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Hohe Beitragseinnahmen, moderat gestiegene Ausgaben – Vermögensabgabe belastet Krankenkassen

(c) Golden Dayz/Shutterstock.com

Die vorläufigen Zahlen zur Finanzentwicklung in der Gesetzlichen Krankenversicherung zeigen ein Defizit – aber das liegt nicht an zu geringen Beitragseinnahmen oder stark gestiegenen Ausgaben. Die noch verbliebenen 96 gesetzlichen Krankenkassen haben im 1. Halbjahr 2023 zwar laut Bundesgesundheitsministerium ein Defizit von rund 600 Millionen Euro verbucht. Der Grund ist allerdings die ihnen per Gesetz vorgeschriebene Vermögensabgabe.

„Ursächlich hierfür ist, dass der Gesetzgeber die Krankenkassen im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes verpflichtet hat, dieses Jahr insgesamt 2,5 Milliarden Euro ihres Vermögens – im 1. Halbjahr rund 1,25 Milliarden Euro – an den Gesundheitsfonds abzuführen. Ohne diesen Beitrag zur Stabilisierung der GKV-Finanzen hätten die Krankenkassen einen Überschuss von rund 600 Millionen Euro im 1. Halbjahr erzielt. Die Finanzreserven der Krankenkassen beliefen sich zum Ende des ersten Halbjahres mit 9,7 Milliarden Euro beziehungsweise rund 0,4 Monatsausgaben weiterhin auf das Zweifache der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve“, heißt es in der Pressemeldung des Bundesgesundheitsministeriums dazu.

Lauterbach feiert Zahlen als Erfolg und lehnt Leistungskürzungen ab

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach feiert die aktuelle Lage als Erfolg und kündigt erneut an, keine Leistungen kürzen zu wollen: „Zu Beginn der Legislaturperiode war für das Jahr 2023 mit hohen Beitragssatzsteigerungen gerechnet worden. Mit dem Finanzstabilisierungsgesetz haben wir den Anstieg der Zusatzbeiträge erfolgreich begrenzt und hohe Belastungen der Beitragszahler vermieden. Das Defizit der Krankenkassen zur Jahresmitte ist aufgrund der Abführung von Kassenvermögen an den Gesundheitsfonds erwartet worden. Auch die Krankenkassen leisten damit ihren fairen Beitrag zur Konsolidierung der GKV-Finanzen. Ziel unserer Politik bleibt weiterhin, keine Leistungen für die Versicherten zu kürzen und die Beitragszahler nicht über Gebühr zu belasten.“

Laut BMG standen den Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 151,1 Milliarden Euro Ausgaben in Höhe von 151,8 Milliarden Euro gegenüber. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten seien bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 1,1 Prozent um 4,6 Prozent gewachsen. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz liegt seit Jahresbeginn 2023 konstant bei 1,51 Prozent und damit unterhalb des Ende Oktober 2022 für das Jahr 2023 bekannt gegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 1,6 Prozent, so das Ministerium.

„Außerordentlich gute Einnahmenentwicklung“

Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,9 Prozent. Verantwortlich für die außerordentlich gute Einnahmenentwicklung im 1. Halbjahr sind laut Ministerium insbesondere die zuletzt inflationsbedingt kräftigen Tariflohnsteigerungen. Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde zum 1. Oktober 2022 sowie der Abbau der Kurzarbeit gegenüber dem 1. Halbjahr 2022 wirkten sich positiv auf die Lohnentwicklung aus. „Vor diesem Hintergrund ist in der zweiten Jahreshälfte mit einer abflachenden Veränderungsrate bei den Beitragseinnahmen zu rechnen“, so die Prognose.

Entwicklungen bei den Ausgaben

Bei einem Anstieg der Leistungs- und Verwaltungsausgaben im 1. Halbjahr 2023 von 4,6 Prozent stiegen laut Bericht die Leistungsausgaben um 4,9 Prozent. „Hierbei schlägt sich der Inflationsdruck im Gesundheitswesen zunehmend auch in den regelhaften Vergütungsanpassungen in den verschiedenen Leistungsbereichen nieder“, heißt es. Die Verwaltungskosten reduzierten sich um 2,0 Prozent, was maßgeblich auf die im Vorjahreshalbjahr gebildeten hohen Altersrückstellungen einer einzelnen Krankenkasse zurückzuführen ist. Ohne Berücksichtigung von Altersrückstellungen stiegen die Verwaltungskosten um 4,1 Prozent.

