Bei den Verhandlungen zum sogenannten Orientierungswert 2026 für die vertragsärztliche Versorgung ist die erste Runde am 19. August ohne Ergebnis geblieben, diese Woche geht es weiter. Erfolgreicher waren die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) bei der neu geregelten Vorhaltepauschale für Hausarztpraxen ab Januar 2026: Sie kamen zu einem einvernehmlichen Beschluss.
Dabei hätten schwierige Vorgaben des Gesetzgebers aus dem im Januar 2025 beschlossenen Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz die langwierigen Verhandlungen im Bewertungsausschuss geprägt, so die KBV. Vor diesem Hintergrund erklären die KBV-Vorstände Dres. Andreas Gassen und Stephan Hofmeister:„Es ist gut, dass die gemeinsame Selbstverwaltung bei dieser schlechten gesetzlichen Vorgabe eine gangbare Lösung gefunden hat. Die Regelung musste ausgabenneutral erfolgen, also ohne zusätzliche finanzielle Mittel. Gleichzeitig galt es, Voraussetzungen zu definieren, die Praxen erfüllen müssen, um die Pauschale auch künftig zu erhalten. Diese zunächst einmal ungünstige Konstellation hätte zu großen Umverteilungen zwischen den hausärztlichen Praxen führen können – und das insbesondere zulasten kleiner Praxen. Doch es ist uns gelungen, das zu verhindern – und zwar im Kern dadurch, dass das umzuverteilende Honorarvolumen klein geblieben ist. Denn wir brauchen jede einzelne Praxis für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung. Zudem konnten wir Ausnahmeregelungen für Schwerpunktpraxen schaffen.“
Aus „Strukturpauschale“ wird „Vorhaltepauschale“
Hintergrund: Rund ein Drittel der Vergütung aller hausärztlichen Praxen erfolgt bisher über eine „Strukturpauschale“. Auf diesem Weg erhalten die Praxen rund drei Milliarden Euro dafür, dass sie überhaupt an der Patientenversorgung teilnehmen. Bedingungen oder besondere Voraussetzungen sind an die Auszahlung dieser Gelder nicht geknüpft. Dies wird sich zum 1. Januar 2026 ändern: Dann wird die „Strukturpauschale“ durch eine „Vorhaltepauschale“ ersetzt. Gelder aus der Vorhaltepauschale erhalten Hausarztpraxen allerdings nur noch dann, wenn sie bestimmte Leistungen anbieten, die zum Kernbestand der hausärztlichen Versorgung gehören.
Mehr Sprechzeiten am Mittwoch und Freitag, mehr Hausbesuche
Der GKV-SV zeigt sich zufrieden mit dem Beschluss: „Wir haben gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen ersten Schritt hin zu mehr Patientenorientierung gemacht: Mehr Sprechstunden am Freitagnachmittag, mehr Praxen, die Hausbesuche durchführen und eine bessere hausärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnenden sind nur drei der zehn Punkte, die wir erreichen wollen“, so Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, in der Pressemeldung.
Stoff-Ahnis weiter: „Wir wissen noch nicht, wie viele hausärztliche Praxen ihre Versorgungsangebote nun anpassen. Über die gezielte Verknüpfung der Finanzierung mit der Struktur des vorgehaltenen Versorgungsangebotes gibt es künftig einen neuen Anreiz für die Praxen, hier mehr auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zu hören. Einmal mehr zeigt sich hier, dass die Zusammenarbeit in der gemeinsamen Selbstverwaltung funktioniert und gut für die Versorgung der Patientinnen und Patienten ist.“
Zehn Kriterien mit prozentualen Vorgaben
Im Detail gibt es nun zehn Kriterien für die bessere hausärztliche Versorgung, die von den Praxen erfüllt werden müssen. Je nach Zahl der erfüllten Kriterien, Praxisgröße, durchgeführten Schutzimpfungen etc. gibt es künftig mehr oder weniger Zuschläge zur sogenannten GOP 03040, die leicht abgewertet wurde. Ab zwei erfüllten Kriterien gibt es einen Zuschlag von 10 Punkten, ab acht oder mehr Kriterien 30 Punkte. Das Ganze noch in Abhängigkeit von der Zahl der pro Quartal betreuten Patientinnen und Patienten und einem nötigen Prozentsatz.
In der Meldung des GKV-SV werden folgende Beispiele genannt: „Das Kriterium der regelmäßigen Erbringung von Haus- und Pflegeheimbesuchen gilt beispielsweise als erfüllt, wenn eine Praxis, die ca. 1.000 Patientinnen und Patienten je Quartal betreut, mindestens 50 Haus- und Pflegeheimbesuche erbringt.
Das Kriterium des Angebotes von Sprechzeiten zum Beispiel auch an Mittwoch- und Freitagnachmittagen oder an Samstagen gilt als erfüllt, wenn die Praxis mindestens alle zwei Wochen in einem dieser Zeiträume eine Sprechstunde anbietet.“
Die weiteren Kriterien sind:
- die regelmäßige Versorgung von geriatrischen und palliativmedizinischen Patienten
- die Teilnahme an der Versorgung von Pflegeheimpatienten
- die Durchführung von Impfungen
- das Angebot von Videosprechstunden
- die Durchführung hausärztlicher Basisdiagnostik (zum Beispiel Langzeit-Blutdruckmessung, Spirometrie)
- die Durchführung von Ultraschalluntersuchungen
- die regelmäßige Versorgung von chronischen Wunden und Erbringung kleinchirurgischer Eingriffe
- der regelmäßige Austausch mit anderen Ärzten durch Tätigkeit in größeren Versorgungseinheiten oder regelmäßiger Teilnahme an Qualitätszirkeln
Die KBV hat dazu weitere Erläuterungen dieser Kriterien und der nötigen Prozentquoten für die Praxen bereitgestellt.
GKV-SV formuliert Anforderungen an Primärarztsystem
Der GKV-SV formuliert zum Beschluss nun auch seine Ansprüche an die künftige Ausgestaltung des von der schwarz-roten Regierungskoalition präferierten Primärarztsystems. Mit Blick auf die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen erklärt Stoff-Ahnis: „Die nun gesetzten finanziellen Anreize für die Verbesserung der Versorgungsstrukturen sind der erste Schritt hin zu einer Stärkung der Primärversorgung. Für die künftige Weiterentwicklung der Primärversorgung braucht es dann einen klar definierten und verbindlichen Versorgungsauftrag. Dieser Auftrag sollte interprofessionell ausgerichtet sein und regeln, dass primärversorgende Praxen die zentrale Rolle bei der Koordination der Patientinnen und Patienten übernehmen und dafür sorgen, dass diese gezielt durch die verschiedenen Versorgungsstufen geleitet werden. Die pauschale Verpflichtung der Krankenkassen, gesonderte Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung abzuschließen, sollte entfallen.“
Der Beschluss des Bewertungsausschusses am 19. August 2025 ist unter den Entscheidungen des Ausschusses eingestellt und als Einzeldokument auch bei der KBV hinterlegt.