt an die Politik gewandt.
Praxen werden kaputtgespart
„Seit Jahren werden die Praxen kaputtgespart und mit faktischen Minusrunden abgespeist“, sagte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV. Auch mit der Budgetierung müsse endlich Schluss sein, damit alle erbrachten Leistungen der Praxen in Gänze bezahlt werden. „Budgets auf der einen und Rund-um-die-Uhr-Leistungsversprechen auf der anderen Seite passen einfach nicht zusammen. Apropos Versprechen: Auch die Ambulantisierung und ein Bürokratieabbaupaket hatte die Bundesregierung vollmundig angekündigt – zu sehen ist davon bisher rein gar nichts“, fuhr der KBV-Vize fort.
Kurswechsel bei der Digitalisierung erwartet
Einen Kurswechsel erwarten die Niedergelassenen auch bei der Digitalisierung. Ihnen würden immer wieder Sanktionen und Bußgelder angedroht, obwohl digitale Anwendungen nicht funktionierten und keinen spürbaren Nutzen brächten. „Was wir brauchen, ist ein Praxiszukunftsgesetz, das die erforderlichen Investitionen der Praxen in ausreichend getestete, nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik kostendeckend absichert“, forderte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Die Ärzteschaft sei Treiber der Modernisierung und nicht deren Bremser, wie immer wieder kommuniziert werde.
Ultimatum an die Politik und Reaktionen
Steiner hatte auf der Veranstaltung auch das Forderungspaket mit dem Ultimatum an die Politik vorgestellt. Man fordere Lauterbach nun auf, bis zum 13. September zu den einzelnen Forderungen Stellung zu beziehen und konkrete Umsetzungsschritte zu benennen, hieß es. Lauterbach selbst reagierte auf „X“ (früher Twitter) und erklärte, eine Entbudgetierung sei in Teilen denkbar, und erklärte erneut die Entbürokratisierung und die Digitalisierung zu geeigneten Mitteln, die Probleme zu lösen. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Prof. Andrew Ullmann, reagierte und erklärte, es dürfe nicht zum Kollaps kommen (Ärzte Zeitung). Zugleich forderten einige Krankenkassen den Bundesgesundheitsminister auf, endlich die lange angekündigten Vorschläge zur Stabilisierung der Kassenfinanzen vorzulegen. Sie wiesen erneut darauf hin, dass das strukturelle Defizit der Kassen nicht zuletzt darauf zurückgehe, dass der Bund für die Empfänger von Bürgergeld keine kostendeckenden Beiträge leiste (Tagesspiegel Background).
Strikte Budgetierung wieder aufheben
KZBV-Chef Hendges bekräftigte nach der Veranstaltung die Position der Zahnärzteschaft: „Ich fordere den Bundesgesundheitsminister und die Ampelkoalition auf, heben Sie die strikte Budgetierung wieder auf! Machen Sie Politik für eine präventionsorientierte, wohnortnahe, flächendeckende Patientenversorgung!“
An der Kampagne „Zähne zeigen“ beteiligen
An die eigene Kollegenschaft richtet sich Martin Hendges in einem Video im KZBV-Kanal auf YouTube mit einer Aufforderung, die Kampagne „Zähne zeigen“ zu unterstützen. Er erläutert dort die politischen Hintergründe und die Inhalte der Kampagne. „Lassen Sie uns gemeinsam unser erhebliches Potenzial aktivieren“, so Hendges.
Die Forderungen der Ärzteschaft
1) Tragfähige Finanzierung
Retten Sie die Praxen aus den faktischen Minusrunden und sorgen Sie für eine tragfähige Finanzierung, die auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt!
2) Abschaffung der Budgets
Beenden Sie die Budgetierung, damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen!
3) Ambulantisierung
Setzen Sie die angekündigte Ambulantisierung jetzt um – mit gleichen Spielregeln für Krankenhäuser und Praxen!
4) Sinnvolle Digitalisierung
Lösen Sie mit der Digitalisierung bestehende Versorgungsprobleme. Sorgen Sie für nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik sowie die entsprechende Finanzierung, und belassen Sie die datengestützte Patientensteuerung in ärztlichen und psychotherapeutischen Händen!
5) Mehr Weiterbildung in Praxen
Stärken Sie die ärztliche und psychotherapeutische Weiterbildung! Diese muss – um medizinisch und technisch auf dem aktuellen Stand zu sein – schwerpunktmäßig ambulant stattfinden. Beziehen Sie auch hier die niedergelassene Vertragsärzte- und Psychotherapeutenschaft ein!
6) Weniger Bürokratie
Schnüren Sie das angekündigte Bürokratieabbaupaket, damit wieder die Medizin im Vordergrund steht und nicht der „Papierkram“!
7) Keine Regresse
Schaffen Sie die medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab!
Die Arzneimittelregresse müssen weg!