Plus von 7 Prozent bei Krankenhausbehandlung auch wegen Personalkosten

Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen entwickeln sich mit 7,0 Prozent weiterhin äußerst dynamisch, wenngleich gegenüber dem 1. Quartal, als der Zuwachs noch 7,7 Prozent betrug, eine leichte Abflachung stattgefunden hat. „Ursächlich für die im Vergleich zu den vergangenen Jahren hohe Veränderungsrate ist die Kombination aus einer sehr dynamischen Preiskomponente, steigenden Fallzahlen sowie insbesondere die mit 12,5 Prozent erneut stark gestiegenen Pflegepersonalkosten“, so das BMG.

Weiterhin dämpfend wirkt die Erhöhung der gesetzlichen Rabatte pharmazeutischer Unternehmer durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln, die um 2,4 Prozent stiegen.

Ambulante ärztliche Behandlungen nur um 1,0 Prozent höhere Ausgaben

Bei der Interpretation der Daten des 1. Halbjahres ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Ausgaben in vielen Leistungsbereichen, insbesondere bei Ärzten und Zahnärzten, noch von Schätzungen geprägt sind, da Abrechnungsdaten häufig noch nicht oder nur teilweise vorliegen. Die Ausgaben der GKV für ambulant-ärztliche Behandlungen stiegen im 1. Halbjahr um 1,0 Prozent oder 230 Millionen Euro. Dämpfend wirkten unter anderem der deutliche Rückgang von Corona-spezifischen Abrechnungsziffern (zum Beispiel Testungen).

Bei den Zahnärzten sind die Ausgaben der Kassen für zahnärztliche Behandlungen (ohne Zahnersatz) und für Zahnersatz ebenfalls gestiegen, allerdings mit 4,4 Prozent beziehungsweise 1,5 Prozent (Zahnersatz) gegenüber dem 1. Halbjahr 2022 stärker als die für die ärztlichen Behandlungen. Vorläufig werden für zahnärztliche Behandlungen ein Plus von 286 Millionen Euro und für Zahnersatz von 30 Millionen Euro angegeben. Der Anteil an den GKV-Gesamtausgaben bleibt trotzdem konstant bei 6 Prozent.

In Kürze steht die Evaluierung der Auswirkungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes auf die Inanspruchnahme von Leistungen an, auch für die neue allgemeine PAR-Richtlinie, die unter die Budgetierung des Gesetzes fällt. Die von den Patienten und Zahnärzten gut angenommene neue Richtlinie hatte 2022 noch zu deutlich mehr Honorareinnahmen aus PAR-Behandlungen geführt.

Ärzte kritisieren Argumentation der Krankenkassen

Der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried, kommentierte die Daten aus Sicht der Vertragsärzte kritisch, auch mit Blick auf das Verhalten der Krankenkassen in der vergangenen Woche abgeschlossenen Honorarverhandlungen. Die Gesetzliche Krankenversicherung sei im ersten Halbjahr 2023 durch stark steigende Beitragseinnahmen beflügelt worden.„ Insgesamt beliefen sich die Finanzreserven der Krankenkassen zum Juni 2023 auf 9,7 Milliarden Euro. Die Beitragseinnahmen stiegen ohne Berücksichtigung der Zusatzbeiträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,9 Prozent an – mit Zusatzbeiträgen sogar um 6,8 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2022. Das entspricht der von Destatis für das zweite Quartal 2023 festgestellten Nettolohnentwicklung von 6,6 Prozent. Diese lag leicht über der Inflationsrate von 6,5 Prozent. Demgegenüber stiegen die Ausgaben der GKV für Krankenhausbehandlungen überproportional mit einem Zuwachs von 7 Prozent. Die Ausgaben für die ambulante ärztliche Versorgung haben sich mit einem Plus von nur einem Prozent hingegen weiter stark unterdurchschnittlich entwickelt“, so von Stillfried.

