Prof. Renate Oberhoffer-Fritz, Leiterin des Lehrstuhls für Präventive Pädiatrie und Dekanin der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München (TUM), fordert nach aktuellen WHO-Empfehlungen: „Kinder und Jugendliche müssen sich endlich mehr bewegen!“
Laut aktueller Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bewegen sich 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend. Zudem ließen sich mehr als fünf Millionen vorzeitige Todesfälle jedes Jahr vermeiden, wenn sich die Bevölkerung weltweit mehr bewegen würde. Aus diesem Grund hat die WHO neue Aktivitätsempfehlungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen herausgegeben.
Eine Stunde aktive Bewegung pro Tag
Unter anderem empfiehlt die neue Richtlinie allen Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 17 Jahren, mindestens 60 Minuten pro Tag mit moderater bis hoher Intensität aktiv zu sein. Zudem sollten hochintensive Aktivitäten sowie solche, die Muskeln und Knochen stärken, an mindestens drei Tagen pro Woche durchgeführt werden, da körperliche Aktivität bei Kindern und Jugendlichen mit verbesserter körperlicher, geistiger und kognitiver Gesundheit verbunden ist.
Daddelzeit begrenzen
„Weiterhin sprechen die neuen Richtlinien die Empfehlung aus, die Zeit, die Kinder und Jugendliche im Sitzen verbringen, zu begrenzen. Dies betrifft insbesondere die Zeit, die sie am Handy oder vor dem Computer verbringen“, erklärt Oberhoffer-Fritz. Die Medizinerin leitet den Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie der TU München, dessen Forschungsschwerpunkt die Prävention von Erkrankungen, insbesondere des Herz-Kreislauf-Systems, im Kindes- und Jugendalter ist. In Ihrer Funktion als Dekanin der Fakultät und Inhaberin des Lehrstuhls für Präventive Pädiatrie ordnet Prof. Oberhoffer-Fritz die neuen Aktivitätsempfehlungen der WHO ein:
„Die aktuellen WHO-Empfehlungen 2020 gehen von einer durchschnittlichen körperlichen Aktivität von 60 Minuten pro Tag aus – beliebig über die Woche verteilt, im Bereich mäßiger bis stärkerer Belastung überwiegend im Ausdauerbereich. Dies ist durch die Sportstunden in der Schule oder im Verein, aber auch in Form des täglichen bewegten Schulwegs zu Fuß oder mit dem Fahrrad sowie mit jedem Spielsport in der Pause (Ballspielen, Fangenspielen u. a.) zu erzielen. Für Kinder und Jugendliche, die bislang eher inaktiv war, gibt es die ermutigende Botschaft: Jede Bewegung ist besser als keine! Dies trifft auch für Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen zu, die in den WHO-Empfehlungen ebenso als Zielgruppe genannt sind.“
Originalpublikation:
World Health Organization 2020 guidelines on physical activity and sedentary behaviour. Fiona C Bull et. al. Br J Sports Med 2020;54:1451–1462. DOI: 10.1136/bjsports-2020-102955, https://bjsm.bmj.com/content/bjsports/54/24/1451.full.pdf
Positive Effekte
„Regelmäßige Bewegung im Kindes- und Jugendalter hat positive physiologische und funktionelle Effekte auf den sich entwickelnden Organismus, zum Beispiel auf das Muskelwachstum und die Knochendichte, auf die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems sowie die Lungenfunktion, auf den Zucker- und Lipidstoffwechsel. Außerdem auf exekutive Funktionen wie Balance, Geschicklichkeit, Fein-und Grobmotorik sowie auf mentale Gesundheit und letztlich auch auf die Gehirnleistung. Wer sich als Kind regelmäßig bewegt und Sport treibt, nimmt diesen Lebensstil in das Erwachsenenalter mit. Übrigens werden diese Effekte teilweise schon in die Wiege gelegt: Körperliche Aktivität in der Schwangerschaft trägt zur Gesundheit des Nachwuchses bei – daher gibt die WHO hierzu auch erstmals gesonderte Empfehlungen.“
Kinder und Jugendliche motivieren
„Hier spielen sicher bewegungsfreundliche Angebote in der unmittelbaren Umgebung eine große Rolle, zum Beispiel sichere Fahrradwege, ansprechend gestaltete Pausenhöfe sowie vernünftig ausgestattete Sporthallen. Wichtig ist aber auch die Vorbildfunktion der Eltern, Wochenenden aktiv zu gestalten, sowie die Vielfalt moderner Sportangebote im Schul- und Vereinssport.“
Auswirkungen von Digitalisierung und der Entwicklung von eSports
„eSports als sportlicher Gebrauch von Videospielen beinhaltet zwar eine gewisse eigenmotorische Betätigung, taktisches Denken und kommunikative Fähigkeiten, kann aber Sport und Bewegung keinesfalls ersetzen. Der Einsatz digitaler Technologien kann allerdings dazu beitragen, körperliche Aktivität zu fördern, zum Beispiel durch App-gesteuerte Bewegungsinterventionen oder durch Nutzen digitaler Landkarten.“
Auswirkung der Covid-19-Pandemie
„Generell ist während der Covid-19-Pandemie ein verstärktes sitzendes Verhalten zu erwarten. Dies sollte nach den neuen WHO-Leitlinien ein bestimmtes altersentsprechendes Maß nicht überschreiten, weil es eben nicht gesundheitsfördernd, eher gesundheitsschädlich ist. Meist verbunden mit der sogenannten ‚screen time‘ sind negative Auswirkungen auf Fitness, Körperkomposition und Stoffwechsel, Sozialverhalten und Schlaf zu befürchten. Erste Studienergebnisse aus Kanada belegen dies.“