Auch deswegen hätten die Krankenkassen bereinigt um Sondereffekte einen Überschuss von 600 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2023 verbuchen können. „Trotzdem werden die Krankenkassen nicht müde – wie zuletzt am 18. August 2023 in einem ‚Brandbrief‘ an die Politik –, auf vermeintlich drohende Defizite zu verweisen. Von diesen ist in den jeweils folgenden Jahresabschlüssen aber kaum noch etwas zu sehen“, so der Zi-Vorstandsvorsitzende. Tatsächlich konnten die Krankenkassen anstelle des angekündigten Defizits von 17 Milliarden Euro zum Jahresende 2022 einen Überschuss von 386 Millionen Euro erzielen. Inklusive der Rückstellungen für den Risikostrukturausgleich errechnete sich daraus sogar ein Überschuss von knapp einer Milliarde Euro. „Auch der Gesundheitsfonds konnte mit 4,3 Milliarden Euro einen Überschuss verbuchen. Insgesamt ergab sich damit ein Plus von insgesamt 5,3 Milliarden Euro im Jahr 2022. Somit verfügten die Krankenkassen zum Jahresende 2022 über 10,4 Milliarden Euro und der Gesundheitsfonds zusätzlich über 12 Milliarden Euro an Reserven.“

Kulisse vermeintlich drohender Defizite zulasten der Praxen

Diese Kulisse vermeintlich drohender Defizite diene den Verbänden der Krankenkassen wiederholt als Argument, die Verantwortung für notwendige Verbesserungen in der Finanzierung der ambulanten ärztlichen Versorgung von sich wegzuschieben, so von Stillfried. „In Anbetracht der üppigen Überschüsse, weiterhin stark steigender Beitragseinnahmen und Rücklagen der Krankenkassen auf der einen Seite und drohenden Versorgungslücken durch die mangelnde Attraktivität der ärztlichen Niederlassung auf der anderen Seite erweisen die Kassenverbände vielmehr den gesetzlichen versicherten Patientinnen und Patienten einen Bärendienst. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die Betriebskosten in den Praxen auch bei geringeren Einnahmen aus der GKV nach wie vor stärker steigen als die Inflationsrate.“

Impfungen, Reha und häusliche Krankenpflege mit Steigerungen

Stark gestiegen sind laut Bundesgesundheitsministerium die Ausgaben für Schutzimpfungen mit 17,8 Prozent, für häusliche Krankenpflege mit 12,0 Prozent sowie für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen mit 11,1 Prozent. Letztere hätten nach den pandemiebedingten Einbrüchen der vergangenen Jahre schon 2022 eine überdurchschnittliche Dynamik aufgewiesen. Im Bereich der Schutzimpfungen ist die starke Wachstumsrate insbesondere auf die Ausgaben für die Abgabe von Impfstoffen gegen Gürtelrose und FSME zurückzuführen. Die Dynamik bei der häuslichen Krankenpflege dürfte primär im Tariftreuegesetz begründet sein, das am 1. September 2022 in Kraft trat, so das BMG.

Unterschiedliche Finanzentwicklung nach Krankenkassenarten

Die Innungskrankenkassen erzielten einen Überschuss von 64 Millionen Euro und die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse einen Überschuss von 5 Millionen Euro. Defizite erzielten hingegen die Allgemeinen Ortskrankenkassen (271 Millionen Euro), die Ersatzkassen (244 Millionen Euro), die Betriebskrankenkassen (111 Millionen Euro) sowie die Knappschaft (69 Millionen Euro).

Ergebnis des Gesundheitsfonds

Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 16. Januar 2023 über eine Liquiditätsreserve von 12,0 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. Halbjahr ein Defizit von 5,6 Milliarden Euro. „Der größere Teil dieses Defizits ist saisonüblich. So fließen die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im 4. Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie beispielsweise dem Weihnachtsgeld höher ausfallen.“

Ein Teil des Defizits resultiere allerdings aus einer Maßnahme des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes: Durch die Absenkung der Obergrenze der Liquiditätsreserve werden zusätzliche Mittel an die Krankenkassen ausgeschüttet, um die Zusatzbeiträge der Krankenkassen zu stabilisieren.

Zusatzbeiträge für 2024 werden bis 1. November bekanntgegeben

Der GKV-Schätzerkreis wird die Versichertenentwicklung, die Ausgaben und die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für das laufende und das kommende Jahr Mitte Oktober prognostizieren. Das BMG wird daraufhin bis zum 1. November 2023 unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Schätzerkreises den durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2024 bekannt geben.

Quelle: Quintessence News Politik Wirtschaft Nachrichten

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